Urteil vom Landgericht Paderborn - 2 O 216/15
Tenor
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 155.628,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 73.819,08 Euro ab dem 01.03.2014, aus weiteren 56.031,13 Euro ab dem 23.10.2014, aus weiteren 11.896,64 Euro ab dem 16.01.2015 und aus 13.882,04 Euro seit dem 23.07.2015 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die weiteren Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten K vom 30.07.2013 entstanden sind und zukünftig entstehen, jedoch nur bis zur Höhe des um ein Mitverschulden des Versicherten der Klägerin von 30 % geminderten zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches ihres Versicherten gegen die Beklagten, wenn die Beklagten diesem gegenüber nicht nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert wären.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Arbeitsunfalls in Regress.
3Die Klägerin ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts gesetzlicher Unfallversicherungsträger. Sie erbringt zugunsten ihres Versicherten, dem Zeugen K, aus Anlass eines Arbeitsunfalls am 30.07.2013 in C u.a. Leistungen für Heilbehandlungskosten, Medikamente, Zahnersatz, Physiotherapie, Fahrt- und Transportkosten, orthopädische Schuhe, sonstige Hilfsmittel und Verletztengeld nebst darauf zu entrichtender Beiträge zur Sozialversicherung.
4Der Zeuge K war am Unfalltag als Bauhelfer bei der Beklagten zu 1.) angestellt. Er hatte dort in der Zeit vom 04.03.2003 bis zum 23.09.2012 und nachfolgend wieder ab dem 01.03.2013 bis zum Unfallzeitpunkt gearbeitet. Bei der Beklagten zu 1.) handelt es sich um ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin, was ihre Eintrittspflicht zu Gunsten des Zeugen K begründet. Die Klägerin erkannte den streitgegenständlichen Unfall mit Rentenbescheid vom 23.04.2015 als Arbeitsunfall an. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.
5Die Beklagte zu 1.) war am Unfalltag beauftragt, an dem Gebäude … in C Verblendarbeiten durchzuführen. Bei diesem Gebäude handelt es sich um einen etwa 14 Meter hohen Neubau, an welchem durch ein drittens Unternehmen ein Gerüst gestellt worden war. Die Beklagte zu 1.) hatte zum Materialtransport einen eigenen Bauaufzug aufgestellt, der insbesondere aus einem Mast und einem daran befestigten Korb bestand, der mittels Seil nach oben gezogen werden konnte. Dieser Bauaufzug „…“ verfügt über eine Nutzlast von 200 KG und eine Masthöhe in der Grundausführung bis 9 Metern. Es handelt sich um einen reinen Lastenaufzug, der zum Transport von Menschen nicht bestimmt ist. Der Aufzug verfügte damals über mobiles Bedienteil („…“), welches über ein etwa 9 Meter langes Kabel mit dem Aufzug verbunden war. Die letzte dokumentierte Sachkundigenprüfung nach den berufsgenossenschaftlichen Regelungen (BGR 500) vor dem Unfallgeschehen fand am 22.06.2011 an dem Bauaufzug statt. Dieser Überprüfung war eine Beanstandung und Aufforderung seitens der Bezirksregierung E vorausgegangen, eine entsprechende Sachkundigenprüfung gemäß §§ 10, 11 Betriebssicherheitsverordnung an dem Bauaufzug vornehmen zu lassen.
6Der Beklagte zu 2.), bei dem es sich um den Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten zu 1.) und um den Vorgesetzten des Zeugen K handelt, war am Unfalltag selbst vor Ort und gemeinsam mit dem Zeugen tätig. Er hatte den Aufzug seinerzeit bei Einrichtung der Baustelle selbst aufgebaut. Der Zeuge K hatte die Aufgabe Baumaterialien, insbesondere Steine in die Etagen des Gebäudes zu verbringen, in denen diese verbaut werden sollten. Nachdem der Zeuge K eine Schubkarre mit Klinkersteinen beladen hatte, schob er diese auf die Plattform des Bauaufzugkorbes. Er fuhr sodann auf der Plattform stehend nach oben, als in einer Höhe von etwa 10 Metern das Seil des Aufzugs riss, er mit dem Aufzug zu Boden fiel und sich dabei schwere Verletzungen zuzog.
