Tenor
1. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... in ... beigeordnet. Auf die Verfahrenskosten sind keine Raten zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken als zentrales Bereitschaftsgericht für das Saarland vom 10.09.2011 – ZBG-AR 1278/11 – den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
3. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
4. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 10.09.2011 mit dem Zug aus Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er wurde durch Beamte der beteiligten Behörde aufgegriffen, weil er nicht im Besitz der erforderlichen Grenzübertrittspapiere war. Eine Überprüfung der Fingerabdrücke ergab einen EURODAC-Treffer in Norwegen. Die beteiligte Behörde verfügte daraufhin am 10.09.2011 die Zurückschiebung des Betroffenen nach Norwegen oder in ein anderes Land, in das der Betroffene einreisen darf.
Auf den Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 10.09.2011 – nach Anhörung des Betroffenen – Zurückschiebehaft bis zum 10.12.2011 sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Es hat den Betroffenen aufgrund seiner unerlaubten Einreise für vollziehbar ausreisepflichtig erachtet und die Haftgründe gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 AufenthG bejaht.
Gegen diesen Beschluss, der dem Betroffenen am 10.09.2011 in Ausfertigung ausgehändigt worden ist, hat dieser am 30.09.2011 durch seinen Verfahrensbevollmächtigten Beschwerde eingelegt.
Zuvor hatte die beteiligte Behörde am 12.09.2011 gegenüber der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass gegen den Betroffenen zusätzlich zu dem Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen § 95 AufenthG auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung eingeleitet worden sei, weil dieser bei seiner Überprüfung eine gefälschte Kreditkarte vorgelegt habe.
Der Betroffene beantragt – nach seiner am 24.10.2011 erfolgten Zurückschiebung nach Norwegen – die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft. Er hält den Haftantrag für unzulässig, weil sich das darin mitgeteilte generelle Einvernehmen der Staatsanwaltschaft mit der Zurückschiebung nur auf Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz beziehe und keine Angaben dazu gemacht würden, ob die Staatsanwaltschaft auch im Hinblick auf das weitere Ermittlungsverfahren in die Abschiebung eingewilligt habe.
Die beteiligte Behörde hält die Haftanordnung für rechtmäßig. Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu der beabsichtigten Zurückschiebung sei am 12.09.2012 erteilt worden, wodurch die mangelhafte Begründung des Haftantrags geheilt worden sei.
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß § 62 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Haftanordnung vom 10.09.2011 verletzt den Betroffenen in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Anordnung von Abschiebehaft lagen nicht vor, da es bereits an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
1.
Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (vgl. BGH, Beschl. v. 22.07.2010 – V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 mwN). Nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG muss der Haftantrag durch die Behörde begründet werden. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (vgl. BGH, aaO. mwN).
a)
Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, den Abschiebungsvoraussetzungen, der Erforderlichkeit der Haft, der Durchführbarkeit der Abschiebung und der notwendigen Haftdauer (vgl. § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG; BGH, Beschl. v. 27.10.2011 – V ZB 311/10, juris, Rn. 12; v. 10.05.2012 – V ZB 246/11, juris, Rn. 9). Die Begründung kann zwar knapp gehalten werden, sie muss aber auf den konkreten Fall zugeschnitten sein, da nur dann dem Gericht die für die Einleitung weiterer Ermittlungen bzw. die zu treffende Entscheidung notwendige Tatsachengrundlage vermittelt und der Betroffene in den Stand versetzt wird, sich sachgerecht gegen den Haftantrag zu verteidigen; Leerformeln und Textbausteine genügen daher nicht. Daraus folgt hinsichtlich der Durchführbarkeit der Abschiebung, dass auf das Land bezogene Ausführungen erforderlich sind, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.2011 – V ZB 311/10, juris, Rn. 13; Beschl. v. 31.05.2012 – V ZB 167/11, juris, Rn. 10; Beschl. v. 14.06.2012 – V ZB 28/12, juris, Rn. 9).
b)
Diesen Anforderungen wird der Haftantrag vom 10.09.2012 nicht gerecht. Die darin enthaltene Angabe, wonach innerhalb der beantragten Haftdauer „unter normalen Bedingungen (Wiederaufnahmegesuch durch BAMF, Statusprüfung der Person im Zielstaat und Antwort des Zielstaates, Ausstellung und Zustellung der Passersatzpapiere, Bestimmung der Überstellungsmodalitäten, Flugbuchung …) die Rückführungsvoraussetzungen zu schaffen [seien]“, ist austauschbar. Auf den konkreten Fall – nämlich die beabsichtigte Zurückschiebung nach Norwegen – bezogene Angaben enthält der Haftantrag nicht.
c)
Eine Begründung der Durchführbarkeit der Zurückschiebung innerhalb der beantragten Haftdauer war auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Zurückschiebung entsprechend den – auf Norwegen anwendbaren – Regelungen der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. Nr. L 50, S. 1, im Folgenden: Dublin II-Verordnung), erfolgen sollte.
