Beschluss vom Landgericht Ravensburg - 6 T 364/01

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts R. vom 26.10.2001 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung durch das Amtsgericht R. vom 26.10.2001 rechtswidrig war.

3. Die Auslagen der Beschwerdeführer, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, sind von der Beschwerdegegnerin zu erstatten.

4. Geschäftswert  3.000,00 EUR.

Gründe

 
I.
Mit Antrag vom 19.10.2001 beantragte die Beschwerdegegnerin beim Amtsgericht R., die Durchsuchung der Wohnräume der Betroffenen und die Beschlagnahme von Identitätspapieren nach §§ 31, 33 PolG richterlich anzuordnen.
Mit Beschluss vom 26.10.2001 traf das Amtsgericht R. die begehrten Anordnungen und gab in der Begründung hierzu im wesentlichen die Ausführungen der Antragschrift wieder.
Die Begründung des Antrags und der amtsgerichtlichen Anordnung legen dar:
Die Beschwerdeführer seien ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen, sie hätten auch keine Rückreisedokumente oder Identitätsnachweise vorgelegt; es hätten sich erhebliche Zweifel an der behaupteten Staatsangehörigkeit ergeben. Ihren Pflichten aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 5 AsylVfG seien die Beschwerdeführer bislang nicht nachgekommen; sie hätten durch ihre falschen Angaben zu Nationalität bzw. Identität gezeigt, dass sie nicht gewillt seien, ihre gesetzlichen Pflichten zu beachten. Sie hätten es bislang meisterhaft verstanden, Zweifel über ihre Identität nicht auszuräumen. Ihr Gesamtverhalten rechtfertige den Schluss, dass Dokumente und Unterlagen, die Aufschluss über ihre wahre Identität geben, rechtswidrig zurückgehalten würden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit könnten bei einer Durchsuchung Identitätsnachweise und Identitätsunterlagen gefunden werden. Die Anordnung der Maßnahmen hätten sich die Beschwerdeführer durch ihr hartnäckiges Weigern, eindeutige Identitätsnachweise oder Urkunden vorzulegen, selbst zuzuschreiben.
Mit Schriftsatz vom 28.11.2001, eingegangen beim Amtsgericht Ravensburg am 29.11.2001, erhoben die Beschwerdeführer durch ihren Prozessbevollmächtigten sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts und gaben hierbei an, dass der Beschluss am 20.11.2001 übergeben worden sei. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, dass von den Beschwerdeführern diejenigen Papiere, die sie im Besitz gehabt hätten, vorgelegt worden seien; über weitere Papiere verfügten die Beschwerdeführer nicht.
Auf Hinweis des Gerichts vom 5.12.2001 stellten die Beteiligten klar, dass die Durchsuchung am 20.11.2001 stattgefunden hatte.
Die Beschwerdegegnerin hatte Gelegenheit, zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Die Beschwerdegegnerin verwies in ihrem Schriftsatz vom 27.12.2001 auf ihre Antragsbegründung und teilte mit, dass eine Äußerung über das Ergebnis der Auswertung der bei der Durchsuchung beschlagnahmten Unterlagen nicht möglich sei.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1. Auch nach der Durchführung der hier angeordneten Maßnahme können sich die Beschwerdeführer gegen die Anordnung mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 31 Abs. 5 Satz 2 bad.-württ. PolG wehren. Im Interesse effektiven Rechtsschutzes ist es zulässig, auch erledigte Anordnungen anzugreifen, mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Anordnung feststellen zu lassen (vgl. speziell zu § 31 Abs. 5 bad.-württ. PolG OLG Karlsruhe, NJW-RR 2001, 811 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Nachdem die Beschwerdeführer konkrete Anträge nicht gestellt haben, war ihr Beschwerdevorbringen vor diesem Hintergrund dahingehend auszulegen, dass sie die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der amtsgerichtlichen Anordnung begehren.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet.
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a) Die maßgeblichen Eingriffsnormen sind nicht dem Asylverfahrensgesetz zu entnehmen.
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In § 15 Abs. 1 bis 3 AsylVfG sind umfangreiche Mitwirkungspflichten eines Ausländers im Asylverfahren statuiert. Diese betreffen insbesondere auch die Vorlage von Urkunden und sonstigen Unterlagen, aus denen sich die Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers ergeben kann (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 und 5 AsylVfG). Nach § 15 Abs. 4 AsylVfG können ein Ausländer und seine mitgeführten Sachen durchsucht werden, wenn er seinen Verpflichtungen nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 5 AsylVfG nicht nachkommt und Anhaltspunkte bestehen, dass er im Besitz solcher Unterlagen ist.
