Urteil vom Landgericht Münster - 04 O 155/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 54.000,00 € festgesetzt.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin macht einen Anspruch für psychische Spätfolgeschäden aus behaupteten Misshandlungen während der Heimerziehung in ihrer Kindheit geltend. Der Beklagte ist die heute entsprechend zuständige Aufsichtsbehörde.
3Die Klägerin wurde am XXXX geboren.
4Sie behauptet, sie habe sich in den Jahren 1945 bis 1964 im Kinderheim „N“ in O befunden. Dieser Aufenthalt im Kinderheim gehe auf den Beklagten zurück. Ferner sei die Vormundschaft der Klägerin auf Frau G. M, die vermutliche damalige Leiterin des Kinderheims, übertragen worden.
5Während des Aufenthalts im Kinderheim sei es zu massiven körperlichen und seelischen Misshandlungen sowie Zwangsarbeiten innerhalb und außerhalb des Heims gekommen.
6Zu den Arbeiten hätte unter anderem das Ausmisten von Schweineställen, das Beaufsichtigen von anderen Heimkindern sowie Hausarbeiten gezählt.
7Zu den psychischen Misshandlungen hätte bei Bettnässern beispielsweise gezählt, dass diese Kinder zurück in die nassen Betten gesteckt worden seien. Außerdem habe die vermutliche Leiterin des Kinderheims, Frau M, der Klägerin regelmäßig gesagt, dass ihre Mutter beziehungsweise ihre Familie sie nicht haben wolle.
8Zu den körperlichen Misshandlungen hätten Schläge beziehungsweise Prügel mit allen erdenklichen Gegenständen, insbesondere einer sogenannten „Klopfpeitsche“ oder „Klopppeitsche“, gehört. Außerdem seien die Klägerin und die anderen Kinder mit Nahrungsentzug bestraft worden. Man sei regelmäßig ohne Essen in die Schule oder ins Bett geschickt worden. Sofern sich die Kinder beim Essen hätten übergeben müssen, seien sie gezwungen worden, das Erbrochene zu essen.
9Bestrafungen habe es schon bei geringem Anlass gegeben, beispielsweise dem bloßen Husten während des Gottesdienstes in der Kirche.
10Die Bestrafungsaktionen seien teils auch von zwei Personen des Erziehungspersonals durchgeführt worden, um den Kindern eine Gegenwehr zu erschweren.
11Während der Schulzeit hätten die Kinder auch versucht, sich ihren Lehrerinnen, Frau M. X und Frau M. I, anzuvertrauen. Hierauf sei jedoch keine erkennbare Reaktion erfolgt.
12Die Klägerin behauptet, neben den körperlichen Verletzungen auch massive psychische beziehungsweise seelische Schäden erlitten zu haben. Bei ihr seien insbesondere Unruhezustände, Angstgefühle und Depressionen aufgetreten. Diese psychischen Folgeerscheinungen seien erst im Februar 2010 akut aufgetreten, als in den Jahren 2009 und 2010 in den Medien in massivem Umfang über das Schicksal von Heimkindern seit 1945 berichtet worden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie die Vorkommnisse verdrängt. Infolge der wieder wachgerufenen Erinnerung befinde sie sich seit Februar 2010 in psychotherapeutischer Behandlung.
13Sie ist der Ansicht, der Beklagte sei bereits damals für die Heimaufsicht auch über das Kinderheim „N“ zuständig gewesen.
14Hierzu trägt sie vor, der Beklagte habe seine Aufsichtspflichten verletzt, da ihm die Behandlung beziehungsweise Misshandlung der Kinder durch das Personal auch bei stichprobenartiger Kontrolle hätte auffallen müssen. Die erlittenen Misshandlungen würden gravierende Rechts- und Menschenrechtsverletzungen darstellen, wie sie bereits in der Zeit des Nationalsozialismus beziehungsweise in der DDR vorgekommen seien. Das gesamte System sei darauf angelegt gewesen, den Kindern durch unzureichend qualifizierte Erzieher systematischen Gehorsam beizubringen und die Kinder durch Arbeit auszubeuten. Dementsprechend habe den Beklagten ein Schutzauftrag hinsichtlich der Kinder aus Artikel 6 Grundgesetz getroffen.
15Sie behauptet, der Beklagte habe auch positive Kenntnis von den Vorkommnissen gehabt, wie ein Auszug aus dem Archivmaterial des Landesarchivs Westfalen belege (vgl. Blatt 98 ff. der Gerichtsakte).
