Urteil vom Landgericht Münster - 012 O 382/ 94
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
2.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem
5. August 1994 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet
ist, dem Kläger 2/3 der künftigen
materiellen und immateriellen Schäden aus
dem Unfall vom 11. Mai 1993 zu ersetzen,
soweit nicht auf Dritte übergegangen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der
Kläger 57 % und die Beklagte 43 % mit Ausnahme
der Mehrkosten, die durch die Anrufung
des unzuständigen Amtsgerichts B. entstanden
sind; diese trägt der Kläger allein.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in
Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages
vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung darf auch durch unbefristete
und unbedingte Selbstschuldnerische
Bürgschaft einer im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland als Zoll- oder Steuerbürgin zugelassenen
Bank oder Sparkasse erbracht werden.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aufgrund eines
3Unfalls vom 11.5.1993 in B. geltend.
4Am Unfalltag ging der Kläger zusammen mit seinem Schulkameraden
5K. nach Schulschluß um 13.20 Uhr nach
6Hause. Als der Kläger zusammen mit seinem Freund die Ecke
7T-straße/T1-straße erreichte, ging er nicht weiter
8auf dem Bürgersteig entlang, sondern quer über den an der
9Ecke T1-straße/T-straße befindlichen Kinderspielplatz.
10Die Beklagte ist verkehrssicherungspflichtig für
11diesen Spielplatz. Der Spielplatz hat nur zur T1-straße
12einen Eingang, nicht jedoch zur T-straße. Nachdem der
13Kläger den Spielplatz überquert hatte, versuchte er, über
14den Jägerzaun, der den Spielplatz umschließt, in Richtung
15T-straße zu klettern. Dabei rutschte er ab und fiel
16mit dem Unterbauch auf die nicht gesicherten Spitzen des
17Jägerzaunes. Eine der Holzlatten des Jägerzauns drang in den
18Unterleib des Klägers in einer Tiefe von 7 cm ein.
19Der Kläger wurde sofort in das G.- Hospital in
20B. eingeliefert und dort 1 1/2 Stunden operiert. Im
21Zeitraum vom 11.5.1993 bis zum 21.5.1993 wurde der Kläger
22stationär, sowie am 24., 28.5.1993 und am 4.6.1993 ambulant
23behandelt. Der Kläger war in der Zeit vom 22.5. bis
2428.5.1993 zu 50 % und in der Zeit vom 29.5. bis zum 4.6.1993
25zu 20 % arbeitsunfähig. Auch konnte er sich nicht altersgerecht
26und ungehindert bewegen.
27Als Unfallfolge besteht zur Zeit noch eine Narbenbildung
28unterhalb der rechten Leistenbeuge.
29Der Kläger hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,-- DM
30für die erlittenen Beeinträchtigungen für angemessen.
31Er beantragt,
32die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes
33Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit
34(9.8.1994) zu zahlen;
35festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem
36Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden
37aus dem Unfall vorn 11.5.1993 zu ersetzen, auch solche,
38die erst künftig entstehen.
39Die Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Sie meint, weil der Kläger den Spielplatz als Abkürzungsweg
42und nicht zum Spielen benutzt habe, gehöre er nicht zu dem
43grundsätzlich geschützten Personenkreis. Der Schaden hätte
44sich vielmehr auch ereignet, wenn im Unfallbereich zwar der
45betreffende Jägerzaun, nicht jedoch der Spielplatz vorhanden
46gewesen wäre.
47Im übrigen sei selbst für den zum Unfallzeitpunkt 10jährigen
48Kläger ersichtlich gewesen, daß der hier in Rede stehende
49Jägerzaun mit spitzen Enden versehen sei, so daß für ihn
50eine erhebliche Verletzungsgefahr beim Überklettern existiert
51habe.
52Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird Bezug
53genommen auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten
54Schriftsätze.
55E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
56Dem Kläger steht wegen der infolge des Unfalles vom
5711. Mai 1993 erlittenen Schäden ein Anspruch gegen die
58Beklagte gemäß §§ 823, 839 BGB in Verbindung mit Artikel
5934 GG zu. Der Kläger muß sich jedoch ein Mitverschulden an
60der Schadensentstehung zurechnen lassen, dass das Gericht mit
611/3 bewertet hat.
