Urteil vom Landgericht Stendal (1. Zivilkammer) - 21 O 245/09

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, folgende Willenserklärung abzugeben:

„Ich bewillige hiermit die Löschung der unter lfd. Nr. 7 der II. Abteilung im Grundbuch von X-Stadt, Blatt xxx, eingetragenen Abtretung des Vorkaufsrechts und des durch Vormerkung gesicherter Anspruchs der Frau AA, geboren am 22. November 1925, für alle Vorkaufsfälle an BEKL, geboren am 14. Mai 1959, gemäß Bewilligung vom 22. Mai 2006 aus der UR Nr. 158/06 des Notars B.B.; eingetragen am 24.11.2008“.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Klägerin wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Berichtigung des Grundbuchs in Anspruch.

2

AA und ihr zwischenzeitlich verstorbenen Mann CC, die Eltern der Beklagten, waren Inhaber eines auf alle Verkaufsfälle bezogenen Vorkaufsrechts gemäß § 20 Vermögensgesetz (VermG) für das im Grundbuch von X-Stadt, Blatt xxx, unter lfd. Nr. 3 des Bestandsverzeichnisses eingetragene Grundstück. Der Kläger erwarb diese Liegenschaft mit notariellem Vertrag vom 2.12.2002 von DD und übernahm die eingetragene Belastung. AA übte damals ihr Vorkaufsrecht aus. In der Folge nahm der Verkäufer, DD, AA in einem Rechtsstreit vor dem Landgericht Stendal auf Zahlung des Kaufpreises in Anspruch (Geschäftszeichen 21 O 7/04). Das Verfahren endete mit einem Vergleich. DD trat wegen nicht rechtzeitiger Zahlung des Kaufpreises, zu der sich AA darin verpflichtet hatte, vom Vergleich zurück. Daraufhin wurde der Kläger am 21.3.2001 als neuer Eigentümer ins Grundbuch eingetragen.

3

AA trat ihr Vorkaufsrecht durch notarielle Urkunde vom 22.5.2006 an die Beklagte ab, die daraufhin am 24.11.2008 als Zessionarin des Vorkaufsrechts ins Grundbuch eingetragen wurde.

4

Der Kläger meint, dass die Abtretung des Vorkaufsrechts unwirksam sei.

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Er beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, folgende Willenserklärung abzugeben:

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„Ich bewillige hiermit die Löschung der unter lfd. Nr. 7 der II. Abteilung im Grundbuch von X-Stadt, Blatt xxx, eingetragenen Abtretung des Vorkaufsrechts, ein durch Vormerkung gesicherter Anspruch der Frau AA für alle Vorkaufsfälle der Frau AA, geborene Schulz, geboren am 22.11.1925, abgetreten an BEKL, geboren am 14.5.1959, wohnhaft in X-Stadt gemäß Bewilligung vom 22.5.2006 aus der UR 158/06 des Notars BB; eingetragen am 24.11.2008“.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie meint, der Kläger sei nicht berechtigt, die Berichtigung des Grundbuchs zu verlangen. Die von ihm beantragte Löschungsbewilligung würde darüber hinaus den vollständigen Untergang des Vorkaufsrechts bewirken, nicht jedoch eine Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes, wonach AA ihr Vorkaufsrecht weiterhin zusteht.

11

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die Beklagte hat nach § 894 BGB die Löschung des zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Vorkaufsrechts zu bewilligen. Nach dieser Vorschrift kann derjenige, dessen Recht durch die Eintragung einer nicht bestehenden Belastung oder Beschränkung beeinträchtigt ist (dazu 1.), die Zustimmung zu der Berichtigung von demjenigen verlangen, dessen Recht durch die Berichtigung betroffen wird (dazu 2.).

1.

13

Der aktuelle Inhalt des Liegenschaftsregisters ist nicht richtig; formelle und materielle Grundbuchlage fallen auseinander. Zwar besteht noch ein Vorkaufsrecht zugunsten der Mutter der Beklagten (dazu a). Indes ist die an die Beklagte vorgenommene Abtretung nicht wirksam (dazu b).

a)

14

Zugunsten der Eltern der Beklagten, AA und EE, war ein gemeinsames Vorkaufsrecht im Grundbuch eingetragen. Es stand nach § 20 VermG den Mietern bzw. Nutzern von Ein- und Zweifamilienhäusern (…) zu, die der staatlichen Verwaltung unterlagen oder auf die ein Anspruch auf Rückübertragung besteht, wenn das Miet- bzw. Nutzungsverhältnis am 29.9.1990 bestanden hat und bis zur Entscheidung des Amts zur Regelung offener Vermögensfragen fortbesteht.

