Urteil vom Landgericht Münster - 012 O 274/08
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 258.881,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.06.2008 zu zahlen.
Es wird festgestellt,
1. dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen der Übergangsfähigkeit gem. § 116 SGB X die gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente nebst Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner auch für die Zeit nach dem 31.05.2008 bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze zu erstatten, die diese an die Versicherte R zu erbringen hat.
2. dass die Beklagte verpflichtet ist, die Beitragsregressansprüche für die Versicherte R über den 31.05.2008 hinaus bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze zu erfüllen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Leistung von Schadensersatz wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht geltend, die in ihrer Eigenschaft als Sozialversicherungsträgerin anlässlich eines Verkehrsunfalls aus dem Jahr 1989 von der damals geschädigten Versicherten auf sie übergegangen sein sollen.
3Am Tag des Unfalls, dem 25.06.1989, überquerte die Geschädigte, Frau R, geb. am 28.09.1953, gegen 0:20 Uhr in N auf dem Weg von der N2 in Richtung L2 die Straße B. Zur gleichen Zeit fuhr Herr L mit seinem Motorroller, amtl. Kennzeichen ######, die rechte Fahrspur des M, auf der sich eine ca. 30 Meter lange und zwei Meter breite Ölspur befand, die kurz zuvor durch Mitarbeiter des Stadtreinigungsamtes der Beklagten mit Asche abgestreut worden war. Auf dieser abgestreuten Ölspur geriet der Motorroller ins Rutschen und schlingerte in die Straße B, wo er die Geschädigte erfasste. Die Geschädigte zog sich dabei eine offene Tibiakopfmehrfragmentfraktur mit Dislokation links, ausgedehnte Knieweichteilverletzungen und eine schwere Schädelprellung zu. Im unmittelbaren Anschluss an den Unfall wurde sie zweimal operiert und verblieb bis zum 25.07.1989 in stationärer Behandlung. Die ambulante Behandlung der genannten Verletzungen dauerte bis zum 23.10.1989 an.
4Nach dem Unfall kam es darüber hinaus aber auch zu einer erheblichen Verschlechterung ihres psychischen Zustandes. Bereits im Zeitpunkt des Unfalls war die Geschädigte, die sich in ungekündigter Stellung als Verkäuferin bei der Firma I befand, beginnend ab dem 31.01.1989 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der behandelnde Psychiater hatte am 20.06.1989 eine "angstneurotische depressive Entwicklung, anorexia nervosa und eine abnorme Persönlichkeitsstruktur" diagnostiziert. Auch vor 1989 hatte sich die Geschädigte bereits mehrmals in psychiatrischer – u.a. stationärer – Behandlung befunden und war teilweise arbeitsunfähig krankgeschrieben. Nach dem Unfall befand sich die Geschädigte wiederum in lang andauernder und zwischenzeitlicher stationärer Behandlung. In der Zeit vom 05.11.1991 bis zum 24.11.1991 und vom 20.04.1992 bis zum 03.05.1992 unterzog sie sich einer Hypnosebehandlung in der Praxis für psychologische Hypnose H in X.
5Bis zum 31.03.1990 erhielt die Geschädigte Krankengeld. Mit Wirkung ab dem 01.04.1990 bewilligte ihr die Klägerin, damals noch unter dem Namen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine (zunächst bis zum 31.12.1991 befristete) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (heute Erwerbsminderungsrente). Die Rente wird bis heute gezahlt.
6Im Verfahren 15 O 377/90 LG Münster erhob die Geschädigte Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagte, den Rollerfahrer und dessen Haftpflichtversicherung. Mit Urteil vom 15.04.1991 wurde die Beklagte verurteilt, an die Geschädigte und damalige Klägerin 5.070,00 DM nebst Zinsen zu zahlen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Geschädigten alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 25.06.1989 zu ersetzen, soweit nicht die Ansprüche auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Die Klageabweisung im Übrigen betraf insbesondere die damaligen Beklagten zu 2) und 3) – Fahrer und Haftpflichtversicherung – sowie den von der Geschädigten ebenfalls geltend gemachten Verdienstausfallschaden für Juli 1989 bis April 1991. Das Landgericht begründete das Urteil zunächst damit, dass die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Für den Fahrer des Motorrollers sei der Unfall demgegenüber unvermeidbar gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Kopie des Urteils (Bl. 15 ff. d.A.) verwiesen.
