Urteil vom Landgericht Münster - 111 O 83/14
Tenor
1.
Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 7.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.01.2015 zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin zu 1) alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbare immaterielle Schäden aus der Behandlung vom 21.02.2006 bis 17.12.2013 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
3.
Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner der Klägerin zu 2) Auskunft über die Identität ihres genetischen Vaters zu erteilen.
4.
Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner dem Kläger zu 3) Auskunft über die Identität seines genetischen Vaters zu erteilen.
5.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6.
Die Kosten werden wie folgt verteilt:
Die gerichtlichen Kosten tragen die Klägerin zu 1) zu 44 %, die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) jeweils zu 7 % sowie die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 42 %.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) tragen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 28 %.
Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) tragen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 2/3.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) trägt die Klägerin zu 1) zu 35 %.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) tragen die Klägerin zu 1) zu 60 % und die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) zu jeweils 20 %.
Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
7.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, wegen Ziffer 3) und 4) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 12.000,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 125 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
1
T a t b e s t a n d :
2Der Beklagte zu 1) ist ärztlicher Leiter und Geschäftsführer der Beklagten zu 3). Vor Gründung der Beklagten zu 3) im Jahr 2010 führte der Beklagte zu 1) eine Gemeinschaftspraxis unter selbiger Adresse mit dem Beklagten zu 2).
3Die Beklagten sind spezialisiert auf die Behandlung von Kinderlosigkeit, unter anderem auch mittels einer Fremdsamenspende, der sogenannten heterologen Insemination.
4Die Klägerin zu 1) lebte im Jahr 2006 in gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft mit der Frau J zusammen. Unter dem 21.03.2006 ließen sie bei einem Notar eine Vereinbarung zu einer heterologen Insemination beurkunden.
5Einen Monat zuvor, am 21.02.2006, hatte die Klägerin zu 1) bei den Beklagten zu 1) und 2) ein Erstgespräch. Etwas später schloss sie mit den Beklagten zu 1) und 2) einen Behandlungsvertrag, welcher eine heterologe Insemination vorsah.
6Im Mai 2006 erfolgte eine künstliche Befruchtung, wobei als Spender „Nr. 94 rh-o.k.“ dokumentiert ist. Am 21.01.2007 wurde die Klägerin zu 2) geboren. Durch Beschluss des Amtsgerichts Steinfurt vom 08.08.2008 nahm Frau J die Klägerin zu 2) auf Antrag der Klägerin zu 1) als gemeinschaftliches Kind an.
7Im August 2007 und am 22.12.2007 führte die Klägerin zu 1) mit der bei der früheren Praxisgemeinschaft der Beklagten zu 1) und 2) angestellten Ärztin T Gespräche in Bezug auf die heterologe Insemination bezüglich eines zweiten Kindes. Insoweit bestand bei den Parteien Einigkeit, dass dieses von demselben Spender abstammen sollte, von dem auch schon die Klägerin zu 2) abstammte. Dem lag der Wunsch der Klägerin zu 1) zugrunde, Vollgeschwister als Kinder zu haben.
8Die Klägerin ließ daraufhin zwischen Januar und Mai 2008 von der Beklagten zu 1) und 2) heterologe Inseminationen durchführen. In der Dokumentation wurde als Samenspender „Nr. 93“ notiert. Aufgrund dieser heterologen Inseminationen wurde am 03.01.2009 der Kläger zu 3) geboren. Der Kläger zu 3) stammt nicht von demselben Spender ab, von dem auch die Klägerin zu 2) abstammt, wobei streitig ist, ob die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) jeweils von dem Spender Nr. 93 bzw. 94 abstammen oder nicht. Für den Kläger zu 3) erfolgte keine Annahme seitens der Frau J, da die Beziehung zwischen der Klägerin zu 1) und ihr scheiterte.
9Da beide Kinder unterschiedliche Blutgruppen hatten, fragte die Klägerin zu 1) beim Beklagten zu 1) im November 2010 nach, ob beide Kinder von einem Vater stammen würden.
10Nach Durchführung verschiedener Untersuchungen teilte die Beklagte zu 3) der Klägerin zu 1) mit Schreiben vom 12.08.2011 mit, dass beide Kinder nicht den gleichen Vater haben.
11Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 28.03.2013 und 17.09.2014 und mit anwaltlichem Schreiben vom 31.10.2014 die Beklagte zu 3) auf, die Behandlungsunterlagen herauszugeben.
