Urteil vom Landgericht Münster - 8 S 425/03 LG Münster, 8 C 2951/03 AG Münster
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 17. November 2003
verkündete Urteil des Amtsgerichts N wird auf Kosten der
Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Tenor des
amtsgerichtlichen Urteils wie folgt abgeändert wird:
Es wird festgestellt, daß der Kläger von seiner Verpflichtung zur
Durchführung der Schneebeseitigung und des Streudienstes vor
dem Haus I1. 43 in #### N frei geworden ist.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund einer Erkrankung, die unstreitig ihm persönlich die Durchführung eines Winterdienstes dauerhaft unmöglich macht, von seiner mietvertraglich von der Beklagten und Vermieterin übernommenen Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes vor dem Haus I.1 43 in N frei geworden ist oder zumindest einen Anspruch gegen die Beklagte auf Befreiung von dieser Verbindlichkeit hat.
4Hinsichtlich der Einzelheiten des weiteren Sachverhaltes nimmt die Kammer zunächst Bezug auf die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Ergänzend ist lediglich anzumerken, daß sich die Beklagte in § 3 Abs. 3 und 5 des Mietvertrages den jederzeitigen Widerruf der Übertragung des Winterdienstes auf den Kläger und die Vergabe dieses Dienstes an eine Drittfirma unter Abrechnung der dadurch entstehenden Kosten als Betriebskosten vorbehalten hat. Der Kläger hat erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen, sich vergeblich in seinem Bekannten- und Freundeskreis sowie bei den weiteren Mietern des Hauses I.143 um eine Person bemüht zu haben, die für ihn die Verpflichtung zum Winterdienst übernehme. Dies sei stets daran gescheitert, daß die Stadt N von dem Übernehmenden eine Verpflichtungserkärung zur Haftung verlange.
5Das Amtsgericht N hat in seiner angefochtenen Entscheidung die Beklagte verurteilt, den Kläger von seiner Verpflichtung zur Durchführung der Schneebeseitigung und des Streudienstes vor dem Haus I.143, #### N, zu entbinden.
6Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei von seiner Leistungspflicht zur Durchführung des Winterdienstes wegen Unvermögens gemäß § 275 BGB befreit. Zwar handle es sich bei der Verpflichtung zur Ausübung des Winterdienstes nicht um eine in Person geschuldete Verpflichtung. Gleichwohl sei auf sie § 613 BGB wegen der Unentgeltlichkeit der Verpflichtung entsprechend anzuwenden. Die Unübertragbarkeit der Verpflichtung durch den Mieter auf einen Dritten auf Dauer ergebe sich aus der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung des Eigentümers (Vermieters) zur Ausübung des Winterdienstes. Diese entfalle auch bei einer (vertraglichen) Übertragung durch den Vermieter auf den Mieter und durch diesen auf einen Dritten nicht. Aufgrund der hieraus resultierenden Überwachungspflichten sowie haftungsrechtlichen Folgen für den Vermieter aus §§ 823, 831 BGB gegenüber Dritten und aus § 278 BGB gegenüber den weiteren Mietern ergebe sich, daß in Übereinstimmung mit der Auslegungsregel des § 613 BGB die Verpflichtung vom Mieter nicht auf einen Dritten dauerhaft übertragen werden könne. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Kläger bei Abschluß des Mietvertrages im Jahre 1994 aufgrund der bereits seinerzeit bestehenden Schwerbehinderung mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes habe rechnen müssen. Mit einer solchen Argumentation würden besonders schutzbedürftige Menschen, die gerade auf die Anmietung einer Erdgeschoßwohnung angewiesen seien, schutzlos gestellt. Die Berufung eines Vermieters, der Verpflichtete habe eine Verschlechterung seiner Gesundheit und das hieraus für ihn resultierende Unvermögen, einen vertraglich übernommenen Winterdienst weiter durchzuführen, voraussehen können, verstoße daher jedenfalls dann gegen Treu und Glauben, wenn das Mietverhältnis – wie vorliegend – bereits über einen längeren Zeitraum bestehe.
7Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel der Klageabweisung weiter verfolgt. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und hält ihren Standpunkt aufrecht, bei der Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes handele es sich um eine nicht in Person zu erbringende mietvertragliche Nebenpflicht, so daß dem Kläger die Erfüllung der Pflicht aufgrund einer möglichen Übertragung auf Dritte nicht unmöglich geworden sei. Im übrigen habe das Amtsgericht verkannt, daß der Kläger mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes habe rechnen müssen, so daß diese in seine Risikosphäre falle.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts
10N vom 17. November 2003 – 8 C #####/####– abzu-
11weisen.
12Der Kläger beantragt,
13- die Berufung zurückzuweisen;
- hilfsweise,
unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten
16festzustellen, daß er von seiner Verpflichtung zur
17Durchführung der Schneebeseitigung und des
18Streudienstes vor dem Haus I.143,
19#### N, frei geworden ist.
20Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung am 19. Februar 2004 die Parteien persönlich angehört. Der Kläger hat hierbei unwidersprochen angegeben, es gebe in N keine gewerbliche Firma, die bereit sei, die Durchführung des Winterdienstes nur für einen Hauseingang wie den vorliegenden zu übernehmen, da dies unwirtschaftlich sei. Diese Firmen übernähmen nur bei Krankenhäusern, Behörden oder größeren Verwaltungsgebäuden die Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes, also wenn größere Flächen zu betreuen seien. Dies hätten Nachfragen von ihm bei der Firma I, der Firma Y sowie einer weiteren ihm namentlich nicht mehr erinnerlichen Firma ergeben. Auch die Industrie- und Handelskammer N sowie das Ordnungsamt der Stadt N habe ihm auf Nachfrage hin nicht weiterhelfen und Firmen benennen können, die zu einer Übernahme des Winterdienstes bereit seien.
