Urteil vom Landgericht Münster - 02 O 31/13
Tenor
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 21.637,02 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14.03.2013 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin alle weiteren zukünftigen auf sie durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin übergegangenen materiellen Schäden, welche aus dem Unfallereignis vom 06.07.2010 zu resultieren, zu ersetzen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner, einschließlich der durch die Nebenintervention verursachten Kosten.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin macht als privater Krankenversicherer aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche ihrer Versicherungsnehmerin H geltend. Diese wurde bei einem Verkehrsunfall am 06.07.2010, an welchem auch der Beklagte zu 2) beteiligt war, schwer verletzt. Kurz zuvor hatte sich ein Unfall zwischen einem bei der Streithelferin haftpflichtversicherten Fahrzeug und Frau H1 ereignet.
3Im Einzelnen:
4Am Unfalltag befuhr Frau H1 um ca. 8:40 Uhr mit einem silberfarbenen Mercedes, E-Klasse, amtliches Kennzeichen XXX, die B475 in südlicher Fahrtrichtung. An der Kreuzung mit der untergeordneten K 23 kam es zum Unfall mit dem bei der Streithelferin haftpflichtversicherten roten VW Polo, amtliches Kennzeichen XXX. Die Fahrerin des Polo, Frau T, welche die K23 befuhr und die B 475 überqueren wollte, missachtete die Vorfahrt der Frau H1. Es kam zur Kollision. Frau H1 stellte ihr Fahrzeug kurz hinter der Kreuzung am rechten Fahrbahnrand ab, wobei der genaue Standort zwischen den Parteien streitig ist. Frau T stellte ihr Fahrzeug auf der K 23 ab. Die beiden Unfallbeteiligten trafen sich vor dem Mercedes und verständigten unverzüglich (um ca. 8:48 Uhr) die Polizei.
5Etwa zwei Minuten nach der Meldung des Verkehrsunfalls ereignete sich der zweite Unfall. Der Beklagte zu 2) befuhr mit einem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Sattelzug, amtliches Kennzeichen XXX1, die B 475 in südlicher Fahrtrichtung. An der Unfallstelle, kurz hinter der Kreuzung der B 475 mit der K 23, fuhr der Beklagte mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h ungebremst in das Heck des Mercedes. Der so angestoßene Mercedes erfasste Frau H1 und Frau T. Beide Frauen wurden schwer verletzt.
6Auf dem Streckenabschnitt war zum Zeitpunkt des Unfalls eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h erlaubt. Die Diagrammscheibenanalyse kam zu dem Ergebnis, dass der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug über eine Wegstrecke von 1.050 m mit einer konstanten Geschwindigkeit von 70 km/h fuhr.
7Der Klägerin entstanden durch die Heilbehandlung der Versicherungsnehmerin Kosten in Höhe von 86.548,06 Euro. Die Beklagte beglich davon außergerichtlich 64.911,04 Euro.
8Die Klägerin behauptet, die Versicherungsnehmerin habe nach dem Unfall ihr Fahrzeug mit den rechten Reifen auf dem nichtbefestigten Seitenstreifen gestellt. Sie habe ferner die Warnblinkanlage eingeschaltet.
9Sie behauptet, der Beklagte zu 2) sei unaufmerksam gefahren und habe so den Unfall verursacht. Eine Sonnenblendung sei um die Uhrzeit und Jahreszeit unwahrscheinlich.
10Sie ist der Ansicht, dass ein grobes Verschulden des Beklagten zu 2) eine Mitverursachung der Versicherungsnehmerin der Klägerin ausschließe.
11Die Klägerin beantragt zuletzt,
12die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin 21.637,02 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin alle weiteren zukünftigen auf sie durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin übergegangenen materiellen Schäden, welche aus dem Unfallereignis vom 06.07.2010 zu resultieren, zu ersetzen.
14Die Beklagten beantragen,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagten behaupten, das Fahrzeugheck des Mercedes habe sich in deutlichem Abstand zum rechten Fahrbahnrand befunden. Die Warnblinkanlage sei nicht eingeschaltet gewesen. Vielmehr habe die Versicherungsnehmerin der Klägerin lediglich den Blinker nach rechts gesetzt.