12Die Beklagte zu 3) gab am 04.12.2014 einen Teil der Behandlungsunterlagen, wie im Klageantrag zu 3) aufgelistet, heraus. Nicht herausgegeben wurden vorgerichtlich jedenfalls das Ergebnis einer Abstammungsuntersuchung und sämtliche Unterlagen über die beiden Spender.
13Frau J hat mit Erklärung vom 09.06.2015 der Klageerhebung durch die Klägerin zu 1) für die Klägerin zu 2) zugestimmt.
14Die Kläger meinen, die Beklagte zu 3) sei Rechtsnachfolgerin der Gemeinschaftspraxis der Beklagten zu 1) und 2). Die Passivlegitimation folge auch daraus, dass die Beklagte zu 3) – insoweit unstreitig – sämtliche Krankenunterlagen besaß.
15Die Klägerin zu 1) behauptet, neben der gewünschten Vollgeschwistereigenschaft sei Voraussetzung für die Zustimmung zur ersten Insemination gewesen, dass der Spender die Blutgruppe Null negativ habe und dieser nicht anonym sein sollte.
16Die Kläger behaupten, im Jahr 2006 sei der Spender nicht der Spender mit der Nr. 94, welcher laut Aussagen der Beklagte die Blutgruppe Null negativ habe, gewesen. Der tatsächliche Spender müsse nämlich die Blutgruppe A positiv haben. Im Jahr 2008 sei der Spender nicht der Spender mit der Nr. 93 gewesen. Die Beklagten hätten sich nicht an entsprechende Leitlinien gehalten. Sie hätten keine Sicherungsmaßnahmen gegen Verwechslung getroffen. Es liege ein grober Behandlungsfehler vor, da bei der heterologen Insemination im Jahr 2008 der Spender verwechselt worden sei.
17Die Klägerin zu 1) behauptet, aufgrund der Verwechslung der Spender und der Nachricht, dass ihre Kinder keine Vollgeschwister seien, habe sich bei ihr eine erhebliche behandlungsbedürftige psychische Fehlverarbeitung herausgebildet. Die Nachricht, dass der Spender vertauscht worden sei, habe sie in einen Schockzustand versetzt, in dem sie sich immer noch befinde. Seit dieser Mitteilung leide sie unter wiederkehrenden depressiven Episoden. Sie sei oft traurig, weine stundenlang, empfinde gemischte Gefühle dem Kläger zu 3) gegenüber, sei geprägt von Schuldgefühlen gegenüber beiden Kindern. Auch die Beziehung gegenüber der Klägerin zu 2) habe sich zum Negativen verändert. Sie mache die Klägerin zu 2) teilweise für die Spenderverwechslung verantwortlich. Sie habe sich von ihrer Frau, Familie, Bekannten distanziert und sich sozial zurückgezogen. Von August 2011 bis Mitte 2012 sei sie völlig erschöpft und antriebslos gewesen. Sie habe 18 Kilogramm abgenommen. Seit August 2011 habe sie keinen regelmäßigen Zyklus mehr. Bis heute leide sie unter wiederkehrenden depressiven Episoden. Die Stimmung sei überwiegend gedrückt. Sie freue sich selten, auch bei angenehmen Ereignissen. Sie ziehe sich oft zurück, liege weinend im Bett. Sie sei ständig müde, innerlich unruhig. Sie grübele unaufhörlich über die Vergangenheit und blicke negativ in die Zukunft. Sie leide unter einem starken Schuldgefühl, für die Verwechslung die Verantwortung zu tragen. Auch das Schuldgefühl, die Verantwortung dafür zu tragen, dass die Klägerin zu 2) niemals ihre Herkunft erfahren könne, begleite sie jeden Tag. Dieses Problem sei eine Konstante ihres Lebens geworden. Das fehlende Selbstvertrauen und ihr Selbstwertgefühl würden zu großen Einschränkungen im Alltagsleben führen. Stimmungsschwankungen würden den Alltag enorm beeinträchtigen. Sie sei oft aggressiv und ungehalten zu ihrem Umfeld. Die Konzentrationsfähigkeit habe stark abgenommen. Sie befinde sich weiterhin in psychologischer Behandlung. Sie stellt sich ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000,00 € vor.
18Die Klägerin zu 1) behauptet, die Krankenunterlagen seien nicht vollständig übergeben worden.