7Der Zeuge K erlitt insbesondere folgende Verletzungen:
8 traumatische subdurale Blutung
9 instabile LWK 3 Fraktur
10 erstgradige offene Unterschenkelfraktur rechts
11 Fußwurzelluxationsfraktur rechts
12 Fersenbeitrümmerfraktur links
13 Multiple Schnittwunden
14 Traumatische Dentin/Schmelzfraktur Zahn 14 und 15, Entfernung Zahn 16
15 Sepsis
16 Hypokaliämie
17Der Zeuge K wurde zunächst im evangelischen Krankenhaus in C behandelt, dort insbesondere am 06.08.2013 und 08.08.2013 operiert, und befand sich dort vom Unfalltag bis zum 25.09.2013 in stationärer Behandlung. Von dort wurde der Zeuge in die Sonderstation des Diakoniekrankenhauses G in C transportiert, wo er bis zum 31.10.2013 stationär behandelt wurde. In der Zeit vom 04.11.2013 bis zum 10.01.2014 erfolgte die ambulante Rehabilitationsbehandlung im C in Q. In der Zeit vom 13.01.2014 bis 04.03.2014 befand sich der Zeuge wiederum in stationärer Behandlung im G in C. Am 19.02.2014 erfolgten dort die Materialentfernung am Fersenbein sowie die Pseudoarthrosenausräumung am Fersenbein und eine Versteifung des linken Sprunggelenks. In der Zeit vom 08.05.2014 bis 06.06.2014 fand eine stationäre Rehabilitationsbehandlung statt. Zwischen den beiden Krankenhausbehandlungen erhielt der Zeuge im C in Q Krankengymnastik und Lymphdrainagen. Darüber hinaus wurde der Zeuge vom 13.12.2013 bis 10.01.2014 unfallbedingt zahnärztlich von Herrn T behandelt. Er erhielt eine Implantatversorgung des Zahnes 32 sowie Kunststofffüllungen in den Zähnen 15, 14, 13, 12, 25, 38. In der Zeit vom 13.12.2013 bis 10.01.214 war der Zeuge auf die Benutzung von 2 Unterarmgehstützen angewiesen.
18Am 09.03.2015 erstatteten die Ärzte E und L des Krankenhauses G für die Klägerin ein Rentengutachten. Nach den dortigen Ausführungen konnte das akute Heilverfahren bis zum 26.01.2015 abgeschlossen werden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde auf 40 % ab dem 27.01.2015 eingeschätzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K5 Bezug genommen. Daraufhin erließ die Klägerin gegenüber dem Zeugen am 23.03.2015 einen entsprechenden Rentenbescheid.
19Bereits mit Schreiben vom 30.01.2014, zugegangen am 31.01.2014, wurde die hinter den Beklagten stehende Haftpflichtversicherung erfolglos aufgefordert, einen Betrag von seinerzeit bezifferbaren 73.819,08 Euro zu zahlen. Mit weiteren Schreiben vom 22.09.2014, zugegangen am 23.09.2014, wurde die hinter den Beklagten stehende Haftpflichtversicherung erfolglos aufgefordert, weitere 56.031,13 Euro zu zahlen. Schließlich forderte die Klägerin mit Schreiben vom 15.12.2014, zugegangen am 16.12.2014, erfolglos auf, die seinerzeit bezifferbare Gesamtforderung in Höhe von 141.746,85 Euro zu begleichen.
20Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin nunmehr ihren geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruch weiter.
21Die Klägerin meint, dass sich aus den Verstößen der Beklagten gegen Sicherheitsvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften schon ein Anscheinsbeweis für eine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 110 SGB VII ergebe. Hierzu behauptet die Klägerin, dass bei Beachtung der nach den berufsgenossenschaftlichen Regelungen vorgesehenen jährlichen Sachkundigenprüfung das Seil am Bauaufzug nicht gerissen und der Unfall nicht geschehen wäre. Die letzte Überprüfung habe am 22.06.2011 vor dem Unfall stattgefunden. Das vorhandene Prüfsiegel mit nächster Prüfung im April 2013 habe sich lediglich auf die elektrische Anlage bezogen, sei aber ebenfalls im Unfallzeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Auch bei der Beachtung der vor jeder Inbetriebnahme erforderlichen Überprüfung des Bauaufzuges wäre, so die Klägerin, das vorgeschädigte Seil aufgefallen und der Unfall vermieden worden. Die Klägerin behauptet weiter, dass der Beklagte zu 2.) die Nutzung des Aufzugs zum Personentransport dadurch bewusst ermöglicht habe, dass ein langes Kabel für das Bedienelement von etwa 9 bis 10 Metern gewählt worden sei, um mit diesem ganz nach oben fahren zu können. Tatsächlich werde der Bauaufzug vom Hersteller nur mit einer Kabellänge von 3 Metern ausgeliefert, um gerade zu verhindern, dass eine Nutzung zur Personenbeförderung stattfinde. Schließlich sei durch die Beklagten auch die Durchführung einer nach § 5 ArbSchG erforderlichen Gefährdungsanalyse unterlassen worden. Bei Vornahme dieser Analyse wäre, so die Klägerin, der Unfall nicht eingetreten.
22Die Klägerin behauptet, dass ihr bis zum 17.06.2015 insgesamt Aufwendungen in Höhe von 155.628,89 Euro im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall entstanden seien, um zwar 83.543,97 Euro an stationären Heilbehandlungskosten, 2.422,03 Euro an Kosten der ambulanten Heilbehandlung, 900,64 Euro für Arznei- und Heilmittel, 4.110,35 Euro für Therapien, 496,16 Euro für Kleider und Wäschemehrverschleiß, 9.746,45 Euro für Fahrt- und Transportkosten, 1.742,31 Euro für orthopädische Schuhe, 3.232,44 Euro für sonstige Hilfsmittel, 33.333,48 Euro für Verletztengeld vom 11.09.2013 bis 26.01.2015, Sozialversicherungsbeiträge auf das Verletztengeld von 10.827,84 Euro, Verletztenrente in der Zeit vom 27.01.2015 bis 31.05.2015 in Höhe von 2.661,27 Euro und Feststellungskosten in Höhe von 2.606.95 Euro.