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Soweit die Anwendung der genannten Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes grundsätzlich in Betracht käme, wäre nach dem Grundsatz des Vorrangs der spezielleren Norm der Rückgriff auf die allgemeinen Eingriffsermächtigungen des Polizeigesetzes ausgeschlossen. Denkbar erschiene es in diesem Zusammenhang dann auch, das Fehlen einer korrespondierenden Ermächtigung zur Durchsuchung von Wohnungen im Asylverfahrensgesetz als  beredtes Schweigen des Gesetzgebers zu verstehen und auch insoweit den Rückgriff auf das Polizeigesetz auszuschließen.
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Die angegriffene Anordnung ist jedoch allein deshalb nicht am Maßstab des § 15 AsylVfG zu messen, weil § 15 AsylVfG im vorliegenden Fall von vornherein nicht mehr einschlägig war: Das Asylverfahren der Beschwerdeführer war nämlich zum Zeitpunkt der Anordnung bereits bestandskräftig bzw. rechtskräftig beendet. Damit unterlagen die Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt nicht mehr den Verpflichtungen nach § 15 AsylVfG.
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§ 15 Abs. 5 AsylVfG ordnet zwar an, dass durch die Rücknahme des Asylantrags die Mitwirkungspflichten des Ausländers nicht beendet werden. Diese Norm ist aber ohnehin fragwürdig („weder sachgerecht noch verhältnismäßig“, so Renner, Ausländerrecht 7. Auflage 1999, Rdnr. 14 zu § 15 AsylVfG) und erlaubt nicht eine ausdehnende Auslegung dahingehend, dass die Pflichten des § 15 AsylVfG in allen Fällen der Beendigung des Asylverfahrens fortgelten sollen.
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b) Der angegriffene Beschluss ist auch nicht anhand von Vorschriften des Ausländergesetzes zu überprüfen.
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Für die Zeit nach Beendigung des Asylverfahrens enthält das allgemeine Ausländerrecht spezielle Normen über die ausweisrechtlichen Pflichten eines Ausländers, § 40 AuslG. Welche Maßnahmen bei Identitätszweifeln zulässig sind, regeln die §§ 41 und 41 a AuslG.
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(1) Der Beschwerdegegnerin ging es ersichtlich nicht darum, Maßnahmen gemäß § 41 AuslG, ggf. i.V. mit § 81 b StP0 , durchzuführen.
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(2) Denkbar wäre jedoch gewesen, dass die Beschwerdegegnerin durch konkretisierende Verfügung den Beschwerdeführern die Aushändigung bestimmter Papiere im Sinne von § 40 Abs. 1 AuslG aufgibt. Die zwangsweise Durchsetzung einer solchen Verfügung hätte sich dann nach den Vorschriften des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes zu richten gehabt. Die Durchsuchung einer Wohnung bedarf nach § 6 Abs. 2 LVwVG einer richterlichen Anordnung; zuständig hierfür ist das Verwaltungsgericht.
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Die angegriffene Anordnung des Amtsgerichts zielte auf die Beschlagnahme „von Identitäts- und sonstigen Nachweisen, die Hinweise auf die Identität der Betroffenen geben könnten“. Damit sind unzweifelhaft auch die in § 40 Abs. 1 AuslG genannten Ausweispapiere umfasst, aufgrund der denkbar weiten Formulierung jedoch auch andere Unterlagen. Nachdem freilich § 40 Abs. 1 AuslG den Zugriff nur auf sehr eng umgrenzte Papiere zulässt, kann nach Auffassung der Kammer in solchen Fällen, in denen es um Unterlagen jedweder Art geht, die eine Feststellung der Identität ermöglichen könnten, insgesamt (also auch hinsichtlich der von § 40 Abs. 1 AuslG erfassten Papiere) auf die Ermächtigungstatbestände des allgemeinen Polizeigesetzes zurückgegriffen werden. (Sähe man dies anders, wäre die angegriffene Anordnung z.T. bereits wegen Fehlens der amtsgerichtlichen Zuständigkeit rechtswidrig).
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c) Nach alledem ist die Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnung in der Tat an §§ 31, 33 des bad.-württ. Polizeigesetzes (PolG) zu messen. Nach diesem Maßstab hätte die Anordnung nicht ergehen dürfen.
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Nach § 31 Abs. 2 Ziffer 2 PolG ist die Durchsuchung einer Wohnung nur zulässig (§ 31 Abs. 2 Ziffer 1 PolG ist hier nicht einschlägig), wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich eine Sache in der Wohnung befindet, die sichergestellt oder beschlagnahmt werden darf.
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(1) Dass der unerlaubte Aufenthalt der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik eine Störung der öffentlichen Sicherheit (Schutzgut: Rechtsordnung) darstellt, bedarf keiner näheren Erläuterung. Daher liegt es auf der Hand, dass Gegenstände gleich welcher Art, insbesondere also Urkunden, die es ermöglichen, die Identität der Beschwerdeführer zweifelsfrei festzustellen und aufenthaltsbeendende Maßnahmen durchzusetzen, gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1 PolG zum Zwecke der Beseitigung der Störung der öffentlichen Sicherheit beschlagnahmt werden dürfen.
