Urteil vom Landgericht Köln - 2 O 277/14
Tenor
Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verdienstausfalls in den Jahren 2010 – 2013 infolge des Unfallereignisses vom 26. Juni 2010 sowie auf Ersatz der infolge dieses Unfallereignisses außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten der Rechtsanwälte D & Collegen ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren Verdienstausfall aus Anlass des Unfallereignisses vom 26. Juni 2010 zu erstatten.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
1
Tatbestand
2Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 00.00.00 in F (Kreis Freudenstadt) in Anspruch.
3Die Klägerin war an diesem Tag Beifahrerin ihres Ehemanns auf einem Motorrad, das bei der Beklagten haftpflichtversichert war. Bei einem Abbiegevorgang des Motorrads nach links wurde es von hinten von einem Pkw erfasst, der von einem Herrn E geführt wurde; der Pkw war bei der Streithelferin haftpflichtversichert. Herr E hatte im Zeitpunkt des Unfalls eine Blutalkoholkonzentration von 1,6‰.
4Die im Jahr 1981 geborene Klägerin wurde vom Motorrad geschleudert und schwer verletzt. Sie ist ein Pflegefall (Pflegestufe III) und dauerhaft erwerbsunfähig. Vor dem Unfall war sie seit dem 16.11.2005 erwerbstätig gewesen.
5Gegenstand der Klage ist ihr Verdienstausfall. Diesen beziffert die Klägerin für die Jahre 2010 – 2013 und verlangt für die Folgejahre Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten. Die Berechnung des Verdienstausfalls der Jahre 2010 – 2013 nimmt die Klägerin auf der Grundlage eines Schreibens ihrer ehemaligen Arbeitgeberin vom 24.9.2012 (K 6, Bl. 40) vor, in dem die hypothetische Gehaltsentwicklung ohne den Unfall dargestellt wird. Für die Einzelheiten der Berechnung wird auf die Seite 4 der Klageschrift verwiesen.
6Auf den Verdienstausfall hat die Streithelferin bislang 51.150 € gezahlt, wie sich aus deren Abrechnungsschreiben vom 22.1.2015 ergibt.
7Außerdem bezieht die Klägerin eine Erwerbsunfähigkeitsrente des zuständigen Sozialversicherungsträgers.
8Die Klägerin ist der Ansicht, allein ihr Ehemann sei Halter des Motorrads gewesen. Unstreitig hat sie keine Fahrerlaubnis für Motorräder. Sie behauptet, ihr Ehemann habe das Motorrad von dem Guthaben eines Sparbuchs erworben, das er schon vor der Ehe angespart hatte; er habe auch allein die laufenden Kosten des Motorrads getragen.
9Die Klägerin hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 142.352,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit Rechtshängigkeit zu zahlen, sie von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen und festzustellen, dass die Beklagte zum Ersatz jedes weiteren Verdienstausfalls verpflichtet ist. Bei dem erstgenannten Betrag handelt es sich um den angeblichen Verdienstausfall der Jahre 2010 – 2013.
10In der mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2015 hat die Klägerin die Klage in Bezug auf den Verdienstausfall nebst Zinsen teilweise – nämlich in Höhe von 51.150 € – zurückgenommen.
11Die Klägerin beantragt nunmehr sinngemäß,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 91.202,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (15.8.2014) zu zahlen sowie die Klägerin von den außergerichtlich angefallenen Anwaltskosten der Rechtsanwälte D & Collegen in Höhe von 2.855,03 € freizustellen;
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden weiteren Verdienstausfall aus Anlass des Unfallereignisses vom 00.00.00 zu erstatten.
Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagte ist der Ansicht, sie hafte für den Unfallschaden nicht. Der Unfall sei für den Ehemann der Klägerin unabwendbar gewesen.
18Zudem sei die Klägerin Mithalterin des Fahrzeugs gewesen. Hierzu behauptet die Beklagte, die Kosten der Anschaffung des Motorrads sowie die laufenden Kosten hätten die Klägerin und ihr Ehemann, die unstreitig in Zugewinngemeinschaft lebten, gemeinsam getragen.
19Außerdem sei der Anspruch auf Verdienstausfall erfüllt, nämlich durch Zahlungen der Streithelferin. Hierzu vertritt die Beklagte die Auffassung, die Klägerin müsse die genaue Höhe darlegen und beweisen, § 363 BGB.
