Beschluss vom Landgericht Münster - 05 T 62/16
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 16.12.2015 (29 XIV (B) 35/15) den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
Gerichtskosten werden in beiden Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Kreis Steinfurt auferlegt.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
1
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Borken vom 16.12.2015 (29 XIV (B) 35/15) den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
2Gerichtskosten werden in beiden Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Kreis Steinfurt auferlegt.
3Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
4G r ü n d e:
5I.
6Der Betroffene ist marokkanischer Staatsbürger. Er reiste am 12.06.2014 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein am 30.06.2014 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid vom 11.12.2014 als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Betroffenen angeordnet. Nach einem nicht erfolgreichen Klageverfahren erfolgte die Abschiebung am 12.03.2015 nach Italien. Am 16.03.2015 reiste der Betroffene erneut ohne Pass und erforderlichen Aufenthaltstitel in das Bundesgebiet ein. Im Rahmen des Dublinverfahrens wurde am 03.09.2015 erneut die Abschiebung nach Italien angeordnet. Der Betroffene hat erneut Klage erhoben beim Verwaltungsgericht Münster und einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, welcher am 15.09.2015 unanfechtbar abgelehnt wurde.
7Eine für den 16.12.2015 geplante Rücküberstellung nach Italien wurde dem Betroffenen schriftlich angekündigt. Der Betroffene konnte am 16.12.2015 in seiner Unterkunft angetroffen werden und es erfolgte der Transport zum Flughafen Düsseldorf. Dort kam es zu einer Mitnahmeverweigerung des verantwortlichen Flugkapitäns. In der Abschlussmeldung der Bundespolizei Sankt Augustin, PHM J, ist als Ergebnis angegeben: „N 26, Mitnahmeverweigerung durch verantwortlichen Flugkapitän, nachdem der Z. sich weigerte, das Flugzeug freiwillig zu besteigen. Eine Begleitung wird seitens der Bundespolizei empfohlen.“
8Die beteiligte Ausländerbehörde hat daraufhin unter Schilderung des wiedergegebenen Sachverhalts noch am 16.12.2015 die Anordnung der Abschiebehaft beantragt, wobei sie den Haftgrund des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG angeben hat. Hinsichtlich des Haftgrundes wurde ausgeführt, der Betroffene habe sich trotz deutlichster Aufforderung von Seiten der Bundespolizei geweigert, das Flugzeug zu besteigen. Daraufhin habe der Flugkapitän aufgrund dieser Weigerung aus Sicherheitsgründen den Betroffenen nicht mitgenommen. Weiter hat die Ausländerbehörde ausgeführt, es bedürfe für die Organisation einer polizeilich begleiteten Rückführung eines zeitlichen Vorlaufs von voraussichtlich sechs Wochen.
9Das Amtsgericht Borken hat daraufhin am 16.12.2015 den Betroffenen unter Beiziehung eines Dolmetschers persönlich angehört. In der Anhörung hat der Betroffene erklärt, er habe sich nicht geweigert, das Flugzeug zu besteigen. Er wäre freiwillig nach Italien gegangen. Ihm sei etwas schlecht gewesen am Flughafen. Er habe ein Stück Zucker genommen und habe sich 15 Minuten hinlegen können. Er sei mit einem anderen Marokkaner zum Flugzeug gebracht worden. Dieser habe sich plötzlich geweigert, ins Flugzeug zu steigen. Er – der Betroffene - habe gar nichts gemacht. Der Kapitän sei dann nicht bereit gewesen, ihn und den weiteren Marokkaner mitzunehmen.
