Urteil vom Landgericht Münster - 02 O 392/11
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 16.427,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.05.2011 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt den Beklagten in ihrer Eigenschaft als Haftpflichtversicherung des Fahrzeugs ihrer Versicherungsnehmerin, der Zeugin I (geb. O), auf Rückzahlung von Versicherungsleistungen nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, die sie ihres Erachtens zu Unrecht erbracht hat.
3Anlass für die Zahlungen der Klägerin war ein Verkehrsunfall am 07.06.2006 in S, an dem das Fahrzeug der Zeugin I mit dem amtlichen Kennzeichen ###### sowie das Fahrzeug des Beklagten mit dem amtlichen Kennzeichen ###### verwickelt waren.
4Die Zeugin I fuhr mit ihrem Fahrzeug auf der P in Fahrtrichtung P1. Sie beabsichtigte, nach links auf die vorfahrtsberechtigte P1 einzubiegen. Der Beklagte befuhr die P1, aus der Blickrichtung der Zeugin I von rechts kommend. Es kam auf der Fahrspur des Beklagten zur Kollision der Fahrzeuge, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.
5Bei dem Fahrzeug des Beklagten handelte es sich um einen PKW des Herstellers N. Das Fahrzeug war erstmals zugelassen am 14.10.2992, es hatte zur Zeit des Unfalls eine Laufleistung von 174.556 km und mehrere Vorschäden.
6Hinsichtlich der weiteren Fahrzeugdaten wird auf das privat eingeholte Gutachten des Sachverständigen N1 vom 08.06.2012 (Bl. 27ff, 29 d.A.) Bezug genommen.
7Der Beklagte nahm nach dem Unfall die Zeugin I sowie die Klägerin auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch. Dabei füllte er unter dem 08.06.2006 den Fragebogen für Anspruchsteller aus und gab auf die Aufforderung zur genauen Schilderung des Unfalls den folgenden Sachverhalt an:
8„Ich fuhr mit meinem Wagen auf der P1 stadtauswärts. Plötzlich bog das Fahrzeug der Schadensstifterin mit dem Kennzeichen ###### von links aus der P. kommend links auf die P1 ein, ohne darauf zu achten, dass ich auf einer Vorfahrtstraße fuhr. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, so dass es zur Kollision kam.“
9Hinsichtlich der weiteren Angaben des Beklagten wird auf den Fragebogen (Bl. 25f d.A.) Bezug genommen.
10Der Beklagte rechnete gegenüber der Klägerin die Reparaturkosten auf der Grundlage des privat eingeholten Gutachtens des Sachverständigen N1 ab. Er reparierte das Fahrzeug selbst, wozu er aufgrund seiner Ausbildung zum KfZ-Mechaniker in der Lage war.
11Die Klägerin bezahlte zur Schadensregulierung – auf der Grundlage einer 100%igen Haftung der Zeugin I – insgesamt 16.427,67 €. Dabei bezahlte sie den auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen N1 geltend gemachten Fahrzeugschaden in Höhe von 9.234,58 € sowie das Schmerzensgeld in Höhe von 900,00 € über den damaligen Rechtsvertreter des Beklagten an den Beklagten. Andere Beträge – die Abschlepp-, Sachverständigen-, Mietwagen-, Rechtsanwalts und Attestkosten – bezahlte die Klägerin direkt an die jeweiligen Anspruchsgegner des Beklagten. Darüber hinaus erstattete die Klägerin der Arbeitgeberin des Beklagten – der Firma „B“ – die Zahlungen, die diese aufgrund der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall an den Beklagten erbracht hatte.
12Hinsichtlich der einzelnen Beträge wird auf die Aufstellung der Klägerin vom 15.05.2012 (Bl. 148 d.A.) Bezug genommen.