15

Nach dem Ableben von EE steht das Vorkaufsrecht seiner Gattin AA allein zu. Es ist auch nicht dadurch erloschen, dass es anlässlich des Vorkaufsfalles DD/DD von ihr bereits einmal ausgeübt worden ist. Es gilt nämlich für alle Verkaufsfälle (vgl. § 1097 BGB) und blieb daher bestehen, auch wenn AA nach Ausübung ihrer Option auf Eintritt in den Kaufvertrag den Preis für das Grundstück nicht rechtzeitig gezahlt hat, DD deshalb von dem im Streitverfahren vor dem Landgericht Stendal zum Geschäftszeichen 21 O 7/04 geschlossenen Prozessvergleich zurückgetreten ist und der Kaufvertrag zwischen ihm und dem Kläger umgesetzt wurde.

b)

16

Die notarielle Abtretung des Vorkaufsrechts von AA an die Beklagte ist unwirksam. Das Vorkaufsrecht kann nach § 20 Abs. 7 VermG nicht übertragen und vererbt werden. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung sollte nämlich Personen, die Ein- bzw. Zweifamilienhäuser bereits vor Vollendung der deutschen Einheit als Mieter oder Nutzer bewohnten, die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr bisher lediglich schuldrechtliches Nutzungsrecht zu „verdinglichen“, also selbst Eigentümer zu werden. Ein Vorkaufsrecht sollte wegen der mit ihm zwar nicht rechtlich, aber faktisch verbundenen Einschränkung der Verkehrsfähigkeit nach der gesetzgeberischen Wertung jedoch nur solchen Personen zugute kommen, die wegen einer ununterbrochenen Nutzung ein berechtigtes Interesse daran haben, ihren bisherigen Lebensmittelpunkt in der Immobilie zu erhalten – und zwar nicht nur als Mieter nach § 566 BGB, sondern auch als Eigentümer. Es mag sein, dass die Beklagte, die gegenwärtig im selben Haus wie ihre Mutter AA wohnt, bei deren Ableben nach §§ 20 Abs. 7, 563 Abs. 2 BGB in das Vorkaufsrecht eintritt. So läge es, wenn sie den gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter bis zu deren Tod fortführt. Ob dies der Fall sein wird, ist nicht antizipierbar. Auch wenn die Beklagte beabsichtigen sollte, ihren Wohnsitz weiterhin auf dem hier streitigen Grundstück zu behalten, muss sich der Kläger nicht vorhalten lassen, treuwidrig etwas zu fordern, dass er zu einem späteren Zeitpunkt ohnehin wieder herausgeben müsste (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est). Die Entscheidung der Kammer hat sich nämlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu richten.

2.

17

Da die Beklagte jedenfalls gegenwärtig kein Vorkaufsrecht nach § 20 VermG oder einen anderen Rechtsgrund für sich in Anspruch nehmen kann, muss sie der Bewilligung des Grundbuchs zustimmen. Die Abgabe einer entsprechenden Erklärung wird mit Rechtskraft dieser Entscheidung nach § 894 ZPO fingiert. Dass das Vorkaufsrecht nach Eintragung der bewilligten Löschung zunächst nicht mehr im Grundbuch sichtbar ist, obwohl es in materiell-rechtlicher Hinsicht noch zugunsten von AA besteht, führt nicht zu einer Abweisung der Klage. Denn die Eintragung der Beklagten ist dem Kläger gegenüber unwirksam. Dass der Kläger seinerseits gegenüber ihrer Mutter zur Wiederbewilligung der Eintragung als Vorkaufsrecht verpflichtet ist, spielt in diesem Rechtsstreit keine Rolle.

18

Der Kläger ist berechtigt, den Berichtigungsanspruch geltend zu machen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass nach § 894 BGB an sich nur derjenige vorgehen kann, der durch die Unrichtigkeit des Grundbuchs unmittelbar beeinträchtigt ist. Nun mag man sich mit guten Gründen auf den Standpunkt stellen, der Kläger sei durch die Eintragung eines Vorkaufsrechts für die Beklagte nicht tangiert. Denn dass eine derartige Belastung des Grundstücks – wenngleich für AA – besteht, stellt auch er nicht in Frage. Dabei ist grundsätzlich anerkannt, dass der Eigentümer einen Berichtigungsanspruch nicht darauf stützen kann, dass für eine bestehende Grundstücksbelastung ein falscher Berechtigter eingetragen ist; insoweit soll nur der wirkliche Rechtsinhaber – hier: AA – ein Korrekturanspruch haben (vgl. Palandt, BGB, 68. Aufl., § 894 Rn. 6; Staudinger, BGB, 2008, § 894 Rn. 72; Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 894 Rn. 21).