16Sie ist der Ansicht, eine konkrete Benennung der Misshandlungen beziehungsweise Arbeiten, bezogen auf feststellbare Zeitpunkte, könne nicht von ihr verlangt werden. Insofern müsse mit Hilfe eines Sachverständigen ermittelt werden, welche Misshandlungen die Klägerin wann erfahren habe. Dies begründet sie damit, dass die Traumatisierung einen entsprechenden Zugriff auf die Erinnerungen nicht ausreichend zulasse.
17Die psychischen Folgen hätten eine Verfolgung des Anspruchs auch nach Volljährigkeit für sie unmöglich gemacht, sodass dementsprechend eine Hemmung der Verjährung nach § 210 BGB vorliege. Aufgrund der traumatischen Erlebnisse sei sie zumindest partiell nicht geschäftsfähig gewesen.
18Die Klägerin beantragt,
19den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 54.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Der Beklagte behauptet, er habe den Aufenthalt der Klägerin im Heim „N“ nicht veranlasst oder auch deren Vormundschaft nicht übertragen. Eine Übertragung der Vormundschaft sei auch zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich nur durch die Gerichte erfolgt. Auch in den Archiven sei keine Spur von der Klägerin zu finden gewesen. Daher sei vermutlich ein anderes Landesjugendamt beziehungsweise ein Gericht für eine etwaige Unterbringung der Klägerin im besagten Kinderheim verantwortlich. Ferner sei die Jugendfürsorge lange Zeit uneinheitlich geregelt gewesen. Erst ab dem Jahr 1963 habe dem Beklagten die Heimaufsicht, nach einer Neufassung des JWG, oblegen.
23Der Beklagte beruft sich außerdem auf die Einrede der Verjährung.
24Die Klage ist am 16.04.2012 zugestellt worden.
25Für die weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gelangten Unterlagen Bezug genommen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
28Der Klägerin steht kein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zu.
29Die Klägerin ist hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen vollständig darlegungs- und beweispflichtig.
30Es bedarf daher grundsätzlich eines hinreichend substantiierten Vortrages durch die Klägerin. Dabei ist hinsichtlich des Umfanges der Substantiierung die Situation der Klägerin soweit zu berücksichtigen ist, dass keine unmöglichen Anforderungen an den Vortrag gestellt werden dürfen. Eine pauschale Beweislastumkehr - wie die Klägerin meint - würde dem Beklagten eine Verteidigung gegen die Klage unmöglich machen, da er insofern negative Tatsachen beweisen müsste. Der klägerische Vortrag muss daher so konkret sein, dass er eine Verteidigung des Beklagten erlaubt. Soweit die Klägerin eine allgemeine Ermittlung ihrer Erlebnisse durch einen Sachverständigen begehrt, wäre dies ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.
31Die Passivlegitimation des Beklagten wurde - zumindest bis zum Jahr 1963 - durch die Klägerin, unter Berücksichtigung der oben dargestellten Kriterien nicht ausreichend dargetan. Die Passivlegitimation richtet sich danach, wer der Schuldner aus dem jeweils geltend gemachten Anspruch ist. Im Falle des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG richtet sich der Anspruch gegen die jeweilige Köperschaft deren „Beamte“ eine Amtspflicht, die dem Dritten gegenüber besteht, verletzen. Beim Beklagten handelt es sich grundsätzlich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.
32Eine Aufsichtspflicht des Beklagten über das Kinderheim „N“ vor 1963 ist jedoch nicht ersichtlich, sodass insofern auch keine Aufsichtspflichtverletzung bestehen kann.
33Die Klägerin beruft sich auf Ansprüche, die aus einer Aufsichtspflichtverletzung des Beklagten resultieren sollen. Sie müsste daher dartun, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der behaupteten Misshandlung tatsächlich die Heimaufsicht über das Kinderheim „N“ inne hatte oder aber zumindest Rechtsnachfolger der seinerzeit aufsichtspflichtigen Behörde ist. Hinsichtlich einer etwaigen Rechtsnachfolge ist dabei jedoch zu beachten, dass grundsätzlich der jeweilige Rechtsvorgänger weiterhin Anspruchsgegner bleibt (vgl. Palandt/Sprau, 70. Aufl. 2011, § 839 Rn. 29/30).
