Tenor
Die Aufhebung der Therapieunterbringung des Betroffenen wird abgelehnt.
Gründe
A.
Das Landgericht Saarbrücken – 5. Zivilkammer – hat auf den Antrag der Landeshauptstadt Saarbrücken vom 12.7.2011 zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung durch die Beschlüsse vom 2.9.2011 (Bl. 82 d.A.) und vom 1.12.2011 (Bl. 355 d.A.) die einstweilige Therapieunterbringung und schließlich auf der Grundlage der zwischenzeitlich eingeholten Gutachten der beiden Sachverständigen ... und ... durch den Beschluss vom 17.2.2012 (Bl. 543 d.A.) die endgültige Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung zur Therapieunterbringung bis zum 01.03.2013 angeordnet.
Die gegen diese Beschlüsse von dem Betroffenen eingelegten Beschwerden sind von dem Saarländischen Oberlandesgericht (OLG) - zuletzt durch Beschluss vom 14.5.2012 (Az. 5 W 44/12 - 22) - zurückgewiesen worden.
Der Betroffene hat gegen die Entscheidungen des Landgerichts Saarbrücken und des Saarländischen Oberlandesgerichts Verfassungsbeschwerde eingelegt und außerdem beim Bundesverfassungsgericht die Aufhebung seiner Unterbringung im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat durch seine Beschlüsse vom 23.11.2011 (Az. 2 BvR 2302/11; Bl. 371 d.A.) und vom 28.6.2012 (Az. 2 BvR 1279/12; Bl. 824 d.A.) den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt und ausgeführt, die Fachgerichte seien auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Betroffenen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass er erneut schwere Gewaltdelikte begehen werde.
Nach den nachvollziehbaren Feststellungen der Fachgerichte, die auf den bislang eingeholten Sachverständigengutachten basierten, überwiege in Anbetracht der Schwere der drohenden Straftaten im vorliegenden Fall das Sicherungsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des Betroffenen an der Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit. Die besondere Schwere werde insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass bei dem Betroffenen ein auf den Hals der Opfer gerichtetes Angriffsmuster deutlich zu erkennen sei und nach einmal tödlichen Folgen zumindest in zwei weiteren Fällen nur die erhebliche Gegenwehr der Opfer und das Einschreiten Dritter den Eintritt schwerwiegenderer Folgen verhindert habe.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat aufgrund einer Divergenzvorlage des Oberlandesgerichts Nürnberg durch Beschluss vom 12.7.2012 (Az. V ZB 106/12) entschieden, dass eine Therapieunterbringung nach § 1 Abs. 1 des Therapieunterbringungsgesetzes gegen einen Betroffenen nicht angeordnet werden darf, wenn dieser zwar nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. einstweilig untergebracht worden ist, sich jedoch nicht in Sicherungsverwahrung nach dem Strafgesetzbuch befindet oder befunden hat (vgl. BGH a.a.O., juris Rn. 23).
Der Betroffene beantragt durch Schriftsatz des ihm beigeordneten Rechtsanwalts vom 10.9.2012 unter Bezugnahme auf diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs,
die gegen ihn angeordnete Unterbringung aufzuheben.
Das erkennende Gericht hat die Beteiligten dieses Verfahrens zur Stellungnahme zu der beantragten Aufhebung der Therapieunterbringung bis zum 17.9.2012 aufgefordert.
B.
I.
Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.7.2012 ist gemäß § 13 Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) eine Prüfung durch das Landgericht Saarbrücken veranlasst, ob die Therapieunterbringung des Betroffenen aufzuheben ist.
1. Gemäß § 13 S. 1 ThUG hebt das Gericht die Anordnung einer Unterbringung nach § 1 ThUG auf, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen.
Die Aufhebung der Therapieunterbringung für die Zukunft hat nicht nur im Falle des Auftretens neuer relevanter Umstände zu erfolgen, sondern auch dann, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der Therapieunterbringung von Anfang an nicht vorgelegen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 18.09.2008 Aktenzeichen: V ZB 129/08, juris Rn.18, NJW 2009, 299-300).
Dies bedeutet, dass die Therapieunterbringung dann aufgehoben werden müsste, wenn aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.2.2012 feststünde, dass sie von Anfang an zu Unrecht angeordnet worden ist, weil – wovon der Betroffene ausgeht - das Therapieunterbringungsgesetz auf seinen Fall keine Anwendung findet.
2. Zunächst ist zu klären, ob die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.2.2012 für das Landgericht Saarbrücken Bindung entfaltet.
Eine Bindung ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Instanzenzug. Denn gegen die Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 14.5.2012, mit der die von dem Landgericht Saarbrücken angeordnete Therapieunterbringung bestätigt worden ist, war kein Rechtsmittel zulässig. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist in dem Therapieunterbringungsgesetz nicht vorgesehen (vgl. § 17 ThUG).
