Urteil vom Landgericht Münster - 08 S 99/09
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 06.05.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts N, Az. 48 C #####/####, abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.757,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.03.2009 zu zahlen und die Klägerin von einer Forderung der Rechtsanwälte F aus M, resultierend aus der vorgerichtlichen Vertretung der Klägerin wegen des Verkehrsunfalls vom 24.08.2008, i.H.v. 265,70 € freizustellen.
Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 60 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 40 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 36 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 64 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe
2Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.
31)
4Die Klägerin hat dem Grunde nach Anspruch auf vollen Schadensersatz wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls gegen die Beklagten als Gesamtschuldner.
5Nach der nunmehr durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall schuldhaft verursacht hat. Das Verschulden wiegt so schwer, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs vollständig zurücktritt und auch der geringfügige Schuldvorwurf, der dem klägerischen Fahrer zu machen ist, bei der Haftungsabwägung gemäß § 17 I, II StVG nicht ins Gewicht fällt.
6Die Zeugen K, H. L und N. L haben übereinstimmend bekundet, dass der Zeuge K nach rechts geblinkt und das klägerische Fahrzeug sodann auf die Verzögerungsspur (also nicht bereits auf den Standstreifen) gelenkt habe, wo es zur Kollision mit dem sich rasch von hinten auf der Standspur nähernden Beklagtenfahrzeug gekommen sei. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Zeugen die Wahrheit gesagt haben. Ihre Darstellungen waren plausibel und widerspruchsfrei. Zu beachten ist auch, dass die beiden Zeugen L kein Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits haben.
7Das unfallursächliche Verschulden des Beklagten zu 1) ergibt sich zunächst daraus, dass er auf der Standspur mit 40 oder mehr km/h an dem stockenden Verkehr auf der Fahrbahn vorbeigezogen ist. Es wäre geboten gewesen, sich äußerst vorsichtig zu verhalten und entsprechend langsam, d.h. grundsätzlich langsamer als die Fahrzeuge auf den Fahrspuren, zu fahren. Dies gilt unabhängig von der streitigen Frage, ob der Beklagte zu 1) die für Notfälle reservierte Standspur überhaupt benutzen durfte. Nach den überzeugenden Zeugenaussagen kommt stark erschwerend hinzu, dass der Beklagte zu 1) in dem Bereich am Anfang der Verzögerungsspur, wo mit Spurwechseln dringend zu rechnen war, und trotz des vom Zeugen K gesetzten Blinkers noch am Fahrzeug der Klägerin vorbeigefahren ist.
8Demgegenüber ist dem Zeugen K als Fahrer der Klägerin lediglich der Vorwurf zu machen, dass er vor dem Spurwechsel nicht auf den rückwärtigen Verkehr geachtet hat. Dies wäre durch einen rechtzeitigen Blick in den rechten Rückspiegel möglich und auch geboten gewesen, da die Erfahrung lehrt, dass in Stausituationen nicht ganz selten (verkehrsordnungswidrig) die Standspur benutzt wird.
9In Anbetracht dessen, dass das Verschulden auf Beklagtenseite besonders schwer wiegt und sich das Verschulden auf Klägerseite letztlich darauf beschränkt, dass der Zeuge K nicht mit dem groben Fehlverhalten des Beklagten zu 1) gerechnet hat, ist eine 100-prozentige Haftung der Beklagten sachgerecht.
102)
11Die Beklagten schulden Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.757,13 € nebst Rechtshängigkeitszinsen seit dem 03.03.2009.
12a)
13Unstreitig sind folgende Schadenspositionen, die sich auf 1.424,28 € summieren: Restliche Reparaturkosten i.H.v. 940,03 €, restliche Mietwagenkosten i.H.v. 374,07 €, restliche Sachverständigenkosten i.H.v. 101,85 € sowie eine restliche Unkostenpauschale i.H.v. 8,33 € (2/3 der Unkostenpauschale sind beglichen, ohne dass die Klägerin die Klage insoweit reduziert hätte).
14b)
15Die Beklagten schulden der Klägerin zudem insgesamt 332,85 € an Lohn- und Fahrtkosten.
16Ersatzfähig sind zunächst die durch die Unfallaufnahme entstandenen zusätzlichen Lohnkosten i.H.v. 116,25 € inklusive Sonntagszuschlag. Der Zeuge K hat überzeugend bekundet, dass die Klägerin die Wartezeit gesondert bezahlt habe. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts handelt es sich um einen ersatzfähigen Schaden, da die drei Monteure nicht Schadensabwicklung betrieben haben, sondern vor Ort "festhingen" und hierfür von der Klägerin bezahlt werden mussten, ohne dass diese eine Gegenleistung erhalten hätte.
