Urteil vom Landgericht Siegen - 2 O 435/11
Tenor
I.
Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die Schützenhalle in XY selbst oder durch Einräumung der Nutzung an Dritte so zu nutzen, dass durch die aus der Schützenhalle nach außen dringenden Geräusche oder durch die Geräusche des Besucherverkehrs auf dem Schützenplatz vor der Schützenhalle eine Geräuschbelastung der Wohnung des Klägers im Gebäude in XY nachts zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr von mehr als 45 dB(A) auftritt, jedoch mit Ausnahme der folgenden zu Ziffer II. gestatteten Nutzung.
II.
Von der Unterlassungspflicht zu Ziffer I. gelten folgende Ausnahmen:
1.
Sonderregelung für das Schützenfest:
In nicht mehr als drei Nächten im Kalenderjahr dürfen anlässlich des von Freitags bis Montags dauernden einmal jährlich stattfindenden Schützenfestes bis jeweils 24.00 Uhr Werte bis zu 70 dB(A) erreicht werden. Einzelne kurze Geräuschspitzen dürfen diesen Wert um nicht mehr als 20 dB(A) übersteigen. Für die übrige Nachtzeit der drei Nächte des Schützenfestes gilt bis 03.00 Uhr ein Höchstwert von 60 dB(A). Einzelne kurze Geräuschspitzen dürfen diesen Wert um nicht mehr als 20 dB(A) übersteigen. Von 03.00 Uhr bis 06.00 Uhr gilt der Höchstwert von 55 dB(A). Einzelne kurze Geräuschspitzen dürfen diesen Wert um nicht mehr als 10 dB(A) übersteigen.
2.
In nicht mehr als zwei weiteren Nächten im Kalenderjahr dürfen bis jeweils 03.00 Uhr Werte bis zu 60 dB(A) erreicht werden. Einzelne kurze Geräuschspitzen dürfen diesen Wert um nicht mehr als 20 dB(A) übersteigen. Von 03.00 Uhr bis 06.00 Uhr gilt der Höchstwert von 55 dB(A). Einzelne kurze Geräuschspitzen dürfen diesen Wert um nicht mehr als 10 dB(A) übersteigen.
3.
In nicht mehr als fünf weiteren Nächten im Kalenderjahr dürfen Werte bis zu 55 dB(A) erreicht werden. Einzelne kurze Geräuschspitzen dürfen diesen Wert um nicht mehr als 10 dB(A) übersteigen.
4.
Die genannten Überschreitungen dürfen nicht an zwei Wochenenden hintereinander auftreten.
III.
Dem Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Mo-naten, zu vollstrecken an einem der Vorsitzenden des Beklagten, festge-setzt wird.
IV.
Der Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltsgebüh-ren der Rechtsanwälte i.H.v. 1.000,98 € freizustellen.
V.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
VI.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
VII.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung von 10.000,00 €.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks, XY, und bewohnt das auf diesem Grundbesitz aufstehende Wohnhaus, das sich in etwa zwanzig Metern Entfernung unmittelbar gegenüber der Schützenhalle befindet, die von dem Beklagten für eigene Veranstaltungen genutzt und zeitweise auch an Dritte zur Durchführung von Veranstaltungen und Feierlichkeiten vermietet wird. Zudem werden an manchen Wochenenden in der Halle und auf dem davor gelegenen Parkplatz Trödelmärkte durchgeführt. Die Gebäude befinden sich in einem Dorf- und Mischgebiet. Zwischen den Parteien bestehen seit mehreren Jahren Differenzen wegen des von der Schützenhalle anlässlich der erwähnten Anlässe ausgehenden Lärms.
3Zu Beginn des Jahres 2006 gab der Beklagte zur Klärung dieser Angelegenheit ein Sachverständigengutachten zum Zwecke der Geräuschmessung in Auftrag. Der Sachverständige Dipl.-Ing. AB stellte für sein am 08.04.2006 für den Beklagten erstattetes Gutachten in einer Entfernung von 0,5 Metern vor den Fenstern der Wohnung des Klägers in der Zeit von 22.00 Uhr bis 23.30 Uhr Messungen aus Anlass einer Veranstaltung von Jungschützen an, bei der Livemusik gespielt wurde. Hierbei waren die Fenster der Schützenhalle geschlossen und das Personal angewiesen, die hintereinander gelegenen Türen der Schützenhalle möglichst nicht gleichzeitig zu öffnen. Die Messungen ergaben einen Beurteilungspegel vor dem Wohnzimmerfenster von 66 dB(A) und vor dem Kinderzimmerfenster von 64 dB(A). Unter Berücksichtigung eines Messabschlags von 3 dB(A) gemäß 6.9 der TA-Lärm gelangte der Sachverständige zu einer Geräuschbelastung von 63 dB(A) bzw. 61 dB(A) und führte aus, dass der einzuhaltende Richtwert in der Nacht um 18 dB bzw. 16 dB überschritten werde. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf die zu den Akten gereichte Kopie (Bl. 8-20 d.A.) Bezug genommen. In den folgenden Jahren versuchten die Parteien vergeblich, eine einvernehmliche Regelung zu erreichen, wobei die Prozessbevollmächtigten des Klägers seit dem Jahre 2009 tätig wurden. Ein im Jahr 2010 durchgeführtes Schiedsverfahren blieb erfolglos.