21Der Mitarbeiter der Beklagten M. hat bei seiner Anhörung in dem Kammertermin am 19. Februar 2004 angegeben, auch die Beklagte habe sich bei der Firma, die für sie in N für einige Objekte die Durchführung des Winterdienstes gewerblich übernommen habe, vergeblich darum bemüht, daß diese die Verpflichtung auch für das Objekt I.143 in N übernehme. Auch diese Firma habe ihm gegenüber erklärt, dies sei aufgrund der geringen zu räumenden Fläche für sie nicht wirtschaftlich.
22II.
23Die zulässige Berufung ist unbegründet.
24Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere liegt die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Beschwer der Beklagten vor. In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht bemißt auch die Kammer die Beschwer der Beklagten mit 900,-- €, wobei sie davon ausgeht, daß dies dem Verwaltungsaufwand der Beklagten entspricht, den diese mit der Betreuung und Beaufsichtigung einer Drittfirma mit Durchführung des Winterdienstes haben würde.
25Die Berufung ist jedoch unbegründet, da der Hilfsantrag des Klägers begründet ist.
26Der Kläger ist gemäß § 275 Abs. 1 BGB wegen Unmöglichkeit von seiner mietvertraglich von der Beklagten übernommenen Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes vor dem Hause I.143 in N befreit. Dabei kann dahinstehen, ob ein Mieter von der Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes wegen Unvermögens gemäß § 275 BGB bereits dann frei wird, wenn ihm persönlich die Ausführung dieser mietvertraglich übernommenen Verpflichtung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich wird, sowie es das Amtsgericht N in seiner angefochtenen Entscheidung so wie ein weiterer Teil der Rechtssprechung (LG I2 WuM 89, 622; AG C WuM 89, 498; AG G WuM 85, 19) mit der Begründung angenommen haben, die von einem Mieter übernommene Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes könne in entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des § 613 BGB von ihm nicht dauerhaft auf einen Dritten übertragen werden. Denn ein Mieter wird von dieser Verpflichtung wegen objektiver Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB jedenfalls dann frei, wenn ihm persönlich aus gesundheitlichen Gründen die Durchführung des Winterdienstes nicht mehr möglich ist und weder private Dritte noch gewerbliche Firmen, die in dem Ort, in dem sich das Mietobjekt befindet, ihren Wohnsitz bzw. Firmensitz haben, bereit sind, die Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes vor dem Mietobjekt zu übernehmen (so auch LG E WuM 88, 300 f.). In einem solchen Fall ist dem Mieter nämlich auch die Übertragung der Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes auf einen Dritten aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Nach diesem Grundsatz ist der Kläger vorliegend aufgrund objektiver Unmöglichkeit von seiner Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes frei geworden. Denn die Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, daß die von ihnen angesprochenen gewerblichen Firmen in N eine Übernahme des Winterdienstes für das Objekt I.143 in N abgelehnt haben, da es für sie unwirtschaftlich sei. Der Kläger hat weiter bereits erstinstanzlich unbestritten vorgetragen, auch private Dritte wie die von ihm angesprochenen weiteren Mieter in dem Hause, Freunde und Bekannte seien aufgrund der hiermit verbundenen Haftungsrisiken zu einer Übernahme dieser Verpflichtung nicht bereit gewesen. Danach steht nach dem unstreitigen Vorbringen beider Parteien fest, daß dem Kläger eine Übertragung der Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes auf einen Dritten in N nicht möglich ist, da weder ein privater noch ein gewerblicher Dritter zur Übernahme dieser Verpflichtung bereit ist.
27Dem gegenüber vermag die Beklagte auch nicht mit Erfolg einzuwenden, der Kläger habe aufgrund seiner bereits bei Vertragsabschluß bestehenden Schwerbehinderung voraussehen können, künftig evtl. zur Durchführung des Winterdienstes persönlich nicht mehr in der Lage zu sein. Denn dieser Umstand führt nicht dazu, daß dem Kläger schuldhaft die Durchführung des Winterdienstes unmöglich geworden ist. Eine solche verschuldete Unmöglichkeit läge nur dann vor, wenn der Kläger seine Gesundheitsverschlechterung fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt hätte, was von der Beklagten selbst jedoch nicht dargetan und vorliegend auch nicht anzunehmen ist. Schließlich hat der Kläger mit der Vertragsunterzeichnung auch keine verschuldensunabhängige Garantiehaftung hinsichtlich der Durchführung des Winterdienstes übernommen. Denn für eine solche Garantiehaftung fehlt es bereits an einem Vortrag der Beklagten, und eine solche ist auch sonst nicht ersichtlich, so daß es bei dem allgemeinen Grundsatz des § 275 Abs. 1 BGB zu verbleiben hat, daß der Schuldner bei unverschuldeter Unmöglichkeit von seiner vertraglichen Verpflichtung frei wird.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
29Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 708 Nr. 10 ZPO.
30Dem Antrag der Beklagten auf Zulassung der Revision war nicht zu entsprechen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung erfordert auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Rechtssache kommt deshalb keine besondere Bedeutung zu, weil die Entscheidung der Kammer auf der Besonderheit des vorliegenden Falles beruht, daß unstreitig kein Dritter in N zur Übernahme des Winterdienstes bereit ist. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung erfordert keine Entscheidung des Revisionsgerichts, da es vorliegend auf die in der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob der Mieter grundsätzlich berechtigt ist, die von ihm übernommene Verpflichtung zur Durchführung des Winterdienstes dauerhaft auf einen Dritten zu übertragen, nicht streitentscheidend ankommt.
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