17Für das zweimalige Aus- und Einräumen der Fahrzeugausstattung hat das Amtsgericht jeweils lediglich eine Mannstunde angesetzt. Diese Schätzung ist jedenfalls auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vortrags der Klägerin nicht zu beanstanden. Der neue Vortrag zur Erklärung des hohen Zeitaufwandes mit Schriftsatz vom 02.06.2009 ist nicht gemäß § 531 II ZPO zuzulassen. Für zwei Arbeitsstunden à 32,50 € ergeben sich ersatzfähige Lohnkosten von 65 €. Der vom Amtsgericht angenommene Sonntagszuschlag für das erste Umräumen entfällt, da dieses Umräumen nach der Aussage des Zeugen K2 erst am Montag nach dem Unfall erfolgte (die Klägerin selbst räumt inzwischen ein, dass sie das Ersatzfahrzeug erst am Montag, dem 25.08.2008, angemietet hat).
18Für das Verbringen des Unfallfahrzeugs zur Reparatur und das Abholen nach der Reparatur, jeweils im Austausch gegen den Mietwagen, hat das Amtsgericht jeweils (lediglich) zwei Mannstunden à 32,50 € sowie Fahrtkosten i.H.v. insgesamt 21,60 € angesetzt (Summe: 151,60 €). Auch diese Schätzungen sind nicht zu beanstanden.
19Entgegen der Auffassung der Klägerin sind für den 25.08.2008 keine frustrierten Arbeitskosten zu ersetzen. Es ist nämlich nicht nachzuvollziehen, dass zwei Monteure einen ganzen Arbeitstag verpasst haben sollen, um das beschädigte Fahrzeug innerhalb von M zur Reparatur zu bringen. Die Klägerin hätte, da das Unfallfahrzeug offenkundig problemlos fahrbereit war, den Zeitpunkt der Verbringung zur Reparatur beliebig planen können. Wenn sie stattdessen (angeblich) einen erheblichen Arbeitsausfall in Kauf nimmt, so ist dies den Beklagten nicht zuzurechnen, gegebenenfalls wäre auch ein anspruchsausschließendes Mitverschulden der Klägerin anzunehmen.
203)
21Die Beklagten schulden schließlich vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 265,70 € (netto). Der insoweit bereits vom Amtsgericht ermittelte Betrag ist trotz der Änderung bei der Haftungsquote zu bestätigen, da vorgerichtlich lediglich die Reparaturkosten i.H.v. 2.820,35 € geltend gemacht wurden (mit Schreiben vom 11.09.2008), so dass es bei einem Gegenstandswert von bis zu 3.000 € bleibt. Die Klägerin kann lediglich Freistellung verlangen (die Grundsätze der Entscheidung OLG I 26 U 39/91 greifen nicht).
224)
23Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91a, 92, 100 IV ZPO.
24a)
25Soweit aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eine Kostenentscheidung gemäß § 91a I ZPO zu treffen ist, trägt die Klägerin – wie bereits vom Amtsgericht angenommen – die Kosten. Dies betrifft die Zahlung der Beklagten i.H.v. 2.627,98 € (1.880,05 € auf die Reparaturkosten und 747,93 € auf die Mietwagenkosten).
26Formal betrachtet hat die Klägerin bereits aus dem Grund die Kosten zu tragen, dass die Zahlung schon am 26.11.2008 erfolgte, die Klage aber erst am 31.12.2008 zugestellt worden ist (Eingang war am 05.11.2008). Die Klägerin hätte, anstatt die Erledigung zu erklären, nach § 269 III 3 ZPO vorgehen müssen. Aber auch in der Sache entspricht es billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten aufzuerlegen, da die Beklagten keinen Anlass zur Klage gegeben haben. Das Schreiben der jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 22.10.2008 durften die Beklagten nämlich so verstehen, dass auf die Bitte um Übersendung der Ermittlungsakte eingegangen, eine Klage also zunächst zurückgestellt wird.
27b)
28Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin in der Hauptsache i.H.v. 1.757,13 € obsiegt und i.H.v. 902,85 € unterliegt.
29c)
30Für die erstinstanzliche Kostenquote ist aufgrund der verdeckten Klageerweiterung aus dem Schriftsatz vom 03.02.2009 ist ein fiktiver Streitwert i.H.v. 5.287,96 € zu bilden (2.627,98 € + 2.659,98 €). 1.757,13 € von 5.287,96 € sind 33 %. Zu berücksichtigen ist jedoch noch, dass die erstinstanzliche Terminsgebühr lediglich nach einem reduzierten Wert von 2.659,98 € angefallen ist. Dies wird zugunsten der Klägerin dadurch berücksichtigt, dass ihr nicht 67 %, sondern 60 % der erstinstanzlichen Kosten auferlegt werden.
31d)
32In der Berufungsinstanz hat die Klägerin über die bereits vom Amtsgericht zugesprochenen 155,23 € hinaus weitere 1.601,90 € erstritten. Der Berufungsstreitwert beträgt 2.504,75 € (2.659,98 € minus 155,23 €). Hieraus errechnet sich ein Erfolg der Berufung i.H.v. 64 %.
335)
34Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
35Der Streitwert für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren wird wie folgt festgesetzt:
36- für die 1. Instanz bis zum 06.02.2009: 3.967,25 €
37- für die 1. Instanz ab dem 07.02.2009: 2.659,98 €
38- für die Berufungsinstanz: 2.504,75 €
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Referenzen
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