Urteil vom Landgericht Münster - 10 O 179 / 03
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67.468,29 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.09.2002 zu zahlen.
Im übrigen werden die Klage und die Widerklage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 40 % und
die Beklagte 60 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um restliche Honoraransprüche sowie Schadensersatz wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Ingenieursvertrag.
3Die Klägerin befasst sich mit der Planung und Bauüberwachung von Anlagen zur Kommunalinfrastruktur. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Ingenieurleistungen für die Neubaumaßnahme Hauptsammler P (Kanal- und Straßenbauwerke). In einem Schreiben vom 08.07.1991 erklärte die Beklagte: „Hiermit erteile ich Ihnen den Auftrag für die Planung des Hauptsammlers „P„ mit den Leistungsphasen 1 bis 9 HOAI einschließl. der örtlichen Bauüberwachung. ... Die Schlussrechnung erfolgt für alle Leistungen auf der Basis der festgestellten anrechenbaren Kosten nach Fertigstellung der Baumaßnahme.„ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des Schreibens, Bl. 10 d.A., Bezug genommen. In einem zweiten Bauabschnitt wurde der Auftrag um die Baumaßnahme K49 T1 erweitert. Das Gesamtprojekt wurde Mitte 2002 abgeschlossen. Die Klägerin hatte u.a. gem. § 55 HOAI (Leistungsphase 6) die Aufgabe, ein Leistungsverzeichnis zur Vergabe der einzelnen Aufträge zu erstellen. Dazu stand ihr das Bodengutachten der Ing. Gesellschaft Dr. T und Partner zur Verfügung. Darin heißt es u.a.: „Der bei der Auskofferung angefallene Boden (Schotter, Kies und Sand ohne humose und bindige Anteile) kann zur Verfüllung der Kanalbaugruben u.ä. verwendet werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des Gutachtens, Bl. 119 ff. d.A. Bezug genommen. In dem von der Klägerin erstellten Leistungsverzeichnis war unter Pos. 1.5.7. (Füllboden anliefern und einbauen) eine Masse von 7.000 m³ kalkuliert. Tatsächlich wurden jedoch lediglich 1.186,791 m³ eingebaut. Aufgrund der Massenkalkulation der Klägerin beauftragte die Beklagte die Fa. C mit der Erbringung dieser Leistung, die sie günstiger als die mitbietende Fa. U angeboten hatte.
4Die Klägerin ermittelte anrechenbare Kosten in Höhe von 11.042.470,56 DM. Unter dem 13.08.2002 erteilte die Klägerin eine Honorarschlussrechnung, die ein Gesamthonorar von 67.468,29 EUR ausweist. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie der Rechnung, Bl. 30 d.A., Bezug genommen. Unter dem 20.09.2005 hat die Klägerin eine weitere Honorarrechnung erstellt, die unter Berücksichtigung von Abschlagszahlungen mit einer Gesamtrechnungssumme von 191.778,82 EUR schließt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kopie der Rechnung, Bl. 380 ff. d.A., Bezug genommen.
5Die Klägerin behauptet, das Bodengutachten Dr. T weise aus, dass nahezu sämtliche Bohrungen ergeben hätten, dass nicht wieder einbaufähiger Boden vorgefunden worden sei. Es sei daher davon auszugehen gewesen, dass der Bodenaushub nicht habe wieder eingebaut werden können. Deshalb hätte die Zulieferung von Boden abzüglich der Rohrverdrängung beauftragt werden müssen. Unter Berücksichtigung der Sondierungsergebnisse des Bodengutachters habe die einzubauende Menge 7.000 m³ betragen. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Kopie Bl. 69 ff. d.A., Bezug genommen. Im Zuge der Bauausführung habe sich gezeigt, dass der Bodenaushub aufgrund günstiger Witterungsbedingungen, der guten Bauausführung und der Bauüberwachung seitens der Klägerin, größtenteils habe wieder eingebaut werden können. Dies sei zuvor nicht erkennbar gewesen. Die Klägerin meint, die Rechnung vom 13.08.2002 sei inhaltlich unrichtig und entfalte deshalb keine Bindungswirkung.
