Urteil vom Landgericht Landau in der Pfalz (1. Zivilkammer) - 1 S 306/01

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Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Landau in der Pfalz vom 24.10.2001, AZ: 3 C 585/00, abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.562,00 DM (1.821,22 EUR) nebst 4% Zinsen hieraus seit dem 16.06.2000 zu zahlen.

II. Von den Gerichtskosten erster Instanz tragen der Kläger 2/9, die Beklagte trägt 7/9. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers erster Instanz tragen dieser selbst 4/9, die Beklagte trägt 5/9.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

Die zulässige Berufung führt auch in der Sache zu dem erstrebten Erfolg. Die Beklagte hat entgegen der Auffassung des Amtsgericht nicht nur 1/3, sondern sämtliche der in der Berufungsinstanz nicht mehr streitigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers aus dem Unfallereignis vom 22.08.1999 in E. zu tragen. Sie hat die Kollision als Aufsichtspflichtige über das damals 5jährige Kind M.O. verschuldet, indem sie das Kind zum Überqueren der Straße losgeschickt hatte, obwohl dies wegen des Herannahens der bevorrechtigten Klägers nicht mehr gefahrlos möglich war (§§ 832 Abs. 2, 832 Abs. 1, 847 BGB, § 25 Abs. 3 StVO).

2

Zwischen den Parteien ist in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit, dass der Beklagten zum Unfallzeitpunkt die Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Patenkind M. oblag, denn sie hatte sich dessen Eltern gegenüber bereit erklärt, dieses von der Tauffeier nach Hause zu fahren (§ 832 Abs. 2 BGB).

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Ebenso wenig wenden sich die Parteien gegen die vom Erstgericht getroffenen, aus Sicht der Kammer auch nicht zu beanstandenden Feststellungen zum Unfallhergang, wonach die Beklagte zunächst vor ihrem PKW neben dem Kind M. auf der Straße stand und dieses dann zum Überqueren der Straße losschickte.

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Zutreffend ist das Erstgericht bei dieser Sachlage davon ausgegangen, dass die Beklage hierdurch den nachfolgenden Sturz des Klägers verursacht hat, denn sie hätte das Kind nicht losschicken dürfen, bevor dieses die Straße gefahrlos überqueren konnte (§ 25 Abs. 3 StVO).

5

Die Tatsache, dass die Beklagte das Herannahen des Klägers nicht bemerkt haben mag, entlastet sie nicht. Unstreitig ist der Straßenverlauf an der Unfallstelle weiträumig einsehbar. Der Kläger war zudem gut zu erkennen, denn er hatte ein grellrotes T-Shirt getragen. Den diesbezügliche Vortrag des Klägers hat die Beklagte nicht ausreichend bestritten, so dass er als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Kleidung des Klägers war, jedenfalls nach dem Sturz, Gegenstand der Wahrnehmung der am Unfallort anwesenden Beklagten, so dass ihr Bestreiten mit Nichtwissen nicht zulässig ist (§ 138 Abs. 4 ZPO).

6

Ohne Erfolg macht die Beklagte auch geltend, sie habe den Kläger deshalb nicht rechtzeitig erkannt, weil er zu schnell, nämlich mit 40-45 km/h, gefahren sei. Zu diesem Vorbringen, das ohnehin nur auf einer Spekulation beruht, hat die Beklagte keinen tauglichen Beweis angeboten. Allein aus der vom Kläger gewählten Übersetzung seines Fahrrades läßt sich die von ihm gefahrene Geschwindigkeit nicht ermitteln, da diese entscheidend davon abhängt, wie stark der Kläger "in die Pedale getreten" hat.

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Das Amtsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass den Kläger ein Mitverschulden an dem Unfallereignis trifft, da er sich nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Geschwindigkeit dem Kind M. genähert habe.

8

Allerdings müssen sich Fahrzeugführer gemäß § 3 Abs. 2a StVO gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, daß eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

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Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger vorliegend indes nicht deshalb verstoßen, weil er sich dem 5jährigen Kind, das offensichtlich die Absicht hatte, die Straße zu überqueren, mit einer - unverminderten - Geschwindigkeit von 20-25 km/h genähert hat. Allerdings konnte der Kläger als Fahrradfahrer, wie das streitgegenständliche Unfallgeschehen belegt, bei dieser Geschwindigkeit nicht ausreichend schnell auf ein unbedachtes Fehlverhalten des Kindes durch Bremsen oder Ausweichen reagieren, so dass die Fahrweise des Kläger in Hinblick auf § 3 Abs. 2a StVO grundsätzlich zu beanstanden ist.