19Die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) meinen, sie hätten einen Anspruch auf Auskunft über die genetische Abstammung.
20Die Kläger beantragen,
211.
22die Beklagte zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 1) ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
232.
24festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin zu 1) alle gegenwärtigen und künftigen materiellen sowie nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus der Behandlung vom 21.02.2006 bis 17.12.2013 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen sind;
253.
26die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner die Klägerin zu 1) - Zug-um-Zug gegen Erstattung der von den Beklagten errechneten Kosten - die gesamten über die Klägerin zu 1) gefertigten Behandlungsunterlagen in Kopie herauszugeben, und zwar für den Zeitraum vom 21.02.2006 bis 17.12.2013, und zwar über folgende, bereits am 04.12.2014 ausgehändigte Unterlagen hinaus:
27 Schreiben MVZ vom 16.11.2010,
28 Einwilligungserklärung zur Durchführung genetischer Untersuchungen zur Abklärung der Abstammung vom 17.06.2011,
29 Untersuchungsauftrag vom 17.06.2011,
30 Untersuchungsauftrag vom 17.06.2011,
31 Schreiben Marienhospital vom 09.02.2009,
32 Schreiben Marienhospital vom 28.11.2008,
33 Schreiben Marienhospital vom 31.10.2008,
34 Schreiben Praxis Dr. S vom 21.08.2008,
35 Schreiben Marienhospital Steinfurt vom 21.02.2007,
36 Schreiben Dr. S vom 08.09.2006,
37 Behandlungsunterlagen (8 Seiten handschriftlich),
38 Notarieller Vertrag Dr. T1 vom 23.03.2006;
394.
40festzustellen, dass die Beklagten sich mit der Berechnung der für die Erstattung nötigen Kosten gemäß Ziffer 3) der Klage in Verzug befinden;
415.
42die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner eine Versicherung an Eides statt abzugeben, dass die von ihnen herauszugebenden Fotokopien eine vollständige Kopie der im Klageantrag zu Ziffer 3) dargestellten Behandlungsunterlagen beinhaltet;
436.
44die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner der Klägerin zu 2) Auskunft über die Identität des genetischen Vaters der Klägerin zu 2) zu erteilen, hilfsweise die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin zu 2) Auskunft über die Identität sämtlicher in Betracht kommenden Väter für die Klägerin zu 2) zu erteilen;
457.
46die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner dem Kläger zu 3) Auskunft über die Identität des genetischen Vaters des Klägers zu 3) zu erteilen;
478.
48die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin 2.077,74 € an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
49Die Beklagten beantragen,
50die Klage abzuweisen.
51Die Beklagten behaupten, für das Jahr 2006 sei davon auszugehen, dass die Klägerin zu 2) von dem Spender Nr. 94 stamme. Bei der Insemination vom 05.05.2006 sei seitens des Biologen nicht die entsprechende Nummer des Samenspenders dazugeschrieben worden, wie es sonst in jedem Fall in der damaligen Praxis der Beklagten zu 1) und 2) geschehen sei. Daher sei auch die Abstammung der Klägerin zu 2) vom Spender Nr. 94 nicht absolut sicher festzustellen. Für das Jahr 2008 behaupten die Beklagten, der Kläger zu 3) stamme von dem Spender Nr. 93 ab.
52Die Beklagten bestreiten die von der Klägerin behaupteten Folgen mit Nichtwissen. Insbesondere bestreiten sie, dass die Folgen im Zusammenhang mit der Frage stehen, ob die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) Voll- oder Halbgeschwister seien. Es müsste auch andere Ursachen geben, wobei insbesondere die Trennung der Klägerin zu 1) von ihrer früheren Lebenspartnerin in Betracht komme.
53Die Beklagten bestreiten mit Nichtwissen, dass sich die Klägerin noch in psychologischer Behandlung befindet. Dem Auskunftsanspruch der Klägerin zu 2) und des Klägers zu 3) stehe das Recht des Samenspenders auf informationelle Selbstbestimmung entgegen; beiden Samenspendern sei Anonymität zugesichert worden.
54Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.
55Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Krankenunterlagen und Vernehmung der Zeugin S1. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 07.01.2016 Bezug genommen.
56Die Klage ist den Beklagten am 08.01.2015 zugestellt worden.
57E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
58Die Klage gegen die Beklagte zu 3) ist zulässig, aber unbegründet. Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) ist hinsichtlich des Antrags zu 4) unzulässig und im Übrigen zulässig, aber nur teilweise begründet.