6Die Klägerin beantragt mit Schriftsatz vom 22.09.2005, zugestellt am 27.09.06,
7die Beklagte zu verurteilen, an sie 259.217,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 67.468,29 EUR seit dem 1.9.2002 und Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz von weiteren 191.748,82 EUR zu zahlen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Widerklagend beantragt die Beklagte mit dem am 12.3.2004 zugestellten Schriftsatz vom 9.3.2004,
11die Klägerin zu verurteilen, an sie 215.880,57 EUR nebst 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Klägerin beantragt,
13die Widerklage abzuweisen.
14Die Beklagte meint, einen Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin zu haben, mit dem sie in Höhe von 65.000 EUR die Aufrechnung erklärt. Sie behauptet, die von der Klägerin vorgenommene Ausschreibung sei fehlerhaft gewesen. Dies habe zu einer überteuerten Ausführung geführt. Die Klägerin habe die Massen fehlerhaft kalkuliert. Die Leistungsposition „Füllboden liefern und einbauen„ sei infolge fehlerhafter Interpretation des Bodengutachtens mit 7.000 m³ kalkuliert worden. Tatsächlich ergäbe sich aus dem Bodengutachten, dass kein zu liefernder Boden für die Grabenverfüllung erforderlich gewesen sei. Hätte die Klägerin die Massen richtig kalkuliert, wäre nicht die Fa. C, die die Lieferung des Füllsandes unstreitig nur mit 5,91 DM/m³ kalkuliert hatte, sondern die Fa.U, beauftragt worden. Die Fa.U, deren Einheitspreis – was zwischen den Parteien ebenfalls unstreitig ist - für die Leistungsposition 33,95 DM/m³ betragen hatte, sei bei Zugrundelegung der tatsächlichen Massen günstiger gewesen als die Fa.C. Durch die Vergabe des Auftrages an die Fa. C seien unter Zugrundelegung der tatsächlichen Massen Mehrkosten in Höhe von 549.354,65 DM entstanden. Die Beklagte meint, dieser Schadensbetrag sei gem. § 287 ZPO durch Schätzung zu ermitteln, auch ohne Vorlage der Kalkulation der betreffenden Firmen. Für diese Schätzung seien die tatsächlich angebotenen Preise der Bieter zugrunde zu legen. Es komme nicht auf den ohnehin von der Klägerin darzulegenden und zu beweisenden Einwand an, die Bieter hätten bei anderen Massenangaben andere Preise kalkuliert. Die Reduzierung der anrechenbaren Kosten hätte zudem eine Kürzung des Honorars der Klägerin um 36.000 DM netto zur Folge. Die Beklagte meint, die Klägerin sei an ihre Schlussrechnung vom 13.08.2002 gebunden. Sie habe im Vertrauen auf die Verbindlichkeit der Rechnung die ursprüngliche Klageforderung unstreitig gestellt. Hinsichtlich der nunmehr vorgelegten Rechnung hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.
15Das Gericht hat Beweis erhoben gem. Beweisbeschluss vom 08.06.2004 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. S vom 24.03.2005 nebst mündlicher Erläuterung im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2006 (Bl. 472 d.A.) sowie der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 1.3.2006, Bl. 501 d.A., Bezug genommen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Klage ist lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (I.). Die Widerklage hat keinen Erfolg (II.).
18I. Der Klägerin steht ein restlicher Honoraranspruch in Höhe von 67.468,29 EUR gegen die Beklagte zu. Ein weitergehender Honoraranspruch aus der nachgereichten Rechnung vom 20.09.2005 besteht nicht.
191. Die Klägerin kann für ihre Ingenieurleistungen im Zusammenhang mit der Erstellung des Hauptsammlers P und K49 T1 gemäß ihrer Honorarschlussrechnung vom 13.08.2002 (Bl. 30 d.A.) noch Zahlung von 67.468,29 EUR von der Beklagten verlangen.