17Sie behaupten, der Beklagte zu 2) sei aufgrund der tief stehenden Sonne durch das linke Fenster etwas geblendet worden. Er habe nicht erkennen können, dass es sich um ein verunfalltes Fahrzeug handelte. Er sei davon ausgegangen, dass das Fahrzeug langsam fahre. Die Sonnenblendung habe dazu beigetragen, nicht sicher zwischen einem stehenden und fahrenden Fahrzeug unterscheiden zu können. Er habe jedenfalls keine Gefahrensignale wahrgenommen, sodass keine Veranlassung zur Bremsung bestand. Die Aufmerksamkeit habe auf dem Polo gelegen. Die Beschädigungen an diesem habe er erkannt. Erst danach sei ihm aufgefallen, dass sich der silberne Mercedes überraschend noch an Ort und Stelle stehend auf der Fahrbahn befand. Für eine Bremsung sei es dann zu spät gewesen.
18Die Beklagten behaupten, die Fehlvorstellung über den Mercedes sei dadurch hervorgerufen worden, dass die Unfallstelle nicht gesichert worden war, insbesondere kein Warndreieck aufgestellt worden war. Die Unfallstelle sei deswegen nicht zu erkennen gewesen. Die geringfügige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit sei nicht unfallursächlich geworden.
19Die Beklagten sind der Ansicht, dass sich die Klägerin aufgrund der unterlassenen Absicherung ein Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin anrechnen lassen müsse, welches mit 25 Prozent zu bewerten sei.
20Ferner sei die Höhe der Ansprüche aufgrund eines Quotenvorrechts zu kürzen. Die Aufwendungen der Klägerin seien um die Selbstbeteiligung der Versicherungsnehmerin zu kürzen. Da nur eine Haftung der Beklagten zur Quote bestehe, sei ein Übergang von Ersatzansprüchen der Versicherten auf die Klägerin insoweit ausgeschlossen, als aufgrund der Haftungsquote trotz Leistung der Klägerin Ansprüche nicht vollständig gedeckt werden.
21Die Klägerin hat der Streithelferin in der Klageschrift den Streit verkündet, woraufhin die Streithelferin dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten ist. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klageschrift, Blatt 1 ff. der Akte, und auf den Schriftsatz der Streithelferin vom 08.04.2013, Blatt 92 ff. der Akte, verwiesen.
22Am 23.09.2013 hat eine öffentliche Sitzung stattgefunden. Hinsichtlich des Inhalts wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Münster, Aktenzeichen 82 Js 7757/10, war beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
25Die Klage ist zulässig.
26Das für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags erforderliche Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO liegt darin, die drohende Verjährung von Ansprüchen wegen künftiger weiterer Folgeschäden zu verhindern. Dabei reicht bereits aus, dass der Eintritt von späteren Schäden nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH VersR 2007, 708, LS1).
27Die Klage ist auch begründet.
28Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StVG, § 86 Abs. 1, 115 Abs. 1 Satz 1 VVG zu.
29Gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG geht ein Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt.
30Die Klägerin hat ihrer Versicherungsnehmerin Frau H1 aufgrund des Verkehrsunfalls angefallene Heilbehandlungskosten in Höhe von 86.548,06 Euro ersetzt.
31In dieser Höhe stand Frau H1 auch ein Ersatzanspruch gegen die Beklagten zu.
32Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 S. 1 StVG in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StVG liegen vor. Beim Betrieb des vom Beklagten zu 2) und bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Sattelzugs wurde die Versicherungsnehmerin der Klägerin verletzt.
33Die Haftung ist nicht wegen fehlenden Verschuldens des Fahrzeugführers gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG oder gar Unabwendbarkeit gemäß §§ 17 Abs. 3, 18 Abs. 3 StVG ausgeschlossen. Der Beklagte zu 2), welcher ungebremst in das Fahrzeug von Frau H1 hineingefahren ist, hat grob fahrlässig nicht auf den Verkehr geachtet.
34Die mithin gemäß § 17 Abs. 1, 2, § 18 Abs. 3 StVG vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge führt zu einer Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagten. Eine etwaige Mitverursachung der Versicherungsnehmerin der Klägerin tritt wegen weit überwiegenden Mitverschuldens des Beklagten zu 2) zurück.
35Der Beklagte zu 2) hat gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Danach hat jeder Verkehrsteilnehmer sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Das erfordert ständige und aufmerksame Beobachtung des Verkehrs.