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Vorliegend war der Kläger indes gegenüber dem Kind M. von seiner besonderen Sorgfaltspflicht befreit, weil dieses in Begleitung der erwachsenen Beklagten war. Ein Verkehrsteilnehmer darf in der Regel der Aufsicht eines Erwachsenen vertrauen und muss deshalb nicht befürchten, das Kind werde plötzlich auf die Straße laufen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 25 StVO, Rdn. 32 a m.w.N.) oder sich von der Hand seiner Mutter losreißen (vgl. OLG Stuttgart, NZV 1992, 185, 186).

11

Im Streitfall befand sich das Kind M. zwar nicht an der Hand der Beklagten. Dies ändert aber nichts daran, dass sich der Grund, weshalb Verkehrsteilnehmern auferlegt wird, sich Kindern mit besonderer Sorgfalt zu nähern, nämlich die Unvorhersehbarkeit des kindlichen Verhaltens, hier nicht realisiert hat. Das Kind M. hat die Straße nicht wegen seiner kindlichen Unerfahrenheit und Spontanität unmittelbar vor dem herannahenden Kläger überquert, sondern weil es von seiner Aufsichtsperson, der erwachsenen Beklagten, hierzu aufgefordert wurde. Für einen Fahrzeugführer ist aber in der Regel nicht vorhersehbar, dass ein Erwachsener ein Kind gerade in dem Augenblick auf die Straße schickt, in dem er bereits so nahe ist, dass er nicht mehr rechtzeitig bremsen kann (vgl. OLG Köln, VRS 28, 266). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger vorliegend Veranlassung gehabt haben könnte, ein spontanes Überqueren der Straße durch M. zu befürchten, sind nicht ersichtlich.

12

In Anbetracht all dessen war es letztlich nicht kausal, dass der Kläger das Kind M. nach seinen eigenen Angaben nicht bemerkt und deshalb seine Geschwindigkeit nicht reduziert hat. Er wäre hierzu nämlich aus den dargelegten Gründen ohnehin nicht verpflichtet gewesen.

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Die Beklagte muss sich andererseits entgegenhalten lassen, dass es aus ihrer Sicht - und im Verhältnis der Parteien zueinander - letztendlich keinen Unterschied machen kann, dass die Beklagte nicht selbst aus Unachtsamkeit die Straße überquert hat, sondern M. hierzu aufgefordert hat. Ihr oblag als Aufsichtspflichtiger gegenüber M. zumindest die gleiche Sorgfaltspflicht, wie sie sie in eigener Sache anzuwenden pflegte. Das bedarf keiner näheren Begründung.

14

Geht man demnach davon aus, dass der Kläger jedenfalls nicht kausal gegen § 3 Abs. 2a StVO verstoßen hat, so führt dies zum alleinigen Verschulden der Beklagten an dem streitgegenständlichen Unfallereignis und damit zu ihrer alleinigen Haftung. Ein sonstiges schuldhaftes Fehlverhalten kann dem Kläger von der hierfür beweispflichtigen Beklagten jedenfalls nicht nachgewiesen werden. Die vom Kläger eingeräumte Geschwindigkeit von 20-25 km/h kann als solche nicht als unangemessen hoch bezeichnet werden. Eine höhere Geschwindigkeit kann aus den dargelegten Gründen zu Lasten des Klägers nicht angenommen werden. Der weitere Einwand der Beklagten, der Kläger habe entweder falsch gebremst oder die Bremsen seines Fahrrades seien falsch eingestellt gewesen, beruht auf einer nicht objektivierbaren Spekulation. Wenn das Kind M. allenfalls 2 m zurückgelegt hat, bevor es zur (Beinahe-)kollision mit dem Kläger kam, dann belegt es keinesfalls ein Fehlverhalten des Klägers, wenn ihm keine sturzfreie Vollbremsung mehr gelungen ist.

15

Die Erwägungen des Erstgerichts zur Höhe des dem Kläger entstandenen materiellen und immateriellen Schadens werden von der Beklagten in der Berufungsinstanz nicht angegriffen. Auch die Kammer sieht keine Veranlassung, die Schadenshöhe in Frage zu stellen, so dass dem Kläger der geltend gemachte Gesamtschaden von 3.562,00 DM in voller Höhe zuzuerkennen ist.

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Die Kostenentscheidung beruht für die I. Instanz auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO und für das Berufungsverfahren auf § 91 Abs. 1 ZPO.

17

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

18

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf einer analogen Anwendung von §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. In Hinblick auf die Übergangsvorschrift des
§ 26 Nr. 8 EGZPO ist die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht veranlaßt.

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