Urteil vom Landgericht Mainz (Kammer für Handelssachen) - 12 HK.S 5/00
Tatbestand
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Die Kl. produziert in ihrem Betrieb Konserven der Schnecken Helix pomatia, welche sie an den Großhandel vertreibt und als Weinbergschnecken bezeichnet. Die Bekl. produziert ebenfalls Speiseschneckenkonserven. Sie vertreibt ihre Waren in ganz Deutschland und beliefert mit ihren Produkten auch Verbrauchermärkte in Mainz. Die Bekl. vertreibt Schnecken der Art Helix lucorum und bezeichnet auch diese in ihren Speisekonserven als "Weinbergschnecken". Die Kl. hat u. a. beantragt, die Bekl. zu verurteilen, es zu unterlassen, in Deutschland Schneckenfleisch der Art Helix lucorum unter der Bezeichnung "Weinbergschnecken" oder sonstigen Kennzeichnungen in den Verkehr zu bringen und anzubieten, welche den Zusatz "Weinbergschnecken" enthalten.
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Das AG hat der Klage stattgegeben.
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Die Berufung der Bekl. hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
II.
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Als Wettbewerbsverstoß i. S. von § 1 UWG ist eine lebensmittelkennzeichnungswidrige Bezeichnung von Lebensmitteln, auch von Schneckenfleisch, unter Verletzung der §§ 3 und 4 LebensmittelkennzeichnungsV0 zu bewerten. Wenn die Bezeichnung eines Lebensmittels gegen geltendes Lebensmittelkennzeichnungsrecht verstößt, liegt hierin zugleich auch ein Verstoß gegen § 1 UWG, wenn durch eine lebensmittelkennzeichnungswidrige Bezeichnung der Verbraucher irregeführt wird oder die Gesundheit der Verbraucher beeinträchtigt wird (vgl. Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR, 22. Aufl., § 1 UWG Rdnr. 621 m. w. Nachw.). Lebensmittel dürfen gem. § 3 I Nr. 1 LebensmittelkennzeichnungsV0 nur in Verkehr gebracht werden, wenn die Verkehrsbezeichnung nach Maßgabe von § 4 I Nr. 1 LebensmittelkennzeichnungsV0 darauf angegeben ist. Eine inhaltlich unrichtige Bezeichnung eines Lebensmittels würde sich als Verstoß gegen § 1 UWG darstellen.
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Ob Schneckenfleisch der Art "Helix lucorum" als Weinbergschnecken bezeichnet werden dürfen, richtet sich danach, ob die Bezeichnung dieser Schneckenart als Weinbergschnecke die nach allgemeiner Verkehrsauffassung übliche Bezeichnung darstellt (§ 4 I Nr. 1 LebensmittelkennzeichnungsV0). Die allgemeine Verkehrsauffassung umfasst die Auffassung aller am Verkehr mit dem betreffenden Lebensmittel beteiligten Kreise, welches sind die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Lebensmittelüberwachung und die Verbraucher (vgl. Zipfel, LebensmittelR, C 104, § 4 LebensmittelkennzeichnungsV0 Rdnr. 9 f. m. w. Nachw.). Eine Bezeichnung ist nach allgemeiner Verkehrsauffassung nur insoweit üblich, als auf Grund der allgemeinen Verkehrsauffassung die Zuordnung des betreffenden Lebensmittels zu dieser Bezeichnung eindeutig ist.
III.
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Ausgehend von diesem Ansatzpunkt hat die Kammer zu der Frage Beweis erhoben, ob die allgemeine Verkehrsauffassung unter Weinbergschnecken ausschließlich die von der Kl. vertriebenen Schnecken der Art "Helix pomatia" versteht oder auch Schnecken der Art "Helix lucorum", welche von der Bekl. vertrieben wird. In diesem Zusammenhang hat die Kammer zunächst das Gutachten D zur Kenntnis genommen, wonach der Name der Weinbergschnecke im deutschen Sprachraum für die Schneckenart Helix pomatia präokkupiert sei, ebenso das Gutachten des Landesveterinäruntersuchungsamtes Rheinland-Pfalz, Koblenz, vom 24. 3. 1999 (ebenso wie das erstgenannte Gutachten Parteigutachten der Kl.), wonach die Bezeichnung "Weinbergschnecke" für die Schneckenart Helix lucorum unrichtig sei. Hierauf aufbauend hat die Kammer eine amtliche Auskunft der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission eingeholt. Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission beschreibt in ihren Leitsätzen für bestimmte Lebensmittelgruppen die Verkehrsauffassung, das heißt den redlichen Hersteller- und Handelsbrauch unter Berücksichtigung der Erwartung der Durchschnittsverbraucher. Sie arbeitet mit allen mit Lebensmittel beteiligten Gruppen zusammen (Wirtschaft, Wissenschaft, Verbraucher und Lebensmittelüberwachung) und legt die in diesen Verkehrskreisen verbreitete Verkehrsauffassung in ihrer, der Lebensmittelbuch-Kommission, jeweiligen Beschlussfassung zu Grunde (vgl. die Darstellung durch den Vorsitzenden der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission v. 28.5. 2001). Dies bedeutet, dass die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission eine überparteiliche Einrichtung ist, welche die Meinungsbildung in allen maßgeblichen Verkehrskreisen analysiert und zusammenfasst. Das Votum der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission hat daher für das Gericht einen objektiven das Meinungs- und Auffassungsspektrum aller maßgeblichen Kreise berücksichtigenden und daher sachkundigen Charakter.