4Der Kläger behauptet, es habe auch Beschwerden anderer Nachbarn gegeben. Er macht Ausführungen zu einzelnen Veranstaltungen und behauptet, die Belästigungen hätten noch zugenommen. Hieran ändere auch die von ihm eingebaute Lärmschutzverglasung nichts.
5Der Kläger beantragt,
6den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, die Schützenhalle in XY selbst oder durch Einräumung der Nutzung an Dritte so zu nutzen, dass durch die aus der Schützenhalle nach außen dringenden Geräusche oder durch die Geräusche des Besucherverkehrs auf dem Schützenplatz vor der Schützenhalle eine Geräuschbelastung der Wohnung des Klägers im Gebäude in XY tagsüber zwischen 06:00 Uhr und 22:00 Uhr von 60 dB(A) und nachts zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr von 45 dB(A) auftritt.
7Dem Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen vorstehende Unterlassungsverpflichtung zu 1. ein Ordnungsgeld bis zu 10.000,00 € gegen ihn festgesetzt wird.
8Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte i.H.v. 1.008,98 € freizustellen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Der Beklagte verweist auf die lange Geschichte der Schützenhalle und hebt die dort seit Jahrzehnten ausgerichteten Festlichkeiten hervor. Er behauptet, sich seit dem Jahr 2005 darum bemüht zu haben, dem Anliegen des Klägers und seines Nachbarn Rechnung zu tragen. Der Beklagte macht Ausführungen zu einzelnen Veranstaltungen und hält den Vortrag des Klägers zu Lärmbelästigungen nach dem Jahr 2006 für unsubstantiiert. 2011 habe der Beklagte nur drei mit möglichen Lärmbelästigungen verbundene Veranstaltungen zugelassen, die zum Teil mit Einwilligung des Klägers durchgeführt worden seien. Es fehle deshalb an der Wiederholungsgefahr. Zudem handele es sich um eine ortsübliche Nutzung des Grundstücks, die der Kläger zu dulden habe. Schließlich müsse beachtet werden, dass z.T. sog. Traditionsveranstaltungen durchgeführt würden, die trotz wesentlicher Beeinträchtigungen zu dulden seien.
12Der Beklagte vertritt die Ansicht, der Kläger habe seine Rechte bezüglich der Unterlassung von Traditionsveranstaltungen verwirkt, da er solche Veranstaltungen bisher nie beanstandet habe. Dem Kläger sei es außerdem zumutbar, zur architektonischen Selbsthilfe zu greifen.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 22.03.2012 Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15I.
16Die Klage ist zulässig. Ein Streitschlichtungsversuch i.S.v. § 15a Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist erfolgt.
17II.
18Die Klage ist im erkannten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
191)
20Der Kläger hat gegen den Beklagten grundsätzlich einen Anspruch auf Unterlassung von Beeinträchtigungen seines Eigentums durch Lärmbelästigung gemäß § 1004 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift gilt auch für den mittelbaren Handlungsstörer, der die Beeinträchtigung durch Handlungen von Dritten adäquat verursacht. Dies ist der Fall, wenn er die Handlung veranlasst, gestattet oder es unterlässt, eine Dritthandlung zu verhindern, die er ermöglicht hat (vgl. BGH NJW 2000, 2901; NJW 2006, 992; NJW 1963, 2020; NJW 1982, 440).
21Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Sie besteht in der auf Tatsachen gegründeten objektiven Besorgnis weiterer Störungen. Eine vorangegangene rechtswidrige Beeinträchtigung begründet eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr, an deren Widerlegung durch den Störer hohe Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH NJW 2004, 1035).
