Urteil vom Landgericht Mönchengladbach - 5 S 74/07
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. Mai 2007 verkün-dete Urteil des Amtsgerichts Grevenbroich unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise a b g e ä n d e r t und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,
an den Kläger 2.018,14 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Euro-
päischen Zentralbank seit dem 11. Februar 2006 zu
zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner
dem Grunde nach mit einer Quote von 2/3 verpflichtet sind,
dem Kläger die auf die Reparaturkosten anfallende Mehrwert-
steuer sowie im Falle der Inanspruchnahme eines Mietfahr-
zeuges deren Kosten für die Dauer der Reparatur, anderen-
falls eine Nutzungsausfallentschädigung für die Dauer der
Reparatur zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
2Der Kläger verlangt zu 100 % Schadensersatz aus einem Verkehrsunfallereignis vom 6. Januar 2006 auf der Venloer Straße in Höhe des Hauses Nr. 75 in Rommerskirchen. Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Typ Mercedes Benz die Venloer Straße. Der Beklagte zu 1. befuhr mit seinem Fahrzeug Typ Mercedes A-Klasse, das bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, die Venloer Straße vor dem klägerischen Fahrzeug. Der Beklagte zu 1. beabsichtigte, nach links in eine Grundstückseinfahrt zu fahren, um dort zu wenden. Beim Abbiegevorgang kam es zur Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers, der links überholen wollte. Der Unfallhergang im Einzelnen ist zwischen den Parteien streitig.
3Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1. habe die Venloer Straße am rechten Fahrbahnrand, wo sich ein Angebotsstreifen für Fahrradfahrer befindet, befahren. Er sei mit langsamer Geschwindigkeit gefahren und habe den rechten Blinker gesetzt. Als der Kläger an dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. vorbeifahren wollte, sei dieser plötzlich nach links in die gegenüberliegende Einfahrt eingebogen.
4Demgegenüber behaupten die Beklagten, der Beklagte zu 1. habe sich in Höhe des Hauses Nr. 75 nach links zur Fahrbahnmitte eingeordnet, seine Fahrt verlangsamt und den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Der Kläger habe ihn überholt, ohne darauf zu achten, dass sich der Beklagte zu 1. bereits ersichtlich nach links eingeordnet habe.
5Der Kläger macht seinen unfallbedingten Gesamtschaden in Höhe von insgesamt 3.027,21 € geltend, der sich aus den Reparaturkosten netto und der allgemeinen Unkostenpauschale zusammensetzt. Ferner hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Beklagten verpflichtet sind, die auf die Reparaturkosten anfallende Mehrwertsteuer sowie die Kosten für die Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen.
6Der Schaden des Klägers ist zwischen den Parteien außer Streit.
7Das Amtsgericht hat über den Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen sowie durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen D.. Sodann hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf Seiten der Beklagten hat das Amtsgericht ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1. gegen § 9 Abs. 5 StVO angenommen. Ein unfallursächliches Verschulden des Klägers durch Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO hat das Amtsgericht als nicht erwiesen angesehen. Im Rahmen des § 17 StVG hat das Amtsgericht die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges vollständig zurücktreten lassen.
8Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie sind der Meinung, für den Kläger habe eine unklare Verkehrslage bestanden, so dass diesem ein verkehrsunfallursächliches Verschulden vorzuwerfen sei. Darüber hinaus hätte auch die vom klägerischen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr bei der Quotenbildung berücksichtigt werden müssen.
9Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.
10Dem Kläger steht gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfallereignis vom 6. Januar 2006 auf der Venloer Straße in Rommerskirchen ein Anspruch auf Ersatz von zwei Drittel seiner unfallbedingten Schäden zu. Die Beklagten haben folglich an den Kläger einen Betrag von insgesamt 2.018,14 € zu zahlen. Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf die Feststellung, dass ihm dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsausfallentschädigung sowie auf Erstattung der Mehrwertsteuer in Höhe von jeweils zwei Drittel zusteht.
