Urteil vom Landgericht Magdeburg - 26 Ns 3/17, 26 Ns 456 Js 38263/15 (3/17)

Tenor

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Oschersleben vom 08. Dez. 2016 aufgehoben.

Der Angeklagte wird wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.

Die Höhe eines Tagessatzes wird auf 5,- € festgesetzt.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.


Angewendete Vorschriften:

§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 47 Abs. 2 StGB

Gründe

I.

1

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Oschersleben vom 06. Juli 2016 wurde der Angeklagte wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass er anlässlich einer Kundgebung der Partei "Die Rechte" in Oschersleben am 15. Aug. 2015 während des Umzugs der Kundgebungsteilnehmer neben anderen Personen mehrfach die Parole "Deutschland den Deutsche, Ausländer raus" skandiert haben soll. Gegen diesen Strafbefehl hat der Angeklagte Einspruch eingelegt. Im Rahmen der darauf anberaumten Hauptverhandlung hat ihn das Amtsgericht mit Urteil vom 08. Dez. 2016 aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da ihm eine Tathandlung nicht nachzuweisen sei.

2

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft.

3

Die Berufung der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, so dass der Angeklagte wie aus dem Tenor ersichtlich unter Aufhebung des freisprechenden Urteils des Amtsgerichts zu verurteilen war.

II.

4

Zur Person des Angeklagten hat die Berufungskammer folgende Feststellungen getroffen:

5

Der am 20. Dez. 1986 in Braunschweig geborene Angeklagte ist verheiratet und Vater zweier minderjähriger Kinder. Er ist Student und lebt von der Unterstützung durch die Familie, die sich nach seinen Angaben auf rund 800,- € monatlich beläuft. Die Ehefrau des Angeklagten bezieht Sozialleistungen nach SGB II. Der Angeklagte ist Mitglied der Partei "Die Rechte".

6

Strafrechtlich ist er bislang wie folgt in Erscheinung getreten:

7

Mit Strafbefehl vom 23. Juli 2012, rechtskräftig seit 17. Aug. 2012, verurteilte ihn das Amtsgericht Hildesheim (Az.: 17 Cs 27 Js 13198/12) wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,- €.

III.

8

Zur Sache hat die Kammer aufgrund der erneuten Beweisaufnahme folgende Feststellungen getroffen:

9

Die Partei "Die Rechte" hatte für den 15. Aug. 2015 in Oschersleben zu einer Kundgebung aufgerufen. Im Verlauf des Mittags fanden sich ca. 120 Personen am Bahnhof in Oschersleben ein, die von dort geschlossen zum Kundgebungsort, dem sog. Knochenpark in Oschersleben, zogen. Nach Abhaltung der Kundgebung zogen diese dann nach 16.40 Uhr wieder zurück zum Bahnhof. Der Angeklagte, der als Redner durch den Veranstalter zur Kundgebung eingeladen war, marschierte sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg in der Gruppe mit. Dabei trug er wie einige andere Teilnehmer auch ein rotes T-Shirt mit dem Aufdruck "Die Rechte" und ging an der Gruppenspitze, zumindest teilweise ein Transparent tragend. Neben den an den roten T-Shirts erkennbaren Parteimitgliedern befanden sich eine Vielzahl schwarz bekleideter Teilnehmer sowie Teilnehmer mit schwarzen T-Shirts mit dem Aufdruck "Division Sachsen-Anhalt" in Frakturschrift sowie den Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot in der Gruppe der Marschierenden, aber auch mit normaler Sport- und Straßenkleidung bekleidete Personen. Zudem wurden verschiedene Fahnen mitgeführt, u.a. rote Fahnen mit Pfeilsymbolen, schwarze Fahnen und schwarze Fahnen mit in Fraktur geschriebenen Ortsnamen bzw. einem stilisierten Adler und der Aufschrift "Division Deutschland".

10

Die Personengruppe zog vom Bahnhof geschlossen zum Kundgebungsort und nach Abschluss der Veranstaltung von dort wieder zurück zum Bahnhof, wobei auch der Seilerweg benutzt wurde. Die Kolonne hatte eine Breite von 5 bis 6 Personen, denen ein Transparent der Partei "Die Rechte" vorangetragen wurde. Sowohl auf dem Hin- als auf dem Rückweg wurde der Zug durch Polizeibeamte in Einsatzkleidung abgesichert.