59I.
60Die Klageerhebung durch die Klägerin zu 2) ist nicht zu beanstanden, nachdem die Zustimmung der weiteren Erziehungsberechtigten Frau J vom 09.06.2015 (Blatt 63 der Akte), die auch nicht weiter bestritten wurde, vorgelegt wurde.
61Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Münster folgt jedenfalls aufgrund einer rügelosen Einlassung der Beklagten, § 39 ZPO.
62Bezüglich des Antrags zu 4) fehlt es bereits an einem Feststellungsinteresse. Die Beklagten-Seite hatte bereits vorgerichtlich Krankenunterlagen an die Klägerin zu 1) herausgegeben, ohne sich wegen der Kosten auf ein Zurückbehaltungsrecht zu berufen.
63II.
64Die Kläger haben gegenüber der Beklagten zu 3) keine Ansprüche. Dies folgt schon daraus, dass die Beklagte zu 3) erst im Jahr 2010 gegründet wurde. Eine GmbH ist indes keine Rechtsnachfolgerin einer Personengesellschaft, wie die Beklagten zu 1) und 2) sie wohl bis 2010 in ihrer Praxisgemeinschaft betrieben. Eine Schuldübernahmevereinbarung ist weder dargelegt noch ersichtlich. Allein aus dem Umstand, dass die Beklagte zu 3) vorgerichtlich die Behandlungsunterlagen in ihrem Besitz hatte, folgen keine Ansprüche gegenüber dieser. Unabhängig davon, ob Ansprüche auf Herausgabe der Krankenunterlagen bereits erfüllt sind oder nicht (dazu unten), bestehen aus den dargelegten Gründen keine vertraglichen, aber auch keine gesetzlichen Ansprüche; insbesondere bestehen keine Herausgabeansprüche aufgrund Eigentums, denn Eigentümer von Krankenunterlagen ist grundsätzlich der behandelnde Arzt.
65III.
66Die Kläger haben gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) Ansprüche im tenorierten Umfang.
671. Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500,00 € aus den §§ 241, 280, 253 BGB in Verbindung mit §§ 124, 128 HGB analog.
68Eine Pflichtverletzung ist darin zu sehen, dass entgegen der vertraglichen Absprache die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) nicht von demselben Spender abstammen und insoweit keine Vollgeschwister sind.
69Ein Verschulden der Beklagten wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Die Beklagten haben keine Tatsachen zu ihrer Entlastung vorgetragen.
70In der Rechtsfolge ist gem. § 253 Abs. 2 BGB ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches das Gericht mit 7.500,00 € für angemessen, aber auch ausreichend bemisst.
71Nach der Anhörung der Klägerin zu 1) und nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass bei der Klägerin seit dem Jahr 2011 psychische Beschwerden, Depressionen und Überlastungsgefühle bestanden, die zumindest mit-ursächlich auf den Umstand zurückzuführen sind, dass die Kinder der Klägerin zu 1) entgegen der ursprünglich vertraglichen Vereinbarung nicht von demselben Spender abstammen.
72Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung erklärt, im August 2011 sei für sie eine Welt zusammengebrochen, als sie erfahren habe, dass die beiden Kinder verschiedene Väter hätten. Dass ihre Kinder Vollgeschwister seien, sei für sie von hoher Bedeutung gewesen und von ihr gewünscht gewesen. Sie habe ein Schuldgefühl, da sie sich für die Verwechslung verantwortlich fühle, wobei ihr zu schaffen mache, dass nicht klar sei, ob die Kinder jemals die Identität der Väter erfahren. Sie wisse nicht, was sie den Kindern sagen solle. Die Trennung von Frau J sei im Jahr 2010 gewesen, wobei die Gründe für ihre Probleme aber nicht in der Trennung gelegen hätten, da sie seit dem letzten Jahr wieder neu verheiratet sei.