11Die grundsätzliche Haftung beider Parteien ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, weil der Kläger bei dem Betrieb der unfallbeteiligten Fahrzeuge geschädigt worden ist. Der Unfall ist auch weder durch höhere Gewalt verursacht worden noch war der Unfall für keine der Parteien unabwendbar, weil der Kläger und der Beklagte zu 1. - wie noch auszuführen sein wird - den Unfall verschuldet haben.
12Die grundsätzliche Haftung beider Seiten nach dem Straßenverkehrsgesetz führt zur Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG, bei der zu Lasten einer Partei nur solche unfallursächlichen Umstände berücksichtigt werden dürfen, auf die sich diese Partei beruft, oder die unstreitig oder bewiesen sind. Im Entscheidungsfalle führt die Abwägung zu einer Haftungsverteilung von zwei Drittel zugunsten des Klägers und von einem Drittel zugunsten der Beklagten.
13Der Beklagte zu 1. hat durch seine Fahrweise gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Dieses unfallursächliche Verschulden muss sich die Beklagte zu 2. anrechnen lassen. Nach dieser Vorschrift hat sich der Fahrzeugführer beim Wenden so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dieser Sorgfaltsanforderung ist der Beklagte zu 1. durch seine Fahrweise nicht gerecht geworden. Bei dem Zusammenstoß mit einem links abbiegenden Fahrzeug und einem anderen Verkehrsteilnehmer spricht bereits der erste Anschein für ein Verschulden des Linksabbiegers. Denn ereignet sich der Unfall in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegevorgang des links abbiegenden Fahrzeuges, ist davon auszugehen, dass der Linksabbieger ohne die gebotene Sorgfalt gegenüber dem nachfolgenden Verkehr begonnen hat, nach links abzubiegen. Nach dem Ergebnis der vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte zu 1. mit dem Linksabbiegevorgang bereits begonnen hatte, als es zur Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers kam. Insoweit hat die unbeteiligte Zeugin G., die den Unfall von einem Kiosk auf der Venloer Straße beobachtet hat, bekundet, dass es zum Unfall gekommen sei, als der Beklagte zu 1. links abbiegen wollte. Auch der Zeuge H., der Beifahrer im klägerischen Fahrzeug gewesen ist, hat bekundet, dass der Beklagte zu 1. den Blinker nach links gesetzt habe und gleichzeitig nach links losgefahren sei. Schließlich lässt sich auch aus der Aussage des Zeugen M., der Beifahrer im Fahrzeug des Beklagten zu 1. gewesen ist, nicht feststellen, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1. bei der Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers noch gestanden hat. Der Zeuge M. hat bekundet, dass er, nachdem der Gegenverkehr durchgefahren sei, den Beklagten zu 1. darauf hingewiesen habe, dass er jetzt fahren könne. In diesem Moment sei dann von links das klägerische Fahrzeug vorbei gerattert. Der Aussage des Zeugen M. lässt sich nach Auffassung der Kammer nicht entnehmen, dass der Beklagte zu 1. - wie er in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer ausgeführt hat - bei der Kollision mit seinem Fahrzeug noch gestanden haben will.
