Urteil vom Landgericht Krefeld - 5 O 13/15
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.867,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.01.2015 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu einem Anteil von 80 % und dem Beklagten zu einem Anteil von 20 % auferlegt.
Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt als Rechtsschutzversicherer der Firma Q. GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) den Beklagten als deren Prozessbevollmächtigten aus übergeleitetem Recht auf Rückzahlung anwaltlicher Honorare und Erstattung von Gerichtskosten bezogen auf zwei vor dem Sozialgericht Duisburg geführte Verfahren betreffend Beitragsstreitigkeiten aus dem Bereich der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung in Anspruch.
3Im Oktober 2001 sowie im August 2004 erhob der Beklagte als Verfahrensbevollmächtigter der Versicherungsnehmerin Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Duisburg gegen die X-Genossenschaft (im Folgenden: XG) mit dem Ziel der Aufhebung von Veranlagungsbescheiden der XG für die Kalenderjahre 1996, 1997 und 2001. Konkret setzte sich die Versicherungsnehmerin dabei jeweils gegen die Höhe von Unfallversicherungsbeiträgen zur Wehr. Mit Rücksicht auf zahlreich anhängige Parallelverfahren wurden die sozialgerichtlichen Verfahren mit Einverständnis des Beklagten ausgesetzt, um abzuwarten, inwieweit im Rahmen der Parallelverfahren eine umfassende Klärung der Sach- und Rechtslage erreicht würde. In diesen bis zum Bundessozialgericht sowie bis zum Bundesverfassungsgericht betriebenen Parallelverfahren blieben die Angriffe gegen die Beitragsveranlagung durch die XG letztlich erfolglos; die Gerichte erachteten die Beitragsbemessung bzw. die Beitragsberechnung der XG als rechtmäßig und verfassungsgemäß. Gleichwohl beantragte der Beklagte im August 2009 namens und in Vollmacht der Versicherungsnehmerin die beiden Verfahren vor dem Sozialgericht Duisburg fortzuführen. Diese erhielten sodann die Aktenzeichen S 6 U 167/09 (betreffend die Beitragsbescheide für die Jahre 1996 und 1997) sowie S 6 U 165/09 (betreffend den Beitragsbescheid für das Jahr 2001). Das Sozialgericht Duisburg wies die Klagen jeweils ohne mündliche Verhandlung mit Urteilen vom 23.02.2011 (S 6 U 167/09) und vom 08.02.2011 (S 6 U 165/09) als unbegründet ab. In dem Verfahren S 6 U 167/09 verpflichtete das Sozialgericht die Versicherungsnehmerin nach vorangegangener Androhung unter Hinweis auf die Aussichtslosigkeit der weitergeführten Klage zusätzlich zur Zahlung von Missbrauchskosten in Höhe von 3.000,00 € an die Landeskasse. Der Beklagte legte gegen die beiden Urteile namens und in Vollmacht der Versicherungsnehmerin jeweils Berufung zum Landessozialgericht ein, die er zunächst auch jeweils begründete, nach Hinweisen des Landessozialgerichts auf zwischenzeitlich erfolgte Berufungsrücknahmen in mehreren Parallelverfahren dann aber jeweils zurücknahm.
4Zur Finanzierung des Verfahrens S 6 U 167/09 zu Gunsten der Versicherungsnehmerin fielen für die B-Rechtsschutzversicherungen, einer Zweigniederlassung der Klägerin, Kosten in Höhe von insgesamt 15.185,46 € an; die Kosten des Verfahrens S 6 U 165/09 beliefen sich auf insgesamt 14.200,50 €. Mit rechtsanwaltlichem Schreiben vom 23.08.2014 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten erfolglos die Erstattung dieser Beträge geltend.
5Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe die Verfahren als Bevollmächtigter der Versicherungsnehmerin mutwillig und ohne jede Erfolgsaussicht geführt, nachdem die Sach- und Rechtslage zuvor sozialgerichtlich und auch verfassungsgerichtlich umfassend und eindeutig entgegen der Rechtsposition der klagenden Versicherungsnehmerin geklärt worden war. hierzu behauptet sie, in die gleichwohl weitergeführten hier zugrunde liegenden Verfahren vor dem Sozialgericht Duisburg habe der Beklagte keinerlei neue Gesichtspunkte eingeführt, die eine andere Beurteilung des Sachverhaltes durch das Sozialgericht hätten veranlassen können. Vielmehr habe er lediglich denjenigen Sachverhalt wiederholt, den die Gerichte in den vorangegangenen Verfahren jeweils als nicht durchgreifend beurteilt hätten. Insofern habe er die Versicherungsnehmerin im Hinblick auf die Weiterführung der Sozialgerichtsprozesse falsch beraten.
6Hilfsweise macht die Klägerin geltend, der Beklagte habe zumindest Terminsgebühren von insgesamt 2.584,80 € zu erstatten, die er gegenüber der Klägerin abgerechnet habe, die jedoch nie angefallen seien. Zudem habe der Beklagte in einer Kostenrechnung für das Berufungsverfahren in dem Rechtsstreit S 6 U 167/09 eine Umsatzsteuer in Höhe von 555,86 € ausgewiesen, obgleich die Versicherungsnehmerin der Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen sei; versehentlich habe sie, die Klägerin, die Mehrwertsteuer auch gezahlt. Zudem seien in dem Verfahren S 6 U 165/09 infolge der Berufungsrücknahme nicht verbrauchte Gerichtskostengebühren in Höhe von 5.312,00 € an den Beklagten erstattet worden. Diesen Betrag, den die Klägerin zweckgebunden verauslagt habe, habe der Beklagte ebenfalls in jedem Fall zu erstatten.
7Die Klägerin beantragt,
81.
9den Beklagten zu verurteilen, an sie 29.385,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.01.2015 zu zahlen;
102.
11den Beklagten weiterhin zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 691,33 € zu zahlen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er behauptet, alle in den streitgegenständlichen sozialgerichtlichen Verfahren eingeleiteten Schritte seien seinerzeit sowohl mit der klagenden Versicherungsnehmerin als auch mit deren Rechtsschutzversicherung im Einzelnen abgestimmt gewesen. Dabei sei auch ausdrücklich auf die negativen Entscheidungen in den Parallelverfahren hingewiesen worden. Die Fortsetzung der bereits vor vielen Jahren anhängig gemachten Verfahren sei nicht mutwillig betrieben worden, sondern deshalb, weil es eine Fülle von konkreten und bedeutsamen neuen Informationen gegeben habe. Insbesondere habe ihm ein früherer Leiter der Revisionsabteilung bei der XG, der Zeuge Dr.K., im Dezember 2008 mitgeteilt, dass die XG in den anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren falsche Angaben gemacht habe. Aus der Beitragsveranlagung insbesondere bei Zeitarbeitsunternehmen seien in der Kasse der XG Beträge in einer Größenordnung von seinerzeit 600 Millionen DM zu viel gewesen. Die für die Beitragsbemessung wesentlichen Grunddaten für die Berechnung der Gefahrklassen hätten seinerzeit überhaupt nicht zur Verfügung gestanden und seien nach Auffassung des Zeugen Dr. K. fehlerhaft erstellt worden. Überdies habe er, der Beklagte, im Jahre 2008 die Information erhalten, dass bei der Staatsanwaltschaft in Hamburg ein Strafverfahren gegen Verantwortliche der XG laufe, in dessen Zuge die Zentrale der XG und weitere Büros in verschiedenen Bundesländern durchsucht worden seien. Vor diesem Hintergrund hätten seinerzeit auch mehrere Sozialgerichte zum Ausdruck gebracht, dass die vorgetragenen neuen Informationen sehr wohl entscheidungserheblich seien, wenn sie denn zutreffen würden. Im Ergebnis seien die Gerichte dann allerdings davon ausgegangen, dass die vorgelegten Informationen nicht konkret genug gewesen seien, um erneut in eine Beweisaufnahme einzutreten, was für ihn, den Beklagten, im hier entscheidungserheblichen Zeitraum aber nicht absehbar gewesen sei.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien nimmt das Gericht Bezug auf die wechselseitigen Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 18.09.2015 (Bl. 120 ff. der Gerichtsakten) und vom 24.06.2016 (Bl. 202 ff. Gerichtsakten). Die beigezogenen Akten des Sozialgerichts Duisburg (S 6 U 167/09 und S 6 U 165/09) lagen im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung am 24.06.2016 vor.