20a) Diese restliche Honorarforderung der Klägerin steht fest, ohne dass es einer weiteren rechtlichen Prüfung ihrer Schlüssigkeit bedarf. Gegen diesen Honoraranspruch hat die Beklagte zwar zunächst eingewandt, die Schlussrechnung sei unrichtig, nicht prüfbar und verstoße gegen die HOAI; die Mehrwertsteuer sei falsch abgerechnet worden. Schließlich seien die Leistungen der Leistungsphasen 8 und 9 abgerechnet worden, obwohl diese noch nicht erbracht worden seien. Diese Einwendungen der Beklagten gegen den Honoraranspruch der Klägerin sind jedoch mit Schriftsatz vom 27.02.2004 fallen gelassen worden. Die Beklagte hat zudem die Klageforderung in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2004 (Bl. 258 d.A.) ausdrücklich dem Grunde nach und rechnerisch unstreitig gestellt, damit die Prüfung etwaiger Gegenansprüche erfolgen konnte.
21b) Diese Erklärung der Beklagten ist zwar nicht im Sinne eines prozessualen Anerkenntnisses der Klageforderung gem. § 307 ZPO zu werten, denn die Beklagte hat ihre Erklärung eindeutig dahingehend eingeschränkt, dass eine Neuberechnung der restlichen Honorarforderung der Klägerin vorbehalten bleibe. Sie stellt jedoch ein deklaratorisches Anerkenntnis im Sinne des § 781 BGB dar, wenn es sich - wie hier – um eine Einigung der Parteien über die weitere prozessuale Behandlung der Klageforderung bei nur einseitigem Nachgeben der Beklagten handelt (vgl. BGH MDR, 1998, 1092; BGH NJW 1998, 1492).
222. Der weitergehende Zahlungsanspruch ist jedoch unbegründet. Es kann dahinstehen, ob die von der Klägerin im Verlauf des Rechtsstreits vorgelegte Honorarberechnung zutreffend und der Höhe nach überhaupt berechtigt ist. Die Klägerin ist an ihre Honorarschlussrechnung vom 13.08.2002 gebunden, so dass ihr die Geltendmachung einer weiteren Forderung in Höhe von 191.748,82 EUR aufgrund der Honorarrechnung vom 20.09.2005 (Bl. 380 ff. d.A.) verwehrt ist.
23Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, dass eine geänderte höhere Honorarrechnung gerechtfertigt sei, weil nach dem Ergebnis des eingeholten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. S vom 24.3.2005 davon auszugehen sei, dass die Honorarschlussrechnung vom 13.08.2002 von einer zu niedrigen Honorarzone des § 53 HOAI ausgehe, die tatsächlichen Projekt- bzw. Abrechnungsabschnitte gem. § 21 HOAI nicht beachtet seien sowie den Zuschlag für den erfolgten Umbau/Modernisierung gem. § 59 HOAI nicht berücksichtigte.
24a) Die Rechtsprechung geht grundsätzlich von einer gesteigerten Bindung der Architekten und Ingenieure an die Schlussrechnung aus. Zur Begründung wird ausgeführt, der Auftraggeber dürfe sich im Regelfall darauf verlassen, dass der Auftragnehmer die in seiner Schlussrechnung enthaltene Erklärung einhalte und keine zusätzlichen Ansprüche geltend mache (vgl. nur BGH, NJW-RR 1986, 18). Allerdings könne auch ein Architekt oder Ingenieur gute Gründe für eine nachträgliche Änderung der Schlussrechnung haben. Nicht jede Schlussrechnung begründe daher Vertrauen, und nicht jedes erweckte Vertrauen sei schutzwürdig, so dass im Einzellfall die Interessen gegeneinander abzuwägen sind (Koeble/Locher, HOAI, § 8 Rn. 40).
25b) Die Schutzwürdigkeit des Auftraggebers kann sich daraus ergeben, dass er auf eine abschließende Berechnung des Honorars vertrauen durfte und sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihm eine Nachforderung nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann. Andererseits kann die Bindungswirkung entfallen, wenn der Auftraggeber – wie hier seitens der Beklagten zunächst geschehen – die mangelnde Prüffähigkeit der Rechnung oder eine erkennbar falsche Berechnung der Mehrwertsteuer rügt und dadurch zu erkennen gibt, dass er in die Schlussrechnung gerade kein Vertrauen auf eine abschließende Berechnung setzt (Koeble/Locher, HOAI, § 8 Rn. 45). Andererseits entfällt grundsätzlich ein schutzwürdiges Vertrauen des Auftraggebers in die Richtigkeit der Schlussrechnung nicht schon dadurch, dass, worauf sich vorliegend auch die Klägerin beruft, die Mindestsätze der HOAI unterschritten sind und deshalb die Vereinbarung nichtig ist (vgl. Koeble/Locher, a.a.O. Rn. 51 m.w.Nw.).