10Daraufhin hat das Amtsgericht die Anhörung unterbrochen und telefonisch Kontakt zur Flughafenpolizei aufgenommen. Ausweislich des Anhörungsprotokolls hat der Beamte gegenüber dem Amtsgericht erklärt, dass sich morgens um 7:30 Uhr beide Marokkaner geweigert hätten, ins Flugzeug zu steigen. Die Einlassung des Betroffenen treffe nicht zu. Nach einer weiteren Unterbrechung wurde die Anhörung fortgesetzt und dem Betroffenen der Beschluss über die Anordnung der Abschiebungshaft bis zum 26.01.2016 durch Verlesen und Übersetzen bekannt gemacht. In den Gründen des Beschlusses führt das Amtsgericht insbesondere aus:
11„Vorliegend hat sich der Betroffene am heutigen Tage geweigert, freiwillig in das Flugzeug nach Italien zu steigen. Hiervon ist das Gericht aufgrund der Abschlussmeldung der Bundespolizei Düsseldorf und der telefonischen Auskunft der Flughafenpolizei überzeugt.“
12Gegen diesen Beschluss wendet sich der Betroffene mit seiner mit Anwaltsschriftsatz vom 13.01.2016 eingelegten Beschwerde, in der bereits für den Fall der Haftentlassung die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses beantragt worden ist. Eine Beschwerdebegründung erfolgte mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 11.02.2016, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.
13Das Amtsgericht hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen und sie nebst Sachakten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
14Der Betroffene ist am 25.01.2016 aus der Haft entlassen und nach Italien abgeschoben worden.
15II.
161.
17Die Beschwerde ist als Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde im Sinne des § 62 Abs. 1 FamFG statthaft. Die Erledigung der Hauptsache ist durch die Haftentlassung des Betroffenen am 17.09.2015 eingetreten. Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus dem mit der Freiheitsentziehung verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriff (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
182.
19Die Beschwerde ist auch begründet, weil der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
20Die Weigerung, das Flugzeug zu besteigen und damit eine Abschiebung zu verhindern, kann jedenfalls dann einen Haftgrund gemäß § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG darstellen, wenn der Betroffene bei der Weigerung, das Flugzeug zu besteigen, aktiven Widerstand leistet (vgl. BGH Beschluss vom 12.12.2013, Az.: V ZB 220/12, zitiert nach juris).
21Das Amtsgericht hat diesen Haftgrund bejaht mit der Feststellung, dass der Betroffene – was dieser im Rahmen der persönlichen Anhörung ausdrücklich bestritten hat - sich geweigert habe, das Flugzeug zu besteigen. Seine Überzeugung hat das Amtsgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der während der Unterbrechung der Anhörung eingeholten Telefonauskunft durch einen Beamten der Düsseldorfer Flughafenpolizei, gewonnen. Diese Beweisaufnahme entspricht aber nicht den Vorschriften des FamFG:
22Grundsätzlich sehen die §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 FamFG vor, dass das Gericht die erforderlichen Beweise in der geeigneten Form erhebt und nach pflichtgemäßen Ermessen entscheidet, ob es die entscheidungserheblichen Tatsachen durch eine förmliche Beweisaufnahme entsprechend der Zivilprozessordnung feststellt. Das förmliche Beweisverfahren kann mithin auf einzelne Beweismittel beschränkt und durch freibeweislich gewonnene Erkenntnisse ergänzt werden (vgl. Bahrenfuss, FamFG 2. Auflage 2013, Rn. 3). Grundsätzlich ist dem Gericht daher nicht verwehrt, Beweis zu erheben durch Einholung einer Telefonauskunft. Eine Ausnahme davon sieht aber § 30 Abs. 3 FamFG vor, welcher das Ermessen des Gerichts beschränkt. Danach soll eine förmliche Beweisaufnahme stattfinden, wenn das Gericht seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung dieser Tatsache stützen will und die Richtigkeit von einem Beteiligten ausdrücklich bestritten wird. Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall erfüllt, da die vom Amtsgericht festgestellte Weigerung des Betroffenen, das Flugzeug zu besteigen, die Annahme eines Haftgrundes gemäß § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 AufenthG begründet hat und der Betroffene im Rahmen der Anhörung diese Weigerung ausdrücklich bestritten hat. Liegt aber ein Fall des § 30 Abs. 3 FamFG vor, ist das Gericht zur Durchführung einer förmlichen Beweisaufnahme verpflichtet, wenn im Hinblick auf das qualifizierte Bestreiten eines Beteiligten die Anordnung einer förmlichen Beweisaufnahme von vornherein angezeigt ist. Eine solche hat das Amtsgericht nicht durchgeführt.