34In der Zeit, als sich die Klägerin im Kinderheim befand, kam es zu zahlreichen Änderungen im JWG bzw. den jeweiligen vorangegangenen Gesetzen. Insbesondere herrschte vor Einführung des JWG eine Zersplitterung der Zuständigkeiten hinsichtlich der Heimaufsicht vor. Diese resultierte aus den Folgen des zweiten Weltkrieges und der damit einhergehenden Auflösung des ehemaligen Landes Preußen durch die britische Militärregierung sowie die Bildung des Landes NRW im Jahre 1946. Auch danach bestanden zum Teil noch Kompetenzen der vor 1946 bestehenden alten Provinzialverwaltungen teilweise fort. Eine sicher bestehende Aufsichtspflicht lag für den Beklagten erst durch die Neufassung des JWG im Jahre 1963 vor. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass den Parteien grundsätzlich nur der Tatsachenvortrag obliegt. Vorliegend ist aber gerade keine normierte Zuständigkeit des Beklagten für die Heimaufsicht vor dem Jahr 1963 zu erkennen.
35Die Klägerin hat dem langen Zeitraum ihres Heimaufenthaltes von 1945 bis 1964 im Hinblick auf die unklare Zuständigkeitsverteilung nicht ausreichend Rechnung getragen. Es fehlt in weiten Teilen des Vortrags an ausreichenden Anknüpfungspunkten, aus welchen konkreten Normen sich die Aufsichtspflicht herleiten lassen soll.
36Selbst wenn man entsprechend des letzten Schriftsatzes der Klägerin vom 04.09.2012 (Bl. 204 d. A.) eine Aufsichtspflicht des Beklagten vor 1963 unterstellen würde, wäre der Vortrag der Klägerin jedenfalls nicht ausreichend, um eine Aufsichtspflichtverletzung, bis zum Jahr 1963 bzw. ab dem Jahr 1963 bis zur Entlassung der Klägerin aus dem Kinderheim, zu belegen.
37Es oblag dem Beklagten allenfalls eine mittelbare Kontrolle der Kinderheime (vgl. Frankfurter Kommentar zum JWG, 1978, S. 347). Eine Aufsichtspflicht unterstellt, traf den Beklagten eine Fachaufsicht lediglich dahingehend, dass die Erziehungsanstalten geeignet waren, um die Fürsorgeerziehung zu gewährleisten (vgl. Potrykus, Kommentar zum RJWG, 1953, S. 130; S. 256). Dies würde beispielsweise die Ausarbeitung grundsätzlicher Anordnungen erfordern (vgl. vgl. Potrykus, Kommentar zum RJWG, 1953, S. 332). Hieraus ergibt sich aber gerade keine direkte Überprüfungspflicht in den Kinderheimen, sondern lediglich die Verpflichtung einen ordnungsgemäßen Heimbetrieb zu gewährleisten, indem eine entsprechende Qualifikation und Bestand des Personals gewährleistet wird (vgl. Urt. d. LG Köln v. 05.06.2012 - 5 O 418/11 -, s. auch Bl. 156 ff. d. A.). Die darlegungspflichtige Klägerin hat insofern keine Angaben zum Personal des Jugendheims bzw. zu dessen Qualifikation gemacht, sondern sich auf den nicht näher konkretisierten Vorwurf beschränkt, das Personal sei völlig unqualifiziert gewesen. Hierdurch lässt sich aber gerade keine Verletzung dieser mittelbaren Kontrollpflicht entnehmen.
38Auch soweit sich die Klägerin auf etwaige Vermerke aus dem Landesarchiv für das Jahr 1965 bezieht, ist nicht ersichtlich, inwiefern dies eine Kenntnis des Beklagten von der Situation im Kinderheim „N“ belegen soll. Der Vermerk datiert auf einen Zeitpunkt nach der Entlassung der Klägerin aus dem Kinderheim und ist im Übrigen zu allgemein gehalten, um Rückschlüsse für das Heim „N“ zuzulassen (vgl. Bl. 98 ff. der Gerichtsakte). Der Vermerk dokumentiert eine allgemeine Besprechung der Landesjugendämter Rheinland und Westfalen-Lippe. Die Besprechung befasst sich mit den allgemeinen Anforderungen bzw. Ressourcen die notwendig sind eine Heimaufsicht zu gewährleisten. Wobei insofern festgestellt wurde, dass die jeweiligen Heimträger in „ihren Erziehungs- und Betreuungsmethoden“ (vgl. Bl. 101 der Gerichtsakte), solange das „Wohl der Minderjährigen nicht gefährdet wird“ (wie vor). Auf konkrete Heime, insbesondere das Kinderheim „N“ wird ausweislich des Vermerks zu keinem Zeitpunkt abgestellt. Auch aufgrund des Datums des Vermerks aus dem Jahr 1965 können keine Rückschlüsse auf die Jahre 1945 bis 1964 gezogen werden.