11

Während des An- und Abmarsches wurden durch die Marschierenden wiederholt lautstark verschiedene Parolen skandiert, wobei zum Teil die Parolen durch einzelne Teilnehmer angestimmt und durch eine Vielzahl der Marschierenden wiederholt und aufgegriffen wurden

12

Dabei handelte es sich u.a. um die Ausrufe "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", "Kriminelle Ausländer raus, raus, raus", "9mm", "linkes Gezeter, 9mm", "Nationaler Sozialismus", "Frei, sozial und national" "Nationaler Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt" sowie "Hier marschiert der nationale Widerstand".

13

Zumindest auf dem Rückweg stimmte der Angeklagte die Parole " Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" an und skandierte diese mit anderen Teilnehmern zusammen.

IV.

14

1. Die Feststellungen zur Person des Angeklagten beruhen auf dessen Angaben sowie der Auskunft des Bundesamtes für Justiz vom 03. Juli 2017, die durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt wurde.

15

2. Die unter III. getroffenen Feststellungen beruhen auf der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten, der Vernehmung der Zeugen H. und P., der Inaugenscheinnahme des Videos des Umzuges sowie der Inaugenscheinnahme der aus dem Video gefertigten Lichtbilder Blatt 7 bis 13 und 16 d.A., auf die gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen wird.

16

Der Angeklagte hat im Rahmen seiner Einlassung eingeräumt, am fraglichen Tag als Redner eingeladen gewesen zu sein und sich mit den anderen Teilnehmern am Bahnhof in Oschersleben getroffen zu haben. Von dort sei man zum Kundgebungsort gezogen, nach der Kundgebung dann wieder zurück zum Bahnhof. Die Parole "Deutschland den Deutsche, Ausländer raus" sei gerufen worden, wobei auch er in den Ruf eingestimmt habe. Weitere Parolen habe er nicht mitbekommen.

17

Die Zeugin H. hat bekundet, die Kundgebung und auch den An- und Abmarsch der Teilnehmer als Fotografin begleitet zu haben. Dabei habe sie mit ihrer Fotokamera sowohl auf dem Hinmarsch als auch auf dem Rückmarsch das in Augenschein genommene Video angefertigt, wobei sie auf dem Hinmarsch der Gruppe der Marschierenden hinterhergelaufen sei. Erst auf dem Rückmarsch habe sie die Gruppe von vorne filmen können. Die mit den Verfahrensbeteiligten in Augenschein genommene Videosequenz gebe den Rückmarsch wieder. Sie habe die verschiedenen lautstark gerufenen Parolen wahrnehmen können und auch gesehen, wie der Angeklagte auf dem Rückweg diese Parole gerufen und auch angestimmt habe. Diesen habe sie schon vorher gekannt und auch eindeutig wiedererkannt. Die Stimmung sei nicht friedlich gewesen, insbesondere am Kundgebungsort habe die Polizei einschreiten müssen.

18

Diese Bekundungen der Zeugin H. werden durch die Angaben des Zeugen P. gestützt: Der Zeuge P. hat als Polizeibeamter die Kundgebung sowie An- und Abmarsch der Teilnehmer begleitet. Er hat ebenfalls angeben, durch die Teilnehmer seien verschiedene szenetypische Parolen skandiert worden, aufgrund der Lage sei ihm jedoch eine Zuordnung zu einzelnen Teilnehmern nicht möglich gewesen. Welche Parolen konkret gerufen worden seien, könne er heute aber nicht mehr sagen. Die Zeugin H. habe die Polizei vor Ort über ihre Feststellungen informiert und auch das Videomaterial zur Verfügung gestellt.

V.

19

Im Ergebnis der getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht.

20

Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert. Beide Alternativen liegen, soweit es den objektiven Tatbestand betrifft, vor. Der Angeklagte hat insoweit durch sein Handeln beide Handlungsvarianten erfüllt.

21

1. Das Aufstacheln zum Hass ist eine verstärkte, auf die Gefühle des Aufgestachelten gemünzte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer emotional gesteigerten feindseligen Haltung (BGHSt 21, 371,372; 40, 97,102; OLG Köln NJW 1981, 1280, 1281; OLG Frankfurt NJW 1995, 143, 144; KG JR 1998, 213, 215; Fischer StGB 64. Aufl., § 130, Rn. 8, m.w.Nachw.). Diese feindselige Haltung sollte hier durch die Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" erzeugt werden.