26c) Die Abwägung der beiderseitigen Interessen führt hier dazu, eine Bindungswirkung der Schlussrechnung der Klägerin vom 13.08.2002 anzunehmen. Diese Rechnung ist ausdrücklich mit „Honorarschlussrechnung„ überschrieben. Die Beklagte konnte die Höhe dieses Rechnungsbetrages seit geraumer Zeit in ihrem Gemeindehaushalt berücksichtigen. Im Vertrauen darauf, dass keine weiteren Forderungen durch die Klägerin geltend gemacht werden, hat die Beklagte die Klageforderung in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2004 anerkannt. Zugleich hat sie ihre vormals erhobenen Einwendungen bezüglich der mangelnden Prüffähigkeit bzw. rechnerischen Richtigkeit etc. fallen gelassen, so dass sich die Klägerin nicht darauf berufen kann, die Beklagte hätte selbst nicht von einer Bindung an die Rechnung ausgehen dürfen. Die Beklagte hat im Vertrauen auf die Bindungswirkung der Schlussrechnung ihre Rechtsverteidigung auf die Geltendmachung von Gegenansprüchen beschränkt. Mit dieser Vorgehensweise hat sich die Klägerin ausweislich des Protokolls vom 30.04.2004 ausdrücklich einverstanden erklärt. Sie kann sich demgegenüber nicht auf schutzwürdige Interessen berufen. Die Klägerin hat die geänderte Honorarrechnung vom 20.09.2005 erst vorgelegt, nachdem der Sachverständige Dipl. Ing. S in seinem Gutachten vom 24.03.2005 zu einem Ergebnis gelangt ist, der Klägerin sei eine Pflichtverletzung vorzuwerfen . Deshalb liegt die Annahme nahe, dass mit der geänderten Honorarrechnung lediglich eine günstigere Verhandlungsposition geschaffen werden sollte im Hinblick auf die von der Beklagten geltend gemachte Schadensersatzforderung.
273. Der Zinsanspruch ist in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.09.2002 begründet, §§ 280, 286, 288 BGB, denn die Beklagte ist – unabhängig davon ob sie als Kaufmann anzusehen ist - kein Verbraucher im Sinne der §§ 288 Abs. 2, 13 BGB. Der weitergehende Zinsanspruch ist unbegründet. Die Beklagte ist gem. § 286 Abs. 3 S. 2 BGB erst 30 Tage nach Fälligkeit des Rechnungsbetrages in Verzug gekommen und nicht bereits infolge der in der Rechnung enthaltenen Fälligkeitsbestimmung, die einseitig von der Klägerin auf den 30.08.2002 datiert worden ist.
28II. Der in Höhe von 65.000 EUR zur Aufrechnung gestellte und im übrigen in Höhe von 215.880,57 EUR mit der Widerklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Beklagten ist unbegründet. Der Beklagten steht kein Anspruch in Höhe von 280.880,57 EUR wegen Schlechterfüllung des Ingenieursvertrages (pVV) oder § 635 BGB a.F. zu.
291. Es ist bereits zweifelhaft, ob die von der Klägerin durchgeführte Massenkalkulation der Positionen Bodenaushub und Füllboden in vorwerfbarer Weise fehlerhaft vorgenommen worden ist.