20Jedenfalls müsse sich die Klägerin ersparte berufsbedingte Aufwendungen (10% des Einkommens) anrechnen lassen.
21Schließlich müsse sich die Klägerin Leistungen des Sozialversicherungsträgers auf ihren Verdienstausfall anrechnen lassen. Dem stehe das sogenannte Familienangehörigen-Privileg (§ 116 Abs. 6 S. 1 SGB X) nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift findet der Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger nicht statt, wenn ein Familienangehöriger, der mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft lebt, diesen nicht vorsätzlich schädigt. Die Beklagte meint, die Vorschrift gelte nicht, wenn allein ein familienfremder Unfallgegner für den Unfall verantwortlich sei.
22Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26. März 2015 (Bl. 210) durch Vernehmung des Zeugen C. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2015 (Bl. 267) Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe
24Der Klageantrag zu 1 ist dem Grunde nach gerechtfertigt; der Klageantrag zu 2 ist begründet.
251. Der Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls ergibt sich dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 11 S. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflVG.
26Die Klägerin wurde beim Betrieb des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorrads körperlich verletzt und hierdurch erwerbsunfähig. Sie kann daher von der Beklagten den Ersatz des hieraus entstehenden Vermögensschadens verlangen.
27Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Klägerin Mithalterin des Motorrads gewesen wäre. Wird jemand durch das eigene Kraftfahrzeug geschädigt, so stehen ihm keine Ansprüche aus Gefährdungshaftung zu. Nach der Schutzrichtung der Gefährdungshaftung sollen andere vor den vom Betrieb des Kraftfahrzeugs ausgehenden Gefahren geschützt werden. Der Halter, der das Fahrzeug selbst in den Verkehr gebracht und damit eine Gefahrenquelle geschaffen hat, ist vom Schutzzweck nicht erfasst (Lemcke, zfs 2002, 318, 327; Garbe/Hagedorn, JuS 2004, 287, 290).
28Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht indes zur Überzeugung des Gerichts fest, dass allein der Ehemann der Klägerin Halter des Motorrads und diese nicht Mithalterin war.
29Halter ist, wer das Fahrzeug nicht nur ganz vorübergehend für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt darüber besitzt (Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 3, Rn 258). „Für eigene Rechnung“ bedeutet, dass der Halter die Kosten des Betriebs bestreitet. Das Merkmal ist schon dann erfüllt, wenn wenigstens ein Teil der Kosten bestritten wird. Beim Eigentümer liegt es stets vor, weil ihn die Wertminderung des Fahrzeugs trifft (Greger/Zwickel, aaO, Rn 261). Verfügungsgewalt meint die tatsächliche Möglichkeit, den Einsatz des Fahrzeugs zu bestimmen (Greger/Zwickel, aaO, Rn 263).
30Diese Merkmale können auf mehrere Personen zutreffen; jede von ihnen ist dann Mithalter (Greger/Zwickel, aaO, Rn 270).
31Vorliegend spricht die – unbestrittene – Tatsache, dass die Klägerin nicht über einen Motorradführerschein verfügte, dafür, dass nicht sie, sondern nur ihr Ehemann, der Zeuge C, die tatsächliche Möglichkeit hatte, den Einsatz des Motorrads zu bestimmen, so dass nur er Verfügungsgewalt hatte und demnach allein Halter war.
32Nach der detaillierten, in sich widerspruchsfreien und auf Nachfragen konstanten Aussage des Zeugen C steht zudem fest, dass dieser das Motorrad aus eigenen Mitteln angeschafft hatte und auch aus eigenen Mitteln unterhielt. Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, es sei schon immer sein Traum gewesen, eine Harley Davidson zu besitzen; es sei sein „Spielzeug“ gewesen.
33Zudem steht aufgrund der glaubhaften Aussage auch fest, dass die Klägerin nicht die tatsächliche Möglichkeit hatte, den Einsatz des Fahrzeugs zu bestimmen. Das wäre in Betracht gekommen, wenn die Fahrt, in deren Verlauf der Unfall geschah, einem gemeinsamen Einkauf der Eheleute gedient hätte. So ist es jedoch nicht gewesen; es handelte sich um eine Ausflugsfahrt, an deren Ende noch ein – kleinerer – Einkauf von Lebensmitteln stand, die sofort benötigt wurden. Allein aus Gründen der Praktikabilität wurde dieser Einkauf mit dem Motorrad erledigt.