7Das OLG Hamm änderte das Urteil des Landgerichts durch Urteil vom 09.12.1994 – 9 U 188/91 – (Bl. 28 ff. d.A.) teilweise ab. Die Änderung betraf sowohl die Höhe des Schmerzensgeldes als auch des weiteren Schadensersatzes. Die Beklagte wurde nun verurteilt, an die Geschädigte ein Schmerzensgeld in Höhe von 65.000,00 DM sowie weitere 48.507,69 DM nebst Zinsen zu zahlen.
8Die Erhöhung des Schmerzensgeldes begründete das OLG Hamm mit der Berücksichtigung auch der schweren psychischen Folgen, die der Unfall bei der Geschädigten hervorgerufen habe. Dabei stützte sich das Gericht auf ein medizinisches Gutachten des Sachverständigen S, der seinerzeit festgestellt hatte, dass die bereits vor dem Unfall bestehenden leichten bis mittelgradigen neurotischen Störungen kausal durch den Unfall massiv und richtungsweisend auf ein Maximum an neurotischer Erkrankung verschlimmert worden seien. Die Geschädigte sei in ein "Kleinkindstadium mit absoluter Hilflosigkeit" zurückversetzt worden. In Übereinstimmung mit dem behandelnden Psychiater Q prognostizierte S die Wiedererlangung der Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit der Geschädigten nach dem Ablauf weiterer drei Jahre.
9Erstmals mit Schreiben vom 05.09.2005 meldete die Klägerin dann ihren möglichen Regressanspruch dem Grunde nach bei der Beklagten an. Mit Schreiben vom 13.09.2005 schickte die Beklagte das Anmeldeformular mit dem Hinweis zurück, sie möge den Anspruch zunächst begründen und beziffern. In der Folgezeit tauschten die Parteien sodann Rechtsansichten hinsichtlich der Berechtigung des klägerischen Begehrens aus, so zuletzt mit Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 02.03.2007 sowie mit Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 27.03.2007.
10Die alleinige Verantwortlichkeit der Beklagten für den Unfall der Geschädigten ist zwischen den Parteien mittlerweile unstreitig.
11Die Klägerin ist der Ansicht, sowohl hinsichtlich der seit 1990 erbrachten Rentenleistungen als auch hinsichtlich der fiktiven Beiträge zur Rentenversicherung einen Regressanspruch gegen die Beklagte zu haben.
12In Bezug auf eine Haftung dem Grunde nach behauptet sie, die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit der Geschädigten sei kausal auf den Unfall vom 25.06.1989 zurückzuführen. Dieser dauerhaften Erwerbsunfähigkeit habe sie mit der Bewilligung der Rente Rechnung getragen und damit Leistungen erbracht, die der Behebung des von der Beklagten verursachten Schadens dienten. Dazu gehörten auch die von ihr erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.
13Zur Höhe der von ihr erbrachten Leistungen behauptet sie, im Zeitraum vom 01.04.1990 bis zum 31.10.2006 Rentenzahlungen (inkl. Kranken- und Pflegeversicherung) in Höhe von 163.872,29 € erbracht zu haben und im Zeitraum vom 01.11.2006 bis zum 31.05.2008 Zahlungen in Höhe von 17.048,37 €.
14Hinsichtlich des Beitragsregressanspruchs ist die Klägerin der Ansicht, für den Zeitraum vom 01.04.1990 bis zum 30.11.2006 einen Betrag in Höhe von 70.560,76 € verlangen zu können und für den Zeitraum vom 01.12.2006 bis zum 31.05.2008 einen Betrag in Höhe von 7.400,48 €.
15Ihr Feststellungsinteresse folge aus dem Umstand dass sie die genannten Leistungen auch künftig – jedenfalls bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze – an die Geschädigte wird erbringen müssen.
16Sie beantragt,
17- die Beklagte zu verurteilen, an sie 258.881,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin im Rahmen der Übergangsfähigkeit gem. § 116 SGB X die gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente nebst Beiträgen zur Krankenversicherung der Rentner auch für die Zeit nach dem 31.05.2008 bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze zu erstatten, die diese an die Versicherte R zu erbringen hat;
- festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Beitragsregressansprüche für die Versicherte R über den 31.05.2008 hinaus bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze zu erfüllen.
Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach bestreitet die Beklagte, dass der Unfall vom 25.06.19989 kausal für die Verrentung gewesen sei. Vielmehr sei diese aufgrund einer unfallunabhängigen Grunderkrankung erfolgt. Das Urteil des OLG Hamm entfalte nach ihrer Ansicht diesbezüglich auch keinerlei Bindungswirkung.
21Zudem behauptet sie, die Geschädigte sei auch ohne den Unfall zu einem späteren Zeitpunkt dauerhaft erwerbsunfähig geworden. So habe es mit einem Schwangerschaftsabbruch im Jahre 1994 und der Trennung vom Lebensgefährten im Jahre 1997 weitere einschneidende Erlebnisse gegeben, die bei der Geschädigten zu einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit geführt hätten. Spätestens im Jahr 2002, als die Geschädigte von ihrem Orthopäden erfahren habe, dass beide Hüften und das Kniegelenk verschlissen seien und diese operativ ersetzt werden müssten, wäre unabhängig von dem Unfallereignis Erwerbsunfähigkeit eingetreten.
22Darüber hinaus bestreitet sie die Höhe der Rentenansprüche sowie die Zahlungen in dieser Höhe an die Geschädigte. Sie meint, die klägerische Berechnung sei, auch hinsichtlich der angeblichen Beitragsregressansprüche, nicht nachvollziehbar.
23Die Beklagte beruft sich weiterhin auf die Einrede der Verjährung. Sie bestreitet, dass die Regressabteilung der Klägerin erst im Jahr 2005 Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt habe.
24Hilfsweise vertritt sie die Ansicht, dass sich die Klägerin auf eine solche späte Kenntniserlangung aber jedenfalls nicht berufen könne, da sie infolge eklatanter Organisationsmängel in 1990 gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten nicht wahrgenommen habe. Erstens sei der Rentenantrag in den maßgeblichen Rubriken nicht ausgefüllt worden, so dass der Verdacht einer Drittschädigung nahe gelegen habe und weitere Nachfragen hätte zur Folge haben müssen. Zweitens behauptet sie, eine Arbeitsanweisung zur Vorlage an die Regressabteilung habe es im Jahr 1990 ebenso wenig wie überhaupt eine organisatorische Trennung zwischen Leistungs- und Regressabteilung gegeben. Drittens behauptet sie, bei der Klägerin hätten im Zeitpunkt der Überprüfung des Antrags auf Verrentung ärztliche Unterlagen vorgelegen, aus denen der Unfall hätte ersichtlich sein müssen. Ferner ist die Beklagte der Ansicht, für die hier in Streit stehenden Ansprüche sei die kurze Verjährungsfrist des § 197 BGB a.F. maßgeblich.
25Schließlich beruft sich die Beklagte auch auf eine Verwirkung der klägerischen Ansprüche.
26Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Ansprüche seien nicht verjährt.
27Sie behauptet, zum Zeitpunkt der Bewilligung der Rente habe eine interne Arbeitsanweisung bei der Klägerin bestanden, wonach die Akte dem – insofern eigenständigen – Regressdezernat zur Kenntnisnahme zuzuleiten sei, sofern aus ihr zu erkennen sei, dass die Erwerbsunfähigkeit auf einem Unfall beruhe oder durch andere Personen verursacht worden sei. Wegen des genauen Inhalts der Arbeitsanweisung wird auf deren Kopie (Bl. 186 ff. dA.) verwiesen.
28Weiter behauptet sie, erst am 05.07.2005 habe eine Mitarbeiterin aufgrund eines Anrufs der Rechtsanwältin der Geschädigten Kenntnis davon erlangt, dass ihre Leistungen in Form der Rentengewährung ihre Grundlage in den Folgen des Verkehrsunfalls hätten. Der entsprechende Telefonvermerk sei am 06.07.2005 in ihrer Regressabteilung eingegangen.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
30Das Gericht hat Beweis erhoben durch Verwertung des Gutachtens des Sachverständigen S vom 14.05.1993 aus dem Verfahren 15 O 377/90 LG Münster = 9 U 188/91 OLG Hamm nebst mündlicher Ergänzung im Senatstermin vom 16.09.1994 und schriftlicher Ergänzung vom 29.11.1994. Es hat zudem Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen S, der sein Gutachten im Kammertermin vom 09.12.2009 mündlich erläutert und ergänzt hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 16.09.1994 in dem Verfahren 15 O 377/90 LG Münster = 9 U 188/91 OLG Hamm, die Sitzungsprotokolle vom 21.01.2009 (Bl. 239 ff. d.A.) und vom 09.12.2009 (Bl. 316 ff. d.A.) sowie auf die schriftlichen Gutachten vom 14.05.1993 und 11.09.2009 (Bl. 280 ff. d.A.) verwiesen.