73Diese Erklärungen sind nach der Beurteilung des Gerichts im Wesentlichen glaubhaft. Sie stehen auch im Einklang mit den Bekundungen der Zeugin S1, die beruflich als psychologische Psychotherapeutin tätig ist und bei der die Klägerin zu 1) seit Januar 2012 in Behandlung war. Sie hat die Angaben der Klägerin zu 1) im Wesentlichen bestätigt. Sie hat bekundet, Anlass für die Beschwerden sei die Mehrfachbelastung durch die Kindererziehung, Haushaltsführung, Berufstätigkeit und Konflikt mit der Ex-Partnerin gewesen. In diese Konfliktlage sei dann die Angelegenheit wegen der Entstehung der Kinder gekommen. Es habe Beschwerden, Depressionen, Überlastungsgefühle gegeben, die sehr stark ausgeprägt gewesen seien. Die Klägerin zu 1) habe das Gefühl gehabt, dass sie ihren Pflichten nicht nachkommen könne, dass sie alles hinschmeißen wolle. Für sie sei es extrem belastend gewesen, nicht eine gute Mutter sein zu können, wie sie sich das vorgestellt habe. Hiermit sei die Klägerin zu 1) nicht zurecht gekommen. Sie sei in großer Sorge gewesen, dass sie die Entstehung ihrer Kinder später diesen nicht erklären könne und dass es zu Konflikten mit den Kindern kommen würde; sie habe sich hilflos gefühlt. Das Problem habe darin bestanden, dass die Herkunft nicht nachverfolgt werden könne und dass die Erzeugerseite nicht gleich war. Das Hauptproblem sei die Akkumulation aller dieser Dinge gewesen.
74Das Gericht ist danach davon überzeugt davon, dass bei der Klägerin aufgrund des Umstands, dass ihre Kinder keine Vollgeschwister sind, zumindest eine große Enttäuschung, Hilfslosigkeitsgefühle und subjektiv Schuldgefühle gegenüber den Kindern für die Verwechselung aufgekommen sind und diese in die bereits vorbestehende und insbesondere von Beschwerden, Depressionen und Überlastungsgefühlen geprägte Belastungssituation verstärkend bzw. mitursächlich einwirkten, so dass psychische Belastungen, die ohne Zweifel Krankheitswert erreichten und behandlungsbedürftig waren bzw. immer noch sind, bestanden.
75Hiervon ausgehend hielt das Gericht den zuerkannten Betrag für angemessen, aber auch ausreichend.
762. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Zeugin S1 hat im Rahmen ihrer Vernehmung zur Überzeugung des Gerichts bekundet, die Behandlung der Klägerin zu 1) sei noch nicht abgeschlossen und es bedürfe noch weiterer zehn Behandlungstermine. Von daher sind sowohl zukünftige materielle als auch nicht vorhersehbare zukünftige immaterielle Schäden möglich, was für die Begründetheit des Feststellungsantrags ausreicht.
773. Die Klägerin zu 1) hat gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) keinen Anspruch auf Herausgabe weiterer Behandlungsunterlagen Zug-um-Zug gegen Kostenerstattung. Ein Anspruch auf Herausgabe der Krankenunterlagen ist bereits erfüllt, nachdem die Krankenunterlagen der Klägerin bereits zur Verfügung gestellt wurden (zuletzt das Abstammungsgutachten mit der Klageerwiderung). Es bestehen keine Zweifel an der Vollständigkeit der Krankenunterlagen. Insoweit hatte auch der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner persönlichen Anhörung glaubhaft erklärt, dass weitere Dokumentationen nicht vorhanden seien.
78Soweit die Namen der Spender nicht in den Krankenunterlagen geführt werden, sind diese Daten nicht dokumentationspflichtig. Der Name des Spenders ist für einen Nachbehandler ohne Relevanz; relevant ist vielmehr nur die Blutgruppe des Spenders, die hier angegeben wurde. Zudem kommt es für die Frage, mit welchem Inhalt die Krankenunterlagen in der Praxis der Beklagten zu 1) und 2) geführt wurden, auf das übliche Vorgehen in dieser Praxis an, welches vom ärztlichen Standard abweichen kann. Auch nach den Angaben der Klägerin zu 1) gehörten die Unterlagen zu den jeweiligen Spendern in der Praxis der Beklagten zu 1) und 2) aber nicht zu den Krankenunterlagen über die Patientinnen.
794. Die Klägerin zu 1) hat gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) keinen Anspruch auf Abgabe einer Vollständigkeitsversicherung bezüglich der Behandlungsunterlagen. Ansprüche scheitern schon daran, dass zurzeit jedenfalls kein Grund zur Annahme besteht, dass ein etwaiges Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist (§ 260 Abs. 2 BGB).
805. Die Klägerin zu 1) hat gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) keine Ansprüche auf Zahlung von außergerichtlichen Kosten. Die Klägerin zu 1) hat nicht dargelegt, dass sie ihren Rechtsanwalt damit beauftragt hat, berechtigte Ansprüche gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) außergerichtlich durchzusetzen. Ihr Prozessvertreter ist ausweislich des Schreibens vom 31.10.2014 gegen die Beklagte zu 3) vorgegangen, die, wie oben dargestellt, nicht Vertragspartnerin der Klägerin zu 1) war und gegenüber der deswegen auch keine vertraglichen Ansprüche bestanden haben. Die Klägerin zu 1) konnte auch nicht Herausgabeansprüche auf Eigentum stützen, da Eigentümer der Krankenunterlagen der Behandler ist und nicht der Patient. Eine weitere anwaltliche Tätigkeit und das Bestehen materiell rechtlicher Kostenerstattungsansprüche sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da es sich um eine Nebenforderung handelt, war insoweit ein Hinweis nicht erforderlich.
81IV.
82Die Klägerin zu 2) und der Kläger zu 3) haben gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) einen Anspruch auf Auskunft hinsichtlich der Identität ihres genetischen Vaters.
83Bei wie im vorliegenden Fall mittels künstlicher heterologer Insemination gezeugten Kindern folgt ein solcher Anspruch aus § 242 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2015, Az.: XII ZR 201/13). Die erforderliche rechtliche Sonderverbindung folgt aus dem Behandlungsvertrag, bei dem es sich um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des jeweiligen Kindes handelt. Es besteht in dieser Konstellation auch ein konkretes Bedürfnis des Kindes für die Information über die Identität des Samenspenders. Soweit das Kind nicht selbst tätig wird, muss der Auskunftsanspruch durch die Eltern als die gesetzlichen Vertreter im Interesse des Kindes geltend gemacht werden, was voraussetzt, dass die Auskunft zum Zwecke der Information des Kindes und damit verlangt wird, um sie an das Kind weiterzugeben. Dabei ist ausreichend, dass die Eltern dem Kind die Zeugungsart und Identität des Samenspenders offenlegen wollen. Ein bestimmter zeitlicher Zusammenhang zwischen der Erlangung der Information durch die Eltern und der Weitergabe an das Kind ist nicht erforderlich. Hier hat die Klägerin zu 1), wie sie im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung glaubhaft erklärt hat, die Absicht, die Informationen an die Klägerin zu 2) und den Kläger zu 3) – gegebenenfalls erst nach entsprechender Nachfrage – herauszugeben. Die Auskunftserteilung ist für die Beklagten zu 1) und 2) auch zumutbar. Für die Klägerin zu 2) und den Kläger zu 3) streitet hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG), welches eigene Rechte der Beklagten zu 1) und 2) überwiegt. Soweit die Interessen der Samenspender zu berücksichtigen wären, haben die Beklagten zu 1) und 2) keine Darlegungen zu entgegenstehenden Interessen des Samenspenders gemacht. Im Übrigen hat der Auskunftsanspruch des Kindes als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in der Regel den Vorrang gegenüber der nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit der Ärzte und den möglicherweise nach Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG geschützten Rechten der Spender, denen Anonymität zugesichert worden ist (vgl. BGH a.a.O.). Es gibt keinen Grund dafür, das im hier vorliegenden Fall anders zu beurteilen.
84Es liegt auch keine Unmöglichkeit für die Beklagten zu 1) und 2) vor, dies insbesondere nicht, weil die Beklagten zu 1) und 2) selbst den Namen des jeweiligen Spenders zurzeit nicht kennen und diesen selbst erst durch Untersuchungen feststellen müssen. Dass die potenziellen Spender sich weigern, an diesen Untersuchungen mitzuwirken, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
85V.
86Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 92 ZPO i. V. m. den Grundsätzen zur Baumbachschen Kostenformel. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 709 ZPO.
87VI.
88Der Streitwert wird
89für den Antrag zu 1) auf 25.000,00 €
90für den Antrag zu 2) auf 5.000,00 €
91für den Antrag zu 3) auf 100,00 €
92für den Antrag zu 4) auf 100,00 €
93für den Antrag zu 5) auf 100,00 €
94für den Antrag zu 6) auf 10.000,00 €
95für den Antrag zu 7) auf 10.000,00 €
96insgesamt auf 50.300,00 €
97festgesetzt.
98In dieser Sache liegt eine Berufungsentscheidung des OLG Hamm - I-3 U 66/16 vor.
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