Urteil vom Landgericht Köln - 15 O 136/15
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Auf die Drittwiderklage hin wird festgestellt, dass dem Drittwiderbeklagten keine durchsetzbaren Ansprüche gegen die Beklagte in Ansehung des „Festzinsvertrages“ vom 19.02.2014 (Laufzeitverlängerung) zustanden oder zustehen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin und der Drittwiderbeklagte jeweils zur Hälfte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns – des Drittwiderbeklagten - wegen unterschlagener Anlagebeträge. Die Unterschlagungen wurden vorgenommen durch einen zwischenzeitlich rechtskräftig strafrechtlich wegen zahlreicher derartiger Unterschlagungen verurteilten Herrn V, welcher als selbständiger Handelsvertreter für die ein Finanzdienstleistungsunternehmen zur Vermittlung von Finanz- und Vermögensanlagen betreibende Beklagte tätig war.
3Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte erwarben seit 2006 über die Beklagte Vermögensanlagen, insbesondere zahlreiche Investmentfonds. Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte wurden dabei durch Herrn V von dessen Kölner Büro aus betreut, wobei streitig ist, ob es sich um eine Niederlassung der Beklagten handelte.
4Herr V war mit der Beklagten über einen Vertriebspartnervertrag vom 28.06.2004 / 04.08.2004 verbunden, für dessen Inhalt auf die Anlage B2 Bezug genommen wird. Er stellte sich den Klägern unter Vorlage einer Visitenkarte als Teamleiter der Beklagten mit Sitz in der T-Straße in 50933 Köln vor (vgl. Anlage K3). Der Beklagten lagen Herrn V betreffend folgende Unterlagen vor, aus denen sich keine erheblichen Hinweise auf dessen Unzuverlässigkeit ergaben:
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polizeiliches Führungszeugnis vom 19.02.1999,
- 7
Mitteilung der Auskunftsstelle über Versicherungs- / Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in Deutschland e.V: (AVAD) vom 17.08.1999,
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ordnungsbehördlicher Bescheid der Stadt Köln vom 29.11.1999,
- 9
polizeiliches Führungszeugnis vom 26.08.2003,
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Gewerbeerlaubnis der Stadt Bergheim vom 19.08.2003,
- 11
Gewerbeerlaubnis der IHK Köln vom 30.06.2008,
- 12
Änderung der Gewerbeerlaubnis der Stadt Bergheim vom 24.07.2008,
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Gewerbeerlaubnis der Stadt Köln vom 10.10.2013,
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Gewerbeerlaubnis der IHK Köln und Bestätigung der Eintragung als Finanzanlagenvermittler in das Vermittlerregister gemäß § 11a Abs. 1 GewO.
Mit Datum vom 04.10.2006 unterzeichneten die Klägerin und der Drittwiderbeklagte von Herrn V vorbereitetes und mit Briefkopf der Beklagten versehenes „Festzinszertifikat“, mit welchem ihnen für einen Anlagebetrag in Höhe von 64.500,- EUR für eine Laufzeit von einem Jahr eine Verzinsung von 10 % zugesagt wurde (im Einzelnen vgl. Anlage K2). Der Vertrag wurde in der Folge mehrfach verlängert, wobei weitere Einzahlungen erfolgten. Es handelte sich nicht um ein Produkt der Beklagten. Die Einzahlung der Anlagebeträge erfolgte auf ein Konto „V S Finanzdienstleistungen AG“ bei der F-Bank. Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte erhielten nach eigenem Vortrag seitens des Herrn V über die Jahre auch Auszahlungen auf die entsprechenden Verträge.
17Nach Bekanntwerden der Unterschlagungsvorwürfe gegen Herrn V kündigte die Beklagte den Vertrag mit diesem fristlos mit Schreiben vom 05.08.2014.
18Über das Vermögen des V wurde mit Beschluss vom 09.10.2014 (AG Köln - 75 IN 319/14) das Insolvenzverfahren eröffnet.
19Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte behaupten, sie hätten die im Einzelnen vorgetragenen Vermögensbeträge auf die entsprechenden Festzinszertifikate an Herrn V gezahlt, insbesondere zuletzt 80.000,- EUR aufgrund einer Vertragsverlängerung vom 19.02.2014. Daraufhin sei lediglich eine Auszahlung in Höhe von 3.600,- EUR an sie am 03.06.2014 erfolgt. Die Kläger sind der Ansicht, dass sie die Festzinszertifikate mit der Beklagten abgeschlossen hätten, weil diese sich das Handeln des Herrn V jedenfalls im Wege der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht zurechnen lassen müsse. Die Beklagte treffe zudem ein Organisationsverschulden.
20Die Klägerin beantragt,
211. die Beklagte zu verurteilen, an sie 80.000,- EUR nebst 12.000,- EUR Zinsen für den Zeitraum vom 26.02.2014 bis zum 25.12.2014 zu zahlen;
222. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Anwaltskosten der Rechtsanwälte X, G und Kollegen in Höhe von 2.085,95 EUR zu zahlen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Drittwiderklagend beantragt sie,
26festzustellen, dass dem Drittwiderbeklagten keine durchsetzbaren Ansprüche gegen die Beklagte in Ansehung des „Festzinsvertrages“ vom 19.02.2014 (Laufzeitverlängerung) zustanden oder zustehen.
27Der Drittwiderbeklagte beantragt,
28die Drittwiderklage abzuweisen.
29Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Sie behauptet, anhand der aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlichen Angaben sei der Klägerin bekannt gewesen, dass sie die "Festzinsverträge" mit Herrn V persönlich geschlossen habe und die Einzahlungen auf ein Privatkonto des Herrn V erfolgt seien. Den Klägern sei aus der früheren geschäftlichen Verbindung zu ihr bekannt gewesen, dass Herr V weder zum Abschluss von Verträgen noch zur Entgegennahme von Zahlungen bevollmächtigt gewesen sei. Die von den Klägern mit V abgeschlossenen Verträge seien ihr nicht bekannt, ebenso wenig die behaupteten Zahlungen.
30Die Beklagte ist der Ansicht, dass etwaige Fehlverhalten des V sei ihr nicht zuzurechnen.
31Die Akte der Staatsanwaltschaft Köln – 115 Js 140/13 – war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
32Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe
34Die zulässige Klage ist nicht begründet.
35I. Den Klägern stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten zu.
361. Der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten steht zunächst kein vertraglicher Schadensersatzanspruch bezüglich der streitgegenständlichen Festzinszertifikate gegen die Beklagte zu.
37Zwischen den Parteien sind keine Verträge über die Festzinsanlage zustande gekommen. Dies würde voraussetzen, dass die Beklagte bei Vertragsschluss durch Herrn V vertreten worden ist, also dieser im Namen der Beklagten und mit Vertretungsmacht gehandelt hat, § 164 Abs. 1 BGB. Jedenfalls an der Vertretungsmacht des Herrn V für die Beklagte fehlt es.
38a) Eine ausdrückliche Bevollmächtigung des Herrn V für ein Tätigwerden im Namen der Beklagten lag nicht vor. Der Vertriebspartnervertrag schloss eine solche vielmehr in Ziffer 8 aus. § 56 HGB ist auf die vorliegenden Geschäfte nicht anwendbar.
39b) Die Voraussetzungen einer Duldungsvollmacht sind nicht schlüssig vorgetragen. Voraussetzung für das Bestehen einer Duldungsvollmacht wäre zunächst, dass der vollmachtlose Vertreter wiederholt über einen längeren Zeitraum im Namen des Vertretenen aufgetreten ist (vgl. nur BGH NJW 2005, 2985, 2987), und dass der Vertretene dieses Auftreten positiv kannte und nicht unterbunden hat, obwohl es ihm möglich war (vgl. nur BGH NJW 2004, 2736, 2737).
40Vorliegend haben die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Klägerin und der Drittwiderbeklagte keine Tatsachen vorgetragen, die den sicheren Schluss auf die Kenntnis der Beklagten bezüglich der Erstellung der streitgegenständlichen Festzinszertifikate und dem diesbezüglichen Auftreten des Herrn V zulassen. Die vertretene Ansicht, wonach die Beklagte doch wissen müsse, welche Geschäfte ihre Vertriebspartner abschließen, genügt insoweit nicht. Im Unterschied zur Anscheinsvollmacht, erfordert die Duldungsvollmacht gerade den Vortrag von Tatsachen, wonach die Beklagte als Vertretene positive Kenntnis von dem Auftreten des Herrn V in ihrem Name hatte und dieses Verhalten dennoch duldete. Positive Kenntnis der Beklagten tragen die Klägerin und der Drittwiderbeklagte schon nicht schlüssig vor. Dass die Beklagte aufgrund der Vielzahl der betroffenen Kunden etwas von den Tätigkeiten des Herrn V hätte erfahren haben müssen, ist spekulativ und findet auch in der Akte der Staatsanwaltschaft keine erkennbare Grundlage.
41c) Auch die Voraussetzungen einer Anscheinsvollmacht sind nicht schlüssig vorgetragen. Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters (BGH NJW 2007, 987, Tz. 25).
42Ein solches Kennenmüssen ergibt sich nicht schon aus der Verwendung von Firmenzeichen der Beklagten durch V oder den vorgenannten Stempelaufdruck. Sie ergibt sich auch nicht allein aus der Dauer der Geschäftskontakte der Klägerin zu Herrn V seit 2006. Es ist auch nicht ersichtlich, dass etwaige Umsatzeinbrüche der Beklagten bei von Herrn V betreuten Kunden oder aber die vorgenommenen Auflösungen der Anlagen durch die Klägerin und den Drittwiderbeklagten Anlass zu weiteren Nachforschungen hätten geben müssen. Unabhängig hiervon ist Voraussetzung für eine Zurechnung über die Grundsätze der Anscheinsvollmacht auch, dass die Kläger vorliegend auf den gesetzten Rechtsschein vertrauen durften. Entscheidend für die Gutgläubigkeit des Geschäftsgegners ist hierbei, ob dieser Anlass zu Misstrauen oder erhöhter Vorsicht hätte haben müssen. Bei vorhandenen Zweifeln besteht eine Erkundigungspflicht des Geschäftsgegners beim Vertretenen (vgl. OLG Köln NJW-RR 1992, 915, 916). Zur Beurteilung dieses Gutgläubigkeitsmaßstabs ist der Gesamtkontext der geschäftlichen Beziehung heranzuziehen und zu erörtern, wie sich ein vernünftiger Dritter in der Rolle des Geschäftsgegners verhalten hätte (vgl. BGH NJW 1998, 1854). Davon ausgehend durften die Klägerin und der Drittwiderbeklagte hier nicht auf einen etwaigen Rechtsschein vertrauen.
43Zunächst handelt es sich bei dem abgeschlossenen „Festzinszertifikat“ nicht um ein gewöhnlich von der Beklagten vermitteltes Finanzprodukt. Zwar hatte Herr V in der Kopfzeile Namen und Logo der Beklagten verwendet und diese als „Vermittlerin“ angegeben, endgültige Zweifel an dem Bestehen einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung hätten sich einem vernünftigen Anleger aber jedenfalls aufdrängen müssen, wenn wie vorliegend die vereinbarte Anlagesumme auf das Privatkonto des Vermittlers oder zumindest ein nicht eindeutig der Beklagten zuzuordnendes Konto zu zahlen war. Die Bezeichnung "V S Finanzdienstleistungen AG" deutet jedenfalls auf ein Konto hin, auf welches Herr V direkten Zugriff hatte. Auch erfolgten die Rückzahlungen erkennbar von einem Konto des Herrn V. Angesichts der besonderen wirtschaftlichen Bedeutung einer solchen Kapitalanlage und der fortgesetzten hohen Anlagesummen hätte ein vernünftiger Dritter in der Rolle der Kläger jedenfalls Erkundigungen bei der Beklagten über die Richtigkeit der Zahlungsmodalitäten eingeholt.
442. Deliktische Ansprüche bestehen ebenfalls nicht.
45a) Ein Anspruch gegen die Beklagte aus den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung gemäß §§ 823, 31 BGB kommt nicht in Betracht. Der hier für die Beklagte tätig gewordene Vermittler V ist als selbstständiger Handelsvertreter nicht zugleich als Repräsentant im Sinne des § 31 BGB anzusehen. Entscheidend ist bei selbständigen Handelsvertretern, ob der Vertreter Abschlussvollmachten und Inkassobefugnisse besitzt oder sonst eine in der Hierarchie des Unternehmens herausgehobene Position als Führungskraft inne hat (vgl. BGH, v. 14.03.2013 - III ZR 296/11, Rn. 12 m.w.N.). Die Befugnisse des V beschränkten sich jedoch ausweislich der Ziffer 8 des mit der Beklagten geschlossenen Vertriebspartnervertrages auf die Vermittlung von Verträgen, ohne dass dem Vermittler hierbei eine Vertretungsbefugnis eingeräumt wurde. Zwar kann sich im Einzelfall eine Haftung aus § 31 BGB auch dann ergeben, wenn trotz der vertraglichen Beschränkung auf die Vermittlungstätigkeit, dem Vermittler tatsächlich weitergehende Aufgaben übertragen, solche genehmigt oder zumindest geduldet werden (vgl. BGH WM 1998, 819). Hierzu ergeben sich aus dem Klägervortrag jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte.
46b) Die Beklagte haftet auch nicht aufgrund unzureichender Auswahl- und Überwachung eines Verrichtungsgehilfen gemäß § 831 BGB. Der hier für die Beklagte tätig gewordene Herr V ist als selbstständiger Handelsvertreter vorliegend nicht als Verrichtungsgehilfe anzusehen. Handelsvertreter sind grundsätzlich selbständige Gewerbetreibende (§ 84 HGB) und nicht Verrichtungsgehilfen des Unternehmers, für den sie tätig werden (vgl. zuletzt BGH NJW-RR 2013, 1513 Rn. 19). Eine andere Bewertung käme nur dann in Betracht, wenn der Handelsvertreter ausnahmsweise bei der Ausübung seiner Tätigkeit weisungsgebunden ist und von dem Unternehmer abhängig ist (vgl. BGH a.a.O.). Letztere muss ein hinreichendes Maß erreichen, weil eine gewisse Abhängigkeit regelmäßig im Rahmen von Handelsvertreterverhältnissen gegeben ist, ohne dass hierdurch zugleich die Verrichtungsgehilfeneigenschaft des Handelsvertreters begründet würde. Dem hier relevanten Vertriebspartnervertrag zwischen der Beklagten und Herrn V lässt sich eine solche hinreichende Abhängigkeit nicht entnehmen. Vielmehr heißt es etwa unter Ziffer 9.2 „S wird bei der Erteilung von Vorgaben, Richtlinien und Weisungen der selbstständigen Stellung des Vertriebspartners Rechnung tragen. (…)“.
473. Auf etwaige Unklarheiten bezüglich der vorgetragenen Schadenshöhe kommt es nach dem soeben Ausgeführten nicht an.
48II. Die begehrten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderungen.
49III. Die Begründetheit des zulässigen Feststellungsantrages folgt aus den obigen Ausführungen.
50IV. Der Schriftsatz vom 03.05.2016 gibt keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung oder zur Verlegung des Verkündungstermins. Eine weitere Bearbeitung des Verfahrens durch den Klägervertreter war angesichts der geschlossenen mündlichen Verhandlung nicht angezeigt.
51V. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1, 709 S. 2, ZPO.
52Streitwert: 80.000,- EUR
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