31Die Akten 15 O 377/90 lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
32E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
33Die Klage ist zulässig und begründet.
34I.
35Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung aus §§ 839 BGB, Art. 34 GG, 116, 119 SGB X. Der Schadensersatzanspruch der Geschädigten gegen die Beklagte aus §§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ist im Wege der Legalzession gemäß §§ 116, 119 SGB X auf die Klägerin übergegangen.
361.
37Die Klägerin war und ist als Sozialversicherungsträgerin gemäß §§ 43, 125 ff. SGB VI der Geschädigten gegenüber in Form einer Erwerbsminderungsrente beitragspflichtig.
38Der Unfall der Geschädigten vom 25.06.1989 beruhte unstreitig auf einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten, für die diese gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG haftet. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zudem davon überzeugt, dass der Unfall kausal war für ihre dauerhafte Erwerbsunfähigkeit und somit auch für ihre Verrentung.
39Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen S in seinem Gutachten vom 14.05.1993 nebst mündlicher und schriftlicher Ergänzung, welches die Kammer gemäß § 411a ZPO verwertet hat, hat der Unfall bei der Geschädigten zu einer schweren depressiven Reaktion und einer ausgesprochen starken Regression geführt. Das bei der Geschädigten zuvor bereits bestehende Krankheitsbild wurde durch den Unfall massiv und richtungsweisend verschlimmert. Die bei der Geschädigten vorher schon vorhandenen neurotischen Störungen hat der Sachverständige dabei als leicht bis mittelgradig bezeichnet. Diese haben bei ihr zwar zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt, waren aber doch derart, dass sie sich noch selbstständig versorgen konnte. Nach dem Unfall ist die Geschädigte hingegen in ein Kleinkindstadium mit absoluter Hilflosigkeit zurückversetzt worden. Es hat sich um einen Absturz gehandelt, der von den Ausmaßen her einer Psychose gleichzusetzen ist. Sie war danach nicht mehr in der Lage, sich selbst in zu versorgen und brauchte dauernd Hilfe beim Waschen, Essen und ähnlichen alltäglichen Vorgängen durch ihre Mutter und ihre Schwester. Der Zustand der Geschädigten hatte seinerzeit neben einer fünftägigen Behandlung in der psychiatrischen Klinik des Westfälischen Wilhelms Universität Münster zu einem achtmonatigen stationären Aufenthalt in der P-Klinik geführt. Im Rahmen dieses Aufenthaltes hatte sich der Zustand der Geschädigten zwar soweit gebessert, als dass sie gelernt hat, wieder selbstständig zu essen sowie sich an- und auszukleiden. Jedoch war sie noch nicht in der Lage, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und ohne Hilfe Dritter zu bewältigen. Der Sachverständige prognostizierte damals, dass die Klägerin ihre Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit nach Ablauf von ca. drei Jahren wiederlangen würde. Diese Prognose hat der Sachverständige in seinem neuen und überzeugenden Gutachten korrigiert.
40So sei die dauerhafte Erwerbsunfähigkeit mit größter Wahrscheinlichkeit auf die schwere, mittlerweile chronifizierte psychische Störung zurückzuführen, wie er sie in seinem Gutachten vom 14.05.1993 diagnostiziert habe.
41Der vorgenannte Zustand der Geschädigten ist, auch soweit er noch bis heute andauert, nach der Überzeugung der Kammer auf das Unfallgeschehen vom 25.06.1989 zurückzuführen. An dem Ursachenzusammenhang hat der Sachverständige S keine Zweifel gehabt. Die bereits bestehende neurotische Erkrankung der Geschädigten schließt einen Ursachenzusammenhang nicht aus. Der Zusammenhang zwischen einem Schadensereignis und dem Eintritt der Sozialversicherungspflicht richtet sich, sofern ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch übergeht, nach zivilrechtlichen Kausalitätsgrundsätzen. Es kommt somit nicht darauf an, ob ein Ereignis die ausschließliche Ursache einer Gesundheitsbeeinträchtigung ist. Eine Mitursächlichkeit, sei sie auch nur Auslöser neben erheblichen anderen Umständen, steht einer Alleinursächlichkeit vielmehr in vollem Umfang gleich (BGH, Urt. v. 19.04.2005 – VI ZR 175/04 – , zit nach juris, Rn. 11). Die Schadenszurechnung geht von der bestehenden psychischen und physischen Konstitution vor der Schädigung aus, auch wenn es sich um eine seltene Krankheitsdisposition oder eine latente abnorme Veranlagung handelt (Kater, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, 2008, § 116, Rn. 45). Wer einen gesundheitlich geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Betroffene gesund gewesen (BGH aaO).
42Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine unangemessene Fehlverarbeitung des Erlebten durch die Geschädigte. So hat der Sachverständige S in seinem neuen Gutachten überzeugend dargelegt, dass die heute bestehende Erwerbsunfähigkeit nach wie vor auf das Unfallerlebnis zurückzuführen ist. Die Geschädigte hat sich mittlerweile auf einem niedrigen Niveau eingerichtet und kommt mit ihrem Alltag einigermaßen zurecht. Sobald man sie jedoch auf das Unfallereignis anspreche, fange sie an, lang und breit über dieses Ereignis und seine Folgen zu reden. Der Sachverständige hat dabei in seiner ergänzenden Vernehmung im Kammertermin sehr anschaulich und überzeugend erklärt, dass dieser Unfall immer noch das zentrale Thema im Leben der Geschädigten darstelle und alles andere dahinter zurücktrete. Sie habe sich von dem Erlebten bis heute nicht gelöst. Dabei empfinde sie ihre Knieverletzung als eine Art "Kainsmal", welches sie permanent mit den Erinnerungen an den Unfall konfrontiert. Nach wie vor ist der Sachverständige davon überzeugt, dass die Geschädigte ohne den Unfall und allein aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht erwerbsunfähig geworden wäre. Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer nach Überprüfung in vollem Umfang an.
43Die Tatsache, dass der Sachverständige in seinem Gutachten vor dem OLG Hamm noch prognostiziert hatte, dass die Geschädigte in etwa drei Jahren nach dem Unfall wieder werde erwerbstätig sein können, vermag die Überzeugung der Kammer von dem Ursachenzusammenhang nicht zu erschüttern. Wie der Sachverständige auch im Kammertermin noch einmal deutlich machte, handelte es sich lediglich um eine Prognose, die gerade bei psychischen Erkrankungen extrem unsicher ist. Denn die Frage, wie sich das Leben der Geschädigten im Einzelnen weiter entwickeln würde, vor allem wie intensiv die Therapiebemühungen bei der Geschädigten sein würden, konnte der Sachverständige nicht vorhersehen.
44Die Beklagte dringt mit ihrem Einwand der überholenden Kausalität nicht durch. Bestand bei Eintritt des schädigenden Ereignisses eine der geschädigten Person innewohnende Schadensanlage, die zu einem späteren Zeitpunkt zu dem gleichen Schaden geführt hätte (sog. Reserveursache"), beschränkt sich die Ersatzpflicht auf die durch den früheren Schadenseintritt bedingten Nachteile (sog "Verfrühungsschaden"). Für die Tatsache, dass der Schaden auch aufgrund einer der von der Beklagten behaupteten Reserveursachen eingetreten wäre, trägt sie als Schädiger die Beweislast (vgl. BGH NJW 1981, 628, 630). Diesen Beweis vermochte die Beklagte jedoch nicht zu erbringen. Der Sachverständige wurde zu dieser Frage in seiner ergänzenden Vernehmung im Kammertermin vernommen. Er hat dabei nachvollziehbar und überzeugend erklärt, dass eine sichere Aussage darüber, ob eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit der Geschädigten auch ohne das Unfallereignis, aber aufgrund eines anderen späteren Ereignisses, z.B. dem Schwangerschaftsabbruch, der Trennung vom Lebensgefährten oder auch der Hüft- und Knieoperationen, eingetreten wäre, nicht getroffen werden kann. Dies sei reine Spekulation. Nach seiner Überzeugung hätten diese Erlebnisse höchstens dazu geführt, dass die Geschädigte immer mal wieder für ein paar Monate arbeitsunfähig geworden wäre, dann aber wieder hätte arbeiten können.
45Es bleibt daher bei einer Haftung der Beklagten für den gesamten Zeitraum der Erwerbsunfähigkeit der Geschädigten.
462.
47Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der gegen sie gerichtete Schadensersatzanspruch auch nicht verjährt.
