Urteil vom Landgericht Saarbrücken - 13 S 140/12
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers und der Widerbeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 2.8.2012 – Az. 13 C 440/11 (06) – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 1.330,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.4.2011 zu zahlen sowie den Kläger von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 156,30 EUR freizustellen.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
II. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerseite tragen die Beklagten als Gesamtschuldner zu 74% und der Widerkläger allein zu weiteren 26%. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
II.
a) Wie der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgehalten hat, gehört zum notwendigen Inhalt der Berufungsschrift gemäß § 519 Abs. 2 ZPO auch die Angabe, für und gegen welche Partei das Rechtsmittel eingelegt wird. Aus der Berufungsschrift muss entweder für sich allein oder mit Hilfe weiterer Unterlagen bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eindeutig zu erkennen sein, wer Berufungskläger und wer Berufungsbeklagter sein soll. Dabei sind vor allem an die eindeutige Bezeichnung des Rechtsmittelführers strenge Anforderungen zu stellen; bei verständiger Würdigung des gesamten Vorgangs der Rechtsmitteleinlegung muss jeder Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers ausgeschlossen sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die erforderliche Klarheit über die Person des Berufungsklägers ausschließlich durch dessen ausdrückliche Bezeichnung zu erzielen wäre; sie kann auch im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der etwa sonst vorliegenden Unterlagen gewonnen werden. Dabei sind, wie auch sonst bei der Ausdeutung von Prozesserklärungen, alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Anforderungen an die zur Kennzeichnung der Rechtsmittelparteien nötigen Angaben richten sich nach dem prozessualen Zweck dieses Erfordernisses, also danach, dass im Falle einer Berufung, die einen neuen Verfahrensabschnitt vor einem anderen als dem bis dahin mit der Sache befassten Gericht eröffnet, zur Erzielung eines auch weiterhin geordneten Verfahrensablaufs aus Gründen der Rechtssicherheit die Parteien des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere die Person des Rechtsmittelführers, zweifelsfrei erkennbar sein müssen (BGH, Beschlüsse vom 9.9.2008 - VI ZB 53/07 = NJW-RR 2009, 208, und vom 11.5.2010 - VIII ZB 93/09 = NJW-RR 2011, 281, jew. m.w.N.).
b) Vor diesem Hintergrund lässt sich bei vernünftiger Würdigung von Berufungsschrift hinreichend eindeutig erkennen, dass die Berufung auch im Namen der Widerbeklagten eingelegt wurde. Wie sich aus der Urteilskopie ergibt, die der Berufungsschrift beigefügt war, hat das angefochtene Urteil einen Verkehrsunfallprozess zum Gegenstand. Eine Beschränkung der Berufung, wonach die Klägerseite nur den Klageanspruch gegen die Beklagten und den Widerkläger und nicht auch die Abweisung der Widerklage im Berufungsverfahren weiterverfolgt, ist nicht ersichtlich und ist – wie der später eingegangene Berufungsantrag bestätigt – auch nicht gewollt. In diesem Fall kann eine isolierte Anfechtung der Widerklage ohne Beteiligung aller Widerbeklagten im Hinblick auf die Rechtskrafterstreckung des § 124 Abs. 1 VVG verständigerweise nicht gewollt gewesen sein (vgl. hierzu schon OLG Hamm MDR 2000, 539 f.; Hinweisbeschluss der Kammer vom 27.9.2012 – 13 S 139/12).
a) Das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass die Linksabbiegerspur an der von der ... Straße kommend ersten Einfahrt der Tankstelle so ausgestaltet ist, dass ein Abbiegen durch Überfahren einer dort befindlichen durchgezogenen Linie verkehrswidrig ist. Das Abbiegeverbot an dieser Stelle diene auch ersichtlich dazu, den Linksabbieger, der auf das Tankstellengelände einfahren möchte, auf die zweite, hintere Einfahrt zu leiten. Deshalb sei der Verkehrsteilnehmer auf dem Tankstellengelände vor einer „unberechtigten“ Einfahrt vor einem Linksabbieger geschützt, mithin im Schutzbereich des Linksabbiegeverbots.