19

Gleichwohl neigt die Kammer dazu, bei der Beurteilung einer Beeinträchtigung nicht nur eine reine rechtliche, sondern auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde zu legen. Soweit die Rechtsprechung einem Eigentümer einen Berichtigungsanspruch versagt hat, wenn für eine bestehende Grundstücksbelastung ein falscher Berechtigter eingetragen gewesen ist, bezog sich dies auf Grundschulden oder Hypotheken (vgl. RG, HRR 1930 Nr. 1615; BGH, WM 2000, 1057, 1058). Bei Grundpfandrechten ist diese Auffassung zweifellos richtig. Denn wenn ein Grundstück belastet ist, muss der Eigentümer zahlen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der wahre oder ein falscher Grundschuldsgläubiger bzw. Hypothekar im Grundbuch steht. Denn der Kläger kann nach § 893 BGB stets an denjenigen mit befreiender Wirkung leisten, der im Grundbuch eingetragen ist oder der aufgrund eines Grundschuld- bzw. Hypothekenbriefs den guten Glauben des Grundbuchs für sich in Anspruch nehmen kann. Bei dinglichen Belastungen eines Grundstücks, die – wie etwa eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit nach §§ 1190 ff. BGB oder ein Vorkaufsrecht nach § 20 VermG – höchstpersönlichen Charakter haben, ist dies jedoch anders zu bewerten. Der Eigentümer hat auch ein berechtigtes Interesse an der Korrektur des Grundbuchs, wenn ein falscher Inhaber eingetragen ist. Denn das Vorkaufsrecht führt faktisch zu einer Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Liegenschaft: Ein Erwerber, der befürchten muss, dass ein Dritter in den geschlossenen Kaufvertrag mit dem Eigentümer eintreten wird, muss berücksichtigen, dass die Abwicklung sich verzögern kann. Er wird auch die Klärung einer Finanzierung zurückstellen wollen, bis endgültig feststeht, dass das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt wird; andernfalls ist mit Bereitstellungszinsen für einen nicht abgerufenen Kredit zu rechnen. Vor diesem Hintergrund macht es aus Sicht des Eigentümers einen Unterschied, wem das Vorkaufsrecht zusteht und wann es durch Tod des Berechtigten erlischt.

20

Im vorliegenden Fall steht das Vorkaufsrecht nach § 20 Abs. 1 VermG AA zu. Sie ist am 22.11.1925 geboren, also zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 84 Jahre. Nach der Sterbetafel 2009 hat sie eine statistische Restlebenserwartung von 8,57 Jahren. Hingegen ist die Beklagte, zu deren Gunsten das Vorkaufsrecht im Grundbuch eingetragen ist, am 14.5.1959 geboren, zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung also 50 Jahre. Sie hat nach den Sterbetafeln 2009 eine restliche Lebenserwartung von 37,88 Jahren. Sieht man also von anderen, eher atypischen Faktoren (z.B. Unfälle, schwere Krankheit) ab, müsste der Kläger die durch die unzulässige Abtretung des Vorkaufsrechts ausgehenden Beeinträchtigungen 29,31 Jahre länger hinnehmen. Die Veräußerung von Teilflächen des streitigen Grundstücks, die als Bauland ausgewiesen sind, wären also bei normalem Verlauf der Dinge um rund 30 Jahre erschwert.

21

Wollte man dem Kläger einen Berichtigungsanspruch nach § 896 BGB unter Hinweis darauf verwehren, dass das Vorkaufsrecht – wenn gleich für jemand anderes – bestehe, hätte dies auch eine Perpetuierung des fehlerhaften Zustandes des Liegenschaftsregisters zur Folge. Während nämlich bei eingetragenen Hypotheken oder Grundschulden, die bisher Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen sind, ein Interesse des wahren Berechtigten besteht, zu seinen Gunsten auf eine Korrektur des Grundbuchs hinzuwirken, ist dies vorliegend nicht der Fall. Wegen gleichgerichteter Interessen der Beklagten und ihrer Mutter gibt es niemanden, der für die Berichtigung des Grundbuchs Sorge tragen könnte.

3.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwerts bemisst sich gemäß §§ 48 GKG; 3, 4 ZPO am Interesse des Klägers daran, dass die im Vorkaufsrecht bestehende Belastung seines Grundstücks entfällt. Hierbei ist ein Bruchteil des Verkehrswertes zugrunde zu legen. Überwiegend wird zwar 50 % angenommen (so Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 3 Rn. 16; BGH, JurBüro 1957, 224; OLG Celle, JurBüro 1967, 598; AG Lahnstein, JurBüro 1978, 1563). Die Kammer folgt indes der Bewertung des OLG Naumburg, das 10 % des Verkehrswertes für angemessen hält (vgl. OLG R99, 306). Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein Vorkaufsrecht keine wertausschöpfende Wirkung hat, sondern sich lediglich faktisch auf die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks auswirkt.

23

Beschluss

24

Der Streitwert wird auf Euro 10.500,00 festgesetzt.


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