23Dem Zeugen K stünde gegen die Beklagten ein die Aufwendungen der Klägerin übersteigender fiktiver zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch bis zum 31.05.2015 in Höhe von 157.137,13 Euro zu und zwar unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 30 % materielle Schadenspositionen von 74.336,05 Euro, Schmerzensgeld in Höhe von 42.000,00 Euro, Verdienstausfall im Jahr 2013 in Höhe von 7.216,41 Euro, im Jahr 2014 in Höhe von 23.699,76 Euro und für 2015 bis zum 31.05.2015 in Höhe von 9.884,91 Euro, so dass sie ihre vorbenannten Aufwendungen, so meint die Klägerin, voll erstattet verlangen könne.
24Die Klägerin beantragt,
251. Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 155.628,89 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 73.819,08 Euro ab dem 01.03.2014, aus weiteren 56.031,13 Euro ab dem 23.10.2014, aus weiteren 11.896,64 Euro ab dem 16.01.2015 und im Übrigen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
262. festzustellen, dass die Beklagte als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin die weiteren Aufwendungen zu ersetzen, die ihr aus Anlass des Unfalls ihres Versicherten K vom 30.07.2013 entstanden sind und zukünftig entstehen, jedoch nur bis zur Höhe des um ein Mitverschulden des Versicherten der Klägerin von 30 % geminderten zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches ihres Versicherten gegen die Beklagten, wenn die Beklagten diesem gegenüber nicht nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert wären.
27Die Beklagten beantragen,
28die Klage abzuweisen.
29Die Beklagten behaupten, dass der Zeuge K entgegen den Anweisungen seines Arbeitsgeber den Aufzug genutzt habe, um sich selbst als Person nach oben zu fahren. Der Zeuge sei den Beklagten als umsichtiger und sorgfältiger Mitarbeiter bekannt gewesen, der mit einer kurzen Unterbrechung über 11 Jahre im Betrieb beschäftigt gewesen sei. Der Zeuge K sei darüber informiert gewesen, dass der Aufzug nicht zur Personenbeförderung freigegeben gewesen sei. Der Beklagte zu 2.) habe, wenn er gesehen habe, dass entgegen der Anweisung der Aufzug zur Personenbeförderung benutzt worden sei, dies stets untersagt. Das Verbot sei mehrfach explizit ausgesprochen worden.
30Das Kabel der Steuereinheit habe die festgestellte Länge gehabt, um den Aufzug auch von oben bedienen zu können. Eine Verlängerung des Kabels sei durch den Beklagten zu 2.) auch nicht vorgenommen worden. Der Aufzug sei bereits in dem Zustand im Jahre 2010 gekauft worden. Bei Wartungen des Aufzugs sei die Länge des Kabels des Bedienelements nie beanstandet worden. Die nicht erfolgte Überprüfung des Bauaufzuges im Frühjahr 2013 sei für den Unfall nicht ursächlich gewesen. Eine etwaige Schwachstelle am Seil wäre auch bei einer Überprüfung nicht aufgefallen.
31Die Beklagte bestreiten zudem, dass der Zeuge K immer noch beim Gehen beeinträchtigt sei, die Heilbehandlung noch fortdauere und eine dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % bestehen soll. Die Richtigkeit der Berechnung des Verletztengeldes und der Verletztenrente bestreiten sie ebenso, wie die Richtigkeit der Berechnung des Verdienstausfallschadens sowie die mit 639,53 Euro bezifferte monatliche Rente. Sie meinen zudem, dass das für die Berechnung des Aufwendungsersatzes angesetzte Schmerzensgeld mit 60.000,00 Euro weit übersetzt sei.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Ferner hat es den Beklagten zu 2.) nach § 141 Abs. 1 ZPO persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie der Parteianhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2016 und 10.05.2016 Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe:
34Die zulässige Klage ist auch in der Sache begründet.
35I.
361.
37Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner wegen der aufgrund des Arbeitsunfalls vom 30.07.2013 in C an den geschädigten Zeugen K erbrachten Leistungen ein Rückgriffsanspruch aus § 110 Abs. 1 SGB VII bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs zu in Höhe von 155.628,89 Euro zu.
38Nach § 110 SGB VII haften Personen, dessen Haftung nach den §§ 104 bis 107 SGB VII beschränkt ist, den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen, sofern sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, allerdings nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches, wobei nach § 111 SGB VII auch die gesetzliche Vertreter des Unternehmers haften, wenn sie in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachen.
