Urteil vom Landgericht Münster - 016 O 284/09
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand
2Die Beklagten betreiben das Hotel „D“ in Ochtrup. Der Kläger war gemeinsam mit dem verstorbenen H M in der Zeit vom 14. bis zum 17.12.2005 Gast in diesem Hotel. Der Kläger verlangt Schmerzensgeld wegen eines Übergriffs eines Mitarbeiters der Beklagten am 17.12.2005 und die Feststellung der Verpflichtung, dass die Beklagten alle weiteren Schäden aus diesem Übergriff zu ersetzen haben.
3Die Beklagten beschäftigten im Hotel T I und seine Ehefrau als Reinigungskräfte. I ist türkischer Staatsangehöriger und verstand nur wenig Deutsch.
4Am Abend des 16.12.2005 aßen der Kläger und Herr M im Restaurant der Beklagten. Sie teilten der Beklagten zu 1) mit, dass sie eine Weihnachtsfeier besuchen wollten und vermutlich spät und alkoholisiert in das Hotel zurück kämen. Dem Kläger und Herrn M wurden dann Schlüssel mit der Bemerkung übergeben, sie könnten mit diesen bei der nächtlichen Rückkehr die Hoteltür öffnen.
5An diesem Abend putzte I das Hotel, nachdem seine Ehefrau schon gegangen war. Die Beklagten hatten ihm den Hotelschlüssel mit der Maßgabe überlassen, das Hotel nach Beendigung der Reinigungsarbeiten abzuschließen. Sie hatten ihn aber nicht über die noch heimkehrenden Gäste informiert. Die Beklagten waren danach zu Bett gegangen.
6Am nächsten Morgen kamen der Kläger und Herr M gegen 4 Uhr stark alkoholisiert zum Hotel zurück. Die Tür öffneten sie nicht, wobei die Gründe hierfür streitig sind. Auch betätigten sie die Klingel neben der Tür nicht. Sie froren. Deswegen klopften sie lautstark an die Tür. I befand sich zu diesem Zeitpunkt anlässlich der Reinigungsarbeiten noch im Hotelgebäude.
7I hörte das Klopfen. Nach einer gewissen Zeit ging er zur Tür und öffnete sie einen Spalt, ohne verstanden zu haben, dass es sich bei dem Kläger und Herrn M um Hotelgäste handelte. Er sagte, der Chef sei nicht da. Auch in der folgenden Konversation versuchten der Kläger und M vergeblich, I verständlich zu machen, sie seien Hausgäste.
8Dem Kläger gelang es gemeinsam mit Herrn M, die Hoteltür gegen den Widerstand des T I zu öffnen. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung schlug der Kläger oder Herr M dem I mit dem Metallanhänger des Zimmerschlüssels auf den Kopf. Danach begaben sich der Kläger und Herr M in Richtung der zu den Hotelzimmern führenden Treppe. T I holte sich indes ein Messer. Der Kläger und M ergriffen die Flucht. Außerhalb des Hauses holte I Herrn M ein und verletzte ihn schwer. Der Kläger lief daraufhin zurück in das Hotel; dabei verletzte I ihn mit dem Messer. Im Hotel fügte er dem Kläger weitere Stiche zu. Während H M kurze Zeit später seinen Verletzungen erlegen war, überlebte der Kläger. Die Beklagten unterließen es, sofort einen Notarzt zu rufen. Erst „geraume“ Zeit später rief ein hinzukommender Nachbar Hilfe.
9Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten hätten I faktisch mit dem Einlass der Gäste beauftragt, da sie ihn angewiesen hätten, den Schlüssel an der Hoteltür von innen abzuziehen.
10Der Kläger behauptet, er habe mit Herrn M versucht, die Hoteltür von außen mit dem Schlüssel zu öffnen. Dies sei ihnen aber nicht gelungen, weil von innen ein Schlüssel gesteckt habe. Den Beklagten sei bekannt gewesen, dass die Hoteltür sich nicht von außen öffnen lasse, wenn von innen ein Schlüssel stecke. Der Kläger behauptet weiter, T I habe ihm eine Vielzahl von Messerstichen zugefügt. Er habe über einen langen Zeitraum an erheblichen Schmerzen gelitten und habe ärztlich behandelt werden müssen; er habe sein Studium unterbrechen müssen. Zu den Einzelheiten wird verwiesen auf die Darstellung im Schriftsatz des Klägers vom 16.2.2011 (S. 3 f., Bl. 82 f. d. A.).
11Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten hätten durch eine Vernachlässigung der Verkehrssicherungspflicht die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Kläger schwer verletzt wurde; da die Beklagten keinen Nachtportier beschäftigten, seien sie verpflichtet gewesen, auf andere Weise die sichere Heimkehr der Gäste zu gewährleisten. Dazu hätten sie I darüber informieren müssen, dass in der Zeit seiner Anwesenheit im Hotel die Rückkehr von Gästen zu erwarten sei. Der Kläger behauptet, dass es zum Verlauf des Geschehens nicht gekommen wäre, wenn die Beklagten zuvor ihre Pflicht erfüllt hätten. Zudem hätten die Beklagten I darüber informieren müssen, dass die Hoteltür sich nicht von außen öffnen lasse, wenn von innen ein Schlüssel stecke.
12Schließlich ist der Kläger der Ansicht, es sei nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht abwegig, dass I, der die Hotelgäste für unberechtigte Eindringlinge gehalten habe, das Hotel auch mit der Hilfe eines Messers verteidigt habe.
13Der Kläger beantragt,
141. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes, in seiner Höhe in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.7.2008 zu zahlen;
152. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund der Verletzungshandlungen des Mitarbeiters T I vom 17.12.2005 entstanden ist.
16Die Beklagten beantragen,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagten sind der Ansicht, der entstandene Schaden sei ihnen nicht zuzurechnen, da er nicht vorhersehbar gewesen sei. Außerdem sei keine Kausalität gegeben. Dazu berufen sie sich darauf, dass der Kläger oder Herr M es hätten versuchen müssen, die Tür mit dem Schlüssel zu öffnen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass sie T I mit dem Metallanhänger geschlagen hätten und T I vorsätzlich und rechtswidrig in den Kausalverlauf eingetreten sei.
19Die Beklagten erheben schließlich die Einrede der Verjährung.
20Entscheidungsgründe
21Die zulässige Klage ist unbegründet.
22Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld aus §§ 253 II, 280 I BGB. Zwar spricht einiges dafür, dass der Kläger selbst einen Beherbungsvertrag mit den Beklagten geschlossen hatte oder zumindest in den Schutzbereich des Beherbergungsvertrags des M einbezogen war, sodass die Beklagten die Verpflichtung traf, Vorkehrungen zu treffen, um den ungehinderten und sicheren Eingang der Hotelgäste sicherzustellen, insbesondere durch Instruktion der Mitarbeiter. Auch ist anzunehmen, dass sie gegen diese Verpflichtung verstoßen haben und dass diese Pflichtverletzung für den Schaden des Klägers kausal im Sinne der Äquivalenztheorie geworden ist.
23Die Pflichtverletzung der Beklagten war indes nicht adäquat kausal für den beim Kläger eingetretenen Schaden.
24Ein Ereignis ist dann adäquat kausal für einen Erfolg, wenn es im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (BGH, Urt. v. 11.1.2005 – X ZR 163/02 –, NJW 05, 1420, Rz. 16; Grüneberg, in: Palandt, 70. Auflage, Vorb v § 249 Rn. 26).
25Nach dieser Maßgabe wird der Zurechnungszusammenhang durch das Dazwischentreten eines Dritten nur bei ungewöhnlich grobem Fehlverhalten oder bei krassem Versagen unterbrochen (a.a.O., Rn. 47; Oetker, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, 4. Auflage, § 249 Rn. 159). In solchen Fällen des Dazwischentretens eines Dritten muss das Verhalten des potentiellen Schädigers eine besondere Gefahrenlage für das betroffene Rechtsgut geschaffen haben; das Verhalten des potentiellen Schädigers muss das Eingreifen tendenziell begünstigt haben (Oetker, a.a.O., Rn. 151). Eine Zurechnung scheidet aus, wenn sich die Sachlage so darstellt, dass allein der Dritte Herr des Geschehens ist (Oetker, a.a.O, Rn. 152). Für eine Zurechnung spricht es, wenn sich der Dazwischentretende billigerweise zu seinem Tun herausgefordert fühlen durfte (Oetker, a.a.O., Rn. 170).
26Die mangelnde Instruktion des T I durch die Beklagten stellt ein Ereignis dar, das nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, eine derart schwere Körperverletzung, wie I sie dem Kläger beigebracht hat, zu verursachen. Die Grenze zwischen dem, was noch den Beklagten zurechenbar ist, und dem, was jenseits dessen liegt, ist zu ziehen zwischen dem Versuch des Klägers und des Gerd M, sich gewaltsam Zutritt zum Hotel zu verschaffen, und dem Abwehren des I durch das Einstechen mit dem Messer. Dass bei mangelnder Instruktion von Mitarbeitern es passieren kann, dass heimkehrende Hotelgäste vor verschlossener Türe stehen, leuchtet unmittelbar ein. Auch der Versuch der Gäste, gewaltsam in das Hotel einzudringen, schließt den Zurechnungszusammenhang nicht aus. Dass aber ein Mitarbeiter sich gegen eindringende Personen in einem Hotel mit einem gefährlichen Werkzeug zur Wehr setzt, die bestehende Auseinandersetzung somit deutlich eskaliert und nicht primär die anwesenden – wenn auch schlafenden – Inhaber informiert oder die Polizei ruft, obwohl die „Eindringlinge“ keine Anstalten zeigen, Schaden anzurichten, und dass er nicht von der sich aufdrängenden Möglichkeit – auch bei mangelnder Information durch den Hotelier im Einzelfall – ausgeht, es könnte sich um heimkehrende Hotelgäste handeln, und sich nicht entsprechend verhält, liegt so weit von jeglichen normalen Geschehensabläufen entfernt, dass eine Zurechnung unbillig erscheint. Das Verhalten des I stellt ein ungewöhnlich grobes Fehlverhalten und ein krasses Versagen dar.
27Dies gilt auch, wenn man den soziokulturellen Hintergrund des T I berücksichtigt. In der türkischen Heimat des I kann die Kenntnis der Institution „Hotel“ unzweifelhaft als bekannt vorausgesetzt werden. Das gilt hier umso mehr, als I schon seit längerem in Deutschland lebt und zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht erstmalig im Hotel "D" geputzt hat. In einem Hotel muss von der Natur der Sache her mit Personen gerechnet werden, die nicht bekannt sind.
28Für die Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs spricht der soziokulturelle Hintergrund des I auch nicht insoweit, als man bei Menschen orientalischer Herkunft – wie der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung angedeutet hat – mit einem stärkeren Beschützungsbedürfnis oder einem höheren Aggressionspotential zu rechnen hätte; bei Menschen orientalischer Prägung ist – wie auch bei allen anderen Menschen – erst dann von einem erhöhten Beschützungsbedürfnis oder Aggressionspotential auszugehen, wenn für derartige charakterliche Prägungen Anzeichen vorliegen. Das war vorliegend nicht der Fall.
29Weiter spricht gegen eine Zurechnung, dass T I die Gäste erst verletzt hat, als er diese bereits in die Flucht geschlagen hatte, indem er sich das Messer aus der Küche geholt hatte. Dies lässt nämlich I allein als Herrn des Geschehens erscheinen. Solange der Kläger und M noch im Hotel waren, konnte man bei Zugrundelegung der Vorstellung des I davon ausgehen, dass er sich zur Verteidigung des Hotels berufen fühlte. Er mag sich subjektiv verpflichtet gefühlt haben, das Gebäude gegen Eindringlinge zu verteidigen. In dem Moment aber, als diese bei Anblick des Messers flohen, stellte sich die Handlungsweise des I nur noch als sein eigenes Werk dar.
30Auch eine besondere Gefahrenlage für das Rechtsgut Gesundheit in der gegebenen Art und Weise ist nach dem zuvor Gesagten nicht gegeben. Eine mangelnde Instruktion eines Hotelmitarbeiters, Gäste einzulassen, kann zwar in adäquat kausaler Weise dazu führen, dass diese Gesundheitsschäden beispielsweise dadurch erleiden, dass sie wegen erlittener Kälte erkranken. Hierfür wird eine besondere Gefahrenlage geschaffen. Keine besondere Gefahrenlage wird aber für vorsätzliche Körperverletzungen einer Putzkraft geschaffen.
