Urteil vom Landgericht Mainz (5. Zivilkammer) - 5 O 63/06
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Die klagende Bausparkasse verlangt von der Beklagten Rückzahlung eines Bausparzwischenkredits.
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Mit Kreditvertrag vom 15.07.2002 (Anl. Bl. 1 bis 4 zu d. A.) hatte die Beklagte und ihr Ehemann bei der klagenden Bausparkasse bis zur Zuteilung des Bausparvertrags einen Zwischenkredit über EUR 214.000,00, verzinslich mit 6,11 % Jahreszinsen beantragt. Zweck des Darlehens war die Finanzierung des Anwesens Hauptstr. ... in N., das im Alleineigentum des Ehemannes der Beklagten steht. Bedingungsgemäß sollten EUR 24.000,00 der Rückzahlung eines Schufa-Ratenkredits bei der Commerzbank dienen, restliche EUR 190.000,00 sollten an einen Treuhänder ausbezahlt werden.
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Zum Zeitpunkt des Abschluss des Darlehensvertrages war die Beklagte 36 Jahre alt, betreute ein am 13.12.2001 geborenes Kind und verfügte über keinen Arbeitsverdienst.
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Gemäß dem an die Klägerin gerichteten Zahlungsauftrag vom 16.10.2002 wurden von dem Zwischenkredit EUR 23.500,00 zur Ablösung eines Schufa-Darlehens bei der Commerzbank ausbezahlt. Ausweislich des Verwendungszwecks im Auftragsformular sollten „die auszuzahlenden Beträge … unverzüglich und unmittelbar zum Wohnungsbau im Sinne der Einkommenssteuer-Richtlinien verwendet … werden“ (Bl. 33 d. A.). Weiter hieß es: „Die nötigen Unterlagen zum Nachweis der Verwendung liegen der Bausparkasse vor“ (Bl. 33 d.A.).
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Die Beklagte lebt inzwischen von ihrem Ehemann getrennt. Die klagende Bausparkasse hat den Zwischenkredit mangels Ratenzahlung mit Kündigungsschreiben vom 13.06.2005 zur Rückzahlung fällig gestellt (Anl. Bl. 9 zu d.A). Sie verlangt von der Beklagten einen Teilbetrag von EUR 25.000,00 nebst Zinsen.
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Die Klägerin trägt vor,
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die Beklagte sei ihr antragsgemäß zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet. Unwirksamkeitsgründe nach § 138 Abs. 1 und 2 BGB bestünden nicht.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 25.000,00 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.04.2006 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor,
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die streitige Darlehensmitverpflichtung sei ihr gegenüber sittenwidrig. Sie sei – für die Klägerin erkennbar – nicht einmal in der Lage gewesen, die anfallenden Darlehenszinsen zu begleichen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg. Im Ergebnis ist die Beklagte nach § 138 Abs. 1 BGB wegen sittenwidriger Überforderung nicht zur Rückzahlung des Bausparzwischenkredits (§ 488 BGB) verpflichtet.
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1. Zwar liegt kein Fall sittenwidriger Konditionen (§ 138 Abs. 2 BGB) vor. Es ist auch nicht in jedem Fall mit den guten Sitten unvereinbar, wenn ein Darlehensnehmer nicht in der Lage ist, eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen. Die Vertragsfreiheit gestattet den Beteiligten auch, risikoreiche Geschäfte wirksam abzuschließen.
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2. Hier liegt jedoch ein Fall der sittenwidrigen Überforderung der Beklagten im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB vor. Die Beklagte ist durch den Kreditvertrag vom 15.07.2002 in sittlich anstößiger Weise überfordert, weil sie für die Klägerin auf Dauer erkennbar nicht einmal in der Lage war, die monatlichen Zinsverpflichtungen aus dem Zwischenkredit (6,11 % Zinsen von EUR 214.000,00 = EUR 1.098,00 monatlich) zu erbringen.
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Bei einem solchen Fall krasser finanzieller Überforderung wird widerleglich vermutet, dass die Beklagte die ruinöse Mithaftung aus dem Kreditvertrag vom 15.07.2002 allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner (Ehemann) übernommen hat und dass die Kreditgeberin (Klägerin) dies in sittenwidriger Weise ausgenutzt hat (§ vgl. BGH NJW 2002, 2705). Bei solchen Konstellationen obliegt es der finanzierenden Bank, Umstände darzutun, wonach die Kreditaufnahme des einkommenslosen Ehegatten ausnahmsweise auf einer autonomen Entscheidung beruht.
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Zu Unrecht macht die Klägerin geltend, hier läge eine sittlich einwandfreie autonome Kreditentscheidung der Beklagten vor, weil sie angeblich ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Darlehensaufnahme gehabt und über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensmittel frei habe mitentscheiden dürfen (vgl. BGH NJW 2002, 2705 und BGHZ 146, 37, 41). Daran fehlt es.
