Urteil vom Landgericht Münster - 02 O 736/09
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 04.05.2007 (Aktenzeichen 72 IN 98/06) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der B, geborene I, S, S1 (im Folgenden Gemeinschuldnerin) bestellt. Zugleich wurde das Insolvenzverfahren eröffnet (vgl. Anlage K 1, Bl. 15 ff d.A.). Das Verfahren wurde aufgrund eines Eigenantrags der Schuldnerin vom 10.11.2006 mit Beschluss vom 13.11.2006 vorläufig eröffnet.
3Die Gemeinschuldnerin hatte gegenüber der in der Schweiz wohnhaften Beklagten, ihrer Mutter, Darlehensverbindlichkeiten, die bis heute nicht beglichen sind.
4Zur Sicherung der bestehenden Forderungen der Beklagten trat die Gemeinschuldnerin am 15.05.2006 Honoraransprüche aus einem Vertrag mit der Firma T vom 18.04./11.05.2005 zu 50 % an die Beklagte ab. Für Einzelheiten der Abtretung wird auf die Anlage K3 (Bl. 18 d. A.) Bezug genommen.
5Nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens schloss der Zeuge B1, der Ehemann der Gemeinschuldnerin, im Namen der Gemeinschuldnerin einen Vergleich mit der Firma T über eine Summe von 27.000,00 €. Am 02.03.2007 holte er dieses Geld persönlich in Frankreich ab und übergab einen erstrangigen Teilbetrag von 16.660,00 € an einen weiteren Gläubiger der Gemeinschuldnerin, Herrn V, und den Restbetrag von 10.340,00 € in der Schweiz an die Beklagte. Mit Schreiben vom 09.07.2007 und 11.03.2008 forderte der Kläger die Beklagte zur Rückzahlung des erhaltenen Geldbetrages auf. Er forderte sie mit anwaltlichem Schreiben vom 18.04.2008 und 06.05.2008 erneut zur Rückzahlung auf. Der Kläger verwertete ein an die Beklagte zur Sicherheit übereignetes Fahrzeug, dessen Erlös die Klageforderung reduziert. Für eine genaue Zusammensetzung der Klageforderung verweist er auf den zur Akte gereichten Auszug des Forderungskontos (vgl. Anlage K10, Bl. 32 d.A.).
6Der Kläger behauptet, die Gemeinschuldnerin sei zahlungsunfähig gewesen. Bestehende Verbindlichkeiten seien bis zur Insolvenzeröffnung nicht bezahlt worden. Die Beklagte habe Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Gemeinschuldnerin gehabt. Diese habe auch einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehabt. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei gegeben, da sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO auch bei Auslandsbeziehungen zu Drittstaaten allein nach der Verordnung richte, sofern sie im Eröffnungsstaat Anwendung finde.
7Der Kläger beantragt,
81. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.015,08 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit den 30.12.2009 zu zahlen.
92. die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger bezifferte Zinsen in Höhe von 582,40 € zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie rügt die internationale und örtliche Zuständigkeit des Gerichts. Sie ist der Ansicht, der in der Schweiz gelegene Wohnort der Klägerin falle nicht in den Anwendungsbereich des § 3 EuInsVO. Sie behauptet weiter, der Kläger sei damit einverstanden gewesen, dass der Zeuge B1 das Geld in Frankreich abholte und es an die Beklagte auskehrte.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist unzulässig.
16I.
17Das angerufene Gericht ist unzuständig, da sowohl eine internationale als auch eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben sind.
18Die internationale Zuständigkeit betrifft die Abgrenzung der Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegenüber der Zuständigkeit ausländischer Gerichte bei Streitigkeiten mit Auslandsberührung (Zöller-Vollkommer, § 1, Rn. 8).
191. Eine internationale Zuständigkeit ist immer dann (indirekt) gegeben, wenn eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben ist (vgl. Zöller-Vollkommer, § 1, Rn. 9 m. w. N.).
20Vorliegend ist eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben. Ein allgemeiner Gerichtsstand (§§ 13, 17 ZPO) ist im Bezirk des angerufenen Gerichts nicht gegeben, da der Wohnsitz der Beklagten in der Schweiz liegt (vgl. BGH, Urt. v. 19.05.2009, Az.: IX ZR 39/06). Ein besonderer Gerichtsstand gem. § 32 ZPO ist nicht gegeben, da es sich bei dem geltend gemachten Anfechtungsanspruch nicht um einen deliktischen Anspruch handelt (BGH, Urt. v. 19.05.2009, Az.: IX ZR 39/06 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 11.01.1990 - IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246, 247). Der besondere Gerichtsstand gem. § 19a ZPO ist ebenfalls nicht gegeben, da diese Vorschrift lediglich einen Gerichtsstand des Insolvenzverwalters in Passivprozessen begründet (BGH, Urt. v. 19.05.2009, Az.: IX ZR 39/06 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 27. Mai 2003 - IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419, 142). Auch aus Art. 102 § 1 EGInsO ergibt sich kein Gerichtsstand für Anfechtungsklagen, denn diese Vorschrift regelt lediglich die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, nicht diejenige der Streitgerichte (BGH, Urt. v. 19.05.2009, Az.: IX ZR 39/06).
212. Eine internationale Zuständigkeit folgt auch nicht aus dem Luganer Übereinkommen. Insbesondere liegt kein deliktischer Anspruch i. S. d. Art. 5 Nr. 3 vor, da Anfechtungsansprüche keine deliktischen Ansprüche darstellen (s. o.).