62Die Beklagte haftet gemäß § 839 BGB in Verbindung mit
63Artikel 34 GG, §§ 823, 847 BGB auf Zahlung von Schmerzensgeld,
64weil sie die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht
65verletzt hat.
66Die Beklagte hat als Betreiberin des Kinderspielplatzes die
67notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu treffen. Bei
68der Sicherung von Kinderspielplätzen zählt dazu nicht nur
69Schaffung und Erhaltung der Sicherheit der aufgestellten
70Spielgeräte, sondern auch die Anbringung und Erhaltung einer
71kindgerechten Umzäunung. Gerade bei Kindern muß damit
72gerechnet werden, daß diese nicht nur die Spielgeräte
73benutzen, sondern ihre Aktivitäten auch auf die Umgebung
74ausdehnen. Insbesondere, und das zeigt letztlich auch das
75Verhalten der Beklagten an anderen Spielplätzen, ist mit
76einem Erklettern/Überklettern von Zäunen zu rechnen. Dabei
77stellt der Jägerzaun mit seinen spitzen Latten eine Gefahrenquelle
78dar, hinsichtlich derer die Beklagte, wie der
79vorliegende Unfall zeigt, keine ausreichenden Sicherungen
80getroffen hat. Die Verwendung von Jägerzäunen wird damit
81nicht generell als verkehrswidrig angesehen. Entscheidend
82ist nämlich im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß die
83Beklagte den Jägerzaun als Umzäunung für einen Spielplatz
84verwendet hat, der Kindern gewidmet ist, diese anlocken und
85zu Aktivitäten veranlassen soll.
86Unerheblich ist schließlich auch, daß der Kläger auf dem
87Spielplatz nicht gespielt, sondern diesen lediglich überquert
88hat. Grundsätzlich besteht keine Verkehrssicherungspflicht gegenüber
89Personen; die sich unbefugt in einen Gefahrbereich begeben bzw.
90Einrichtungen mißbräuchlich benutzen. Es ist jedoch anerkannt
91(vgl. Palandt-Thornas, 52. Aufl., § 823 Rdnr. 58), daß derartige Einschränkungen der
92Verkehrssicherungspflicht nicht gegenüber Kindern bestehen.
93Gemäß §§ 828 Abs. 2, 254 BGB hat sich der Kläger ein
94Mitverschulden an der Schadensentstehung in Höhe von 1/3
95anrechnen zu lassen. Auch bei einem 10 1/2jährigen Jungen
96liegt die erforderliche Einsichtsfähigkeit vor, die Gefahren,
97die mit dem Überklettern eines Jägerzaunes verbunden·
98sind, zu erkennen. Das Gericht hat unter Berücksichtigung
99aller Umstände dieses Mitverschulden mit 1/3 bewertet.
100Die Beklagte hat dem Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld
101zu zahlen, das unter Berücksichtigung der Mithaftungsquote
102des Klägers auf 2.000,-- DM zu bemessen ist. Zu Recht hat
103die Beklagte darauf hingewiesen, daß die vom Kläger erlittenen
104Verletzungen ein Schmerzensgeld in Höhe von
1055.000,-- DM nicht rechtfertigen. Unter Berücksichtigung der
106vom Kläger erlittenen Operation, der stationären Behandlung
107von 10 Tagen, der mehrmaligen ambulanten Nachbehandlungen
108insbesondere auch der Narbenbildung unterhalb der rechten
109Leistenbeuge, erscheint dem Gericht ein Schmerzensgeld in
110Höhe von 3.000,-- DM angemessen, das jedoch noch um den
111Mithaftungsanteil des Klägers zu kürzen war.
112Der Feststellungsantrag ist zulässig. Weitere Verletzungsfolgen,
113insbesondere im Zusammenhang mit der Narbenbildung,
114erscheinen nicht ausgeschlossen. Der Feststellungsantrag ist
115jedoch nur hinsichtlich der Zukunftsschäden sowie unter
116Berücksichtigung der Mithaftungsquote des Klägers in Höhe
117von 1/3 begründet.
118Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 281 Abs. 3, 709 ZPO.
119Unterschriften
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Referenzen
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