22Im vorliegenden Streitfall folgt die Wiederholungsgefahr aus dem Umstand, dass in der fraglichen Schützenhalle Veranstaltungen durchgeführt werden und die Parteien trotz langwieriger Versuche keine Einigung über die hiermit verbundenen Belastungen für das Grundstück des Klägers erzielt haben. Dass durch die streitgegenständliche Nutzung der Schützenhalle eine Lärmbelastung verursacht wird, welche die gesetzlich zulässigen Grenzwerte der TA-Lärm weit übersteigt (s.u.), steht schon nach dem unstreitigen Parteivortrag fest. Beide Parteien nehmen Bezug auf das vom Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. AB, der die entsprechenden Werte festgestellt hat. Es ist weder vom Beklagten substantiiert vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich, dass derartige Lärmbelastungen bei der heutigen Nutzung der Halle nicht mehr auftreten. Hierbei muss beachtet werden, dass der Beklagte anlässlich der vom Sachverständigen Dipl.-Ing. AB durchgeführten Messungen bereits Maßnahmen zur Verringerung nach außen dringender Geräusche veranlasst hatte, die jedoch zur Einhaltung der Grenzwerte nicht genügten. Nicht zuletzt ergibt sich aus dem eigenen Vortrag des Beklagten, dass dieser nicht dazu imstande ist, festgelegte Grenzwerte zu wahren. Denn seine nach dem Vergleichsvorschlag des Gerichts in den Rechtsstreit eingebrachte Argumentation stellt entscheidend darauf ab, dass sog. "Traditionsveranstaltungen" nicht mehr durchgeführt werden könnten, wenn Grenzwerte einzuhalten seien.
232)
24a)
25Die Beeinträchtigungen sind nicht unwesentlich i.S.v. § 906 Abs. 1 BGB. Eine unwesentliche Beeinträchtigung liegt in der Regel vor, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte von den nach diesen Vorschriften ermittelten und bewerteten Einwirkungen nicht überschritten werden. Nach Ziffer 6.1.c) der sechsten allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesimmissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm) betragen die Immissionsrichtwerte für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A). Der Sachverständige Dipl.-Ing. AB hat anlässlich seiner im Nachtzeitraum vorgenommenen Messungen festgestellt, dass der einzuhaltende Richtwert in der Nacht von 45 dB(A) um 18 dB überschritten wird.
26b)
27Allerdings gilt diese Beurteilung nicht uneingeschränkt. Der Kläger hat im Ergebnis einen Teil der Lärmbelastungen als zumutbar hinzunehmen.
28Soweit es - wie hier - um Lärmeinwirkungen geht, kommt es regelmäßig darauf an, ob diese - bezogen auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen, nicht auf die individuelle Einstellung eines besonders empfindlichen Dritten - das zumutbare Maß überschreiten. Bei der Ermittlung dessen, was zumutbar ist, kann vorliegend auf den Runderlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 23. Oktober 2006 zur "Messung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen" (MBl. NRW. S. 566) - Freizeitlärm-Richtlinie - zurückgegriffen werden (vgl. BGH NJW 2003, 3699; VG Köln, Urteil vom 5. März 2009 - 1 K 1485/08 -, NWVBl. 2009, 233; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21. Juni 2007 - 8 K 3694/06; VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Januar 2002 - 3 K 3905/01; vgl. zu ähnlichen Länderregelungen auch: VG Göttingen, Urteil vom 23. Februar 2005 - 1 A 1214/02 -; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13. Februar 2004 - 6 B 10279/04 -, NVwZ-RR 2004, 485).
29Nach Ziffer 3.1 der Richtlinie werden die Kategorien der TA-Lärm insoweit übernommen, als zunächst der Gebietscharakter und die Einteilung in Tag-, Nacht- und Ruhezeiten maßgebend sind. Die Werte können nach Maßgabe der Ziffer 3.2 für seltene Ereignisse (nicht mehr als 10 Tage oder Nächte im Jahr) erhöht werden und dürfen ausnahmsweise nachts bis maximal 55 dB(A) betragen (vgl. Ziffer 3.2 lit a. der Freizeitlärm-Richtlinie). Dadurch wird dem Grundsatz Rechnung getragen, dass besondere - seltene - Veranstaltungen eine kurzzeitige Überschreitung der Lärmobergrenze und damit eine erhöhte Duldungspflicht rechtfertigen können.
30Die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung kann nicht mathematisch exakt, sondern nur aufgrund wertender Beurteilung festgesetzt werden (BGHZ 148, 261, 264. Dabei sind wesentliche Immissionen identisch mit erheblichen Belästigungen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG (BGHZ 122, 76, 78). Wann Lärmimmissionen im Einzelfall die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten, unterliegt weitgehend tatrichterlicher Wertung (BGHZ 121, 248, 252 - Jugendzeltplatz).