36Aufgrund des im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingeholten und von den Beklagten auch nicht in Zweifel gezogenen Sachverständigengutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte zu 2) den Mercedes aus einer Distanz von deutlich über 200 m hätte erkennen können. Auf den Fotografien im Gutachten war zu erkennen, dass die Straße sehr übersichtlich und gut einsehbar war. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen hätte der Beklagte zu 2) bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h und einer Reaktionsdauer von 1,5 Sekunden insgesamt 76 m gebraucht, um den Sattelzug zum Stehen zu bringen. Er hatte also ausreichend Gelegenheit, sein Fahrzeug sicher und rechtzeitig anzuhalten.
37Der Beklagte zu 2), welcher ungebremst in den Sattelzug gefahren ist, hat hingegen entweder über einen Zeitraum von ca. 10 Sekunden (= Dauer für das Zurücklegen einer Wegstrecke von 200 m bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h) nicht auf die Straße vor ihm geachtet und war damit in ganz besonders hohem Maße unaufmerksam. Gerade beim Fahren mit höheren Geschwindigkeiten ist angesichts der schnell zurückgelegten Strecke, der damit einhergehenden größeren Gefahr von unerwarteten Hindernissen und Verlängerung des Bremswegs besondere Vorsicht an den Tag zu legen. Da stellt sich eine Unaufmerksamkeit über einen im Straßenverkehr langen Zeitraum von 10 Sekunden als grob fahrlässig dar.
38Oder der Beklagte zu 2) hat – bei Unterstellung seines Vortrags, er habe in etwa 150 m Entfernung den Mercedes gesehen – sich zumindest ca. 7 Sekunden und damit immer noch sehr lange von dem roten Polo ablenken lassen, obwohl er den Mercedes vor ihm auf seiner Fahrbahn bereits wahrgenommen hatte und damit besondere Veranlassung bestand, den Verkehrsraum vor ihm weiter zu beobachten. Daher ist es auch unerheblich, ob der Beklagte zu 2) erkennen konnte, ob der Mercedes langsam fuhr oder stand. Nach dem Gutachten war der Mercedes aus über 200 m sicher zu erkennen. Damit war es dem Beklagten zu 2) möglich, sicher einzuschätzen, wie sich der Abstand zwischen seinem Fahrzeug und dem Mercedes verändert. Hätte er darauf geachtet, wäre der Unfall sicher vermeidbar gewesen.
39Überdies hat der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag bemerkt, dass der rote Polo beschädigt war. Damit musste er jedoch von einer unklaren Verkehrslage ausgehen. Bei einer unklaren Verkehrslage ist der Fahrer zur Einhaltung der äußersten Sorgfalt verpflichtet. Kann der Fahrer die Entwicklung der Verkehrssituation nicht sicher beurteilen, ist die Verringerung der Sichtfahrgeschwindigkeit geboten. Bei Anzeichen eines Unfallgeschehens ist eine deutliche situationsadäquate Verlangsamung angezeigt, damit der Fahrer sofort anhalten kann (Saarländisches OLG, MDR 2006, 89, 1. LS.). Mithin hätte sich der Beklagte zu 2) auch in diesem Fall ganz besonders unvorsichtig verhalten.
40Entsprechendes gilt im Hinblick auf seinen Einwand, er sei durch die Sonne geblendet worden. Insoweit ist schon zweifelhaft, ob der Beklagte zu 2) tatsächlich aufgrund der Sonne in seinen Sichtmöglichkeiten eingeschränkt wurde, da ausweislich der Übersichtsskizzen die B 475 am Unfallort in südsüdwestlicher Richtung verläuft und sich der Unfall gegen kurz vor 9 Uhr morgens ereignete, die seit ca. 3-4 Stunden aufgehende Sonne sich also noch im Osten befand (laut Polizeibericht südöstlich). Selbst wenn der Beklagte zu 2) jedoch geblendet worden wäre, hätte er seine Geschwindigkeit dieser Situation anpassen müssen, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO. Stattdessen fuhr er über 1 km unverändert mit überhöhter Geschwindigkeit.
41Hinzu kommt, dass die Betriebsgefahr des Sattelzuges grundsätzlich erhöht ist. Ein Lastkraftwagen hat aufgrund Gewicht und Ausmaß ein besonderes Gefahrenpotential.