Andererseits darf jedoch nicht verkannt werden, dass es dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuwider laufen würde, wenn ein Landgericht bei seinen Entscheidungen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs außer Betracht ließe und sein eigenes Rechtsverständnis nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung konfrontieren würde.
Aber auch im Hinblick auf das Gebot der Rechtssicherheit ist eine Bindungswirkung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann anzunehmen, wenn die zu entscheidenden Lebenssachverhalte hinreichend vergleichbar sind und wenn nicht zwingende Gründe eine abweichende Entscheidung gebieten.
II.
Unter Berücksichtigung dieser Prämissen ist die vorzeitige Aufhebung der Therapieunterbringung des Betroffenen abzulehnen.
Das entscheidende Gericht geht nach wie vor von der Anwendbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes auf den vorliegenden Fall aus.
1. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.7.2012 steht diesem Gesetzesverständnis nicht entgegen. Denn der von dem Bundesgerichtshof entschiedene Fall ist dem vorliegenden nicht hinreichend vergleichbar.
Der Bundesgerichtshof hatte die ihm von dem Oberlandesgericht Nürnberg im Wege der Divergenzvorlage (§ 18 ThUG) gestellte Rechtsfrage zu beantworten, ob die vorläufige Unterbringung nach § 275a Abs. 5 StPO a.F. als Vollzug der Sicherungsverwahrung im Sinne von §§ 1, 5 Abs. 1 ThUG anzusehen ist (vgl. BGH a.a.O., juris Rn. 5). Diese Rechtsfrage hat der Bundesgerichtshof (vgl. BGH a.a.O. juris Rn. 14) verneint und ausgeführt, die vorläufige Unterbringung sei von der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung zu unterscheiden, da an sie niedrigere Anforderungen zu stellen seien, weil insbesondere auf die Einholung der nach § 275a Abs. 4 StPO a.F. erforderlichen Gutachten verzichtet werden könne.
Der Bundesgerichtshof hat sich jedoch nicht zu der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsfrage geäußert, ob das Therapieunterbringungsgesetz auf die Fälle Anwendung findet, in denen gegen den Betroffenen zwar die Sicherungsverwahrung gerichtlich angeordnet worden war, deren Vollzug jedoch unterblieben ist, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) durch sein Urteil vom 17.12.2009 (EUGRZ 2010, 25) für die Sicherungsverwahrung ein Rückwirkungsverbot postuliert hatte, das auch dem Betroffenen zugute gekommen ist.
Im vorliegenden Fall hatte das Landgericht Saarbrücken durch Urteil vom 17.07.2009 (Az. 2 Ks 2/09) die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung unter Bezugnahme auf § 66 b Abs. 3 StGB a.F. nachträglich angeordnet.
Auf die von dem Betroffenen hiergegen eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof zwar das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17.7.2009 einschließlich der Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgehoben. Er hat diese Entscheidung jedoch nicht deshalb getroffen, weil die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nicht vorgelegen haben. Im Gegenteil, der Bundesgerichtshof hat ausgeführt, das Landgericht habe die Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB (a.F.) rechtsfehlerfrei bejaht. Allerdings sei § 66b Abs. 3 StGB (a.F.) wegen der Grundsätze des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 und im Hinblick auf Art 7 Abs. 1 S. 2 EMRK nicht auf Taten anwendbar, die vor dem Inkrafttreten der Vorschrift begangen worden sind.
Dies kann nur so verstanden werden, dass die Sicherungsverwahrung - von dem Rückwirkungsverbot abgesehen - zwar rechtsfehlerfrei angeordnet worden ist, dass sie aber wegen des Rückwirkungsverbotes nicht vollzogen werden durfte.
2. In der rechtsfehlerfreien Anordnung der Sicherungsverwahrung liegt der entscheidende Unterschied zwischen dem Fall, den der BGH am 12.7.2012 auf die Divergenzvorlage des OLG Nürnberg entschieden hat, zu dem vorliegend von dem Landgericht Saarbrücken zu entscheidenden Fall.
Da gegen den Betroffenen des vorliegenden Verfahrens die Sicherungsverwahrung rechtsfehlerfrei angeordnet worden war, findet das Therapieunterbringungsgesetz Anwendung, und zwar nicht im Wege der Analogie, – eine solche wäre auf Grund des Analogieverbotes ausgeschlossen (vgl. BVerfGE 29, 183, 196; BVerfG NVwZ-RR 2009, 616; BGH a.a.O., juris Rn. 23 Sachs/Degenhart, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage 2009, Artikel 104 GG, Rdnr. 9 f; von Mangoldt-Klein-Gusi, Kommentar zum Grundgesetz Band 3, Artikel 104 GG, Rdnr. 26; Jarass, Grundgesetzkommentar, 10. Auflage 2009, Artikel 104 GG, Rdnr. 3, jeweils m.w.N.) - sondern unmittelbar und unabhängig davon, ob sich der Betroffene in Sicherungsverwahrung befunden hat.