31In die Abwägung ist zunächst einzustellen, dass grundsätzlich ab 22.00 Uhr die Nachtruhe einzutreten hat (§ 9 Abs. 1 LImschG), und dass Schallgeräte grundsätzlich nur in solcher Lautstärke betrieben werden dürfen, dass unbeteiligte Personen nicht erheblich belästigt werden (§ 10 Abs. 1 LImschG). Der hierdurch geschützten Nachtruhe ist im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung ein hohes Gewicht beizumessen.
32Des weiteren kann der Zweck der Traditions- und Brauchtumspflege von Bedeutung sein. Auch bei der Traditionspflege handelt es sich um ein wichtiges Gemeinschaftsgut. Derartige historische, kulturelle oder sonst sozialgewichtige Umstände können nach § 9 Abs. 3 Satz 2 LImschG sogar geeignet sein, ein Bedürfnis für die Erteilung einer allgemeinen Ausnahme im Wege des Erlasses einer ordnungsbehördlichen Verordnung zu begründen. Die Regelung des § 9 Abs. 3 LImschG ist vorliegend zwar nicht einschlägig, den in § 9 Abs. 3 Satz 2 LImschG aufgeführten Aspekten ist aber für die im vorliegenden Fall einschlägigen Ausnahmevoraussetzungen jedenfalls ein Aussagegehalt zu entnehmen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 1996 - 21 B 1741/96 -; VG Aachen, Beschluss vom 27. Juli 2000 - 6 L 719/00 - (beide unveröffentlicht).
33Vor diesem Hintergrund weisen die Verwaltungsvorschriften zum Landes-Immissionsschutzgesetz (MBl. NRW. S. 156) in Ziffer 9.3.1 u.a. darauf hin, dass bei in die Nachtzeit hineinreichenden öffentlichen Veranstaltungen von Schützenbruderschaften die Bedeutung für die Brauchtums- und Traditionspflege und die Förderung des örtlichen Zusammenlebens sowie die Art des zu begehenden Ereignisses (Jubiläum u.a.) bei der Abwägung ins Gewicht fallen.
34Bei nur einmal jährlich stattfindenden Veranstaltungen von kommunaler Bedeutung können selbst Lärmeinwirkungen unwesentlich sein, welche die für die Abend- und Nachtzeit aufgestellten Richtwerte überschreiten. Zwar gebührt nach 22 Uhr dem Schutz der ungestörten Nachtruhe grundsätzlich der Vorrang vor dem Interesse der Bevölkerung, Volksfeste und ähnliche Veranstaltungen zu besuchen (vgl. BGHZ 111, 63, 70 – Volksfestlärm; BGH NJW 2003, 3699). Insbesondere in Krankenhäusern oder sonstigen Kliniken, aber auch dort, wo die Bewohner der Umgebung bereits tagsüber einem höheren Lärmpegel als üblich ausgesetzt sind, ist eine Störung der Nachtruhe meist eine erhebliche Einwirkung auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden und damit eine wesentliche Immission. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die Nachtruhe nicht generell geschützt wird. Dort, wo ruhestörende Tätigkeiten zur Nachtzeit durch landesrechtliche Normen ausdrücklich verboten sind, hat der Gesetzgeber zugleich Ausnahmen für den Fall vorgesehen, daß ein Vorhaben im Einzelfall Vorrang vor den schutzwürdigen Belangen Dritter hat (z.B. § 5 der LärmVO Hamburg, § 8 der LärmVO Berlin). Vorrang kann insbesondere Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen zukommen, wenn sie auf historischen oder kulturellen Umständen beruhen oder sonst von kommunaler Bedeutung sind, und deshalb das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung der Veranstaltung gegenüber dem Schutzbedürfnis der Nachbarschaft überwiegt (vgl. § 9 Abs. 3 LImSchG Nordrhein-Westfalen, § 4 Abs. 4 LImSchG Rheinland-Pfalz, § 10 Abs. 4 LImSchG Brandenburg).