30a) Eine allgemeine Verpflichtung des Ingenieurs, in jeder Hinsicht die Vermögensinteressen des Auftraggebers wahrzunehmen und unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten „so kostengünstig wie möglich„ zu bauen, ist in der Rechtsprechung nicht anerkannt (BGHZ 60, 1, 3). Andererseits war die Klägerin nicht frei davon, die Massen für die Auftragsvergabe möglichst genau zu ermitteln. Es ist unbestritten, dass die fehlerhafte Ermittlung der Baukosten den Ingenieur im Einzelfall zum Schadensersatz verpflichten kann (vgl. BGH NJW 1971, 1840). Allerdings ist dem Ingenieur bei der Massen- und Kostenermittlung grundsätzlich ein Toleranzrahmen zuzugestehen, es sei denn, er hat eine Garantie für die richtige Ermittlung übernommen, was im vorliegenden Fall jedoch nicht anzunehmen ist. Erst bei Überschreitung dieses Toleranzrahmens kann dem Ingenieur eine seine Haftung auslösende Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Die Toleranzgrenzen ergeben sich dabei nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern finden ihre Grundlage in der sinngerechten Auslegung der vertraglichen Verpflichtungen aufgrund der jeweiligen konkreten Lage. So kann die Kalkulationsbreite bei der Planung eines Großbauvorhabens großzügiger zu bemessen sein als bei der eines Einfamilienhauses. Auch Straßenbauarbeiten lassen von der Sache her einen eher größeren Toleranzrahmen zu, weil die Leistungen immer auf eine konkrete Situation bezogen und damit nicht uneingeschränkt typisierbar sind (BGH, NJW-RR 1988, 1361). Einzelheiten zum Toleranzrahmen sind insbesondere für den Bereich der HOAI umstritten, wobei unter Berücksichtigung des Einzelfalls ein Rahmen von fünf oder zehn Prozent zwar nicht starr festgelegt aber berücksichtigt werden kann (BGH, a.a.O.).
31b) Unter Zugrundelegung der Berechnung der anrechenbaren Kosten durch die Klägerin in der Honorarschlussrechnung vom 13.08.2002 ergeben sich Gesamtkosten in Höhe von rund 11 Millionen DM. Dem steht im Ergebnis unter Berücksichtigung der tatsächlich erbrachten Massen und der Vordersätze der an der Ausschreibung beteiligten Firmen eine „Fehlkalkulation„ in Höhe von 549.354,65 DM gegenüber, sofern der Berechnung der Beklagten, überhaupt zu folgen ist (s.u. 3.). Selbst wenn man die Berechnung der Beklagten zugrunde legt, ergäbe sich allenfalls eine fehlerhafte Kalkulation von weniger als 5 % der gesamten anrechenbaren Kosten, so dass eine Überschreitung des der Klägerin zuzubilligenden Toleranzrahmens äußerst fraglich erscheint.
322. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme bleibt – wie auch die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 26.04.2006 (Bl. 525 d.A.) einräumt - zweifelhaft, ob der Klägerin ein Fehler bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses vorgeworfen werden kann.
33a) Der Sachverständige Dipl. Ing. S kommt zunächst in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.03.2005 im Rahmen der Beantwortung der Beweisfrage I. des Beweisbeschlusses vom 08.06.2004 zu dem Ergebnis, dass das Leistungsverzeichnis der Klägerin als mangelhaft zu bezeichnen sei, denn es verfälsche die Prognose der realistisch zu erwartenden Kosten. Die Klägerin habe in den Positionen 1.5.1, 1.5.4 und 1.5.7 Vordersätze angenommen, die sich aus der Geometrie der Baugrube so nicht ergeben. Die Einstufung der gesamten Aushubmenge als nicht wieder verwendbar, habe zu einer unrealistischen Bewertung der Pos. 1.5.7. geführt (S. 11 – 20).
34b) In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 01.03.2006 (Bl. 500 d.A.), kommt der Sachverständige demgegenüber zu dem Ergebnis, dass die Massenkalkulation der Position 1.5.1 im Rahmen der üblichen Mengentoleranzen liege (S. 4), bei der Kalkulation der Positionen 1.5.4 und 1.5.7 habe die Klägerin die Bodenprofile des Bodengutachters verwendet. Die Massenermittlung sei lediglich im Ergebnis wegen der von der Klägerin verwendeten unangemessen hohen pauschalen Zuschläge zu beanstanden (S. 8).