13Im Jahr 2011 stellte die Klägerin fest, dass der Beklagte in dem Zeitraum des hier streitgegenständlichen Unfalls eine Vielzahl weiterer Verkehrsunfälle hatte:
14Der Beklagte war der Zeit vom 11.04.2003 bis zum 19.10.2008 mindestens in 26 Verkehrsunfälle verwickelt, die sich alle in S ereignet hatten. Dabei hatten sich 20 Unfälle infolge eines Fahrspurwechsels des jeweiligen Unfallgegners ereignet, 6 Unfälle infolge eines Vorfahrtverstoßes. Teilweise hatten sich die Unfälle an denselben Stellen in S ereignet. Die gegnerischen Haftpflichtversicherungen hatten die von dem Beklagten jeweils geltend gemachten Schäden reguliert, da sie von einem Verschulden ihrer Versicherungsnehmer ausgingen.
15Hinsichtlich des äußeren Unfallhergangs der weiteren 25 Unfälle wird auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Münster vom 30.08.2010, Az.: 71 Js 1080/09, (Bl. 47ff d.A.) Bezug genommen. Der Beklagte bestreitet seine Beteiligung an den in der Anklageschrift geschilderten Unfällen sowie den groben äußeren Unfallhergang nicht. Er bestreitet lediglich, die Unfälle bewusst herbeigeführt zu haben.
16Nach dem zuletzt in der Anklageschrift genannten Unfall an 19.10.2008 war der Beklagte nach eigenen in keine weiteren Unfälle mehr verwickelt.
17Nachdem die Klägerin Kenntnis von den weiteren Unfällen und der Anklageerhebung gegen den Beklagten erlangt hatte, forderte sie den Beklagten mit Schreiben vom 19.04.2011 zur Rückzahlung des regulierten Betrages in Höhe von 16.427,67 € bis zum 11.05.2011 auf.
1819
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe den Unfall bewusst herbeigeführt bzw. nicht verhindert. Er habe bewusst und zielgerichtet das Fehlverhalten der Zeugin I ausgenutzt, um den Unfall herbeizuführen und sich zu Unrecht durch die Versicherungsleistungen zu bereichern.
20Hierfür führt die Klägerin verschiedene Indizien an: Zum einen verweist sie auf den Unfallhergang und behauptet, der Beklagte habe ihm mögliche unfallverhütende Maßnahmen – wie Brems- oder Ausweichmanöver – bewusst unterlassen. Da die P1 im Einmündungsbereich stark befahren gewesen sei, habe die Zeugin I – so die Behauptung der Klägerin – zunächst angehalten und den fließenden Verkehr beobachtet. Sie sei erst nach einiger Zeit langsam angefahren und in den Einmündungsbereich eingefahren. Im nächsten Moment habe die Zeugin bereits einen heftigen Anprall bemerkt. Der Beklagte müsse mit einer hohen Geschwindigkeit gefahren sein, weil er derart heftig gegen ihr langsam abbiegendes Fahrzeug geprallt sein musste, dass dies um 90 Grad gedreht worden sei. Der Kreuzungsbereich sei zudem weitläufig und gut einsehbar, so dass der Beklagte das aus seiner Sicht von links kommende Fahrzeug der Zeugin I rechtzeitig hätte sehen und bremsen können. Zudem hätte er auf die im Unfallbereich neben der Fahrbahn verlaufende Busspur ausweichen können.
21Darüber hinaus führt die Klägerin die Anzahl der Unfälle in dem oben angeführten Zeitraum sowie die Abrechnungspraxis des Beklagten an, der – was dieser nicht bestreitet – auf Gutachtenbasis abgerechnet und das Fahrzeug jeweils in Eigenregie repariert hat. Auch weist die Klägerin auf den hochwertigen Fahrzeugtyp sowie die Vorschäden des Fahrzeugs des Beklagten hin. Darüber hinaus behauptet sie, der Beklagte habe nach dem Unfall sehr abgeklärt reagiert und sich weder um sein Fahrzeug noch um das Wohlbefinden der Zeugin I gekümmert.