22

Die in Deutschland lebenden Ausländer kommen dabei als hinreichend abgrenzbarer und damit vom Tatbestand der Volksverhetzung geschützter Teil der Bevölkerung in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Sept. 2011, 4 StR 129/11 m. zahlr. Nachw., zit. n. juris).

23

Vor dem Hintergrund der allgemein bekannten gewalttätigen Ausschreitungen gegen Ausländer, die im allgemeinen Bewusstsein sind, lässt sich die aus einer größeren Personengruppe heraus gegrölte Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" unter den gegebenen Umständen aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsbeobachters nur dahin deuten, dass im Hörer dieser Parole gegen die Ausländer nicht nur Vorbehalte und Ablehnung, sondern eine aggressive Missachtung und Feindschaft erzeugt oder gesteigert werden sollten. Eine unmittelbare Aktion braucht damit nicht beabsichtigt zu sein; es genügt, dass die Parole objektiv geeignet und subjektiv dazu bestimmt war, auf die Adressaten der Parole in dieser Weise einzuwirken (Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 130, Rn. 5a). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass im konkreten Fall dieser Parole eine andere, insbesondere nicht mit dieser Zielrichtung verbundene Bedeutung zukam. Im Gegenteil sprechen auch die gesamten sonstigen Umstände für die Annahme einer bewussten Volksverhetzung durch die Personen, die diese Parole gegrölt haben. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass zeitgleich noch weitere Parolen gerufen wurden, deren geistige Quelle aus dem rechtsradikalen, menschenverachtenden Gedankengut stammt. Die Parolen "Nationaler Sozialismus", "Frei, sozial und national" "Nationaler Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt" sowie "Hier marschiert der nationale Widerstand" lassen zweifelsfrei auf eine nationalsozialistische Gesinnung schließen; sie sind Ausdruck einer feindseligen Haltung gegenüber der freiheitlichen Rechtsordnung und einer offenen Gesellschaft. Ähnliches gilt für die weitere Parole "9mm", zumal diese Parole nicht losgelöst von den anderen aus der Gruppe gerufenen Parolen bewertet werden kann. Sie ist – auch wenn sie gegebenenfalls nicht auf die Gruppe der Ausländer, sondern die sog. "Linken" gemünzt war – ein klarer Aufruf zu Gewalt, da mit "9mm" ein Munitionskaliber gemeint ist, das ganz offensichtlich nach Ansicht der Rufer gegenüber Andersdenkenden eingesetzt werden soll. Auch die Tatsache, dass diesen Parolen durch ihre mehrfache Wiederholung besonderer Nachdruck verliehen werden sollte, gewinnt für diese Beurteilung Bedeutung. Hinzu kommt, dass die Gruppe der Marschierenden durch ihre Bekleidung, die mitgeführten Fahnen sowie ihr geschlossenes Auftreten einen gewaltbereiten aggressiven Eindruck erweckt hat, was anhand der Videoaufzeichnungen zur Überzeugung der Kammer eindeutig feststeht.

24

Dagegen ist es entgegen der Ansicht der Verteidigung für die Tatbestandsverwirklichung des § 130 Abs. 1 Nr. 1 (erste Tatalternative) StGB irrelevant, dass die Teilnehmer des An- und Abmarsches nicht in einer geschlossenen militärischen Formation durch die Straßen gezogen sind und die Parolen teils vereinzelt und von verschiedenen Teilnehmern skandiert wurden. Auf die Größe und Einheitlichkeit der Gruppe kommt es bei der Frage, ob zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt wird, nicht an; es genügt die Verhetzung durch einen einzelnen, sofern die Tat in einer Weise begangen wird, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Das aber steht nach den getroffenen Feststellungen außer Zweifel. Denn abgesehen davon, dass die Tat nach § 130 StGB kein konkretes, sondern ein potentielles Gefährdungsdelikt ist, lässt das festgestellte Verhalten die ernsthafte Besorgnis aufkommen, dass der Rechtsfrieden in Gefahr ist. Dies ergeben neben den Eindrücken aus dem Video auch die Aussage der Zeugin H., die die von den Teilnehmern des Marsches und der Kundgebung ausgehende Stimmung als aggressiv und bedrohlich schilderte, sowie insbesondere die Bekundung des Zeugen P., wonach sich die Polizeiführung aufgrund der Situation gehalten sah, weitere starke Polizeikräfte zuzuführen.