48Die dreijährige Verjährungsfrist des hier maßgeblichen § 852 BGB a.F. beginnt zu laufen, sobald der Verletzte bzw. der Anspruchsinhaber von dem Schaden und der Person Kenntnis erlangt. Da der Schadensersatzanspruch, soweit er kongruente Leistungen des Sozialversicherungsträgers umfassen konnte, bereits im Augenblick seiner Entstehung mit dem Schadensereignis im Wege der Legalzession gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf die Klägerin übergegangen ist, kann für den Beginn der Verjährung nur auf die Kenntnis der Klägerin abgestellt werden (vgl. BGH, Urt. v. 09.03.2000 – III ZR 198/99 - , NZV 2000, 255).
49Nach den von der Rechtsprechung des BGH für die Anwendung des § 852 Abs. 1 BGB a.F. auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entwickelten Grundsätzen darf der Klägerin dabei nicht die Kenntnis eines jeden Bediensteten zugerechnet werden. Es ist vielmehr jeweils zu prüfen, ob es sich bei dem betreffenden Bediensteten um einen Wissensvertreter handelt. Das ist nach dem insoweit heranzuziehenden Rechtsgedanken des § 166 Abs. 2 BGB dann der Fall, wenn der informierte Bedienstete vom Anspruchsinhaber mit der Erledigung der betreffenden Angelegenheit, hier also mit der Betreuung und der Verfolgung der in Frage stehenden Schadensersatz- bzw. Regressforderungen, in eigener Verantwortung betraut worden ist (vgl. etwa BGH, Urt. v. 09.03.2000– III ZR 198/99 - , NZV 2000, 255 sowie Urt. v. 28.11.2006 – VI ZR 196/05 - , zit. nach juris, Rn. 5). Die Kenntnis der Mitarbeiter der Leistungsabteilung, die nicht damit betraut sind, Ansprüche gegenüber Dritten durchzusetzen, genügt insofern grundsätzlich selbst dann nicht, wenn ihnen aufgrund interner Anordnung bei Anhaltspunkten für einen Regress die Pflicht zur Weiterleitung an die Regressabteilung und damit eine Art Vorprüfung obliegt (BGH NZV 2000, 255). Maßgebend sind die internen Organisationsvorschriften, selbst wenn sie unzweckmäßig oder organisationsfehlerhaft sind (LG Hamburg, VersR 1999, 69 ff.).
50Somit kamen allein die Mitarbeiter der klägerischen Regressabteilung als Wissensvertreter in Betracht. Das Wissen der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unmaßgeblich (BGH NJW 2000, 1411 ff.). Es kann von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts wie von jeder anderen Behörde, die zum Teil tausende von Mitarbeitern hat, nicht verlangt werden, dass jeder Mitarbeiter über jeden Schadensfall auch im Hinblick auf mögliche Regressansprüche informiert ist und deshalb auch das Wissen der Mitarbeiter der Leistungsabteilung genügt.
51Soweit die Beklagte einwendet, von den eben genannten Grundsätzen sei hier deshalb eine Ausnahme zu machen, weil die Klägerin aufgrund bestehender eklatanter Organisationsmängel nicht für einen adäquaten Informationsfluss gesorgt habe und damit nicht das Privileg einer nur partiellen Wissenszurechnung verdiene, vermag dieser Umstand – ungeachtet der Tatsache, ob er zutreffend ist oder nicht – kein anderes Ergebnis zu begründen. Zwar nimmt der V. Zivilsenat des BGH für den rechtsgeschäftlichen Verkehr eine unternehmensweite Wissenszurechnung bei nicht ordnungsgemäßer Wissensweitergabe an, um den außen stehenden Dritten vor einer Aufspaltung des Wissens zu schützen (grundlegend hierzu BGH, Urt. v. 02.02.1996 – V ZR 239/94 - , zit. nach juris, Rn. 20 ff.). Eine entsprechende Anwendung dieser Grundsätze auf § 852 BGB a.F. ist jedoch mit dem BGH mit der Begründung abzulehnen, dass den Geschädigten keine Pflicht im Interesse des Schädigers treffe, sich ordnungsgemäß zu organisieren, um schnellstmöglich einen Anspruch geltend zu machen (BGH, Urt. v. 25.06.1996 – VI ZR 117/95 – zit. nach juris, Rn. 27 sowie Urt. v. 28.11.2006 – VI ZR 196/05 – zit. nach juris, Rn. 7).