22Die Klägerin beantragt,
23den Beklagten zu verurteilen, an sie 16.427,67 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2011 zu zahlen.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Er bestreitet, den Unfall bewusst herbeigeführt zu haben. Nachdem der Beklagte sich im Hinblick auf den Unfallhergang schriftsätzlich zunächst lediglich mit der Unfallschilderung der Klägerin auseinandergesetzt hat, hat er im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2012 behauptet, die Zeugin I sei zunächst bis zur Hälfte der Fahrbahn in den Einmündungsbereich eingefahren. Dort habe sie gehalten und ein anderes Fahrzeug, das im Abstand von ca. 10 m vor ihm gefahren sei, passieren lassen. Dieses Fahrzeug sei schon etwas langsamer geworden, weil der Fahrer offenbar Angst gehabt habe, weil die Zeugin I einfach aus der Straße herausgefahren sei. Er sei davon ausgegangen, dass die Zeugin I auch sein Fahrzeug passieren lassen würde, insbesondere weil hinter ihm keine Fahrzeuge mehr gefahren seien. Tatsächlich sei sie jedoch angefahren und mit seinem Fahrzeug kollidiert, so dass er den Unfall nicht mehr durch Bremsen oder Ausweichen habe vermeiden können. Er selbst sei mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h gefahren.
27Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugin I (geb. O). Darüber hinaus hat es den Beklagten persönlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der persönlichen Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.04.2012 (Bl. 130ff d.A.) und vom 10.09.2012 (Bl. 189ff d.A.) Bezug genommen.
28Darüber hinaus war die strafrechtliche Ermittlungsakte, StA Münster / LG Münster, 9 KLs – 71 Js 1080/09 – 17/10, beigezogen und am 23.04.2012 Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
29Entscheidungsgründe:
30Die zulässige Klage ist begründet.
31I.
32Der von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemachte Rückzahlungsanspruch folgt aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB.
33Der Beklagte hat in Höhe der von der Klägerin ausgezahlten Beträge etwas durch Leistung der Klägerin erlangt. Soweit der damalige Rechtsvertreter des Beklagten Rechtsanwalt I1 die Beträge für den Beklagten entgegengenommen hat, liegt eine Leistung der Klägerin an den Beklagten vor, weil der Rechtsvertreter insoweit als Empfangsbevollmächtigter des Beklagten gehandelt hat (vgl. auch Sprau in: Palandt, BGB, 70. Auflage 2011, § 812 Rdn. 55). Eine Leistung der Klägerin an den Beklagten liegt auch vor, soweit die Klägerin direkt auf die Forderungen Dritter gegen den Beklagten – nämlich des Sachverständigen N1, der Firma B1, des Rechtsanwalts I1 sowie des behandelnden Arztes für die Erstellung eines Attests – gezahlt hat. Insoweit hat der Beklagte durch die Leistung der Klägerin einen Vermögensvorteil erlangt, weil er hierdurch von seinen Verbindlichkeiten gegenüber den jeweiligen Personen befreit worden ist (vgl. insoweit auch Sprau in: Palandt, BGB, 70. Auflage 2011, § 812 Rdn. 63, 10).
34Soweit die Klägerin außerdem an den Arbeitgeber gezahlte Kosten für die Erstattung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend macht, ist zwar fraglich, ob die Klägerin diese im Dreiecksverhältnis erfolgte Zahlung direkt von dem Beklagten gemäß § 812 BGB zurückfordern kann oder ob sie insoweit sich insoweit an den Arbeitgeber halten muss, der die von ihm an den Beklagten geleisteten Zahlungen von diesem zurückfordern kann. Für die Möglichkeit einer Direktkondiktion spricht, dass der Beklagte insoweit nicht schutzbedürftig ist, weil er sowohl den fehlenden Rechtsgrund im Deckungs- als auch im Valutaverhältnis kannte und sogar selbst durch Täuschung verursacht hat (vgl. insoweit auch Palandt, a.a.O., § 812 Rdn. 67). Im Ergebnis kann diese Frage jedoch offen bleiben. Aufgrund der nachfolgend dargestellten Erwägungen hat die Klägerin gegen den Beklagten insoweit jedenfalls einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie § 826 BGB.
35Für die Zahlungen der Klägerin bestand kein Rechtsgrund.