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(2) Es waren und sind jedoch - vgl. den Wortlaut von § 31 Abs. 2 Nr. 2 PolG - keine Tatsachen vorgetragen oder ersichtlich, welche die Annahme hätten rechtfertigen können, dass sich solche Urkunden in der Wohnung der Beschwerdeführer befanden.
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Die Normen insbesondere der Polizeigesetze und der StPO, die zu Grundrechtseingriffen ermächtigen, enthalten ein im einzelnen ausdifferenziertes System abgestufter Eingriffsvoraussetzungen. Verglichen mit anderen Eingriffsnormen bewegt sich § 31 Abs. 2 Nr. 2 PolG mit dem Erfordernis, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich eine zu beschlagnahmende Sache in der zu durchsuchenden Wohnung befindet, eher am unteren Rand der Skala. Ersichtlich will der Gesetzgeber keinen ausgeprägt hohen Grad an Wahrscheinlichkeit, geschweige denn Sicherheit, dass in der Wohnung eine zu beschlagnahmende Sache gefunden werden könne. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Norm Eingriffe in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG rechtfertigen soll; die Bedeutung dieses Grundrechts kann daher bei der Auslegung der Eingriffsnorm nicht außen vor bleiben.
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Für entscheidend hält die Kammer, dass sich nach dem Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage die Annahme, in der Wohnung werde etwas zu Beschlagnahmendes zu finden sein, auf Tatsachen stützen muss. Damit ist klargestellt, dass - wohl gerade wegen der Bedeutung des betroffenen Grundrechts - ein nur allgemeiner Verdacht, die bloße vage Möglichkeit eben noch nicht ausreichen.
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Mehr als einen solch allgemeinen Verdacht, eine ganz vage Möglichkeit hat aber die Antragstellerin selbst nicht dargetan.
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Natürlich kann es immer sein, dass sich in der Wohnung einer Person Unterlagen oder sonstige Gegenstände finden lassen, die nähere Rückschlüsse auf die Identität der Person ermöglichen. Dies gilt für ausreisepflichtige Ausländer aber nicht mehr und nicht weniger als für andere Personen. Vor allem aber würde die Bezugnahme auf Tatsachen in § 31 Abs. 2 Nr. 2 PolG gänzlich leer laufen, wenn man das von der Antragstellerin Vorgebrachte zur Rechtfertigung einer Durchsuchung ausreichen ließe; die Eingriffsvoraussetzung wäre dann zu lesen als „Besteht die Möglichkeit, dass sich in einer Wohnung zu beschlagnahmende Sachen finden lassen, ...“ - eine Auslegung, die die Eingriffsvoraussetzungen derart gegen Null gehen lässt, wäre aber mit dem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht mehr vereinbar.
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Hinzu kommt:
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 Antragstellerin und Amtsgericht stellen darauf ab, dass die Beschwerdeführer ihren Vorlagepflichten aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 5 AsylVfG nicht nachgekommen seien. Dieser Umstand allein ist keine „Tatsache“ im Sinne von § 31 Abs. 2 Nr. 2 PolG. Denn die von § 15 Abs. 2 Nr. 5 AsylVfG statuierte Herausgabepflicht setzt überhaupt erst voraus, dass sich bestimmte Unterlagen im Besitz des Asylsuchenden befinden - allein die Nichtvorlage von Unterlagen rechtfertigt noch lange nicht die Annahme, es befänden sich entsprechende Unterlagen im Besitz des Ausländers. Folgerichtig verlangt deshalb auch § 15 Abs. 4 AsylVfG für die Durchsuchung des Ausländers, dass Anhaltspunkte bestehen, dass er im Besitz solcher Unterlagen ist. Ob das Erfordernis von Anhaltspunkten dem Erfordernis von Tatsachen gänzlich entspricht (oder dahinter zurückbleibt) kann dahinstehen: Jedenfalls genügt auch nach dem AsylVfG die einfache Möglichkeit im Sinne einer vagen Annahme nicht.
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Schließlich ist (lediglich ergänzend) noch auf einen weiteren Umstand zu verweisen:
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Zwar ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung allein auf die Ex-ante-Sicht abzustellen; das tatsächliche Auffinden geeigneter Unterlagen könnte eine Anordnung nicht nachträglich rechtfertigen, genauso wenig wie der Misserfolg einer Durchsuchung dieser nachträglich die Rechtsgrundlage nähme. Dass jedoch die Antragstellerin sich im Schriftsatz vom 27.12.2001, also über einen Monat nach Durchführung der Wohnungsdurchsuchung, außerstande sah, etwas zum Ergebnis der Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen zu erklären, und auch seither diesbezüglich nichts vorgetragen hat, hält die Kammer doch für bezeichnend.
III.
33 
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG, die Wertfestsetzung auf § 30 Abs. 2 S. 1 KostO.

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