25

2. Der Angeklagte kann sich insoweit auch nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen:

26

Dieses Grundrecht gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (BVerfGE 93, 266, 289). Jedermann hat insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern (BVerfG NJW 1992, 2750). Meinungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfGE 90, 241, 247). Geschützt sind damit grundsätzlich auch – in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG – rechtsextremistische Meinungen (vgl. BVerfG, EuGRZ 2008, 769, 772; 2011, 88; NJW 2010, 47, 49). Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG aber eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch § 130 Abs. 1 StGB gehört.

27

Bei der Subsumtion unter diese Strafvorschrift ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung, dass der Sinn der Meinungsäußerung zutreffend erfasst wird. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat. Dabei ist stets von dem Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und ihren Begleitumständen bestimmt, soweit diese für den Empfänger erkennbar sind (vgl. BVerfGE 93, 266, 295; BVerfG NJW 2008, 2907, 2908). Es ist deshalb von Bedeutung, ob sich die Äußerungen an einen in irgendeiner Richtung voreingenommenen Zuhörerkreis richten und ob den Zuhörern die politische Einstellung des Angeklagten bekannt ist. Diese Umstände können Hinweise darauf geben, wie der durchschnittliche Zuhörer die Äußerungen auffassen wird (vgl. BGH, NStZ-RR 2006, 305 m.w.Nachw.). Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst (vgl. BVerfG, NJW 2009, 3503, 3504). Ein solcher Fall liegt typischerweise bei den auf einer Versammlung oder einer Demonstration skandierten Parolen vor, die in der Regel nur den Kern eines Anliegens in knappen Worten zum Ausdruck bringen kann.

28

Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (vgl. BVerfGE 114, 339, 349). Gründe dieser Art können sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Äußerung gefallen ist (vgl. BVerfGE 82, 43, 52).

29

Entgegen der Ansicht der Verteidigung muss daher bei der Wertung der vom Angeklagten skandierten Parole sehr wohl auf den Gesamtzusammenhang der Äußerungen abgestellt werden. Denn auch nach der Rechtsprechung des BVerfG kann eine Verurteilung auf ein Auseinanderfallen von sprachlicher Fassung und objektivem Sinn gestützt werden (vgl. BVerfGE 93, 266, 303), insbesondere bei in der Äußerung verdeckt enthaltenen Aussagen. Ein solches Verständnis muss aber unvermeidlich über die reine Wortinterpretation hinausgehen und bedarf daher der Heranziehung weiterer, dem Text nicht unmittelbar zu entnehmender Gesichtspunkte und Maßstäbe. Diese müssen mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar sein (vgl. BVerfGE 43, 130, 139; BVerfG NJW 2008, 2907, 2908). Auf eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen verdeckt enthaltene zusätzliche Aussage darf die Verurteilung daher dann gestützt werden, wenn sich die verdeckte Aussage dem angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt (vgl. BVerfG NJW 2008, 1654, 1655; 2010, 2193).

30

Diese Voraussetzungen sind nach den eingangs getroffenen Feststellungen hier gegeben. Die für sich genommen möglicherweise noch von der allgemeinen Meinungsfreiheit gedeckte Aussage "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" war wie ausgeführt vorliegend nicht als bloße Darstellung der eigenen Meinung des Angeklagten zu werten. Aufgrund der Gesamtumstände verfolgte die Aussage vielmehr im Kontext mit den weiteren gegrölten Parolen, dem Auftreten sowie dem Erscheinungsbild der Teilnehmer nicht nur den Zweck, die eigene Meinung darzutun und auf eine nach Meinung des Angeklagten verfehlte Politik im Hinblick auf Ausländer hinzuweisen, sondern zielte eindeutig darauf ab, eine aggressive und feindselige Stimmung gegen Ausländer zu erzeugen und die Hörer der Parole anzustacheln, sich dem sog. "Nationalen Widerstand" anzuschließen. Betrachtet man das Gesamtbild der Teilnehmer des An- und Abmarsches in Form des teilweise martialischen Auftretens, der erkennbaren rechten Gesinnung, der getragenen Szenebekleidung, der Fahnen und setzt dazu die skandierten Parolen in einen Zusammenhang, so kann auch der hier fraglichen Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" kein anderer Sinngehalt zuteilwerden, als dass "die Ausländer" als Feindbild etabliert werden und man notfalls dieser Forderung – gegen die bestehende Ordnung – auch mit Gewalt Nachdruck verleihen muss. Diese nach Ansicht der Kammer zwar verdeckte, letztlich aber eindeutige Aussage ist von Art. 5 GG dann nicht mehr gedeckt.