Zwar ist bei Rückübernahmen nach der Dublin II-Verordnung bei normalem Verfahrensgang davon auszugehen, dass die Zurückschiebung in einen Mitgliedstaat innerhalb von drei Monaten seit der Haftanordnung wird erfolgen können. Das gilt aber nur, wenn festgestellt ist, dass der Mitgliedstaat zur Rückübernahme verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschl. v. 29.09.2010 – V ZB 233/10, juris, Rn. 13; Beschl. v. 31.05.2012 – V ZB 167/11, juris, Rn. 10; Beschl. v. 14.06.2012 – V ZB 28/12, juris, Rn. 10). Genügende Ausführungen zu einer Rückübernahmepflicht Norwegens ergeben sich aus dem Haftantrag indes nicht. Darin wird lediglich auf einen Treffer im Eurodac-System Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass Norwegen daher „grundsätzlich“ zu einer Rückübernahme des Betroffenen nach der Dublin II-Verordnung verpflichtet sei. Dass dies tatsächlich der Fall ist – etwa weil Norwegen eine Dringlichkeitsanfrage gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin II-Verordnung bereits positiv beantwortet hat –, geht aus dem Antrag nicht hervor. Konnte die beteiligte Behörde indes nach unmittelbar nach der Verhaftung des Betroffenen noch keine Angaben zu einer Rückübernahmepflicht Norwegens machen, hätte sie sich darauf beschränken müssen, eine vorläufige Freiheitsentziehung gemäß § 427 FamFG zu beantragen (vgl. BGH, Beschl. v. 31.05.2012 – V ZB 167/11, juris, Rn. 10).
Es kommt hinzu, dass die Erwartung, eine Zurückschiebung des Betroffenen in den anderen Mitgliedstaat werde innerhalb von drei Monaten möglich sein, zunächst nur die von dem Haftrichter nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG (in der – hier anwendbaren – bis zum 25.11.2011 geltenden Fassung; jetzt § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG) zu treffende Prognose betrifft. Nach dieser Vorschrift ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Hinzu tritt jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es gebietet, die Abschiebungshaft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken (vgl. BGH, Beschl. v. 10.05.2012 – V ZB 246/11, juris, Rn. 10; so jetzt ausdrücklich § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG in der ab dem 26.11.2011 geltenden Fassung). Damit korrespondiert in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Pflicht der Behörde, bereits in dem Haftantrag zu erläutern, weshalb die beantragte, maximal zulässige Haft von drei Monaten erforderlich erschien und eine Haft von kürzerer Dauer nicht ausreichte; es handelt sich hierbei um einen unverzichtbaren Bestandteil eines zulässigen Haftantrags (vgl. BGH, aaO). Dadurch wird der Behörde nichts Unzumutbares verlangt, da sie auf die bislang vorliegenden Erfahrungen, was die Zurückschiebung in den betreffenden Mitgliedstaat (hier: Norwegen) betrifft, zurückgreifen und davon ausgehend einschätzen kann, innerhalb welchen Zeitraums eine Zurückschiebung in diesen Staat üblicherweise durchgeführt werden kann. Entsprechende Angaben finden sich in dem Haftantrag der beteiligten Behörde vom 10.09.2011 nicht, weshalb dieser auch aus diesem Grund unzulässig ist.
d)
Dass die Zurückschiebung tatsächlich innerhalb der angeordneten Haftdauer durchgeführt werden konnte, ist für die Zulässigkeit des Haftantrags ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschl. v. 26.01.2012 – V ZB 234/11, juris, Rn. 10).
2.
Darauf, ob der Einwand des Betroffenen, wonach der Haftantrag auch Ausführungen zu dem nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft – und zwar im Hinblick auf das gegen den Betroffenen (zusätzlich) eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Urkundenfälschung – hätte enthalten müssen (dazu allgemein BGH, Beschl. v. 10.02.2011 – V ZB 49/10), begründet ist, kommt es somit nicht an. Die Frage ist entgegen der Auffassung des Betroffenen schon deshalb nicht eindeutig zu bejahen, weil sich aus dem Haftantrag sowie den diesem beigefügten Unterlagen hierzu keine Anhaltspunkte ergaben, die beteiligte Behörde vielmehr erst am 12.09.2011 – und damit nach Erlass der Haftanordnung – über dieses weitere Verfahren unterrichtete.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus § 128c Abs. 2, § 131 Abs. 4 i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
IV.
Die Bewilligung der beantragen Verfahrenskostenhilfe findet ihre Grundlage in § 76 FamFG i.V.m. §§ 114 ff ZPO. Der Betroffene hat unter Berücksichtigung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Verfahrenskosten keine Raten zu zahlen.
V.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG sind nicht gegeben.