23Zwar wird teilweise vertreten, dass dem Gericht, da es sich bei § 30 Abs. 3 FamFG um eine Soll-Vorschrift handelt, ein – wenn auch eingeschränktes - Ermessen hinsichtlich der Anordnung einer förmlichen Beweisaufnahme verbleibt und, wenn bereits ein Freibeweisergebnis vorliegt, in Ausnahmefällen die Ablehnung der förmlichen Beweisaufnahme auch darauf gestützt werden kann, dass selbst unter Berücksichtigung des Bestreitens von einer förmlichen Beweisaufnahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten wären (Bahrenfuss, aaO Rn. 12). Insoweit ist allerdings zum einen anzumerken, dass weder aus dem Protokoll der Anhörung noch aus den Gründen des Beschlusses des Amtsgerichts vom 16.12.2015 ersichtlich ist, dass das Gericht sein Ermessen in diesem Sinne erkannt und ausgeübt und einen solchen Ausnahmefall angenommen hat, der das Absehen von einer förmlichen Beweisaufnahme rechtfertigt. Zum anderen bestehen nach Auffassung der Kammer erhebliche Bedenken, ob es sich vorliegend tatsächlich um einen derartigen Ausnahmefall gehandelt hat oder ob es nicht in Anbetracht der besonderen Bedeutung der Angelegenheit – immerhin steht ein Grundrechtseingriff in Rede – angezeigt gewesen wäre, die Glaubwürdigkeit der Angaben des befragten Polizeibeamten zu überprüfen, wobei auch abzuklären gewesen wäre, ob der Beamte bei dem Abschiebungsversuch selbst zugegen war oder ob seine telefonische Aussage auf die ihm vorliegenden Akten oder Angaben Dritter gründete.
24Aber selbst wenn das Amtsgericht sich im vorliegenden Fall auf eine Beweiserhebung im Freibeweisverfahren hätte beschränken dürfen, läge ein Verfahrensverstoß zu Lasten des Betroffenen insofern vor, als diesem ausweislich des Anhörungsprotokolls vor einer Entscheidung über den Haftantrag der Ausländerbehörde das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mitgeteilt und ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme dazu gegeben worden ist, was ihn in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Auch wenn Beteiligte bei formlosen Ermittlungen des Gerichts kein Recht auf Teilnahme haben und Feststellungen auch in ihrer Abwesenheit getroffen werden können, muss ihnen doch zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs der nach § 29 Abs. 2 FamFG anzufertigende Vermerk über das Ergebnis der Beweiserhebung bekannt gegeben und Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt werden (vgl. Keidel, FamFG, 18. Auflage 2014, § 29 Rn. 23).
25Da auch das hier nicht geschehen ist, liegt eine Rechtsverletzung vor mit der Folge, dass dem Feststellungsantrag des Betroffenen stattzugeben ist, ohne dass es noch auf die weiteren von dem Betroffenen erhobenen Einwendungen ankäme.
26III.
27Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 430 FamFG (vg. dazu auch Keidel a.a.O. § 430 Rn. 14 und 16), die Wertfestsetzung auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
28Rechtsmittelbelehrung:
29Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG die Rechtsbeschwerde statthaft.
30Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat beim Bundesgerichtshof (Postanschrift: Bundesgerichtshof, 76125 Karlsruhe) schriftlich in deutscher Sprache einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten: 1. die Bezeichnung des Beschlusses, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und 2. die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.
31Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Auch diese Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses. Die Begründung der Rechtsbeschwerde kann in der Rechtsbeschwerdeschrift oder in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen. Wegen des notwendigen Inhalts der Begründung wird auf § 71 Abs. 3 FamFG Bezug genommen.
32Die Beteiligten müssen sich im Rechtsbeschwerdeverfahren durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Rechtsbeschwerdeschrift und etwaige weitere Schriftsätze von einem solchen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
33Unterschriften
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.