36Die Klägerin war für den dem Beklagten infolge des Unfalls am 07.06.2006 entstandenen Schaden nicht einstandspflicht gemäß § 115 VVG. Der Beklagte hatte gegen die bei der Klägerin haftpflichtversicherte Zeugin I keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 7, 18 StVG oder § 823 BGB.
37Dieser Anspruch scheitert daran, dass der Beklagte in die Beschädigung seines KfZ eingewilligt hat, weil er die Kollision mit dem Fahrzeug der Zeugin I bewusst herbeigeführt hat. Er hat das fehlerhafte Verhalten der Zeugin I bewusst und zielgerichtet ausgenutzt, um den Unfall herbeizuführen und sich durch die Schadensregulierung zu Unrecht zu bereichern.
38Dies steht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Diese Überzeugung folgt aus einer Gesamtbetrachtung der nachfolgend dargestellten und gewürdigten Indizien. Das Zusammenwirken dieser Indizien lässt nach der allgemeinen Lebenserfahrung nur den Schluss zu, dass es sich bei der Unfallserie des Beklagten nicht um eine zufällige Häufung von Unfällen handelte, sondern um Ereignisse, die der Beklagte bewusst und gezielt herbeigeführte hat, um sich durch die Versicherungsleistungen rechtswidrig zu bereichern (vgl. insoweit auch OLG Frankfurt, Urteil vom 21.01.2008, Az.: 25 U 220/04).
39Zu den Indizien im Einzelnen:
401.
41Ganz maßgeblich spricht dabei gegen den Beklagten die Anzahl der Unfälle, in die dieser in dem Zeitraum April 2003 bis Oktober 2008 verwickelt war. In diesem Zeitraum von ca. 5 ½ Jahren war der Beklagte insgesamt in 26 Unfälle verwickelt (zu der Indizwirkung von 7 Unfällen in ½ Jahr vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.09.2003, Az.: 13 U 16/03; 11 Unfälle in 2 Jahren vgl. OLG Hamm, Urteil vom 06.03.2003, Az.: 6 U 106/02; 9 Unfälle in 3 ½ Jahren vgl. OLG Hamm, Urteil vom 02.10.1997, Az.: 6 U 104/97; 6 Unfälle in 1 ½ Jahren vgl. AG Gelsenkirchen-Buer, Urteil vom 19.10.2004, Az.: 5 C 432/04). Der Beklagte hatte dementsprechend in diesem Zeitraum durchschnittlich etwa alle 2 ½ Monate einen Unfall. Bereits diese Unfallhäufung widerspricht jeder Lebenswahrscheinlichkeit. Dabei spricht auch für eine Unfallprovokation, dass sich die Unfälle ausschließlich in Situationen zugetragen haben, in denen die Verschuldensfrage eindeutig zum Nachteil der jeweiligen Unfallgegner zu entscheiden war, so dass der Beklagte bei der Schadensregulierung keine Diskussionen über die alleinige Haftung der jeweiligen Unfallgegner zu erwarten hatte. Insoweit fällt die Häufung bestimmter „Unfalltypen“ auf. Von den insgesamt 26 Unfällen haben sich 20 bei einem Fahrspurwechsel des Unfallgegners ereignet und 6 bei Vorfahrtsverstößen. Teilweise haben sich die Unfälle sogar an derselben Kreuzung / Einmündung in S ereignet (zu der Indizwirkung ähnlicher Unfallkonstellationen vgl. auch AG Gelsenkirchen-Buer, Urteil vom 19.10.2004, Az.: 5 C 432/04). Für eine Unfallprovokation spricht auch, dass sich sämtliche Unfälle im Stadtgebiet von S ereignet haben und daher die Folgen – insbesondere das Verletzungsrisiko – aufgrund der dort zulässigen und möglichen Geschwindigkeiten für den Beklagten gut kontrollierbar waren. Darüber hinaus lebt der Beklagte in S und kennt dementsprechend die besonders unfallträchtigen Stellen im Stadtgebiet, so dass er diese für seine Zwecke nutzen konnte. Bei der Unfallserie des Beklagten spricht zudem für eine Manipulation, dass der Beklagte nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens nicht in weitere Unfälle verwickelt war.