35c) Angesichts dieses gegensätzlichen Ergebnisses der Begutachtung kann eine Pflichtverletzung durch die Klägerin nicht mit der erforderlichen Gewissheit angenommen werden.
363. Es kann aber dahinstehen, ob die von der Beklagten in dem Schriftsatz vom 26.04.2006 erhobenen Einwendungen gegen die neue Berechnung des Sachverständigen zutreffend sind. Selbst wenn durch eine weitere Begutachtung ein Fehler der Klägerin nachgewiesen werden würde, stünde nicht mit Sicherheit fest, dass der Beklagten daraus ein Schaden in der von ihr behaupteten oder auch nur in einer geringeren Höhe entstanden ist. Deshalb hat das Gericht auch auf die Einholung eines weiteren Obergutachtens verzichtet, § 412 ZPO.
37a) Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagten, ein Fehler der Klägerin bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses unterstellt, Mehrkosten in Höhe von 549.354,65 DM = 280.880,57 EUR entstanden sind. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stellt die Prüfung, welche Höhe die Angebotssummen der einzelnen Bieterfirmen bei Ausschreibung realistischer Mengen gehabt hätten, eine rein hypothetische Betrachtung dar, die nicht mit dem Anspruch der Richtigkeit beantwortet werden kann. Der Sachverständige Dipl. Ing. S hat in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2006 dazu zusammenfassend erläutert, er vermöge nicht zu beziffern, wie hoch ein günstigeres Gesamtangebot eines Bieters ausgefallen wäre.
38Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 24.03.2005 näher dazu ausgeführt, die Beklagte mache einen Schaden geltend, ohne dass sie diese Summe nachvollziehbar erläutere. Zwar ergäben sich unter Zugrundelegung der Berechnungsmethode der Beklagten Mehrkosten von insgesamt 543.596,93 DM. Der Ansatz der Beklagten, bei der Berechnung der Mehrkosten die tatsächlich ausgeführte Menge mit der zu erwartenden Menge gleich zu setzen, sei jedoch methodisch falsch. Dabei werde vorausgesetzt, dass die Klägerin die während der Bauausführung anfallenden Mengen exakt hätte voraussagen können, die Einheitspreise aller Positionen auch bei anderen Vordersätzen immer die gleichen geblieben wären und keine Preisanpassungen gem. § 2 Nr. 3 VOB/B möglich wären (S. 31). Den von den jeweiligen Bietern im Beauftragungsfall nachträglich durchgesetzten Einheitspreis festzustellen, sei nach Einschätzung des Sachverständigen ohne Vorlage der vollständigen Kalkulationen aller in Betracht kommender Bieter, aus denen die exakte Zusammensetzung der jeweiligen Preise und insbesondere der darin enthalten Anteile für verschiedene Gemeinkosten nicht möglich (S. 33). Zusammenfassend stellt der Sachverständige fest: Die Vergleichsberechnung der Beklagten geht von unrealistischen Voraussetzungen aus und beinhaltet spekulative Preise zuungunsten der Klägerin (S. 34). Dieser überzeugenden Sichtweise schließt sich das Gericht an.
39b) Die abschließende Feststellung des Sachverständigen, dass bei einer Ausschreibung , die die Erkenntnisse aus dem Bodengutachten genauer berücksichtigt und die ausgeschriebenen Mengen – im Rahmen des Machbaren – genauer festgelegt hätte, ein günstigeres Vergabeergebnis erzielt worden, so dass die aufgrund einer solchen Vergabe entstandenen Kosten geringer gewesen wären als bei der erfolgten Beauftragung der Fa. U, höchstens jedoch 549.354,65 DM (S. 37), erlaubt entgegen der von der Beklagten im Schriftsatz vom 09.02.2006 dargestellten Auffassung auch unter Anwendung des § 287 ZPO keine Schadensschätzung und keine abschließende Ermittlung eines Mindestschadens.