16Das Gericht hat auf der Grundlage des Beschlusses vom 16.12.2015 (Bl. 158 der Gerichtsakten) Beweis erhoben durch die Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 24.06.2016 (Bl. 202 ff. der Gerichtsakten).
17Entscheidungsgründe:
18A.
19Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
20I.
21Die Klägerin dringt mit ihrem Hilfsvorbringen durch, soweit sie von dem Beklagten die Erstattung versehentlich überzahlter Mehrwertsteuer zu einem Betrag von 555,86 € sowie nicht verbrauchter Gerichtskostengebühren von 5.312,00 € jeweils nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangt.
221.
23Im Hinblick auf die vorbezeichneten Beträge hat die Versicherungsnehmerin gegenüber dem Beklagten aus dem zwischen diesen bestehenden anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag (§§ 611, 675 BGB) jeweils einen Erstattungsanspruch, der gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Klägerin übergegangen ist. Die Klägerin hat die Beträge an den Beklagten zur Finanzierung der betreffenden sozialgerichtlichen Verfahren gezahlt und damit im Verhältnis zur Versicherungsnehmerin im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG einen Schaden ersetzt (nämlich die von der Rechtsschutzversicherung erfassten Kosten der Rechtsverfolgung gedeckt). Ersatzanspruch in diesem Sinne ist grundsätzlich jeder Anspruch, der dem Ausgleich der die Versicherungsleistung auslösenden Vermögenseinbuße – hier die Kosten der sozialgerichtlichen Rechtsverfolgung – dient (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster VVG § 86 Rn. 3-31, beck-online). Insofern stehen der Versicherungsnehmerin auf die Klägerin übergegangene Ersatzansprüche gegen den Beklagten zu, weil die Mehrwertsteuer mit Rücksicht auf die Vorsteuerabzugsberechtigung nicht angefallen ist und die nicht verbrauchten Gerichtskosten nach Rückzahlung durch das Sozialgericht an sie auszukehren sind.
24Dem diesbezüglichen Vorbringen der Klägerin ist der Beklagte nicht entgegengetreten. Mithin hatte das Gericht als unstreitig zu behandeln, dass die Klägerin versehentlich eine Zahlung von 555,86 € zum Ausgleich nicht angefallener Mehrwertsteuer geleistet hat und dass in dem Verfahren S 6 U 165/09 nicht verbrauchte Gerichtskostengebühren im Umfang von 5.312,00 € an den Beklagten erstattet worden sind. Bezogen auf Letzteres steht dies zudem mit dem Inhalt der beigezogenen Akten des Sozialgerichts Duisburg in Einklang. Diesen lässt sich entnehmen, dass der Beklagte in dem Verfahren S 6 U 167/09 um Erstattung des Gerichtskostenüberschusses auf das Konto der ALLBRECHT Rechtsschutzversicherungen (beigezogene Akte Sozialgericht Duisburg S 6 U 167/09, dort Bl. 268), in dem Verfahren S 6 U 165/09 dagegen um Erstattung auf sein Konto (beigezogene Akte Sozialgericht Duisburg S 6 U 165/09, dort Bl. 352) gebeten hatte.
252.