42Diese Auffälligkeiten vermochte der Beklagte nicht plausibel zu erklären. Seine Erklärung für die temporäre Unfallhäufung im Rahmen der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung war nicht überzeugend. Der Beklagte hat insoweit angegeben, er könne sich diese Häufung nicht erklären. Die anderen Autofahrer hätten ihn wahrscheinlich nicht gesehen. Er habe damals seinen Vater betreut, der am anderen Ende der Stadt gewohnt habe, und sei daher viel durch das Stadtgebiet gefahren. Nachdem sein Vater im Jahr 2009 verstorben sei, sei er seltener durch die Stadt gefahren.
43Hierdurch hat der Beklagte ein erhöhtes Unfallrisiko, das die temporäre Häufung der Unfälle erklären würde, jedoch nicht plausibel dargelegt. Der mit der Betreuung seines Vaters verbundene Fahraufwand geht nicht über den von Berufspendlern oder –kraftfahrern hinaus. Hinzu kommt, dass S eine vergleichsweise kleine Stadt mit einem vergleichsweise geringen Verkehrsaufkommen ist und das Stadtgebiet daher keine besonderen Gefahren birgt.
442.
45Für eine Unfallprovokation zum Zwecke des Versicherungsbetruges spricht zudem die Abrechnungspraxis des Beklagten (zu der Indizwirkung dieses Umstandes vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 15.09.2011, Az.: 14 W 28/11; OLG Hamm, Urteil vom 06.03.2003, Az.: 6 U 106/02; OLG Hamm, Urteil vom 02.10.1997, Az.: 6 U 104/97). Der Beklagte hat die Unfallschäden jeweils abstrakt auf der Basis eines privaten Sachverständigengutachtens abgerechnet. Aufgrund seiner Berufsausbildung als KfZ-Mechaniker hatte er jedoch die Möglichkeit, die Reparaturen allein und dementsprechend deutlich kostengünstiger durchzuführen, so dass ihm aus den Unfällen ein Gewinn verblieb und sich die Unfälle daher für ihn finanziell lohnten. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Fahrzeug des Beklagten um ein vergleichsweise hochwertiges Modell, nämlich einen N, handelt. Für diesen Fahrzeugtyp können aufgrund der höheren Ersatzteil- und Werkstattkosten höhere Reparaturkosten abgerechnet werden. Andererseits war das Fahrzeug des Beklagten mit der Erstzulassung aus dem Jahr 1992 und mehreren Vorschäden in einem Zustand, in dem ein weiterer Unfallschaden nicht mehr zu einer erheblichen Wertminderung des Fahrzeugs führte.
46Die genannten Voraussetzungen, unter denen der Beklagte seine Schäden abgerechnet hat, führten dementsprechend dazu, dass bei der Schadensregulierung für den Beklagten ein höchstmöglicher Gewinn verblieb und die Unfälle für ihn daher sehr einträglich waren.
473.
48Für einen Versicherungsbetrug sprechen auch die Schadensschilderungen des Beklagten, insbesondere seine unterschiedlichen Angaben zum Unfallhergang (vgl. zu der Indizwirkung von widersprüchlichen Unfallschilderungen auch OLG Celle, Beschluss vom 15.09.2011, Az.: 14 W 28/11).
49Der Beklagte hat seine Angaben in dem Fragebogen für Anspruchsteller zunächst sehr pauschal gehalten. Auch in der Klageerwiderung hat er den Unfallhergang nicht detailliert geschildert, sondern er ist lediglich auf die Schilderungen der Klägerin eingegangen. Erstmals im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2012 hat der Beklagte eine detaillierte und in Teilen neue Version des Unfallhergangs geschildert. Er hat dabei behauptet, dass die Zeugin I zunächst bis zur Hälfte der Fahrbahn gefahren sei. Dort habe sie ein anderes Fahrzeug passieren lassen. Dieses Fahrzeug sei im Abstand von 10 m vor seinem Fahrzeug gefahren. Das vorausfahrende Fahrzeug sei bereits etwas langsamer geworden, weil der Fahrer offenbar Angst gehabt habe, weil die Zeugin I einfach aus der Straße herausgefahren sei. Da die Zeugin I dieses Fahrzeug zunächst passieren lassen habe, sei er davon ausgegangen, dass sie auch ihn durchfahren lasse, insbesondere weil hinter ihm keine Fahrzeuge mehr gewesen seien. Dann sei die Zeugin jedoch einfach angefahren. Er hätte deshalb nicht mehr viel bremsen können. Ausgewichen sei er mit Sicherheit.