14Nach Auffassung der Kammer trifft allerdings auch den Kläger ein unfallursächliches Verschulden. Dem Kläger ist ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorzuwerfen, wonach ein Überholen bei unklaren Verkehrslagen unzulässig ist. Das Amtsgericht hat es in der angefochtenen Entscheidung nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zu Recht als erwiesen angesehen, dass der Beklagte zu 1. seine Fahrgeschwindigkeit verlangsamt und sich an der Mittellinie eingeordnet hatte. Darüber hinaus hat es das Amtsgericht zutreffend als nicht bewiesen angesehen, dass der Beklagte zu 1. den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und vom rechten Fahrbahnrand abgebogen ist. Nach der vom Amtsgericht u.a. zitierten Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 12, 162) schafft zwar ein auffälliges Langsamfahren und Einordnen zur Fahrbahnmitte ohne Betätigung des linken Blinkers für sich allein noch keine unklare Verkehrslage im Sinne der genannten Vorschrift, weil ein Fahrzeugführer bei dieser Sachlage nicht damit zu rechnen braucht, dass der Vorausfahrende links abbiegen werde und weil das Verlegen der Fahrlinie zur Fahrbahnmitte auch andere Gründe haben kann. Im Entscheidungsfall ist aber zu berücksichtigen, dass nach Aussage der vernommenen Zeugen feststeht, dass der Beklagte zu 1. vor Einleitung des Abbiegevorganges einige Zeit mit seinem Fahrzeug gestanden hatte. Der Kläger hat selbst im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass der Beklagte zu 1. zunächst gestanden hat. Zwar soll der Beklagte zu 1. nach dem Klägervortrag am rechten Fahrbahnrand gestanden haben, was, wie bereits dargestellt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als nicht bewiesen anzusehen ist. Gleichwohl hat der Kläger eingeräumt, dass ihm das Fahrzeug des Beklagten zu 1. als stehendes Fahrzeug aufgefallen ist. Darüber hinaus hat der Zeuge M., der Beifahrer im Fahrzeug des Beklagten zu 1. gewesen ist, bekundet, dass der Beklagte zu 1. langsamer gefahren und zum Stehen gekommen ist. Auch die unbeteiligte Zeugin G. hat im Rahmen ihrer Vernehmung anschaulich beschrieben, dass der Beklagte zu 1. nicht sofort links abgebogen ist, sondern einige Zeit vor dem Abbiegevorgang gewartet hatte. Bei dieser Sachlage liegt jedoch nach Auffassung der Kammer eine unklare Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vor. Der Beklagte zu 1. war zunächst auffällig langsam gefahren, hatte sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet und hat dort einige Zeit gestanden. Der Kläger konnte deshalb nicht verlässlich beurteilen, was der vorausfahrende Beklagte zu 1. sogleich tun würde. Aufgrund dieser Umstände waren Zweifel über die beabsichtigte Fahrweise des Beklagten zu 1. angebracht, so dass der Kläger von dem Überholvorgang hätte Abstand nehmen müssen.
15Bei der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung hält die Kammer, wie bereits dargestellt, eine Haftungsverteilung von zwei Drittel zugunsten des Klägers und von einem Drittel zugunsten der Beklagten für gerechtfertigt. Die erste und entscheidende Ursache ist hier von dem Beklagten zu 1. durch das Einleiten des Wendevorganges gesetzt worden. Dieser Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO ist grob verkehrswidrig und damit schwerwiegender als der Verschuldensbeitrag des Klägers. Zwar ist die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs durch den eingeleiteten Überholvorgang leicht erhöht gewesen. Im Hinblick auf das grob verkehrswidrige Verschulden des Beklagten zu 1. hält die Kammer gleichwohl eine deutlich höhere Haftung der Beklagten für angemessen.
16Die unfallbedingte Schadenshöhe ist außer Streit. Zwei Drittel des Gesamtschadens ergeben den zuerkannten Betrag.
17Soweit das Amtsgericht in seiner Entscheidung den erstmals mit Schriftsatz vom 16. März 2007 angekündigten und im Verhandlungstermin vom 19. März 2007 gestellten Antrag auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in der Entscheidung übersehen hat, kommt eine Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht in Betracht. Der Kläger hätte entweder nach § 321 ZPO die Ergänzung des Urteils beantragen oder den Fehler mit der Anschlussberufung rügen können. Der Kläger hat jedoch weder nach § 321 Abs. 2 ZPO rechtzeitig die Ergänzung des Urteils beim Amtsgericht beantragt noch bis zum Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist zur Berufungserwiderung in zulässiger Weise Anschlussberufung eingelegt (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO).
18Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 91 Abs. 1 und 100 Abs. 4 ZPO.
19Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
20Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen.
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