b) Dieser Einschätzung steht entgegen, dass durchgezogene Linien nach Zeichen 295, wenn sie – wie hier – als Abgrenzung zum Gegenverkehr auf dem Belag aufgebracht sind, zwar zur Folge haben, dass Fahrzeuge sie nicht überqueren dürfen; diese Begrenzung dient indes nach allgemeiner Auffassung nur dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber anderen Verkehrsteilnehmern und insbesondere nicht dem wartepflichtigen Einbiegerverkehr (vgl. OLG Düsseldorf, DAR 1976, 214; OLG Köln, NZV 1990, 72; OLG München, VersR 1995, 1506; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 2 StVO Rdn. 91 f., jew. m.w.N.).
c) Die Haftungsbeschränkung, die sich aus dem Schutzbereich der Norm ergibt, erfährt nach obergerichtlicher Rechtsprechung allerdings eine Korrektur mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz: Soweit die anderen Verkehrsteilnehmer mit der Übertretung der Norm vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchen, dürfen sie ihr Verhalten an der Erwartung ausrichten, dass die Fahrbahnmarkierungen respektiert werden (Vgl. OLG Hamm, VRS 59, 5). Ob dies im vorliegenden Fall dazu führt, dass Tankstellennutzer wie die Erstbeklagte darauf vertrauen dürfen, dass Linksabbieger, die auf das Tankstellengelände auffahren wollen, die Verkehrsführung beachten und nicht unter Überfahren der durchgezogenen Linie in die „erste“ Einfahrt des Tankstellengeländes abbiegen, ist indes zweifelhaft. Dagegen spricht, dass die Einfahrt an dieser Stelle nicht grundsätzlich verboten ist, sondern zumindest für Rechtsabbieger auf der ... ausdrücklich erlaubt ist. Verkehrsteilnehmer, die sich auf dem Tankstellengelände aufhalten, müssen daher stets damit rechnen, dass über die „erste“ Einfahrt Fahrzeuge auf das Tankstellengelände einfahren. Muss sich aber ein Tankstellennutzer an dieser Stelle auf einfahrende Fahrzeuge einstellen, kommt es im Ergebnis kaum darauf an, ob die einfahrenden Fahrzeuge ordnungsgemäß rechts oder ordnungswidrig links in die Einfahrt einbiegen. Auch der Hinweis des Beklagtenvertreters, auf den Rechtsabbieger, der auf der ... herannaht, könne sich ein Tankstellennutzer besser einstellen, als auf einen Linksabbieger, der von der Gegenrichtung aus dem Kreisel heranfährt, vermag ein unterschiedlich zu beurteilendes Vertrauen des Tankstellennutzers nicht überzeugend zu rechtfertigen. Der Zeitpunkt der Erkennbarkeit eines Rechts- oder Linksabbiegers in die Tankstelle hängt nämlich von einer Vielzahl von Umständen ab (Blickwinkel des Tankstellennutzers, Geschwindigkeit des Abbiegers, Sichtweite), die eine allgemein schlechtere Erkennbarkeit des Linksabbiegevorgangs für den Tankstellennutzer nur schwer begründen lassen.
d) Letztlich bedarf die Frage hier allerdings keiner Entscheidung. Wie das Erstgericht zu Recht angenommen hat, wiegt ein etwaiger Verschuldensvorwurf des Klägers nicht schwer, schon weil eine Verletzung des Linksabbiegens in die Tankstelle angesichts der Verkehrsverhältnisse – die Umleitung des Verkehrs über die zweite Einfahrt ist erkennbar umständlich und daher geeignet, Verletzungen des Linksabbiegeverbotes zu provozieren – naheliegt und daher von einem verständigen Tankstellennutzer stets mit zu berücksichtigen ist. Überdies hat der Kläger sein Fahrzeug vorkollisionär zum Stehen gebracht und daher situationsangemessen reagiert. Demgegenüber hat das Überwachungsvideo gezeigt, dass die Erstbeklagte völlig ungebremst in das bereits stehende Klägerfahrzeug hinein gefahren ist. Dies beruht auf einer erheblichen Vernachlässigung der ob der Gefährlichkeit des Fahrmanövers gesteigerten Sorgfaltspflichten des Kraftfahrers beim Rückwärtsfahren. Dass sich die Erstbeklagte ganz offensichtlich nicht nach hinten vergewissert hatte, wiegt hier besonders schwer, weil sie mit Einfahrenden an dieser Stelle grundsätzlich rechnen musste. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer es für gerechtfertigt, im Rahmen der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile ein etwaiges leichtes Mitverschulden des Klägers ebenso wie die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges hinter dem erheblichen Verschulden der Erstbeklagten zurücktreten zu lassen. Die Beklagten haften daher für das Unfallgeschehen allein.
III.
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