50Wenn sich der Unfall so zugetragen hätte, wie der Beklagte dies erstmals in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2012 beschrieben hat, hätte es nahe gelegen, das Detail, dass die Zeugin I zunächst an der Mittellinie gehalten und das vor dem Beklagten fahrende Fahrzeug passieren lassen hat, bereits in dem Fragebogen für Anspruchsteller zu erwähnen. Ein Anhalten an der Mittellinie lässt sich der dortigen Schilderung des Unfallhergangs jedoch nicht entnehmen. Vielmehr deutet die erste Schilderung des Beklagten darauf hin, dass die ZeuginI bis zur Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug ohne Zwischenstopp in den Einmündungsbereich eingefahren ist. Diese Änderungen bei der Schilderung des Unfallhergangs sprechen gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beklagten.
51Hiergegen spricht außerdem, dass der Beklagte auf Nachfragen außerhalb der von ihm für die mündliche Verhandlung am 23.04.2007 vorbereiteten Schilderung nicht bzw. nur sehr allgemein antworten konnte. So hat er auf die Frage, um welchen Fahrzeugtyp es sich bei dem vor ihm fahrenden Fahrzeug gehandelt habe, erklärt, das wisse er nicht mehr. Er wisse nur noch, dass dies dunkel lackiert gewesen sei. Auf die weitere Nachfrage, wie lange die Zeugin I auf der Mitte der Fahrbahn gehalten habe, hat er angegeben, das wisse er auch nicht mehr.
52Zudem ist zu beachten, dass – die neue Schilderung des Beklagten unterstellt – die Zeugin I zunächst in der Mitte der Fahrbahn angehalten und ein Fahrzeug hätte passieren lassen, um dann anzufahren und direkt in das unmittelbar vor ihr befindliche Fahrzeug des Beklagten zu fahren. Dieses Fahrverhalten würde jedoch jeder Vernunft und Lebenserfahrung widersprechen.
53Diese Behauptung des Beklagten hat auch die von dem Beklagten zum Beweis für seine Unfallschilderung benannte Zeugin I nicht bestätigt.
54Vielmehr hat die Zeugin I ausgesagt, auf der P zunächst noch ein aus der schräg gegenüberliegenden Ausfahrt des Parkplatzes des U-Baumarktes kommendes Fahrzeug abgewartet zu haben. Dann sei sie – ohne zu halten – nach links in die P1 eingebogen, wobei sie kurz hinter der Mittellinie mit dem Fahrzeug des Beklagten kollidiert sei.
55Mit dieser Aussage hat die Zeugin nicht nur die Unfallschilderung des Beklagten nicht bestätigt, sondern sie hat diese Schilderung in dem oben angeführten Punkt vielmehr glaubhaft widerlegt.
56Für die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin I spricht, dass sie im Hinblick auf diesen Gesichtspunkt schlüssig und widerspruchsfrei war. Darüber hinaus war die Aussage der Zeugin I in diesem Punkt sehr authentisch und lebhaft. Die Zeugin hat – im Gegensatz zu dem Beklagten – eigene Gedanken und Eindrücke zu dem geschilderten Sachverhalt bekundet. Auf Nachfragen hat die Zeugin flüssig und ohne zu zögern geantwortet. Außerdem hat die Zeugin – was ebenfalls für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage spricht – ihre im Hinblick auf den Zeitablauf auffallend gute Erinnerung – nachvollziehbar damit begründet, dass es sich um ihren ersten Unfall gehandelt habe. Diesbezüglich hat sie weiter bekundet, dass ihr der Unfallhergang und das Verhalten des Beklagten schon damals merkwürdig vorgekommen seien, weshalb sie selbst einige Fotos nach dem Unfall angefertigt und auch einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt habe. Diese Erklärung ist als Begründung für die vergleichsweise gute Erinnerung der Zeugin plausibel. Die Angaben der Zeugin zu den von ihr empfundenen Merkwürdigkeiten sind auch durch die Vorlage der Fotos im Rahmen der Vernehmung bestätigt worden.