39Diese Voraussetzungen liegen vor. Dass es sich vorliegend um einen Versicherungsfall im Sinne der Vorschrift handelt, ist zwischen den Parteien nicht im Streit. Der Beklagte zu 2.) hat den streitgegenständlichen Arbeitsunfall des Zeugen K am 30.07.2013 grob fahrlässig herbeigeführt, was der Beklagten zu 1.) nach § 111 SGB VII zuzurechnen ist.
40Grobe Fahrlässigkeit setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei gilt, dass ein Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift zwar eine Vermutung dafür begründet, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verstoß und dem Schaden besteht. Die Annahme einer groben Fahrlässigkeit ist aber auch in diesem Fall nicht ohne weiteres, sondern erst dann gerechtfertigt, wenn die Unfallverhütungsvorschrift mit eindeutigen Sicherungsanweisungen vor tödlichen Gefahren schützen soll, also elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.2001, VI ZR 49/00, zit. nach juris). Dabei spielt insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren. Im letzteren Fall kann der objektive Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten ein solches Gewicht haben, dass der Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden gerechtfertigt ist (vgl. BGH Urteil vom 18.10.1988, VI ZR 15/88, zit. nach juris).
41Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat der Beklagte zu 2.) den Arbeitsunfall infolge objektiv schwerwiegender Verstöße gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verursacht, welche auch subjektiv unentschuldbar waren.
42a)
43Schon nach dem unstreitigen Sachverhalt steht fest, dass der von den Beklagten auf der Baustelle für ihren Arbeitnehmer, dem Zeugen K, zur Verfügung gestellte Bauaufzug unter Verstoß gegen die berufsgenossenschaftlichen Regelungen zur jährlichen Durchführung einer Sachkundigenprüfung verwendet wurde. Im Bereich der Arbeitssicherheit im Zusammenhang mit der Nutzung von Bauaufzügen ergibt sich aus den diesbezüglich von den Berufsgenossenschaften erlassenen Unfallverhütungsvorschriften das Maß der einzuhaltenden Sorgfalt. Kapitel 2.30, Ziffer 3.20.2 der BGR 500 bestimmt, dass der Unternehmer dafür zu sorgen hat, dass Bauaufzüge entsprechend den Einsatzbedingungen nach Bedarf, jedoch einmal jährlich, durch einen Sachkundigen geprüft werden. Hiergegen haben die Beklagten verstoßen, da die letzte dokumentierte Sachkundigenprüfung an dem streitgegenständlichen Aufzug am 22.06.2011 und damit mehr als 2 Jahre vor dem Unfallgeschehen am 30.07.2013 stattfand.
44Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass dieser Verstoß nicht schadenskausal geworden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bei einem Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften prima facie vermutet, dass es bei Beachtung der Schutzvorschrift nicht zu der Verletzung gekommen wäre, wenn sich - wie hier - in dem Unfall gerade die Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Vorschrift verhindern wollte (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.1984, VI ZR 296/82, zit. nach juris; Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, 32. Kapitel Rn. 17). Diese Vermutung greift auch vorliegend ein. Sinn und Zweck der jährlichen Sicherheitsüberprüfung ist es, die Funktionstüchtigkeit der sicherheitsrelevanten Einrichtungen zu gewährleisten um deren Ausfall und damit einhergehende Unfälle zu verhindern. In diesem Zusammenhang werden jedenfalls im Rahmen einer Sichtprüfung die sicherheitsrelevanten Einrichtungen auf Beschädigungen, Verschleißerscheinungen, Korrosion und sonstige Veränderungen überprüft. Die Überprüfung hätte sich somit bei dem Bauaufzug auf das zentrale sicherheitsrelevante Zugseil, welches vorliegend riss, bezogen. Dies ergibt sich zunächst aus den technischen Regelwerken selbst, zudem aber auch aus den Aussagen der Zeugen H und I. Der Zeuge H hat in seiner Vernehmung bekundet, dass im Rahmen einer Sachkundigenprüfung u.a. alle sicherheitsrelevanten Bauteile und damit auch das Tragseil überprüft werden würden. Ihm sei damals nach dem Unfall sogar aufgefallen, dass das gerissene Seil nach seinem Eindruck vorgeschädigt und teilweise stark rostig gewesen sei. Der Zeuge I und T, die die letzte Sachkundigenprüfung am Bauaufzug im Jahre 2011 durchgeführt hatten, haben insoweit ebenfalls bestätigt, dass sich die Überprüfung auf dieses sicherheitsrelevantes Bauteil bezieht und insoweit ein Prüfbogen des Herstellers abgearbeitet wird. Insoweit steht nach diesen Aussagen, an deren Richtigkeit das Gericht keinen Zweifel hat, fest, dass im Rahmen der erforderlichen Sachkundigenprüfung in jedem Falle das Seil näher überprüft worden und entsprechende Vorschäden entdeckt worden wären. Unabhängig hiervon haben die Beklagten den zu Gunsten der Klägerin streitenden Anscheinsbeweis für die Kausalität zwischen Verstoß und Schaden, den sie insoweit lediglich einfach bestritten haben, jedenfalls nicht erschüttert.