40Die Vorschrift des § 287 ZPO will verhindern, dass eine Klage allein deshalb abgewiesen wird, weil der Kläger nicht in der Lage ist, den vollen Beweis für einen ihn erwachsenen Schaden zu erbringen, weil die Schadensberechnung hypothetisch und deshalb schwer zu beziffern ist oder die Beweiserhebung über die Schadenshöhe einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern müsste (Zöller, ZPO, § 287 Rn. 1). Das Gericht muss aber von jeder Schätzung absehen, wenn sie mangels greifbarer Anhaltspunkte „völlig in der Luft hängen würde„ (Fehler! Textmarke nicht definiert., 256f). Nur wenn feststeht, dass ein Schaden in einem der Höhe nach nicht bestimmbaren, aber jedenfalls erheblichen Ausmaß entstanden ist, wird sich in der Regel aus den Umständen, die die Annahme eines erheblichen Schadens begründen, eine ausreichende Grundlage für die Ermittlung eines gewissen (Mindest-)Schadens gewinnen lassen (vgl. BGH, NJW 1987, 909).
41Ein solcher Fall liegt hier aber gerade nicht vor. Es fehlt an hinreichenden Schätzungsgrundlagen, so dass sich auch der Sachverständige nicht in der Lage gesehen hat, die Höhe von Mehrkosten, die durch ein unterstelltes Fehlverhalten der Klägerin verursacht worden sein könnten, zu beziffern. Entgegen der Auffassung der Beklagten, entspricht es nicht der Lebenserfahrung, dass die Angebote der beteiligten Bieterfirmen bei zutreffender Massenkalkulation im Ergebnis so stark voneinander abweichen, dass ein erheblicher Unterschied zu erwarten ist. Diese Überlegung folgt bereits daraus, dass trotz erheblicher Unterschiede bei den Einheitspreisen für Füllsand die Angebotsendsumme der Fa. U in Höhe von 4.187.930,30 DM lediglich um 31.703,60 DM von der Angebotssumme der Fa. C abweicht, die die Arbeiten für 4.156.226,74 DM angeboten hatte. Es ist daher nicht zu erwarten, dass bei der Ausschreibung anderer Massen im Leistungsverzeichnis ein bedeutender Unterschied bei den Gesamtangebotssummen aufgetreten wäre. Dass die Fa. C den zu liefernden Füllsand zu einem Preis von 30 DM/m³ angeboten hätte, den der Sachverständige auf S. 33 seines schriftlichen Gutachtens vom 24.03.2005 als kostendeckend angesehen hat, im übrigen aber ihr Angebot mit unveränderten Einheitspreisen abgegeben hätte, sodass das Angebot der Fa. C – wie der Sachverständige errechnet hat – um ca. 150.000 DM höher gewesen wäre als das der Fa. U, ist nach der Lebenserfahrung angesichts des relativ geringen tatsächlichen Unterschiedes von nur ca. 31.000 DM nicht realistisch. Vielmehr wäre davon auszugehen gewesen, dass die Fa. C im Wege einer Mischkalkulation verschiedener Einheitspreise den Gesamtpreis des Angebots gehalten hätte.
42Weiterhin kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine nähere Aufklärung der Kalkulation der Bieterfirmen der für die Höhe des Schadens allein darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten durchaus möglich gewesen wäre. Die Beklagte hätte zu den Urkalkulationen der an der Ausschreibung beteiligten Firmen, zumindest der Firmen C und U näher vortragen und im Falle des Bestreitens Beweis durch Zeugnis der für die Kalkulation zuständigen Mitarbeiter dieser Firmen antreten können. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2006 erläutert hat, wäre es ihm anhand der Kalkulationsgrundlagen aus sachverständiger Sicht möglich gewesen, neue hypothetische Einheitspreise festzulegen. Anhand der sodann möglichen Neuberechnung von Einheitspreisen durch den Sachverständigen wäre eine Schadensermittlung unter Anwendung des § 287 ZPO in Betracht gekommen. Die Beklagte hat jedoch weder Darlegungen zu den tatsächlichen Kalkulationen der Firmen gemacht noch Beweis dafür angetreten.
43III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
44Streitwert: 475.097,68 EUR, § 45 Abs. 3, Abs. 1 S. 1 GKG. Aufgrund des Anerkenntnisses der Beklagten wird von einer Hauptaufrechnung ausgegangen, die den Streitwert nicht erhöht.
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