52Die Verjährungsfrist begann daher nicht bereits im Jahr 1990 zu laufen, sondern vielmehr erst im Jahr 2005, als die Regressabteilung der Klägerin im Anschluss an ein Telefonat mit der Rechtsanwältin der Geschädigten am 06.07.2005 Kenntnis davon erlangte, dass die Leistungen an die Geschädigte ihre Grundlage in den Folgen eines Verkehrsunfalls hatten.
53Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB findet für am 01.01.2002 noch nicht verjährte Ansprüche das BGB in der ab diesem Zeitpunkt geltenden Fassung und damit für den Beginn der Verjährungsfrist § 199 Abs. 1 BGB Anwendung, wonach die hier einschlägige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Folglich begann die Verjährungsfrist erst Ende des Jahres 2005 zu laufen. Ein Ablauf der Verjährungsfrist wäre dementsprechend nicht vor Ende des Jahres 2008 eingetreten. Durch die Klageerhebung vom 24.06.2008 ist jedoch Hemmung eingetreten, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
54Der klägerische Anspruch ist auch nicht verwirkt. Für die Annahme einer Verwirkung mangelt es schon an dem insofern erforderlichen Umstandsmoment, da ein vertrauensbegründendes Verhalten der Klägerin vorliegend nicht ersichtlich ist.
553.
56Der Anspruch der Klägerin besteht in der vollen geltend gemachten Höhe.
57Die reine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist der Art nach von der Übergangsvorschrift des § 116 SGB X umfasst. Die Erstattungsfähigkeit der Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge ergibt sich aus § 116 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X. Die Klägerin hat die entsprechenden Rentenbescheide vollständig vorgelegt, aus denen sich die Höhe der geleisteten Zahlungen ergibt und die in Bezug auf die Berechnung der monatlichen Rente selbst eine Bindungswirkung entfalten, § 118 SGB X. Die Vorschrift soll Auseinandersetzungen infolge unterschiedlicher Beurteilungen der Sozial-, Verwaltungsgerichte oder Leistungsträger und der Zivilgerichte vermeiden, indem sie verhindert, dass vor den allgemeinen Zivilgerichten sozialrechtliche Fragen erörtert werden. Infolge der bestandskräftigen Rentenbescheide sind Einwände, die das "Ob" der Leistung oder deren Umfang betreffen, von vornherein ausgeschlossen. Demnach ist es den ordentlichen Gerichten verwehrt, Bescheide der Sozialversicherungsträger hinsichtlich der Richtigkeit einer erfolgten Rentenberechnung zu überprüfen (OLG Frankfurt, VersR 1972, 1122).
58Die Klägerin hat ausweislich ihrer Rentenbescheide an die Geschädigte Rentenleistungen in dem Zeitraum vom 01.04.1990 bis zum 31.10.2006 in Höhe von 163.872,29 € und vom 01.11.2006 bis zum 31.05.2008 in Höhe von 17.048,37 € erbracht.
59Die Erstattungsfähigkeit der fiktiven Rentenversicherungsbeiträge folgt aus § 119 Abs. 1 SGB X. Aus den von der Klägerin vorgelegten und im Übrigen korrekten Forderungsberechnungen ergibt sich für den Zeitraum vom 01.04.1990 bis zum 30.11.2006 ein Beitragsregressanspruch in Höhe von 70.560,76 € und für den Zeitraum vom 01.12.2006 bis zum 31.05.2008 ein solcher in Höhe von 7.400,48 €. Aus der Summe der von der Klägerin vorgelegten Forderungsberechnungen, welche inhaltlich mit den Rentenbescheiden übereinstimmen, errechnet sich somit die geltend gemachte Klageforderung. Dies in Zusammenhang mit den vorgelegten, von der Geschädigten ausgefüllten Fragebögen im Rahmen der Nachprüfung der weiteren Rentenberechtigung sowie den entsprechenden Entscheidungsverfügungen der Sachbearbeitung reicht nach Auffassung der Kammer als Nachweis für die an die Geschädigte geleisteten Zahlungen aus. Die Beklagte war daher in der vollen geltend gemachten Höhe zur Zahlung zu verurteilen.
60Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
61II.
62Die Feststellungsanträge sind vor dem Hintergrund der Begründetheit des Leistungsantrages einerseits sowie der künftig bestehenden Leistungspflicht der Beklagten bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze andererseits gerechtfertigt.
63III.
64Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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