45b)
46Das Gericht geht nach Durchführung der Beweisaufnahme aber auch davon aus, dass der Beklagte zu 2.) die Nutzung des Lastenaufzugs zur nicht vorgesehenen Personenbeförderung bewusst geduldet, jedenfalls bewusst aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten keine organisatorischen Vorkehrungen zur Vermeidung dieser von seinen Angestellten praktizierten Nutzung getroffen und den Unfall damit grob fahrlässig verursacht hat.
47Dies ergibt sich aus der Aussage des Zeugen KHK H. Dieser hat in der mündlichen Verhandlung vom 11.01.2016 bekundet, dass der Beklagte zu 2.) ihm gegenüber entsprechend seines Aktenvermerks vom 02.08.2013 vor Ort am 01.08.2013 erklärt habe, dass die Länge des Kabels des Bedienelements so gewählt worden sei, damit man im Korb fahrend mit dem Bedienteil bis ganz nach oben fahren könne. Er könne diese Erklärung zwar nicht mehr wortwörtlich wiedergeben, aber sinngemäß habe der Beklagte zu 2.) ihm diese Erklärung für die Länge des Kabels gegeben. Auf weitere Nachfrage hat der Zeuge weiter angegeben, dass der Vermerk auch anders verfasst worden wäre, wenn der Beklagte zu 2.) ihm eine andere Erklärung hierfür geliefert hätte.
48Das Gericht folgt den glaubhaften Angaben des Zeugen. Der Zeuge H hat seine Wahrnehmungen über die damaligen Vorkommnisse betreffend den Arbeitsunfall detailreich und frei von Widersprüchen wiedergeben können, insbesondere hatte er auch noch konkrete Erinnerungen an die Unterhaltung mit dem Beklagten zu 2.) an der Unfallstelle am 02.08.2013. Wenngleich er den konkreten Wortlaut der Erklärung des Beklagten zu 2.) auf seine Nachfrage zum Sinn der Kabellänge nicht mehr konkret zu erinnern vermochte, so war er sich hinsichtlich der sinngemäßen Erklärung des Beklagten zu 2.) sicher und hat erläuternd ausgeführt, dass er im Fall einer anderen Erklärung des Beklagten zu 2.) den Vermerk anders gefasst hätte. Der Zeuge hat dementsprechend am Tag nach der Unterredung mit dem Beklagten zu 2.) einen entsprechenden Aktenvermerk gefertigt und den Inhalt der Unterredung schriftlich fixiert. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass der Zeuge den Inhalt der Unterhaltung in dem Aktenvermerk richtig wiedergegeben hat. Es ist nicht ersichtlich, in wie fern der Zeuge die Erklärung des Beklagten zu 2.) auf seine Frage insoweit falsch verstanden haben könnte oder in wie weit ein Missverständnis eingetreten sein könnte. Das Gericht geht auch davon aus, dass die seinerzeitigen Angaben des Beklagten zu 2.) gegenüber dem Zeugen H insoweit zutreffend waren. Es ist keinerlei Grund ersichtlich, warum der Beklagte zu 2.) so kurze Zeit nach dem Unfall zur Nutzung des Bauaufzuges unzutreffende und ihm nachteilige Angaben hätte machen sollen. Im Gegenteil bewertet das Gericht gerade die kurze Zeit nach dem Unfall getätigten Angaben, die noch nicht unter dem Einfluss eines anhängigen Rechtsstreits und damit frei von taktischen Erwägungen getätigt wurden, als besonders glaubhaft. Hinzu tritt, dass auch gegenüber dem weiteren neutralen Zeugen H eine entsprechende Angabe zum Hintergrund der Kabellänge getätigt wurde, wenngleich der Zeuge nicht mehr zu erinnern vermochte, von wem genau er diese Mitteilung erhalten hatte. Der Zeuge H war auch glaubwürdig. Er hat kein relevantes Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits und steht, im Gegensatz zu den bei den Beklagten aktuell oder ehemals beschäftigten Zeugen K, L, G, T und Q in keinem Lager einer der Parteien. Er hat keine einseitigen Aussagetendenzen erkennen lassen. Insbesondere hat er offen eingeräumt, wenn und soweit er sich an bestimmte Einzelheiten nicht mehr zu erinnern vermochte.
49Seine Aussage wird nicht durch die Aussagen der vorbenannten Zeugen in Zweifel gezogen. Die Zeugen K und L haben insoweit jedenfalls entsprechend der eigenen Angaben des Beklagten zu 2.) in seiner persönlichen Anhörung bestätigt, dass es durchaus mal vorgekommen sei, dass sie selbst oder Kollegen den Bauaufzug zur Personenbeförderung benutzt hätten, während die übrigen genannten Zeugen dieses nicht mitbekommen haben wollen. Der Beklagte zu 2.) hätte dies dann, so die Zeugen K und L, beanstandet. Die Bedienung des Aufzuges sei regelmäßig, so Zeugen L und T und Q, vom Gerüst aus erfolgt.