39Aus Art. 6 GG ergibt sich ebenfalls keine gesteigerte Verpflichtung des Beklagten über das dargestellte Maß hinaus. Art 6 GG normiert unter anderem eine Schutzpflicht des Staates für die Familie. Insofern besteht für den Staat jedenfalls im Allgemeinen eine Pflicht das Kindeswohl sicherzustellen. Dabei wirkt das Grundgesetz unmittelbar nur zwischen dem Staat und dem Bürger.
40Vorliegend handelt es sich beim Beklagten um eine öffentlich rechtliche Körperschaft, sodass dieser grundsätzlich durch das Grundgesetz verpflichtet sein kann. Es ist aber nicht erkennbar, wieso gerade der Beklagte aufgrund von Art. 6 GG dazu verpflichtet sein sollte, das Kinderheim „N“ über die erörterten Grundsätze hinaus zu kontrollieren. Insofern wäre jedenfalls der Heimträger, beziehungsweise die für den Aufenthalt der Klägerin verantwortliche Stelle, primär für die Kontrolle der behaupteten Heimzustände aufsichtspflichtig gewesen. Ein Durchgriff des Schutzauftrages des Art. 6 GG auf den Beklagten erschließt sich insofern nicht.
41Die seinerzeitige Mitteilung an ihre Lehrerinnen Frau I und Frau X über etwaige Misshandlungen belegt auch keine Kenntnis des Beklagten über die Lage der Klägerin. Es ist völlig unklar, ob bzw. an wen die Lehrerinnen die Mitteilung der Klägerin überhaupt weitergeleitet haben.
42Auch die von der Klägerin vorgetragene Übertragung ihrer Vormundschaft durch den Beklagten ist nicht ausreichend substantiiert. Wie die Beklagte zutreffend ausführt, oblag die Übertragung der Vormundschaft bereits damals allein den Gerichten. Wieso die Übertragung der Vormundschaft gleichwohl durch die Beklagten erfolgt sein soll, ist nicht ersichtlich.
43Die von der Klägerin geschilderten Missstände entsprechen auch im Übrigen nicht den Anforderungen an einen hinreichend substantiierten Vortrag, der sich auf konkrete Angaben zu den Zuständen bezieht. Die Klägerin befand sich insgesamt fast 20 Jahre im Kinderheim N. Sie müsste daher einzelne, auf konkrete Misshandlungen und auf bestimmte Personen sowie zeitlich eingrenzbare Vorfälle schildern. Eine exakte Bestimmung der behaupteten Misshandlungen in tatsächlicher wie zeitlicher Hinsicht kann zwar nicht erwartet werden, da solche konkreten Angaben der Klägerin wegen ihres teilweise jungen Alters und des langen Zeitraums im Kinderheim nicht möglich sein dürfte. Jedoch ist von der Klägerin zu verlangen, dass sie die etwaigen Vorfälle mit bestimmten anderen zeitlich eingrenzbaren Ereignissen in ihrem Leben in Verbindung bringt und eingrenzt was ihr zu diesen Zeitpunkten widerfahren sein soll. Anderenfalls würde dem Beklagten eine sachgerechte Verteidigung gegen die Vorwürfe unmöglich gemacht. Die Klägerin beschränkt sich in ihrem Vortrag jedoch immer nur auf zeitlich nicht näher abgegrenzte allgemeine Schilderungen, die einen konkreten Bezug zum Leben der Klägerin und ihrem persönlichen Erleben vermissen lassen. Das gilt sogar dann, wenn sie - wie im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 04.09.2012 - nach konkreten Stationen in ihrem Leben gefragt wird.
44So hat die Klägerin nicht ausreichend differenziert vorgetragen, welche Misshandlungen sie selbst erlitten haben will und welche Übergriffe andere Kinder im Kinderheim N zu erdulden hatten. Sie beschränkt sich auch hier stets auf allgemeine Schilderungen der Heimverhältnisse. Dies zeigt sich auch daran, dass die Klägerin zunächst auch sexuellen Missbrauch anführt (vgl. Klageschrift v. 13.03.2012, Bl. 30 d. A. und Schriftsatz vom 23.07.2012, Bl. 90 d. A.), sodann in der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2012 aber einräumt, sie selbst sei nie sexuell missbraucht worden (Vgl. Bl. 198 d. A.).
45Auch ist der Vortrag der Klägerin, durch wen die Vorkommnisse erfolgt sein sollen, nicht ausreichende substantiiert. Als konkrete Person benennt die Klägerin als Peinigerin lediglich eine Frau G. M. Sie bezieht sich jedoch auch immer wieder auf anderes Personal, welches sie jedoch nicht mit Namen angibt oder auf andere Weise anhand bestimmter Merkmale individualisiert. Dabei belegt die Erwähnung der Frau M sowie ihrer Lehrerinnen Frau I und Frau X, dass die Klägerin durchaus in der Lage ist, Personen aus der Zeit ihres Heimaufenthaltes zu benennen.