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Ein Eigeninteresse der Beklagten an der Kreditaufnahme ist schon deshalb zu verneinen, weil der Zwischenkredit zur Finanzierung eines Hauses diente, welches unstreitig im Alleineigentum des Ehemannes stand (vgl. BGH NJW 2002, 2705). Als autonomes Interesse zur Mitverpflichtung genügt nicht, dass die Beklagte in dem Haus lediglich mitwohnen konnte.
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Gegen eine autonome Entscheidung der Beklagten zur Kreditaufnahme spricht ihre fehlende eigene Verfügungsmöglichkeit über den Zwischenkredit.
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Ausweislich des Darlehensvertrags vom 15.07.2002 (Anl. Bl. 1 bis 4 zu d. A.) diente der gesamte Zwischenkredit zweckgebunden der Verwendung „zum Wohnungsbau im Sinne der Einkommenssteuer-Richtlinien“ (Ziffer I. 1. der Zwischendarlehensbedingungen, Anl. Bl. 5 zu d. A.).
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Insbesondere kann nicht aus der Ablösung eines Schufa-Kredits bei der Commerzbank in Höhe eines Teilbetrags von EUR 23.500,00 ein zur Wirksamkeit der Darlehensmitverpflichtung (§ 138 BGB) führendes autonomes Eigeninteresse der Beklagten bzw. deren eigene Mitverfügungsgewalt über die Darlehensmittel abgeleitet werden.
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Ausweislich des von der Klägerin vorformulierten Zahlungsauftrags sollte die Teilauszahlung von EUR 23.500 (Bl. 33 d. A.) „unmittelbar zum Wohnungsbau im Sinne der Einkommenssteuer-Richtlinien“ verwendet werden. Weiter hieß es. „Die nötigen Unterlagen zum Nachweis der Verwendung liegen der Bausparkasse vor„ (Bl. 33 d..A) . Insoweit war vereinbarungsgemäß eine freie Verfügung der Beklagten über die EUR 23.500 ausgeschlossen. Soweit die Klägerin inzwischen bezweifelt, dass die Teilauszahlung (Bl. 33 d.A.) für die Immobilie des Ehemanns bestimmt war, streitet sie gegen die eigene Auszahlungsurkunde (Bl. 33 d.A).
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Die Sittenwidrigkeit der Mitverpflichtung der einkommenslosen Beklagten entfällt auch nicht wegen etwaiger Ausgleichs- und Befreiungsansprüche (§§ 426, 257 BGB) gegenüber dem Ehemann der Beklagten (BGH NJW 2002, 2705).
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Ebenso wenig schließt die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung in Privatinsolvenzverfahren (§ 304 InsO) die Annahme einer sittenwidrigen Überforderung der Beklagten aus (vgl. OLG Frankfurt, NJW 2004, 2392, 2394).
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Auch sonstige Rechtfertigungsgründe, etwa die Vermeidung von Vermögensübertragungen auf die Beklagte sind nicht dargetan (vgl. BGHZ 146, 37, 46) und können den Darlehensvertrag nicht vor seiner Unwirksamkeit retten
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Zu Unrecht meint die Klägerin, § 138 Abs. 2 BGB greife nicht, weil ihr zumindest subjektiv die sittenwidrige Überforderung der Beklagten verborgen geblieben sei.
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Bei der vorliegenden krassen finanziellen Überforderung der Beklagten spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Klägerin subjektiv die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit der Kreditnehmerin gekannt hat und sich zu nutze gemacht hat (vgl. BGH WM 1996, 53). Denn nach banküblichen Gepflogenheiten überprüfen Kreditinstitute die geforderten Sicherheiten vor der Einnahme grundsätzlich auf ihre Werthaltigkeit. Sie müssen von sich aus Ermittlungen über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse solcher Personen anstellen, die mithaften sollen.
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Als seriöser und vernünftiger Kreditgeber konnte die Klägerin Mitte 2002 in absehbarer Zeit nicht mit einer durchgreifenden Beseitigung der finanziellen Leistungsunfähigkeit der Beklagten rechnen. Deren Kind war damals nicht einmal ein Jahr alt. Umstände, dass die 36 jährige Hausfrau in überschaubarer Zeit eine halb- oder ganztägige Berufstätigkeit aufnehmen könnte, um zumindest die Zinsen aus ihrem pfändbaren Einkommen zu bestreiten, waren nicht erkennbar.
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Sollte die Bausparkasse von banküblichen Nachforschungen zur Bonität der Beklagten abgesehen und damit die Augen vor deren (möglicher) ruinöser Überforderung verschlossen haben, muss sie sich gleichwohl die objektiv erkennbaren Tatsachen als bekannt entgegen halten lassen (BGH WM 1996, 53).
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Nach alledem ist die Darlehensmitverpflichtung der Beklagten unwirksam. Die Klage ist mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Streitwert: EUR 25.000,00.
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Referenzen
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