50Unabhängig davon, dass den vorbenannten Zeugen allesamt deutlich anzumerken war, dass ihnen an einer für die Beklagten günstigen Aussage gelegen war, misst das Gericht der Aussage des Zeugen H aufgrund seiner neutralen Stellung sowie dem Umstand, dass er den Inhalts der damaligen Unterredung mit dem Beklagten zum 2.) zeitnah schriftlich fixiert hat und den Inhalt in der mündlichen Verhandlung nochmals glaubhaft bestätigen konnte, ausschlaggebendes Gewicht bei und legt seine Aussage zugrunde.
51Aber selbst dann, wenn man von dem Vortrag des Beklagten zu 2.) in seiner persönlichen Anhörung ausginge, wonach er lediglich ab und zu mitbekommen habe, dass der Bauaufzug zur Personenbeförderung, auch auf der streitgegenständlichen Baustelle, benutzt worden sei und er dies dann bestandet habe, ließe dies den Vorwurf eines grob fahrlässigen Verhaltens nach Auffassung des Gerichts nicht entfallen. Aus seinen eigenen Angaben ergibt sich, dass effektive Maßnahmen zur Verhinderung der Nutzung des Bauaufzuges als Personenaufzug – die in einer bloßen Ermahnung nicht gesehen werden können – von ihm ganz offenbar nicht erwogen, geschweige denn ergriffen worden sind. Hierzu wäre vor dem Hintergrund der enormen Gefahr, die von dieser Nutzung ausgeht, jedenfalls die Androhung ernsthafter arbeitsrechtlicher Konsequenzen in Form einer Abmahnung bei Vornahme unregelmäßiger Bedienkontrollen erforderlich gewesen oder gar unter Zurückstellung der Zweckmäßigkeitserwägungen die Kürzung des Bedienkabels, um eine zweckwidrige Verwendung von vornherein zu begegnen, was der Beklagte zu 2.) aber trotz Kenntnis des anordnungswidrigen Verhaltens seiner Mitarbeiter unterlassen hat.
52c)
53Die Verstöße waren auch in subjektiver Hinsicht grob fahrlässig und unentschuldbar. Dies gilt für beide vorbenannten Verstöße isoliert gesehen gleichermaßen und erst recht in ihrer Gesamtheit. Der Beklagte zu 2.) hat, obgleich bereits im Jahre 2011 seitens der Bezirksregierung E schon einmal beanstandet, erneut die rechtzeitige Durchführung der erforderlichen Sachkundigenprüfung beim streitgegenständlichen Bauaufzug versäumt. Die letzte nach Ziffer 3.20.3 der BGR 500 ordnungsgemäß dokumentierte Sicherheitsüberprüfung fand am 22.06.2011 durch die Fa. T statt. Im Unfallzeitpunkt war die nach Ziffer 3.20.2 der BGR … jährlich fällig werdende Sachkundigenprüfung mithin seit mehr als 1 Jahr überfällig. Dies ergibt sich aus dem eigenen Vortrag der Beklagten, welche sich auf diese Überprüfung gestützt haben. Soweit an dem Aufzug eine – nicht von der Fa. T stammende – Prüfplakette mit Gültigkeit bis April 2013 angebracht worden war, haben die Beklagten, unabhängig davon, dass auch unter Zugrundelegung dieses Termins die Sachkundigenprüfung überfällig war, bis zuletzt nicht dargelegt, durch welches Unternehmen aufgrund welcher Überprüfung diese Plakette an dem Bauaufzug angebracht worden ist und auch keine diesbezügliche Dokumentation vorgelegt. Entschuldbare oder sonstige plausible Gründe für die Versäumung der Überprüfungsfrist sind nicht vorgetragen. Auch der Umstand, dass der Bauaufzug zum Unfallzeitpunkt nach Angaben des Beklagten zu 2.) bereits seit einem dreiviertel Jahr auf der Baustelle im Einsatz gewesen sein soll, rechtfertigt keine andere Bewertung. Unabhängig davon, dass die Sachkundigenprüfung ausgehend von der letzten ordnungsgemäß dokumentiert Überprüfung am 22.06.2011 auch in diesem Fall entsprechend der vorstehenden Erwägungen bereits überfällig gewesen wäre, muss von den Beklagten erwartet werden, Maßnahmen zu ergreifen, um die nach den Unfallverhütungsvorschriften vorgesehenen Überprüfungen einhalten zu können.
54Darüber hinaus hat der Beklagte zu 2.) unter Zugrundelegung der Aussage des Zeugen H, von dessen Richtigkeit des Gericht überzeugt ist, die Nutzung des im Unfallzeitpunkt nicht gültig sicherheitsüberprüften Bauaufzuges zur Personenbeförderung bewusst geduldet und durch Vorhaltung eines entsprechend langen Bedienkabels aktiv gefördert. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.