31

3. Die getroffenen Feststellungen erfüllen darüber hinaus den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung auch insoweit, als es um die Handlungsalternative "Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen" geht. Diese Tathandlung liegt vor, wenn der Täter durch seine Erklärung nicht nur eine Handlung befürwortet, sondern auf die Erklärungsempfänger mit dem Ziel einzuwirken versucht, in ihnen den Entschluss hervorzurufen, derartige Maßnahmen gegen den durch § 130 StGB geschützten Personenkreis zu ergreifen (BGHSt 32, 310; Schönke/Schröder, a.a.O., § 111, Rn 3; Fischer, a.a.O., § 130 Rn. 10). Wer die Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" neben weiteren, dem politisch äußeren rechten Spektrum zuzuordnenden Parolen gegenüber einem unbestimmten Adressatenkreis grölt, wird damit regelmäßig nicht nur seine Ablehnung oder Verachtung dieses Teils der Bevölkerung kundtun, sondern damit auch die Absicht verbinden, auf den Parolenempfänger in der Weise einzuwirken, dass er sich diesen Imperativ zu eigen macht und daraus seine Handlungskonsequenzen zieht. Wollte er mit dieser Parole diese Aufforderung nicht verbinden, dann würde sie schon ihrer eigentlichen semantischen Bedeutung entkleidet. Jedenfalls aber lässt auch hier eine Gesamtwürdigung aller aufgeführten Umstände nur die Deutung zu, dass ein objektiver Betrachter der Szene die Parolen als eine derartige Aufforderung verstehen konnte.

32

4. Der Angeklagte kann insoweit auch nicht mit Erfolg geltend machen, von den weiteren Umständen des An- und Abmarschs nichts mitbekommen zu haben. Aufmachung und Verhalten der Teilnehmer, die der Angeklagte zumindest auf dem Rückmarsch an der Spitze des Zuges teilweise angeführt hat, konnten ihm kaum verborgen bleiben. Ebenso ist nach der Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen, dass der Angeklagte die weiteren skandierten Parolen nicht gehört haben will. Es handelt sich hierbei um eine bloße Schutzbehauptung. Der Angeklagte wusste sehr wohl um den Eindruck, den der Zug der Teilnehmer erweckte, und die mit dem Marsch verfolgten Ziele. Das insbesondere das Skandieren der Parolen nicht nur den Zweck verfolgte, eine eigene politische Meinung kundzutun, hat sich ihm jedenfalls dann erschließen müssen, als von Widerstand die Rede war und die Parole "9mm" skandiert wurde. Die Kammer geht daher von einem bedingt vorsätzlichen Handeln des Angeklagten aus.

VI.

33

Bei der Strafzumessung hatte die Kammer vom Strafrahmen des § 130 Abs. 1 StGB auszugehen, der Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.

34

Zu Gunsten des Angeklagten hat die Kammer berücksichtigt, dass dieser sich – nunmehr – hinsichtlich des Rufens der Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" geständig eingelassen hat. Zudem konnte Berücksichtigung finden, dass der Angeklagte bislang nicht einschlägig vorbestraft ist.

35

Die Kammer hält daher eine Strafe an der unteren Grenze des gesetzlichen Strafrahmens für angemessen.

36

Da eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten zur Einwirkung auf den Angeklagten demnach aus Sicht der Kammer nicht erforderlich erscheint, war gemäß § 47 Abs. 2 StGB eine Geldstrafe zu verhängen. Diese erscheint mit 120 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen, aber auch ausreichend, um dem Angeklagten das Unrecht seines Handelns nachhaltig vor Augen zu führen. Dabei hat sich die Kammer auch von dem Umstand leiten lassen, dass der Angeklagte in diesem Verfahren erstmals im Rahmen einer öffentlichen Hauptverhandlung vor Gericht erscheinen musste.

37

Die Höhe eines einzelnen Tagessatzes hat die Kammer im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse des Angeklagten und seine familiäre Situation mit 5,- € bemessen.

VII.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1 S. 1, 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen