Urteil vom Landgericht Münster - 08 O 519/11
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2012 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, die Klägerin von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 402,82 € freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin ging am 21.12.2010 gegen 15.00 Uhr von der T aus Richtung Innenstadt kommend über die L, um die L zu überqueren und der T im weiteren Verlauf zu folgen. Sie kam auf der Mitte der Fahrbahn der L nahe des Kreuzungsbereiches zur T zu Fall. Die Klägerin trug der Witterung entsprechende Schuhe. Bei dem Sturz zog sich die Klägerin einen Bruch des Speichenknochens des rechten Armes kurz oberhalb des Handgelenkes (distale Radiusextensionsfraktur) zu. Die Klägerin wurde mittels Rettungswagen ins G-Hospital in N verbracht, wo der Bruch operativ versorgt wurde, indem die Bruchstelle mit Platten und Schrauben fixiert wurde. Die Klägerin wurde am 23. Dezember 2010 aus dem Krankenhaus entlassen. Die Klägerin musste für 14 Tage eine Unterarmgipsschiene tragen und benötigte bis einschließlich zum 13. Februar 2011 eine Hilfskraft für den Haushalt, da sie aufgrund der Verletzung nicht in der Lage war, diesen zu führen. Bei einer weiteren Operation am 16.02.2012, welche ambulant durchgeführt wurde, wurden die eingebrachten Platten und Schrauben entfernt. Bis zu dieser Operation litt die Klägerin insbesondere bei Wetteränderungen unter Schmerzen im Bereich des rechten Handgelenkes. Nach der Operation verbleibt eine Narbe. Ferner litt die Klägerin an den üblichen Nachwirkungen einer solchen Operation.
3Die Klägerin behauptet, die L im Bereich der Kreuzung T sei nicht von Eis und Schnee geräumt gewesen. Unter dem Schnee sei Glatteis vorhanden gewesen, welches für sie nicht erkennbar gewesen sei. Es sei auch nicht gestreut gewesen. Auch die T sei nicht von Eis und Schnee geräumt und gestreut gewesen.
4Nachdem die Entfernungsoperation durchgeführt worden ist, hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2012 den zunächst angekündigten Feststellungsantrag unter Ziffer 2) der Klageschrift für erledigt erklärt. Dieser Erledigungserklärung hat sich die Beklagte angeschlossen.
5Die Klägerin beantragt nunmehr,
6die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
7die Beklagte weiter zu verurteilen, die Klägerin von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 402,82 € freizustellen.
8Die Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie ist der Ansicht, der Winterdienst sei durch die Straßenreinigungssatzung der Beklagten wirksam den Anliegern übertragen worden. Nach § 2 Abs. 2 c in Verbindung mit § 3 Abs. 4 der Satzung seien Anlieger von Eckgrundstücken bei Schnee- und Eisglätte verpflichtet, in Fortsetzung der an ihrem Grundstück entlangführenden Gehwege jeweils bis zur Mitte der Fahrbahn Winterdienst zu leisten, soweit dies unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse zumutbar sei. Da die L für den Verkehr eine untergeordnete Bedeutung habe, sei den Anliegern der Eckgrundstücke T/L die Räumung der Fahrbahn der L auch zumutbar. Eine Überwachung der Straßenreinigungspflicht sei durch die Ordnungsbehörde durchgeführt worden, die im Rahmen der allgemeinen Überwachung des Verkehrs im Rahmen ihrer regelmäßigen Kontrollgänge auch Auffälligkeiten gemeldet hätten, wenn Anlieger ihrer Verpflichtung zum Winterdienst nicht ordnungsgemäß nachgekommen seien. Die Beklagte ist ferner der Ansicht, die Klägerin habe sich ein Mitverschulden anrechnen zu lassen. Dazu behauptet die Beklagte, die T sei morgens zwischen 5.30 Uhr und 7.15 Uhr geräumt und mit Splitt gestreut worden. Dies habe die Klägerin erkennen können und hätte daher am Ende der Fußgängerzone der T die Fahrbahn der T nutzen sollen.
11Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
12Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen I, C und M. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 2.Mai 2012 Bezug genommen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Die Klage ist zulässig und begründet.
15I.
16Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus Artikel 34 GG in Verbindung mit §§ 839 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Die Beklagte hat es unterlassen, einen Fußgängerüberweg über die L im Bereich der T zu streuen, so dass die Klägerin beim Überqueren der L stürzte und sich verletzte.
171.
18Die Beklagte ist gemäß § 1 Abs. 1 Straßenreinigungsgesetz NRW verpflichtet, die Straßen zu reinigen und die Winterwartung vorzunehmen. Letztere umfasst nach § 1 Abs. 2 Straßenreinigungsgesetz NRW das Schneeräumen auf den Fahrbahnen und Gehwegen sowie das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und gefährlicher Stellen auf den Fahrbahnen bei Schnee- und Eisglätte. Es sind nicht nur besonders gekennzeichnete Fußgängerüberwege, sondern auch solche Straßenübergänge streupflichtig, auf denen lebhafter Fußgängerverkehr herrscht („unentbehrliche Fußgängerüberwege“) (OLG Hamm, NVWZ-RR 2003, 885, 886 m.w.N.). Ein solcher ist vorliegend gegeben.
19Unstreitig handelt es sich bei der T um eine der wichtigsten innerstädtischen Einkaufsstraßen und eine der Hauptverbindungen zwischen Innenstadt und Hauptbahnhof. Im streitgegenständlichen Bereich endet die Fußgängerzone der T und geht in eine Fahrstraße über. Fußgänger, die aus der Innenstadt kommen, müssen, um dem rechten Bürgersteig im weiteren Verlauf der T zu folgen, die L überqueren (siehe Kartenausschnitt Bl. 30 d.A.). Es handelt sich daher um einen viel frequentierten Fußgängerüberweg am Ende der Fußgängerzone.
20Die Räum- und Streupflicht ist bezüglich der L bzw. des streitgegenständlichen Fußgängerüberwegs auch nicht auf die Anwohner übertragen worden. Zwar kann gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 des Straßenreinigungsgesetzes NRW die Reinigung der Fahrbahn den Eigentümern der an die Straße angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke übertragen werden, soweit dies unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse zumutbar ist. Die N1 hat hiervon in § 2 Abs. 4 der Straßenreinigungssatzung vom 17.12.1984 Gebrauch gemacht. Die streitgegenständliche L ist jedoch keine der in der Anlage zu der Satzung in Spalte A gekennzeichneten Straßen, deren Winterwartung den Anliegern übertragen worden ist.
21Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 des Straßenreinigungsgesetzes NRW können die Gemeinden die Reinigung der Gehwege durch Satzung den Eigentümern der angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke auferlegen. Gemäß § 2 Abs. 2 c der Satzung über die Straßenreinigung in der N1 vom 17.12.1984 ist allen Anliegern die Winterwartung der Geh-/Wohnwege auferlegt worden. Gemäß § 3 der Satzung ist Art, Maß und Umfang der Reinigungspflicht der Anlieger näher definiert. In § 3 Abs. 4 der Straßenreinigungssatzung heißt es „Anlieger, deren Grundstücke an Straßenkreuzungen oder –einmündungen liegen (Eckgrundstücke), haben bei Schnee- oder Eisglätte in Fortsetzung der an ihrem Grundstück entlangführenden Gehwege jeweils bis zur Mitte der Fahrbahn durch Streuen mit abstumpfenden Mitteln oder durch Beseitigung von Eis und Schnee einen Überweg für Fußgänger zu sichern, soweit dies unter Berücksichtigung der Verkehrsverhältnisse zumutbar ist. Dies gilt nicht bei Straßen, in deren Zuge die Fußgängerüberwege durch Lichtzeichenanlagen oder Fahrbahnmarkierungen festgelegt sind; die Winterwartung führt die Stadt durch. Liegen die amtlich gekennzeichneten Überwege einer Straße so weit voneinander entfernt, dass für zwischen ihnen liegende Straßenkreuzungen und –einmündungen Überwege notwendig sind, so obliegt auch deren Sicherung der Winterwartung der Stadt.“.
22Danach wird den Anliegern, denen nach § 2 Abs. 2c der Straßenreinigungssatzung die Winterwartung der Gehwege auferlegt worden ist, auch die Winterwartung von Fahrbahnteilen übertragen. Die Auslegung führt jedoch dazu, dass eine Übertragung der Winterwartungspflicht der Beklagten für Fußgängerüberwege im Sinne von § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Straßenreinigungsgesetz NRW nicht erfolgt ist. Sinn und Zweck dieser Regelung ist, eine sichere Verbindung für Fußgänger zwischen den geräumten Gehwegen zu schaffen, nicht jedoch, die Beklagte von ihrer Verpflichtung zur Ausübung des Winterdienstes auf Fahrbahnen gemäß § 1 Abs. 1 und 2 des Straßenreinigungsgesetzes NRW zu entlasten. In erster Linie kann sich die Räumpflicht der Anwohner im Fahrbahnbereich daher nur darauf beziehen, Fußgängern einen Zugang zu der grundsätzlich von der Beklagten zu räumenden Straße zu schaffen, z. B. durch Beseitigung der vom Schneepflug aufgehäuften Schneemassen am Straßenrand oder das Räumen und Streuen der Verbindung zwischen den Gehwegen bei nicht verkehrswesentlichen Straßen, bei denen keine (unentbehrlichen) Fußgängerüberwege vorhanden sind. Dafür spricht die weitere Regelung in § 3 Abs. 4 S. 2 und 3 der Straßenreinigungssatzung der Beklagten. Danach ist die Beklagte verpflichtet, die Fußgängerüberwege durch Winterwartung zu sichern, die durch Lichtzeichenanlagen oder Fahrbahnmarkierungen festgelegt sind. Ebenso gilt die Übertragung der Winterwartung auf die Anlieger nicht, wenn die amtlich gekennzeichneten Überwege einer Straße so weit voneinander entfernt liegen, dass für zwischen ihnen liegende Straßenkreuzungen und –einmündungen Überwege notwendig sind. Dies spricht dafür, dass nicht die Verpflichtung der Stand zum Räumen und Streuen der Fußgängerüberwege im Sinne von § 1 Abs. 2 c Straßenreinigungsgesetz NRW übertragen werden sollte. Bei der Auslegung ist auch zu berücksichtigen, dass der Pflichtenumfang der Winterwartung, wenn sie auf die Anlieger abgewälzt wird, so klar umschrieben werden muss, dass die betroffenen Anwohner darüber nicht im Zweifel sein können (OLG Hamm, NZV 2001, 381, 382). Bei der Beurteilung, ob ein Fußgängerüberweg in diesem Sinn vorliegt, ist im Hinblick auf die Winterwartung nicht in erster Linie auf die Verkehrsbedeutung und die Gefährlichkeit des Fahrbahnbereiches, also die für die Sicherung des Fahrverkehrs aufgestellten Erfordernisse abzustellen(OLG Hamm, Urt. v. 10.10.1995, Az. 9 U 94/95 Rdnr. 6 zitiert nach Juris). Vielmehr unterliegen auch solche Passagen über die Fahrbahn der Streupflicht, an denen eine Fahrbahnüberquerung unentbehrlich ist und ständig erheblicher Fußgängerverkehr herrscht (OLG Hamm, a.a.O). Darauf, ob im weiteren Verlauf der L amtlich gekennzeichnete Fußgängerüberwege vorhanden sind, kommt es daher nicht an, da die amtliche Kennzeichnung von Fußgängerüberwegen im Sinne von § 26 StVO sich in erster Linie nach der Verkehrsbedeutung und der Gefährlichkeit des Fahrbahnbereiches richtet.
232.
24Zur Überzeugung des Gerichts steht aufgrund der Anhörung der Klägerin sowie aufgrund der überzeugenden Aussagen der Zeugen I und C wie auch den von der Beklagten vorgelegten Wetterinformationen (Bl. 57 ff. d.A.) fest, dass zu dem Zeitpunkt am 21.12.2010, als die Klägerin stürzte, die L mit einer geschlossenen Schneedecke bedeckt und glatt war. Die Klägerin hat detailreich den Zustand der Straße beschrieben. Das Gericht hat keine Zweifel an dem von der Klägerin beschriebenen Straßenzustand. Die Einlassung der Klägerin wird auch durch die Aussagen der Zeugen I und C gestützt. Die Zeugen I und C konnten sich an den genauen Zustand der Straße zwar nicht mehr erinnern, sie haben jedoch beide übereinstimmend und glaubhaft berichtet, dass sie an dem Tag mehrere, nach der Aussage des Zeugen I mindestens drei, Einsätze in dem Bereich der Kreuzung L/T hatten und es sich dort jeweils um chirurgische Verletzungen gehandelt hat. Dies spricht dafür, dass es an dem Tag in diesem Bereich glatt war, wodurch mehrere Personen zu Fall gekommen sind. Auch hat der Zeuge I überzeugend ausgesagt, dass es in diesem Zeitraum viel geschneit hat. Daran könne er sich erinnern, weil bei seiner nächsten Schicht am 24. Dezember 2010 ein Dach einer Sporthalle eingestürzt war. Auch die Beklagte ging davon aus, dass die Straßen glatt waren. Aus dem vorgelegten Räum- und Streubericht für den 21.12.2010 ergibt sich, dass die Beklagte vom Vorliegen von Eisglätte auch im Innenstadtbereich ausging. Dies geht auch aus der amtlichen Warnung vor Glätte für den 21.12.2010 von 10:09 Uhr bis 20:00 Uhr hervor (Bl. 58 d.A.). Ferner ergibt sich aus der Straßenwettervorhersage vom 20.12.2010, 13.00 Uhr bis 21.12.2010, 13:00 Uhr, dass es in den Tagen zuvor geschneit hatte. Dort heißt es „Heute fällt nur noch örtlich geringer Schnee. ... Es muss aber noch verbreitet mit Behinderungen durch Schnee, Matsch und Eis gerechnet werden. ..“.
25Dass die Fahrbahn der L oder ein Fußgängerüberweg über die L durch die Beklagte geräumt worden ist, hat auch diese nicht behauptet.
263.
27Die Klägerin hat sich auch kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB anrechnen zu lassen. Selbst wenn die Fahrbahn der T im weiteren Verlauf geräumt und mit Splitt gestreut war, war es der Klägerin nicht zuzumuten, entgegen § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 StVO die Fahrbahn der T zu nutzen.
284.
29Unter Berücksichtigung der von der Klägerin unstreitig erlittenen Verletzung (Radiusextensionsfraktur), welche operativ versorgt werden musste und eines stationären Aufenthalts von drei Tagen, einer Versorgung mit einer Unterarmgipsschiene von 14 Tagen und einer völligen Einschränkung im Haushalt, so dass eine Haushaltshilfe beschäftigt werden musste bis zum 13. Februar 2011, der Entfernungsoperation, der erlittenen Schmerzen sowie der verbleibenden Narbe hält das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 3.000,-- € für angemessen aber auch ausreichend.
30Die Klägerin hat weiter Anspruch auf Freistellung der außergerichtlichen Kosten, welche durch die Beauftragung ihres Rechtsanwalts entstanden sind. Angesichts der komplizierten Rechtslage war die Vertretung durch einen Anwalt erforderlich. Die Kosten waren im Hinblick auf die damals noch ungewisse weitere Entwicklung der Verletzung nach einem Streitwert von 4.000,-- € auch angemessen.
31II.
32Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91 a BGB. Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Feststellungsantrages übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren der Beklagten ebenfalls die Kosten aufzuerlegen. Da zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Entfernungsoperation noch nicht durchgeführt worden war und nicht abzusehen war, wie die weitere Entwicklung der Operation ist, war der Feststellungsantrag begründet. Ein Feststellungsinteresse der Klägerin war gegeben.
33III.
34Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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