35In welchem Umfang Lärmbeeinträchtigungen von Veranstaltungen mit besonderer historischer, kultureller oder kommunaler Bedeutung noch als unwesentlich angesehen werden können, ist weitgehend eine Frage des Einzelfalls. Zu berücksichtigen sind insbesondere Bedeutung und Charakter der Veranstaltung, ihr Ablauf, Dauer und Häufigkeit, die Nutzungsart und Zweckbestimmung sowie die Gesamtbelastung des beeinträchtigten Grundstücks während der Veranstaltung und durch andere seltene Störereignisse, ferner die zeitlichen Abstände dieser Ereignisse. Je gewichtiger der Anlass für die Gemeinde oder Stadt ist, desto eher ist der Nachbarschaft zuzumuten, an wenigen Tagen im Jahr Ruhestörungen hinzunehmen. Bei Festveranstaltungen von kommunaler Bedeutung, die nur einmal im Jahr für wenige Tage stattfinden, ist dabei auch eine deutliche Überschreitung der für seltene Störereignisse festgelegten Richtwerte denkbar. Hiervon ist selbst die Nachtzeit nicht generell ausgenommen, zumal es im Sommer noch bis gegen 22 Uhr hell bleibt und es dem Charakter bzw. der Tradition vieler Veranstaltungen entspricht, dass sie bis in die Nachtstunden andauern (BGH a.a.O.; so auch VGH Mannheim NVwZ-RR 1994, 633, 635). Im Einzelfall kann von den Anliegern jedenfalls an einem Tag bis Mitternacht ein deutlich höherer Beurteilungspegel hinzunehmen sein. Eine über Mitternacht hinausgehende erhebliche Überschreitung der Richtwerte wird demgegenüber in aller Regel nicht mehr als unwesentlich zu qualifizieren sein (BGH a.a.O.).
36Ziff. 3.4 der Freizeitlärmrichtlinie NRW bestimmt, dass die Immissionsschutzwerte nicht abschließend sind und insbesondere bei Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen Ausnahme zugelassen werden dürfen.
37c)
38Unter Berücksichtigung der vorgenannten Kriterien ist es angemessen, den Beklagten grundsätzlich an die Richtwerte der TA-Lärm bzw. der Freizeitlärm-Richtlinie zu binden, jedoch für Veranstaltungen, an denen ein öffentliches Interesse besteht, Ausnahmen zuzulassen. Dies gilt vor allem für das alljährlich vom Beklagten an einem Wochenende von Freitags bis Montags (drei Nächte) abgehaltene Schützenfest. Für dieses Ereignis erscheint die Erhöhung der in Ziffer 3.2 genannten nächtlichen Höchstwerte auf bis zu 70 dB(A) mit Geräuschspitzen von bis zu 90 dB(A) geboten, allerdings nur bis 24.00 Uhr. Eine Verlängerung über 24.00 Uhr hinaus kommt mit Rücksicht auf die schutzwürdigen Belange des Klägers nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2003, 3699). Allerdings erscheint es angemessen, den für die übrige Nachtzeit des Schützenfestes geltenden Höchstwert bis jeweils 03.00 Uhr moderat um 5 dB auf 60 dB(A) mit Geräuschspitzen bis 80 dB(A) zu erhöhen.
39Im Übrigen hält das Gericht mit Blick auf die berechtigten Belange beider Parteien eine abgestufte Regelung für angezeigt, die das Interesse des Beklagten an einer angemessenen Nutzung der Schützenhalle – etwa zur Karnevalszeit - berücksichtigt. Für weitere zwei Nächte ist dem Beklagten deshalb die Erhöhung der nächtlichen Höchstwerte auf 60 dB(A) mit Geräuschspitzen bis 80 dB(A) bis jeweils 03.00 Uhr zuzugestehen. Für weitere fünf Nächte sowie für die restliche Nachtzeit der vorgenannten Ausnahmen gilt der Höchstwert gem. Ziffer 3.2 der Freizeitlärm-Richtlinie von 55 dB(A) mit Geräuschspitzen von 65 dB(A).
403)
41Soweit die Klage auf die Unterlassung von Lärmbelästigungen am Tage gerichtet ist, ist sie unbegründet, weil nach dem Vortrag des Klägers keine Wiederholungsgefahr festgestellt werden kann. Hierbei ist zu beachten, dass der Kläger – woran das Gericht gemäß § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO gebunden ist – seinen Unterlassungsantrag auf "aus der Schützenhalle nach außen dringende Geräusche" sowie auf "Geräusche des Besucherverkehrs auf dem Schützenplatz" beschränkt hat. Von diesem Antrag ist deshalb das Betreiben von Fahrgeschäften auf dem Schützenplatz ebensowenig erfasst wie die Verursachung von Geräuschen beim Aufstellen von Marktständen.
424)
43Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren beruht auf § 823 Abs. 1 BGB.
44III.
45Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709, 890 Abs. 2 ZPO.
46Streitwert: 6.000,00 €
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