342. Der Anspruch ist nicht gemäß § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen. Es liegt keine höhere Gewalt vor. Es fehlt schon am Merkmal des betriebsfremden Ereignisses. Der Fahrer des Pkw, der den Unfall herbeigeführt hat, hat nicht von außen in den Verkehrsablauf eingegriffen, sondern war selbst Verkehrsteilnehmer. Dass er sich grob über zentrale Verkehrsregeln hinwegsetzte, ändert daran nichts.
353. Es kommt nicht darauf an, ob der Unfall für den Ehemann der Klägerin unabwendbar war. Diese Frage stellt sich gemäß § 17 Abs. 3 StVG nur im Verhältnis des Ehemanns der Klägerin zum Halter des unfallgegnerischen Pkw. Im Verhältnis des Ehemanns der Klägerin zu dieser gilt nur § 7 StVG, der Unabwendbarkeit nicht kennt.
364. Aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin vor dem Unfall erwerbstätig war und nun dauerhaft erwerbsunfähig ist, steht dem Grunde nach fest, dass sie einen Erwerbsausfallschaden erlitten hat. Dies gilt unabhängig davon, ob und in welcher Höhe sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht und auch unabhängig davon, ob sie sich diese anrechnen lassen muss. Denn jedenfalls deckt eine solche Rente nicht den vollen Schaden ab.
37Soweit die Beklagte die Höhe des ohne den Unfall erzielbaren Nettoeinkommens der Jahre 2010 – 2013 bestreitet (S. 9 der Klageerwiderung), ist dies angesichts der detaillierten Darlegung der hypothetischen Gehaltsentwicklung durch die ehemalige Arbeitgeberin (K 6, Bl. 40) unbeachtlich.
385. Ebenso steht fest, dass der Klägerin auch für die Zeit nach 2013 ein solcher Verdienstausfall entsteht, denn sie ist so schwer verletzt, dass sie nie wieder erwerbstätig sein wird.
396. Die Klägerin hat ihre Anspruchsberechtigung nicht verloren, soweit sie Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung (Erwerbsunfähigkeitsrente) erhalten hat. Denn der Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X scheitert am Familienprivileg des Absatzes 6 der Vorschrift. „Schädiger“ im Sinne der Vorschrift ist auch derjenige, der nur aus der Betriebsgefahr haftet, also ohne eigenes Verschulden. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sieht den Sinn der Vorschrift darin, den Familienfrieden zu erhalten, wenn der Schädiger nur fahrlässig gehandelt habe (BGH v. 28.6.2011 – VI ZR 194/10, Rn 10; BGH v. 5.2.2013 – VI ZR 274/12, Rn 10). Das gilt aber erst recht, wenn er nicht einmal fahrlässig handelte, sondern lediglich durch den Betrieb des Fahrzeugs einen Mitverursachungsbeitrag geleistet hat.
407. Die Klägerin muss sich die Leistungen des Sozialversicherungsträgers auch nicht im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen.
41Voraussetzung eines Vorteilsausgleichs ist, dass das Schadenereignis den Vorteil adäquat verursacht hat und zwischen dem schädigenden und dem vorteilverursachenden Ereignis Identität besteht (Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 10. Aufl., Rn 35). Hier liegt diese Identität vor: Der Unfall, der zur Körperverletzung und damit einhergehenden Erwerbsunfähigkeit führte, hat sowohl den Erwerbsausfallschaden als auch die Rente adäquat verursacht.
42Weitere Voraussetzung des Vorteilsausgleichs ist aber, dass dieser den Schädiger nicht unbillig entlastet (Küppersbusch, aaO).
43Hieran scheitert der Vorteilsausgleich vorliegend. Denn Leistungen aufgrund kollektiver Schadenvorsorge entlasten den Schädiger – wenn die Forderung nicht übergeht – nur in Ausnahmefällen nicht unbillig (Küppersbusch, aaO, Rn 36 aE). Ein solcher Ausnahmefall ist die vorgezogene Altersrente, weil sie nicht zum Ausgleich der Unfallfolgen, sondern wegen Erreichens der Altersgrenze gezahlt wird (Küppersbusch, Rn 92). Vorliegend steht indes nicht eine vorgezogene Altersrente in Rede, sondern eine Erwerbsunfähigkeitsrente; diese wird zum Ausgleich der Unfallfolgen gezahlt.
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