Beschluss vom Landgericht Magdeburg (Rehabilitierungskammer) - Reh 190/15

Tenor

1.

Die Wiederaufnahme des durch rechtskräftige Beschlüsse der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Halle vom 28. März 2007 - 22 Reh. 8446/06 - und vom 15. März 2010 - 12 Reh. 9561/09 - abgeschlossenen Verfahrens wird angeordnet.

2.

Unter insoweit teilweiser Aufhebung der vorgenannten Beschlüsse 22 Reh. 8446/06 und 12 Reh. 9561/09 wird die Anordnung der Unterbringung der Antragstellerin in der Poliklinik Mitte der Stadt H. im August 1976 wird für rechtsstaatswidrig erklärt.

3.

Unter insoweit ebenfalls teilweiser Aufhebung der vorgenannten Beschlüsse - 22 Reh. 8446/06 und 12 Reh. 9561/09 - wird die durch Beschluss des Rates der Stadt H/West - Jugendhilfeausschuss - vom 01. September 1976 - 75 - W - E - 151269/CH - angeordnete Heimeinweisung und der veranlasste Aufenthalt in dem Jugendwerkhof "August Bebel" in B für rechtsstaatswidrig erklärt und

aufgehoben.

4.

Die Entscheidung über die Anordnung der Heimerziehung in der Zeit von März 1973 bis Juli 1975 wird zurückgestellt.

5.

Die Dauer des zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzuges wird auf die Zeit von

6 Wochen im August/September 1976 und vom

03. Mai 1977 bis Juni 1978

festgestellt.

6.

Die Betroffene hat Anspruch auf Erstattung ihrer aufgrund der aufgehobenen Entscheidungen entstandenen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen.

Dieser Anspruch und ggf. weitere nach dem StrRehaG (Bundesgesetzblatt Teil I, 1999, S. 2665) bestehende Entschädigungsansprüche sind bei dem

Landesverwaltungsamt Halle
Versorgungsamt
Soziales Entschädigungsrecht
Olvenstedter Str. 1 - 2
39108 Magdeburg

geltend zu machen.

7.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

1.

1

Die Antragstellerin, die damals 16 Jahre alt war, beabsichtigte im Sommer 1976, zur Ostsee zu gelangen. Sie wurde dort von der Polizei aufgegriffen und nach einem zweitägigen Aufenthalt in einem Durchgangsheim zunächst zu den Eltern zurückgebracht. Es erfolgte sodann eine Unterbringung von ca. 6 Wochen auf der geschlossenen Station der Poliklinik Mitte in H. Mit Beschluss vom 28. März 2007 hat die 1. Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Halle den Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung als unbegründet zurückgewiesen.

2

Am 15. September 2014 stellten Florian S und Maximilian S ihre Untersuchung "Disziplinierung durch Medizin - die geschlossene venerologische Station in der Poliklinik Mitte in H von 1961 bis 1982" vor. In dieser Dokumentation wird die zwangsweise medizinische Behandlung geschildert. Rechtsgrundlage war die Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten vom 23. Februar 1961. Aus der Dokumentation ergibt sich aber, dass der behördliche Verdacht der "Rumtreiberei" ein Vorwand war, unter dem gerade hier Mädchen in die geschlossene venerologische Station in H eingeliefert wurden. Hinsichtlich der Durchführung des Aufenthaltes wird insoweit auf 4.2 ff. der Dokumentation verwiesen. Die Eingriffe erfolgten ohne Patientenaufklärung und ohne Einverständnis der Eltern. Als Erziehungsmaßnahmen wurden zusätzlich Arbeitstherapie, Abstrichsperre und die Nachtruhe außerhalb des Bettes auf einem Hocker angeordnet. Bei dieser Sachlage ist die angeordnete Maßnahme zum Aufenthalt in dieser Poliklinik für rechtsstaatswidrig zu erklären.

2.

3

Mit Beschluss des Rates des Stadtbezirkes West der Stadt H vom 01. September 1976 wurde die Heimerziehung der Antragstellerin angeordnet. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Blatt 28 bis 29 d.A. verwiesen.

4

Die Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Halle hat zunächst mit Beschluss vom 28. März 2007 den Antrag auf Rehabilitierung im Zusammenhang mit dieser Einweisung als unzulässig zurückgewiesen. Mit weiterem Beschluss vom 12. April 2010 - 12 Reh. 9561/09 - hat die Kammer den Antrag als unbegründet zurückgewiesen.

5

Die Unterbringung ist nach Aktenlage im Zusammenhang mit dem in Ziff. 2 für rechtsstaatswidrig erklärten Aufenthalt in der Poliklinik erfolgt. Bei dieser Sachlage ist auch die sodann erfolgte Heimeinweisung rechtsstaatswidrig.

3.

6

Die weitere Entscheidung wird zurückgestellt (Ziff. 4).


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Referenzen

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