42Die Versicherungsnehmerin der Klägerin sind demgegenüber allenfalls geringfügige Verkehrsverstöße vorzuwerfen.
43Ein Verstoß gegen § 15 StVO liegt nicht vor.
44Die Voraussetzungen für die Anwendung der Norm sind schon nicht gegeben.
45Die Vorschrift setzt voraus, dass ein liegengebliebenes Fahrzeug nicht rechtzeitig erkannt werden kann.
46Bei dem Mercedes der Frau H1 handelte es sich schon nicht um ein liegengebliebenes Fahrzeug. Ein Liegenbleiben setzt ein unfreiwilliges Halten voraus, bei dem eine Weiterfahrt nicht möglich ist. Dies ist nicht vorgetragen. Vielmehr wurde dem klägerischen Vortrag, der Mercedes sei bis zu seinem letztendlichen Standort gefahren, von Beklagtenseite nicht widersprochen.
47Auch wenn es hierauf nicht mehr ankommt, liegt jedenfalls auch die von der Norm geforderte fehlende rechtzeitige Erkennbarkeit liegt nicht vor. Dieses Merkmal setzt voraus, dass das Fahrzeug an einer unübersichtlichen oder sonstigen Stelle zum Stehen kam, wo nicht gehalten werden darf, der fließende Verkehr daher nicht mit einem stehenden Fahrzeug rechnet (Janker in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR 22. Auflage 2012, § 15 Rn. 5).
48Vorliegend handelt es sich um eine gerade verlaufende Straße. Die Unfallstelle befindet sich unmittelbar hinter einer Kreuzung und ist ausweislich der Fotodokumentation gut einsehbar. Das eingeholte Gutachten kommt zu dem Schluss, dass das Fahrzeug "aus einer Entfernung von über 200 m sicher erkennbar gewesen" war. Es bestehen daher keinerlei Zweifel, dass das Fahrzeug rechtzeitig erkannt werden konnte. Der Einholung eines weiteren Gutachtens bedarf es nicht. Wenn das Fahrzeug aus Entfernung von über 200 m sicher erkannt werden kann (was von Beklagtenseite nicht in Zweifel gezogen wurde), dann kann – schon bei geringer Aufmerksamkeit, also nur kurzem Beobachten des Fahrzeugs – auch rechtzeitig erkannt werden, dass dieses liegen geblieben ist. Wenn der Beklagte zu 2) 150 m vor dem Fahrzeug seinen Blick von der Straße abwendet und daher das Fahrzeug nicht als stehend wahrnimmt, so stellt dies ein Fehlverhalten von seiner Seite dar und führt nicht dazu, dass das Fahrzeug objektiv weniger erkennbar wäre.
49In Betracht kommen jedoch Verstöße der Frau H1 gegen ihre Pflichten aus § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO. Die Vorschrift fordert, den Verkehr zu sichern und bei geringfügigem Schaden unverzüglich beiseite zu fahren.
50Die Versicherungsnehmerin der Klägerin hat unstreitig kein Warndreieck aufgestellt. Dies kann ihr jedoch vorliegend nicht wesentlich zum Vorwurf gemacht werden. Bei schnellem Verkehr sieht das Gesetz in § 15 StVO, dessen Wertung im Rahmen des § 34 StVO übernommen werden kann, eine Entfernung von 100 m vor. Es steht nicht fest, dass dies der Versicherungsnehmerin der Klägerin in der Kürze der Zeit möglich war. Die Unfälle erfolgten kurz hintereinander, nur etwa 2 Minuten nach der Meldung des ersten Unfalls ereignete sich der zweite. Es steht nicht sicher fest, dass ein Warndreieck in dieser Zeitspanne hätte aufgestellt werden können. Zum einen ist eine Wegstrecke von 100 m selbst zu bewältigen. Ferner muss einer soeben verunfallten Person zugestanden werden, sich einen Augenblick zu sammeln. Schließlich hätte eine Kreuzung überquert werden müssen.