223. Eine internationale Zuständigkeit wird auch nicht durch § 3 Abs. 1 EuInsVO begründet. Nach dieser Vorschrift sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der Anwendungsbereich der Vorschrift im Wege einer analogen Anwendung erweitert und aus ihr die Begründung einer internationalen Zuständigkeit für Anfechtungsklagen und andere unmittelbar mit dem Insolvenzverfahren zusammenhängende Streitverfahren hergeleitet (BGH, Urt. v. 19.05.2009, Az.: IX ZR 39/06). Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall betraf die Fallkonstellation, dass in einem Mitgliedstaat (hier Deutschland) ein Insolvenzverfahren eröffnet worden war und im Rahmen eines Anfechtungsprozesses der Anfechtungsgegner seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hatte. Auf entsprechende Vorlage des Bundesgerichtshofs hatte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Urt. v. 12.02.2009, Az.: Rs. C-339/07, ZIP 2009, 427) entschieden, dass
23„Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren [...] dahin auszulegen [ist], dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind."
24Sowohl der Bundesgerichtshof als auch der Europäische Gerichtshof hatten damit nicht über die Frage zu entscheiden, ob eine internationale Zuständigkeit deutscher Gericht auch gegeben ist, wenn der Anfechtungsgegner seinen Sitz in einem Drittstaat hat.
25Zumindest für den Fall, dass ein Anfechtungsgegner seinen Sitz in einem Drittstaat hat und das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet wurde, begründet nach Ansicht der Kammer die Vorschrift des § 3 Abs. 1 EuInsVO keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.
26Die Frage, ob § 3 Abs. 1 EuInsVO für diese Fallkonstellation eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte begründet, ist – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Literatur noch nicht aufgegriffen worden. Zumeist wird generell und undifferenziert ein Drittstaatenbezug der EuInsVO oder konkret die Frage der Zuständigkeit des Insolvenzgerichts erörtert. Die hier streitgegenständliche Anfechtungssituation mit Drittstaatberührung steht dagegen nicht im Fokus. Insbesondere hat auch der vom Kläger angeführte London High Court of Justice in seinem Urteil v. 07.02.2003 (vgl. ZIP 2003, 813 [juris]) nicht über die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts für eine Anfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner mit Sitz in einem Drittstaat entschieden, sondern lediglich über die Anordnung eines Sanierungsverfahrens als Hauptinsolvenzverfahren bei Gesellschaften, die nicht in einem Mitgliedsstaat errichtet und eingetragen sind, sondern jedenfalls den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft in England haben. Auch die vom Kläger angeführte Fundstelle aus dem Münchner Kommentar (Reinhart, in MK-Inso, Band 3, 2. Aufl. 2008, EuInsVO, Art. 1, Rdnr. 15 ff) ergibt nichts Anderes. So wird dort unter der Rdnr. 25 als Voraussetzung für eine sachlich-räumliche Anwendung ausgeführt, dass der Vermögensgegenstand, der Gegenstand der anfechtbaren Amtshandlung ist, im Zeitpunkt der Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung in einem der Mitgliedsstaaten belegen war. Hier hat die Anfechtungsgegnerin, d. h. die Beklagte, ihren Wohnsitz in der Schweiz und erhielt dort von dem Zeugen B1 den streitgegenständlichen Geldbetrag überreicht. In dieser Konstellation ist auch nach der zitierten Fundstelle eine Anwendbarkeit der EuInsVO nicht gegeben.
27Nach Ansicht der Kammer kann aus § 3 Abs. 1 EuInsVO nicht hergeleitet werden, dass eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte besteht, wenn sich eine Anfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner in einem Drittstaat richtet. Jedenfalls insoweit kommt der Vorschrift nach Ansicht der Kammer keine Drittstaatenwirkung zu. Zu bedenken war in erster Linie, dass die Annahme einer internationalen Zuständigkeit sich ggü. dem Anfechtungsgegner als Rechtseingriff darstellen würde, da er gezwungen wird, sich am „Interessenort“ des Schuldners zu verteidigen. Es dürfte daher nach allgemeinen Regeln eine Ermächtigungsgrundlage bzw. Rechtsgrundlage erforderlich sein, die für Anfechtungsgegner mit Sitz in einem Drittstaat nicht in der EuInsVO gesehen werden kann, die sich bei anderem Verständnis quasi als „Vertrag zulasten Dritter“ darstellen würde. Die Begründung eines besonderen Gerichtsstands wäre im Übrigen systemwidrig, da es in Insolvenzanfechtungsprozessen grundsätzlich keinen besonderen Gerichtsstand gibt. Es war weiterhin zu berücksichtigen, dass in den Regelungen zur Zuständigkeit der Gesetzgeber eine allgemeine, an der Natur der Sache und dem Gerechtigkeitsgedanken orientierte prozessuale Lastenverteilung vorgenommen hat, die nicht lediglich „Zweckmäßigkeitsvorschriften“ darstellen; zudem gewährleisten die Zuständigkeitsregelungen den gesetzlichen Richter i. S. d. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (Zöller-Vollkommer, § 12, Rn. 3).
28Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch nach Ansicht der Kammer für andere Fragestellungen eine Drittstaatenwirkung als möglich erscheint. Dies gilt insbesondere für die Frage nach der Zuständigkeit der für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Gerichte.
293. Ist schon eine internationale Zuständigkeit nicht feststellbar, sind im Hinblick auf eine örtliche Zuständigkeit gem. § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102 § 1 EGInsO analog (vgl. BGH, Urt. v. 19.05.2009, Az.: IX ZR 39/06) keine Ausführungen erforderlich, da eine planwidrige Regelungslücke nur vorliegen würde, wenn eine internationale Zuständigkeit gegeben wäre.
30II.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
32III.
33Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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