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Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission hat durch ihren Vorsitzenden am 28. 5. 2001 dem Gericht zur hier streitgegenständlichen Bezeichnung der Schneckenarten mitgeteilt: Mit der Beschreibung der Verkehrsauffassung in der Frage der Bezeichnung "Weinbergschnecke" hat sich die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission bislang nicht befasst. Dies bedeutet, dass eine für das Gericht maßgebliche definitive Beschlussfassung der Lebensmittelbuch-Kommission über die Bezeichnung "Weinbergschnecke" noch nicht vorliegt. Allerdings hat die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission dem Gericht mitgeteilt, dass die Auffassungen der beteiligten Kreise im Rahmen des Beschlussfassungsverfahrens, welches zurzeit läuft, unterschiedlich seien. Es sei, so die Lebensmittelbuch-Kommission, daher zweifelhaft, ob sich eine Verkehrsauffassung zu der Kennzeichnung als "Weinbergschnecken" überhaupt prägnant beschreiben ließe.
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Dieses Beweisergebnis bedeutet für die Kammer: Das nach Auffassung der Kammer überparteiliche und daher maßgebliche Gremium zur Definition der Verkehrsauffassung für den Begriff "Weinbergschnecke" vermochte weder die konkrete Aussage zu treffen, dass der Name Weinbergschnecke im deutschen Sprachraum ausschließlich für die Schnecke "Helix pomatia" reserviert sei, noch vermochte die Kommission umgekehrt die konkrete Aussage zu treffen, auch die Schneckenart "Helix lucorum" könne nach der Verkehrsauffassung jetzt gesichert als Weinbergschnecke bezeichnet werden. Die Lebensmittelbuch-Kommission hat die für das Gericht maßgebliche Beweisfrage daher offen gelassen, allerdings in ihrer amtlichen Auskunft zu erkennen gegeben, dass die Verkehrsauffassung auch zu dem Begriff "Weinbergschnecke" im Wandel begriffen sei, die Auffassungen der unterschiedlichen Kreise unterschiedlich seien und es daher höchst fraglich sei, ob überhaupt eine konkrete Verkehrsauffassung zur Definition "Weinbergschnecke" zurzeit noch definierbar sei.
IV.
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Bei diesem Beweisergebnis (non liquet) ist die Kammer gehalten, nach der Beweislast zu entscheiden. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Kl. als anspruchstellende Partei grundsätzlich die Beweislast trägt für die Tatbestandsmerkmale, welche Grundlage sind für eine irreführende oder wettbewerbswidrige, da lebensmittelkennzeichnungswidrige Bezeichnung als Weinbergschnecke (vgl. Baumbach/Hefermehl, WettbewerbsR, 22. Aufl., § 3 UWG Rdnr. 119 f m. w. Nachw.). Es gehört daher zur Beweislast der Kl., dass es eine allgemeine Verkehrsauffassung i. S. von § 4 LebensmittelkennzeichnungsV0 gibt, wonach als Weinbergschnecken nur die Helix-pomatia-Schnecken bezeichnet werden, nicht aber die Schnecken der Art Helix lucorum. Das Vorhandensein der gutachterlichen Stellungnahmen des D und des Landesveterinäruntersuchungsamtes Rheinland-Pfalz, Koblenz, v. 24. 3. 1999 führt nicht zu einer Umkehrung der Beweislast. Denn es geht im vorliegenden Fall um einen im Wandel befindlichen Begriff. Welche Schneckenarten unter Weinbergschnecke zu verstehen sind, entscheidet die sich im Laufe der Zeit ändernde Verkehrsauffassung. Deshalb vermögen in der Vergangenheit liegende gutachterliche Stellungnahmen zu dieser Definition die Verkehrsauffassung nicht zu zementieren und haben auch keine tatsächliche Vermutung des Inhalts zum Gegenstand, dass derjenige, der gegen die Aussagen der früheren Gutachten antritt, die Gegenbeweislast hat. Vielmehr hat bei der stets im Wandel befindlichen Verkehrsauffassung über den Begriff "Weinbergschnecke" grundsätzlich der die Beweislast, der hieraus Ansprüche herleitet, also die Kl. Die den Prozess führende Kl. trifft daher in beiden Instanzen auch das Risiko dafür, dass sich die für ihren Anspruch maßgebliche Verkehrsauffassung wandelt oder, wie es in der vorliegenden Verfahrensphase der Fall ist, nicht mehr präzise beweisen lässt.
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Bei dieser Sachlage muss die Klage als unbegründet abgewiesen werden. Das Gericht geht davon aus, dass sich eine konkrete Verkehrsauffassung darüber, ob zurzeit lediglich die Schnecken der Art "Helix pomatia" als Weinbergschnecken zu bezeichnen sind oder auch die Schnecken der Art "Helix lucorum", zurzeit nicht feststellen lässt.
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