26Die Zinsforderung ist aus den §§ 291 S. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet. Rechtshängigkeit ist durch die Zustellung der Anspruchsbegründungsschrift am 26.01.2015 eingetreten. Die Zustellung des Mahnbescheids war insoweit nicht maßgeblich, weil die Streitsache entgegen § 696 Abs. 3 ZPO nicht alsbald, sondern erst etwas mehr als drei Monate nach Erhebung des Widerspruchs abgegeben worden ist. In entsprechender Anwendung des § 187 BGB waren die Rechtshängigkeitszinsen ab dem auf die Zustellung der Anspruchsbegründungsschrift folgenden Tag zuzusprechen (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 187 Rn. 1 a.E. m.w.N.).
27II.
28Soweit die Klägerin darüber hinaus die Erstattung weitergehender Kosten für die erfolglos gebliebene Rechtsverfolgung der Versicherungsnehmerin vor den Sozialgerichten unter dem Gesichtspunkt einer Vertragspflichtverletzung geltend macht, bleibt die Klage ohne Erfolg. Ein Schadensersatzanspruch aus § 86 Abs. 1 S. 1 VVG i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB steht der Klägerin insoweit nicht zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte eine Pflicht aus dem seinerzeit mit der Versicherungsnehmerin geschlossenen anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag verletzt hätte.
291.
30Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren in der Hauptforderung ausdrücklich auf den nach § 86 VVG gegebenenfalls auf sie übergegangenen Ersatzanspruch der Versicherungsnehmerin gegen den Beklagten. Ein solcher Ersatzanspruch der Versicherungsnehmerin ist indes nicht gegeben. Im Hinblick auf die grundsätzlich in Betracht kommende Anspruchsgrundlage aus § 280 Abs. 1 BGB fehlt es bereits an einer Vertragspflichtverletzung auf Seiten des Beklagten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest, dass dieser die Versicherungsnehmerin im Hinblick auf die Fortsetzung der in Rede stehenden sozialgerichtlichen Streitverfahren falsch beraten oder eine sonstige Pflicht aus dem anwaltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag verletzt hätte.
31a)
32Die Beweisaufnahme hat nicht zu dem Ergebnis geführt, dass der Beklagte die Versicherungsnehmerin über die mit der Rechtsverfolgung vor den Sozialgerichten einhergehenden Risiken nicht hinreichend aufgeklärt hätte. Die vernommenen Zeugen D. und T. haben jeweils für das Gericht überzeugend bekundet, sich von dem Beklagten stets umfassend informiert und beraten gefühlt zu haben. Obgleich sich die Zeugen an inhaltliche Details der anwaltlichen Beratung begreiflicherweise nicht erinnern konnten, haben sie gleichwohl überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass der – auch negative – Ausgang parallel gelagerter Rechtsstreitverfahren im Rahmen der Erörterungen mit ihrem damaligen Rechtsbeistand zumindest zur Sprache gekommen ist. Ebenso konnten sich beide Zeugen noch an den – auch von ihnen als ungewöhnlich eingeordneten – Umstand der Androhung und schließlich auch der Verhängung einer Missbrauchsgebühr erinnern. Alles in allem lässt sich für das Gericht keineswegs mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass der Beklagte die Versicherungsnehmerin über wesentliche Risiken der Prozessführung in den sozialgerichtlichen Verfahren im Unklaren gelassen und sie insoweit bereits im Sinne einer defizitären Informationserteilung unzureichend aufgeklärt hätte.
33b)
34Eine anwaltliche Pflichtverletzung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte der Versicherungsnehmerin angesichts einer sozial- und auch verfassungsgerichtlich abschließend geklärten Sach- und Rechtslage eindeutig und unbedingt von einer Weiterverfolgung der Angelegenheit hätte abraten müssen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich jedenfalls nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, dass die seinerzeitige Weiterverfolgung der sozialgerichtlichen Streitverfahren mutwillig und unter jedem Gesichtspunkt ohne Erfolgsaussicht gewesen wäre. Nach den anschaulichen und jedenfalls im Hinblick auf die hier entscheidungserheblichen Fragen überzeugenden Bekundungen des Zeugen Dr. K. geht das Gericht vielmehr davon aus, dass dem Beklagten im Vorfeld der Weiterführung der betreffenden sozialgerichtlichen Verfahren Informationen bekannt geworden sind, die neu und zudem jedenfalls nicht von vornherein ungeeignet waren, die Beitragsveranlagung durch die XG ungeachtet der zuvor sozial- wie auch verfassungsgerichtlich erfolgten Klärung in einem anderen Licht, nämlich als möglicherweise doch rechtswidrig, erscheinen zu lassen.
35aa)
36Insoweit ist zunächst zu betonen, dass es im vorliegenden Verfahren nicht darauf ankommt, inwieweit die Informationen, die der Beklagte von dem Zeugen Dr. K. erhalten hatte, inhaltlich richtig waren und inwieweit die von dem Zeugen abgeleiteten Einschätzungen über die Beitragsveranlagung durch die XG oder auch über die XG als solche zutreffend waren oder nicht. Im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich ist allein die Bedeutung dieser Informationen für die anwaltliche Beratung des Beklagten gegenüber der Versicherungsnehmerin im Hinblick auf die sich seinerzeit stellende Frage, ob die noch anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren wegen eindeutig fehlender Erfolgsaussichten zu beenden oder aber fortzusetzen waren.
37bb)
38In diesem Punkt ist das Gericht der Auffassung, dass die von dem Zeugen Dr. K. gelieferten Informationen aus der hier maßgeblichen ex-ante-Perspektive hinreichend gewichtig waren, um die Entscheidung bzw. den anwaltlichen Rat, die Rechtsverfolgung vor den Sozialgerichten trotz des negativen Ausgangs der vorangegangenen Parallelverfahren fortzusetzen, als zumindest vertretbar erscheinen zu lassen. Es ist nicht ersichtlich, dass die von dem Zeugen gelieferten Informationen in der vorangegangenen sozialgerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Klärung bereits umfassend berücksichtigt, vollumfänglich gewürdigt und hernach als nicht durchgreifend erachtet worden wären. Die in den sozialgerichtlichen Verfahren letztlich ergangenen erstinstanzlichen Urteile des Sozialgerichts Duisburg vom 23.02.2011 (S 6 U 167/09; Anl. K8 zur Klageschrift, Bl. 29 ff. der Gerichtsakten) und vom 08.02.2011 (S 6 U 165/09; Anl. K9 zur Klageschrift, Bl. 39 ff. der Gerichtsakten) enthalten zumindest keine dezidierte Auseinandersetzung mit den Argumenten des auch in den dortigen Verfahren als Zeugen angebotenen Dr. K.. Vor diesem Hintergrund erachtet es das Gericht hier als zumindest nicht unvertretbar, wenn der Beklagte die für ihn neuen Informationen des Zeugen Dr. K., eines „Insiders“, zum Anlass genommen hat, die Erfolgsaussichten einer Weiterverfolgung der sozialgerichtlichen Verfahren mit dem Ziel, gegebenenfalls doch noch eine Rechtswidrigkeit der Beitragsbemessung oder Beitragsberechnung der XG nachzuweisen, gegenüber der Versicherungsnehmerin als zumindest nicht vollständig aussichtslos darzustellen.
39cc)
40Überdies durfte auch der Umstand, dass umfängliche strafrechtliche Ermittlungen gegen die XG mit Blick auf deren Beitragsveranlagung bzw. wegen des Verdachts auf Veruntreuung zu viel (und dann mutmaßlich auf rechtswidriger Berechnungsgrundlage) vereinnahmter Beitragszahlungen durchaus Anlass geben, eine Rechtsverfolgung mit dem Ziel, eben diese Beitragsveranlagung als rechtswidrig festgestellt zu sehen, weiter zu betreiben. Gleiches gilt für den Umstand, dass sich zumindest das Landessozialgericht des Bundeslandes Hessen veranlasst gesehen hat, ein sozialgerichtliches Verfahren betreffend die Beitragsveranlagung durch die XG mit Rücksicht auf eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sowie eine in diesem Zusammenhang zu erwartende Zeugenaussage des Dr. K. abzuwarten (vgl. den in der Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 04.09.2015 vorgelegten Beschluss des hessischen Landessozialgerichts vom 29.07.2010 in dem dortigen Verfahren L 3 U 203/08, dort Seite 3, Bl. 118 der Gerichtsakten). Vor diesem Hintergrund wäre ein dahingehender anwaltlicher Rat gegenüber der Versicherungsnehmerin, die Verfahren vor dem Sozialgericht Duisburg nicht weiterzuverfolgen, im Hinblick auf ein etwaiges Haftungsrisiko des Beklagten ebenfalls nicht unproblematisch gewesen, da jedenfalls nicht sicher auszuschließen war, dass sich die Beitragsbemessung durch die XG nach dem Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch im Hinblick auf die sozialrechtliche Bewertung nicht möglicherweise doch als rechtswidrig erweisen könnte. Anders gewendet war ein anwaltlicher Rat, die Verfahren fortzusetzen und dabei die neu gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der staatsanwaltlichen Ermittlungen und der mutmaßlichen Bekundungen des Insider-Zeugen Dr. K. argumentativ zu verwerten, auf der – hier entscheidenden – Grundlage des damaligen Erkenntnisstandes jedenfalls nicht beratungsfehlerhaft.
41dd)
42Ergänzend in den Blick zu nehmen ist zudem der Umstand, dass die Zeitarbeitsbranche, unter anderem auch die Versicherungsnehmerin, unstreitig gegenüber der XG in den 1990er Jahren im Vergleichswege die Erstattung erheblicher Beitragsüberzahlungen erreicht hatte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Weiterführung der Rechtsverfolgung vor dem Sozialgericht Duisburg auch mit Blick auf die Möglichkeiten einer etwaigen außergerichtlichen Einigung und die dabei bestehende Verhandlungsposition, die durch eine Rücknahme der noch anhängigen Klagen unzweifelhaft geschwächt worden wäre, jedenfalls nicht unvertretbar.
432.
44Soweit die Klägerin hilfsweise geltend macht, der Beklagte hätte jedenfalls zu Unrecht gezahlte, weil nicht angefallene, Terminsgebühren in Höhe von 2.584,80 € zu erstatten, dringt sie auch hiermit nicht durch. Gemäß Anmerkung (1) Nr. 1 zu Ziffer 3104 VV-RVG sind Terminsgebühren angefallen, auch wenn eine mündliche Verhandlung in erster Instanz mit Rücksicht auf das Einverständnis der Beteiligten (vgl. insoweit das Urteil des Sozialgerichts Duisburg 23.02.2011 in der Sache S 6 U 167/09, dort Seite 5, Bl. 33 der Gerichtsakten) oder auf die Regelungen des § 105 SGG (dem Urteil des Sozialgerichts Duisburg 08.02.2011 in der Sache S 6 U165/09 ist nicht zu entnehmen, aus welchem Grund die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erging) nicht stattgefunden hat.
453.
46Die Erstattung vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten kann die Klägerin nicht beanspruchen, auch nicht bemessen an der bezogen auf ihre Hauptforderung zugesprochenen Summe. Die Voraussetzungen für einen Verzugsschaden aus den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB sind nicht dargetan. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte im Hinblick auf die von ihm nach den obigen Ausführungen geschuldeten Zahlungen bereits vor Geltendmachung durch das rechtsanwaltliche Schreiben vom 23.08.2014 im Schuldnerverzug befunden hätte. Vielmehr ist er auch nach dem Vortrag der Klägerin durch dieses als Mahnung im Sinne von § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verstehende Schreiben erst in Verzug geraten. Dann aber ist der von der Klägerin insoweit geltend gemachte Schaden in Gestalt entstandener Rechtsanwaltskosten für eine vorgerichtliche Rechtsverfolgung nicht kausal auf den Verzug zurückzuführen.
47B.
48Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
49Der Streitwert wird auf 29.385,96 EUR festgesetzt.
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