55Selbst wenn man von den eigenen Angaben des Beklagten zu 2.) ausginge läge ein subjektiv unentschuldbarer Verstoß darin, dass er in Kenntnis der ihm bekannten Verstöße gegen seine angeblich erteilte Anweisung, den Bauaufzug nicht zur Personenbeförderung zu benutzen, keinerlei ernsthafte Maßnahmen ergriffen hätte, um die Beachtung dieser Anweisung sicherzustellen.
562.
57Die Klägerin kann daher von den Beklagten den Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen.
58a)
59Die Klägerin hat die von ihr erbrachten einzelnen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 155.628,89 Euro durch Vorlage der Einzelnachweise schlüssig vorgetragen und mit den Anlagen K8a und K8b belegt. Soweit die Beklagten diesbezüglich pauschal und ohne inhaltliche Befassung mit den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen die Berechnung des Verletztengeldes, der hierauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge sowie der Verletztenrente ab dem 27.01.2015 bestreiten, ist dies unzureichend.
60b)
61Die geltend gemachten Aufwendungen übersteigen auch nicht den fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Verletzten, der unter Berücksichtigung seiner Mitverschuldensquote mit 157.137,13 Euro anzusetzen ist.
62Dieser fiktive zivilrechtliche Schadensersatzanspruch des Zeugen K ist um einen anzusetzenden Mitverschuldensanteil von 30 % nach § 254 BGB zu kürzen. Das Verhalten des Zeugen K war für den Versicherungsfall ursächlich, da dieser trotz Kenntnis des Umstandes, dass der Bauaufzug nicht zum Personenverkehr zugelassen war, diesen zu seiner Beförderung benutzt hat. Im Ergebnis überwiegt gleichwohl das Verschulden der Beklagten wesentlich. Denn die Unfallverhütungsvorschriften richteten sich gerade an diese als Arbeitgeber. Ihnen ist sowohl vorzuwerfen, dass die Sachkundigenprüfung nicht vorgenommen wurde, als auch, dass sie die Nutzung des Bauaufzuges durch ihre weisungsgebundenen Angestellten geduldet, jedenfalls aber keine Vorkehrung zur Vermeidung dieser Praxis getroffen haben. Daher hält auch das Gericht die von der Klägerin vorgenommene Haftungsquotelung von 70 % zu 30 % zu Lasten der Beklagten für zutreffend.
63aa)
64Der fiktive zivilrechtliche Schadensersatzanspruch des Zeugen K besteht aus den von der Klägerin vorgetragenen und nachgewiesenen Schadenspositionen in Höhe von 106.194,35 Euro (83.543,97 Euro für stationären Heilbehandlungskosten, 2.422,03 Euro für Kosten der ambulanten Heilbehandlung, 900,64 Euro für Arznei- und Heilmittel, 4.110,35 Euro für Therapien, 496,16 Euro für Kleider und Wäschemehrverschleiß, 9.746,45 Euro für Fahrt- und Transportkosten, 1.742,31 Euro für orthopädische Schuhe, 3.232,44 Euro für sonstige Hilfsmittel). Unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote ergibt sich mithin ein Betrag von 74.336,05 Euro.
65bb)
66Ferner kann in die Berechnung nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch ein dem Verletzten zustehender fiktiver Schmerzensgeldbetrag eingestellt werden.
67Für die Höhe des Schmerzensgeldes bestimmt § 253 Abs. 2 BGB eine "billige Entschädigung in Geld". Bei der Bemessung des im konkreten Fall gebührenden Schmerzensgeldes sind die allgemein anerkannten Bemessungsgrundsätze zugrunde zu legen. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Bemessung ist, dass der Anspruch auf Schmerzensgeld ein Ausgleichsanspruch eigener Art ist, dem regelmäßig eine doppelte Funktion zukommt. Die Funktion des Schmerzensgeldes besteht vor allem in einer Ausgleichs- und einer Genugtuungsfunktion. Es soll einerseits für den Geschädigten ein Ausgleich für die immateriellen Nachteile, d. h. für die körperlichen und seelischen Lebensbeeinträchtigungen, geschaffen werden. Der Verletzte soll durch das Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurden (vgl. Palandt/Grüneberg, 72. Auflage 2013, § 253 Rn. 4). Darüber hinaus soll dem Geschädigten eine Genugtuung für das durch den Schädiger zugefügte Unrecht gewährt werden, wobei diese Funktion bei Fahrlässigkeitstaten eher in den Hintergrund rückt.
68Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes sind alle Umstände maßgeblich, die dem Fall sein besonderes Gepräge geben. Als Folgen sind zu berücksichtigen das Verletzungsbild in Form der Art und Dauer der Beeinträchtigungen und vorhandenen Schmerzen, der Heilungsverlauf ggf. mit Komplikationen und der gegenwärtige körperliche Zustand. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen das zur Verletzung führende Geschehen mit dem Maß der vorhanden Pflichtwidrigkeit und ggf. dem Anlass. Im Übrigen soll sich das zu ermittelnde Schmerzensgeld in das Gesamtsystem der Schmerzensgeldjudikatur einfügen. Die Größenordnung hat sich mithin in dem Rahmen zu bewegen, der in der überwiegenden Spruchpraxis für vergleichbare Verletzungsgrade zuerkannt wird. Hierbei ist einschränkend zu berücksichtigen, dass wegen der Komplexität der anspruchsbegründenden Verletzungsbilder und ihrer Wirkung im Einzelfall eine schematische Übernahme der in anderen Fällen ausgeurteilten Beträge nicht vorgenommen werden kann.
69Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt ein fiktives Schmerzensgeld im vorliegenden Fall von 60.000,00 Euro nach Auffassung des Gerichts einen angemessenen Ausgleich dar.
70Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Zeuge K sich anlässlich des Arbeitsunfalls lebensgefährliche Verletzungen zugezogen hat, wie sie sich aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen und insbesondere auch dem Rentengutachten ergeben, darunter vor allem eine traumatische Hirnblutung, eine Lendenwirbelfraktur, eine offene Unterschenkelfraktur, eine Fußwurzelluxationsfraktur, einen Fersentrümmerbruch, multiple Schnittverletzungen, Zahnfrakturen, eine postoperative Blutungsanämie sowie eine Hypokaliämie, die wochenlange stationäre und weitreichende ambulante Behandlungen erforderlich gemacht haben. Der Zeuge musste sich mehrerer Operationen unterziehen. Insbesondere war auch in Rechnung zu stellen, dass ausweislich des vorgelegten Rentengutachtens zur Überzeugung des Gerichts belegt ist, dass der Zeuge K dauerhafte Schäden erlitten hat, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % geführt haben. Diese resultieren nach den dortigen fachärztlichen Feststellungen aus den mit den Verletzungen einhergehenden schmerzhaften Bewegungseinschränkungen insbesondere des Sprunggelenks und dessen Versteifung sowie der verminderten Belastbarkeit der Lendenwirbelsäule nach dem versorgten Bruch. Soweit die Beklagten auch insoweit die vorgetragenen Dauerschäden und das Erfordernis weiterer Heilbehandlungen in Abrede stellen, hält das Gericht dieses einfache Bestreiten vor dem Hintergrund des eindeutigen Ergebnisses des fachmedizinischen Rentengutachtens ebenfalls für unzureichend und für nicht berücksichtigungsfähig. Das Gericht hat hier keinen Anlass gesehen diesbzüglich ein weiteres gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen. Unter Berücksichtigung der belegten Verletzungen des Zeugen K und der dauerhaften Beeinträchtigungen erachtet das Gericht auch unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Spruchpraxis in Fällen mit vergleichbaren Verletzungsgraden ein Schmerzensgeld von 60.000,00 Euro für angemessen. Reduziert um das Mitverschulden des Verletzten ergibt sich mithin ein einzustellender Betrag von 42.000,00 Euro.
71cc)
72Schließlich stünde dem Zeugen K auch ein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls zu. Die Klägerin hat den Verdienstausfallschaden für den Zeitraum vom 11.09.2013 bis zum 31.05.2015 schlüssig unter Berücksichtigung des zuletzt erzielten Bruttoeinkommens und unter Heranziehung der für den Zeugen geltenden Steuermerkmale berechnet. In Ausübung des gerichtlichen Schätzungsermessens nach § 287 ZPO legt das Gericht die Berechnung des Klägers bei der im Rahmen des § 252 BGB vorzunehmenden Prognose zugrunde. Substantiierte Einwendungen der Beklagten gegen die Berechnung sind nicht vorgebracht worden. Soweit die Beklagten vortragen, dass nicht erkennbar sei, dass der Zeuge auch im Jahr 2015 das angesetzte Einkommen hätte erzielen können, greift dieser Einwand nicht durch. Die Beklagten haben selbst vorgetragen, dass der Zeuge K mit einer kurzen Unterbrechung insgesamt etwa 11 Jahre lang im Unternehmen beschäftigt gewesen sei. Insoweit ergibt sich aus ihrem eigenen Vortrag, dass der Zeuge in der Vergangenheit über eine kontinuierliche Beschäftigung verfügte und dies folglich auch für die Zeit nach dem Arbeitsunfall zu erwarten gewesen wäre. Insgesamt ist deshalb für 2013 ein – um den Mitverschuldensanteil gekürzter - Verdienstausfall von 7.216,41 Euro, für 2014 ein solcher in Höhe von 23.699,76 Euro und für 2015 bis zum 31.05.2015 ein solcher in Höhe von 9.884,91 Euro, insgesamt also ein Betrag von 40.801,80 Euro anzusetzen.
733.
74Die Zinsansprüche ergeben sich aus den §§ 288, 286 BGB.
75II.
76Auch der Feststellungsantrag ist begründet. Aufgrund der durch das Rentengutachten nachgewiesenen Dauerschäden beim Zeugen K sind weitere von der Klägerin zu erbringende Aufwendungen zu erwarten, so dass die Klägerin einen Anspruch auf eine entsprechende gerichtliche Feststellung hat.
77III.
78Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
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