51Ferner steht nicht fest, dass ein Warndreieck die konkrete Warnsituation verbessert hätte. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Mercedes aus mehr als 200 m Entfernung sicher zu sehen war. Der Beklagte zu 2) führt aus, dass Fahrzeug gesehen, aber dann auf den Polo geachtet zu haben. Daraus folgt, dass der Beklagte zu 2) nicht auf das sich vor ihm befindende Fahrzeug geachtet hat. Hätte er es, dann hätte er auch erkennen müssen, dass sich der Abstand zwischen den Fahrzeugen schnell verringert. Wenn er aber nicht darauf achtet, was unmittelbar vor ihm liegt, dann ist es auch nicht sicher, dass ein Warndreieck den Unfall verhindert hätte. Kann ein Warnschild nach den gegebenen Umständen die Warnsituation nicht verbessern, so ist das Nichtaufstellen jedenfalls nicht vorwerfbar (OLG Karlsruhe, 14 U 146/00, BeckRS 2001, 12624).
52Als Vorwürfe verbleiben mithin, dass Frau H1 den Mercedes nicht unverzüglich beiseite gestellt hat und dass sie möglicherweise nicht unverzüglich die Warnblinkanlage eingeschaltet hat.
53Hinsichtlich des Beiseitestellens ist von Beklagtenseite nicht dargelegt, dass das Fahrzeug der Frau H1 einen nur geringfügigen Schaden erlitten hatte. Andererseits war das Fahrzeug scheinbar noch fahrbereit und ist noch ein Stück weiter gefahren, so dass der Mercedes dann auch hätte zur Seite gestellt werden können. Dies ist jedoch nicht erfolgt.
54Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass sich der Mercedes am rechten Fahrbahnrand befand, unter einer leichten Schrägstellung zur Fahrbahnlängsachse.
55Demgegenüber hat die Zeugin T1 ausgesagt, das Fahrzeug habe mit der Hälfte auf dem unbefestigten Randsteifen gestanden. Der Zeuge B bestätigt das. Nach seiner Aussage stand der Mercedes ebenfalls teilweise auf dem unbefestigten Standstreifen. Ebenso erinnern sich die Zeugen E, T3 und L.
56Die Zeugenaussagen und das Gutachten widersprechen sich daher teilweise. Jedoch lässt sich festhalten, dass der Mercedes zumindest teilweise am rechten Rand der Fahrbahn stand. Das bedeutet, dass die Versicherungsnehmerin weiter von der Fahrbahn auf den unbefestigten Seitenstreifen hätte fahren können. Sie ist jedoch auch nicht mitten auf der Fahrbahn stehen geblieben. Damit dürfte hier ein Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Nr. 2 StVO vorliegen.
57Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, ebenso wie die Frage, ob an dem Mercedes die Warnblinkanlage angeschaltet war.
58Denn in der Gesamtabwägung würde diese nur geringfügige Mitverursachung der Versicherungsnehmerin der Klägerin jedenfalls hinter der schuldhaft erhöhten Betriebsgefahr des Beklagten zu 2) zurücktreten.
59Der Beklagte zu 2) hat in ganz besonders erheblichem Maße die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, indem er trotz sehr übersichtlicher Fahrbahn und des frühzeitig erkennbaren Fahrzeugs von Frau H1 ungebremst in dieses hineingefahren ist. Demgegenüber fallen die auf Seiten der Frau H1 in Betracht kommenden Verstöße, welche angesichts des kurz zuvor erlittenen, gänzlich ohne ihre Schuld verursachten Unfalls, nachvollziehbar erscheinen, nicht mehr ins Gewicht (vgl. die ähnlichen Fälle BGH, Urteil vom 26.03.1956, VI ZR 242/54; LG Bielefeld VersR 1971, 772) .
60Der Anspruch ist auch nicht unter der Berücksichtigung eines Quotenvorrechts zu kürzen. Soweit eine Selbstbeteiligung für ambulante Behandlungen zwischen der Klägerin und der Versicherungsnehmerin vereinbart worden ist, so war diese zum Unfallzeitpunkt bereits ausgeschöpft. Entsprechend sind sämtliche Heilbehandlungskosten durch die Klägerin getragen worden und daher auf diese übergegangen.
61Der geltend gemachte Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 ZPO.
62Da angesichts des ungeklärten gesundheitlichen Verlaufs nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin weitere Schäden zu ersetzen haben wird, ist auch der Feststellungsanspruch begründet. Der von Klägerseite behauptete Dauerschaden wurde nicht in Abrede gestellt.
63Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1, 100 Abs. 4 S. 1, 101 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.
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