31Schließlich durfte sich I auch nicht billigerweise zu seinem Tun herausgefordert fühlen. Abgesehen von seiner Fehleinschätzung der Lage war spätestens, als der Kläger und H M die Flucht ergriffen, eine körperliche Einwirkung, zumal in diesem Ausmaß, weder rechtlich noch moralisch zu billigen.
32Auch ist ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach §§ 253 II, 280 I, 278 S. 1 BGB nicht gegeben. I hat nicht als Erfüllungsgehilfe gehandelt. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird; dabei ist erforderlich, dass die verschuldete Pflichtverletzung der Hilfsperson in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Pflicht steht; die pflichtwidrige Handlung muss in Ausführung der übertragenen Pflicht geschehen; nicht ausreichend ist, dass die Hilfsperson lediglich bei Gelegenheit ihrer Aufgabenerfüllung eine Pflichtverletzung begeht (Grüneberg, in: Palandt, 70. Auflage, § 278 Rn. 7, 20)
33Vorliegend war der Mitarbeiter I zur Reinigung der Räumlichkeiten des Hotels der Beklagten berufen. Jedoch standen die Angriffe des I auf den Kläger in keinem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit als Putzkraft. I war nicht von den Beklagten mit der Bewachung und dem Schutz des Hotels beauftragt; auch war er zu keinem Gästekontakt (wie Ausgabe der Schlüssel) ermächtigt. Dass I das Hotel und sich selbst vermeintlich geschützt hat, stellt einen Exzess dar, den er lediglich gelegentlich – nicht in Ausführung – der Reinigungsarbeiten vorgenommen hat.
34Die Stellung als Erfüllungsgehilfe lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 5.1.2011 behauptet, die Beklagten hätten I angewiesen, den von innen steckenden Schlüssel an der Hoteltür abzuziehen; er meint, damit hätten die Beklagten I stillschweigend-faktisch mit dem Einlass der Gäste beauftragt. Das Gericht musste dieser Behauptung aus mehreren Gründen nicht nachgehen. Es handelt sich um eine Behauptung ins Blaue hinein, ohne dass es dafür irgendwelche Anhaltspunkte gibt. Sie ist erkennbar allein dadurch motiviert gewesen, dass das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 22.12.2010 – 30 W 70/09 –, S.5, dies als mögliches Kriterium für eine Zurechnung genannt hat. Der gesamte Geschehensablauf spricht gegen diesen Hergang. Hätten nämlich die Beklagten I dazu angewiesen, den Schlüssel abzuziehen, so hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach diese Weisung befolgt, und es wäre nicht zum tragischen Verlauf gekommen.
35Auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Beklagten aus §§ 253 II, 280 I BGB wegen des angeblich verspäteten Herbeirufens von Notarzt und Krankenwagen besteht nicht. Der Kläger hat die Umstände dieser Verspätung nicht hinreichend genau dargetan. Um die erlittenen Schmerzen aufgrund der Verzögerung einer ärztlichen Behandlung bewerten zu können, ist eine – zumindest ungefähre – zeitliche Eingrenzung der Verspätung erforderlich.
36Eine deliktische Haftung der Beklagten scheitert ebenso. Eine Haftung nach §§ 823 I, II BGB, § 229 StGB ist nicht gegeben, da das Verhalten der Beklagten nicht adäquat kausal zu einer Rechtsgutsverletzung des Klägers geführt hat.
37Auch eine Haftung nach § 831 BGB I 1 besteht nicht, da I dem Kläger den Schaden nicht in Ausführung einer Verrichtung, zu der die Beklagten ihn bestellt hatten, zufügte. I hat lediglich gelegentlich der ihm übertragenen Verrichtung gehandelt. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zur Frage des § 278 S. 1 BGB verwiesen werden.
38Aus den gleichen Gründen konnte der Feststellungsantrag keinen Erfolg haben.
39Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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