46Ein möglicher Anspruch der Klägerin wäre überdies verjährt. Der Beklagte hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen.
47Die Höchstfrist für die Verjährung beträgt sowohl im alten Recht, wie auch nach der aktuellen Rechtslage gem. § 199 Abs. 2 BGB zunächst 30 Jahre. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Kenntnis vom Schädigungsvorfall gegeben ist. Die Frist beginnt dabei mit Ablauf des Jahres zu laufen, in dem der geltend gemachte Anspruch entstanden ist. Bei nicht voll Geschäftsfähigen ist darüber hinaus noch die Ablaufhemmung gem. § 210 BGB zu beachten. Eine laufende Verjährung kann danach, unter den näheren Voraussetzungen des § 210 BGB, erst nach Ablauf von 6 Monaten nach Bestehen der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit eintreten. Demnach dürften die Ansprüche der Klägerin grundsätzlich nach dem letzten Übergriff innerhalb von 30 Jahren, d.h. jedenfalls mit Ablauf des Jahres 1995, verjährt sein, da die Klägerin im Verlauf des Jahres 1964 das Kinderheim verließ und Übergriffe nach diesem Zeitpunkt nicht mehr erfolgen konnten. Eine partielle Geschäftsunfähigkeit, wie sie die Klägerin behauptet, wäre im Sinne des § 210 BGB nur beachtlich, wenn die Klägerin bis zum Jahr 2009 bzw. 2010 tatsächlich keinerlei bewussten Zugriff auf die Erlebnisse im Kinderheim gehabt hätte (vergleiche Urteil des OLG Oldenburg vom 02.07.2007 – 13 U 17/11). Für einzelne von der Klägerin behauptete Misshandlungen müsste jeweils bestimmt werden können, ob die Klägerin tatsächlich keinen Zugriff auf ihre jeweilige Erinnerung in diesem Hinblick gehabt hat. Auch hierzu ist der Vortrag der Klägerin nicht ausreichend individualisiert, da schon nicht genau vorgetragen wurde, welche Misshandlungen in welchen Zeiträumen geschehen sein sollen.
48Selbst wenn man aber diesen Vortrag der Klägerin unterstellt, dürfte die Geschäftsfähigkeit mit Rückkehr der Erinnerungen im Jahr 2009 und 2010 eingetreten sein. Eine Ablaufhemmung würde mit diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen. Die Verjährung wäre daher spätestens im Verlauf des Jahres 2011, also 6 Monate nach Rückkehr der Erinnerungen eingetreten. Die Klageerhebung erfolgte aber erst im Jahre 2012, sodass eine Verjährungshemmung gem. § 204 BGB durch die Klageerhebung, infolge der bereits eingetretenen Verjährung der Ansprüche, nicht mehr eintreten konnte.
49Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus §§ 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB i.Vm. §§ 223, 225, 13 StGB zu.
50Auch insofern erscheint bereits die Passivlegitimation zweifelhaft. Jedenfalls fehlt es ebenfalls an hinreichend konkreten Ausführungen zur Aufsichtspflichtverletzung und etwaigen Misshandlungen.
51Soweit die Klägerin einen Anspruch § 1 Abs. 1 OEG geltend macht, fehlt es ebenfalls an der Passivlegitimation. Aus § 4 OEG ergibt sich, dass der Anspruch gegen das Land zu richten wäre. Aus den dargestellten Gründen erscheint aber auch im Übrigen der Vortrag der Klägerin unzureichend, einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 OEG zu belegen.
52Ein Schriftsatznachlass war der Klägerin im Hinblick auf den letzten Schriftsatz des Beklagten vom 29.08.2012 (Bl. 150 der Gerichtsakte) nicht zu gewähren. Sämtliche entscheidungsrelevanten Punkte wurden durch den Beklagten bereits in der Klageerwiderung vom 29.05.2012 (Bl. 51 ff. der Gerichtsakte) thematisiert. Neue Tatsachen oder bisher nicht erörterte rechtliche Gesichtspunkte wurden durch den Beklagten nicht vorgetragen. Auch das zitierte Urteil des LG Köln vom 05.06.2012 - 5 O 418/11 - ist für die Klägerin nicht überraschend gewesen, da ihr Prozessbevollmächtigter im Rechtsstreit vor dem LG Köln der Klägervertreter war.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
54Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
55Unterschrift
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