Dies ergibt sich aus einer am Wortlaut orientierten und die Entstehungsgeschichte, die Gesamtkonzeption sowie die Zielsetzung des § 1 ThUG berücksichtigenden Auslegung der Norm.
2.1. Nach § 1 Abs. 1 ThUG kann das Gericht die Unterbringung einer Person, die wegen einer Straftat der in § 66 Abs. 3 S. 1 StGB genannten Art verurteilt ist, in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung unter anderem dann anordnen, wenn auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung feststeht, dass diese Person nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist.
Entscheidend ist, wie die in § 1 Abs. 1 ThUG verwandte Formulierung "…nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann …" zu verstehen ist.
Eine eng am Wortlaut haftende Auslegung mag darauf hindeuten, dass lediglich die Fälle erfasst sein sollen, in denen die verurteilte Person aktuell in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist. Doch hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 ThUG klargestellt, dass ein derart enges Verständnis des Absatzes 1 gerade nicht gewollt ist; vielmehr soll Absatz 1 auch dann anwendbar sein, wenn die verurteilte Person bereits aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurde.
Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 ThUG ist also nicht die tatsächliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, sondern der Umstand, dass die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gerichtlich angeordnet worden ist, wegen des Rückwirkungsverbotes aber nicht vollzogen werden kann.
Bedenken gegen diese Auslegung unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgebotes (Art. 104 GG) ergeben sich nicht, da diese Auslegung vom Wortlaut der Norm gedeckt ist.
2.2. Diese Auslegung wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte des Therapieunterbringungsgesetzes und das mit der Einführung dieses Gesetzes verfolgte Ziel. So stellte sich infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17.12.2009 (EUGRZ 2010, 25) die Situation so dar, dass weiterhin als gefährlich eingestufte Straftäter wegen des auch im Bereich der Sicherungsverwahrung geltenden Rückwirkungsverbotes des Artikel 7 Abs. 1 S. 2 EMRK nicht mehr von dem aktuellen Recht der Sicherungsverwahrung erfasst wurden. Um das durch die vorgesehene Neuordnung der Sicherungsverwahrung anders nicht auszufüllende Vakuum zu vermeiden, hat der Gesetzgeber das Therapieunterbringungsgesetz als Sonderregelung für diesen Teil der „Altfälle" geschaffen (vgl. BT-DRS, 17/3403, S. 19). Ziel dieses neu geschaffenen Gesetzes ist ein möglichst nachhaltiger Schutz der Allgemeinheit vor der Gefahr schwerer Rechtsgutsverletzungen durch psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter (vgl. BT-DRS. 17/3403, S. 53). Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn jede Person dem Therapieunterbringungsgesetz unterfällt, die eine oder mehrere der dort genannten Straftaten begangen hat und gegen die deshalb gerichtlich die Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, unabhängig davon, ob die Person sich noch in Sicherungsverwahrung befindet oder jemals befunden hat.
2.3. Für die Anwendung des Therapieunterbringungsgesetzes ist es lediglich erforderlich, dass gegen den Betroffenen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden war. Die angeordnete Sicherungsverwahrung muss nicht auch vollstreckt worden sein. Würde man, auf den Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung abstellen, hinge die Anwendbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes von Zufälligkeiten ab.
Dann wäre es z.B. von Bedeutung, ob es dem Betroffenen gelungen ist, sich dem Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung durch Untertauchen zu entziehen oder ob ihm der Vollzug erspart blieb, weil er krankheitsbedingt nicht verwahrungsfähig gewesen ist.
3. Zudem besteht Veranlassung für die Annahme, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gehe ebenfalls davon aus, dass auf den vorliegenden Fall das Therapieunterbringungsgesetz anzuwenden ist.
Zwar beruhen die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes über die Verweigerung der von dem Betroffenen in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren beantragten einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) schwerpunktmäßig auf einer Folgenabwägung. Wenn man jedoch die Anforderungen berücksichtigt, die das Bundesverfassungsgericht an eine auf richterlicher Anordnung beruhende Freiheitsbeschränkung selbst dann stellt, wenn sie im Wege der einstweiligen Anordnung getroffen wird,
- (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.02.2012, Aktenzeichen: 2 BvR 1064/10, juris Rn. 16, InfAuslR 2012, 186-189:
„In Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Haftanordnung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.“) -
so erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht den Erlass der von dem Betroffenen beantragten einstweiligen Anordnung verweigert hätte, wenn es der Auffassung gewesen wäre, dass das Therapieunterbringungsgesetz auf den vorliegenden Fall keine Anwendung findet und somit bereits deshalb das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) verletzt worden wäre, weil die saarländischen Gerichte den Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes verkannt haben.
4. Da die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.7.2012 einen abweichenden Sachverhalt betrifft und da das entscheidende Gericht nach wie vor von der Anwendbarkeit des Therapieunterbringungsgesetzes ausgeht und sonstige Aufhebungsgründe nicht ersichtlich sind, kommt die Aufhebung der Therapieunterbringung des Betroffenen nicht in Betracht.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 19 ThUG).