57Soweit der Beklagte im Rahmen der Zeugenbefragung sowie seiner Stellungnahme als Argument gegen die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage auf ihre Angaben zu der Stelle verweist, an dem die Zeugin sein Fahrzeug erstmals wahrgenommen haben will, steht dies der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage nicht entgegen. Insoweit legt der Beklagte zwar eigene Berechnungen vor, anhand derer er zu dem Ergebnis gelangt, dass die Aussage der Zeugin in diesem Punkt nicht plausibel sei. Unabhängig davon, dass die Klägerin die Richtigkeit dieser Berechnungen bestritten hat, entkräften diese die Aussage der Zeugin I nicht. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Zeugen bei Verkehrsunfällen Distanzen falsch einschätzen. Erfahrungsgemäß sind Entfernungsangaben von Zeugen daher mit Vorsicht zu beurteilen. Dementsprechend hat die Zeugin I ihre Aussage auf Nachfrage auch dahingehend relativiert, dass sich das Fahrzeug des Beklagten – als sie auf der P gewartet habe – am Rande ihres Blickfeldes befunden habe. Selbst wenn die Zeugin daher die Entfernung, in der sie das Beklagtenfahrzeug erstmals wahrgenommen hat, falsch eingeschätzt haben sollte, steht dies der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage insgesamt – insbesondere ihren Angaben zu dem Einfahren in den Kreuzungsbereich ohne Zwischenstopp – nicht entgegen.
58Die Zeugin ist auch glaubwürdig. Ihrer Glaubwürdigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass sie als Unfallgegnerin betroffen und möglicherweise trotz der inzwischen erfolgten Regulierung ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat. Zwar war der Aussage der Zeugin eine Verärgerung über das Verhalten des Beklagten zu entnehmen. Nichtsdestotrotz waren die dargestellten Angaben der Zeugin zum Unfallhergang jedoch ohne Belastungstendenzen. Die Zeugin war vielmehr um eine wahrheitsgemäße Aussage und Sachverhaltsaufklärung bemüht, was auch in dem Umstand deutlich wird, dass sie unmittelbar nach dem Unfall Fotos gefertigt und diese über den klägerischen Prozessbevollmächtigten vorlegen lassen hat.
59Aufgrund der Aussage der Zeugin I ist das Gericht davon überzeugt, dass die Unfallschilderung des Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 23.04.2012 im Hinblick auf den entscheidenden Punkt, dass die Zeugin I zunächst in der Mitte der Fahrbahn gewartet und das vor dem Beklagten fahrende Fahrzeug passieren lassen habe, unzutreffend ist.
60Diese Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Schilderung des Unfallgeschehens sprechen ebenfalls gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Beklagten und damit für eine Unfallmanipulation zum Nachteil der Klägerin.
614.
62Nach einer Gesamtwürdigung aller dargestellten Indizien ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte den Verkehrsunfall bewusst herbeigeführt hat, um durch die Regulierung einen finanziellen Gewinn zu erzielen. Die oben angeführten Auffälligkeiten lassen sich nicht als zufällige Unfallhäufung. Sie wiegen in der Summe vielmehr so stark, dass sie vernünftigen Zweifeln daran, dass der Beklagte die Unfälle bewusst herbeigeführt hat, Schweigen gebieten.
635.
64Das von beiden Parteien zu dieser Frage beantragte Unfallrekonstruktionsgutachten war nicht einzuholen.
65Dabei ist zu beachten, dass im Hinblick auf die für die Frage der Unfallmanipulation entscheidenden Vorstellungen und Absichten des Beklagten weitere Erkenntnisse durch ein Sachverständigengutachten ohnehin zweifelhaft sind. Die Vorstellungen und Absichten des Beklagten kann auch ein Unfallrekonstruktionsgutachten nicht sicher klären. Der Sachverständige könnte vielmehr lediglich zu der Frage Stellung nehmen, ob und ggf. welche Möglichkeiten der Beklagte zur Vermeidung des Unfalls hatte. Insoweit würde ein Sachverständigengutachten die Feststellungsmöglichkeiten des Gerichts jedoch nicht entscheidend verbessern.
66a)
67Soweit der Beklagte das Sachverständigengutachten zum Beweis dafür angeboten hat, dass der Unfall für ihn unvermeidbar und deshalb nicht bewusst herbeigeführt war, sind die von dem Beklagten insoweit behaupteten Anknüpfungstatsachen aus den dargestellten Gründen bereits zur Überzeugung des Gerichts widerlegt. Aufgrund der deshalb fehlenden Anknüpfungstatsachen sind weitere Erkenntnisse von einem Sachverständigengutachten nicht zu erwarten. Das Fahrzeug der Zeugin I war vor der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug unstreitig in Bewegung – sonst wäre es nicht zu der Kollision gekommen. Wie sich die Zeugin I verhalten hat, bevor sie ihr Fahrzeug in Bewegung gesetzt hat – insbesondere ob und wie lange die Zeugin zwischenzeitlich an der Mittellinie angehalten und gewartet hat –, kann auch ein Sachverständiger anhand der ihm zur Verfügung Kollisionsspuren nicht feststellen.
68b)
69Soweit die Klägerin die Tatsache, dass der Beklagte trotz der entsprechenden Möglichkeiten keine Anstrengungen zur Vermeidung des Unfalls unternommen hat, als weiteres Indiz für eine Einwilligung des Beklagten in das Unfallgeschehen anführt, ist dieses Indiz für die Beweiswürdigung nicht mehr erforderlich. Dass der Beklagte den Unfall bewusst herbeigeführt hat, um sich durch die Versicherungsleistungen zu bereichern, steht aus den oben dargelegten Gründen aufgrund der dargestellten und gewürdigten Indizien bereits zur Überzeugung des Gerichts fest.
70Da der Beklagte aufgrund seiner Einwilligung in die Kollision keinen Schadensersatzanspruch gegen die Zeugin I gemäß §§ 7, 18 StVG sowie § 823 BGB und damit auch keinen Anspruch gegen die Klägerin gemäß § 115 VVG hatte, hat er die von der Klägerin zur Regulierung gezahlten Beträge ohne Rechtsgrund erhalten.
71Er muss diese Beträge in Höhe von 16.427,67 € an die Klägerin zurückzahlen. Dies gilt auch, soweit die Klägerin direkt auf die Forderungen des Sachverständigen N1, der Firma B1, des Rechtsanwalts I1 sowie des behandelnden Arztes für die Erstellung eines Attests gezahlt hat. Für den hierdurch erlangten Vermögensvorteil muss der Beklagte gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz in Höhe der Forderungen leisten.
72II.
73Die Verpflichtung zum Wertersatz für die von der Klägerin an den Arbeitgeber gezahlten Beträge als Ersatz für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall folgt – wenn man die Möglichkeit der Direktkondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ablehnt – jedenfalls aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sowie § 826 BGB.
74Nach den obigen Feststellungen hat der Beklagte den Straftatbestand des Betruges verwirklicht. Auch liegt in seinem Verhalten eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin.
75Der Schaden der Klägerin liegt in den als Ersatz für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall an die Firma „B“ geleisteten Zahlungen. Diesen Schaden muss der Beklagte der Klägerin gemäß § 249 Abs. 2 BGB ersetzen.
76III.
77Der geltend gemachte Zinsanspruch ab dem 12.05.2011 folgt aus §§ 286, 288 BGB. Jedenfalls nach Ablauf der in dem Schreiben der Klägerin vom 19.04.2011 gesetzten Zahlungsfrist befand der Beklagte sich gemäß § 286 Abs. 1 BGB mit der Rückzahlung in Verzug.
78IV.
79Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
80Streitwert: 16.427,67 Euro.
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