Beschluss vom Landgericht Stuttgart - 19 S 23/10

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 05.05.2010 (64 C 1135/10) wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Streitwert: EUR 2.000,00

Gründe

 
Die Berufung der Kläger ist unbegründet und deshalb gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Nach Auffassung der Kammer hat das Amtsgericht zu Recht die Klage auf Anfechtung des Beschlusses zu TOP 6 der Eigentümerversammlung 08.02.2010 zurückgewiesen.
Der Beschluss der Eigentümerversammlung ist mit der Mehrheit der Wohnungseigentümer gefasst worden. Die Kläger waren von der Stimmrechtsausübung gem. § 25 Abs. 5 WEG ausgeschlossen.
Zutreffend hat der Verwalter bei der Beschlussfassung ein Stimmrechtsverbot der Kläger gem. § 25 Abs. 5 WEG angenommen und die Nein-Stimmen der Kläger nicht berücksichtigt.
Gegenstand der Beschlussfassung war die Einleitung bzw. Erledigung eines Rechtsstreites im Sinne von § 25 Abs. 5 WEG, konkret die Frage, ob Anschlussrechtsmittel in einem von den Klägern betriebenen Anfechtungsverfahren einzulegen sind und demgemäß ein Rechtsanwalt mit der Vertretung (weiter) im bereits von den Klägern eingeleiteten Berufungsverfahren gegen die Beklagten auch mit einer Anschlussberufung zu beauftragen ist.
Die Rechtsmeinung der Kläger, auf die die Berufung sich allein stützt, die vorliegende Fallkonstellation sei nicht vom Stimmverbot des § 25 Abs. 5 WEG erfasst, geht fehl.
Der Grund des Stimmverbots gem. § 25 Abs. 5 WEG liegt in der besonderen Beziehung des Wohnungseigentümers zum konkreten Beschlussgegenstand. Als Partei eines Rechtsstreits und als Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft befindet sich der Wohnungseigentümer in einer Doppelrolle, was die nahe liegende Gefahr, dass der Wohnungseigentümer sich von seinen privaten Sonderinteressen leiten lässt und nicht die mitgliedschaftlichen Interessen berücksichtigt, beinhaltet. Um dies zu verhindern, wird der Wohnungseigentümer wie auch bei der Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit ihm von seinem Stimmrecht ausgeschlossen (u.a. Bärmann/Merle, WEG, 10. Aufl., § 25 Rn. 115).
Zur Einleitung eines Rechtsstreits gehören neben den unmittelbar prozessualen Maßnahmen (Klageerhebung, Antrag auf Mahnbescheid oder einstweiligen Rechtsschutz, selbständiges Beweisverfahren, Streitverkündung) auch vorprozessuale Maßnahmen, wie die Beauftragung eines Rechtsanwalts etc. Die Erledigung des Rechtsstreits umfasst alle Maßnahmen, die den Fortgang (z.B. Rechtsmittel, Antrag auf Aussetzung des Verfahrens, Prozessstrategie) oder die Beendigung (Klagerücknahme, Verzicht, Anerkenntnis, Vergleich) des Rechtsstreits betreffen (Bärmann aaO Rn. 134). Dass auch die Abstimmung über die Einlegung oder Nichteinlegung eines Rechtsmittels zu der Beschlussfassung über eine Erledigung des Rechtsstreits in diesem Sinne gehört (so auch Bärmann/Rüscher, Praxis des Wohnungseigentums, 5. Aufl., § 25 C Rn. 773; Niedenführ/Kümmel, WEG, 8. Aufl., § 25 Rn. 23), versteht sich aus dem Wortlaut der Norm sowie deren Sinn und Zweckbestimmung von selbst. Was für § 34 BGB gilt - dieser Norm ist § 25 Abs. 5 WEG nachgebildet - muss auch hier gelten. Diese Norm wird weit ausgelegt und umfasst alle prozessleitenden Entscheidungen (Otto in: jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2008, § 34 BGB Rn. 6; Staudinger/Günter Weick (2005), § 34 BGB Rn. 8).
Wenn sich die Wohnungseigentümer als Beklagte in einem Anfechtungsverfahren, in dem sie als notwendige Streitgenossen Partei gegen einen anderen (anfechtenden) Wohnungseigentümer sind, eine gemeinsame Willensbildung darüber verschaffen wollen, ob und in welchem Umfang sie sich im Rechtsstreit verteidigen und eine zu ihrem Nachteil ergangene erstinstanzliche Entscheidung hinnehmen wollen oder ihre Rechte prozessual mit einem Rechtsmittel durchsetzen wollen - letztlich bei allen prozessleitenden Entscheidungen - muss diese Willensbildung frei von Interessen des Gegners im Rechtsstreit getroffen werden können. Mithin indiziert dies ohne weiteres, dass der Gegner bei dieser Willensentschließung nicht stimmberechtigt sein kann. Sinn und Zweck des Stimmverbots ist - wie oben ausgeführt -, die nahe liegende Gefahr zu vermeiden, dass sich der betroffene Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung von seinen privaten Sonderinteressen leiten lässt und die mitgliedschaftlichen Interessen nicht berücksichtigt.
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Wenn die Kläger darauf verweisen, nach dem Wortlaut der Norm seien lediglich Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreits der anderen Wohnungseigentümer gegen ihn erfasst, d.h. hieraus ergebe sich, dass dies nur Rechtsstreite der Wohnungseigentümer gegen den einzelnen Wohnungseigentümer betreffe, kann dem nicht gefolgt werden. Gerade dann führen die anderen Wohnungseigentümer - hier die Beklagten - einen Rechtsstreit gegen den - widerstreitende Interessen vertretenden - anfechtenden Kläger - dieser ist dann insoweit (Anschluss-)Berufungsbeklagter -, wenn sie sich gegen eine in erster Instanz erfolgreiche Anfechtungsklage mit einem Anschlussrechtsmittel verteidigen.
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Eine Grundrechtsverletzung der Kläger vermag das Gericht bei der getroffenen Auslegung der Norm nicht zu erkennen. Die Frage, ob die Kläger ein Stimmrecht bei der Beschlussfassung darüber haben, ob und welches Rechtsmittel gegen eine erfolgreiche Anfechtungsklage der Kläger eingelegt werden soll, betrifft nur eine formale Frage. Ob das Rechtsmittel letztlich Erfolg hat, ist im Anfechtungsverfahren materiell-rechtlich zu prüfen.
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Die Ausführungen der Kläger mit Schriftsatz vom 10.09.2010 rechtfertigen - auch nach nochmaliger Prüfung - eine andere Entscheidung nicht. Wenn die Kläger unter Berufung auf die von der Kammer mit Beschluss vom 23.08.2010 zitierten Kommentarstellen diese anders - in ihrem Sinne - interpretieren und in Teilen wörtlich wiedergeben, überzeugt dies die Kammer nicht.
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Da sich aus diesen Ausführungen schon die Unbegründetheit der Berufung ergibt, braucht letztlich nicht entschieden zu werden, ob nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung fehlt, da das Urteil vom 08.07.2010, mit dem auch über die Anschlussberufung der Beklagten entschieden worden ist, rechtskräftig ist.
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Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung der Kammer (§ 522 Abs. 2 ZPO), zumal der Stimmrechtsausschluss des § 25 Abs. 5 WEG offenkundig den vorliegenden Fall trifft. Der Begriff „Erledigung des Rechtsstreits“ in diesem Sinne umfasst auch Maßnahmen, die einen Fortgang des Rechtsstreits betreffen, also eine Beschlussfassung der - übrigen - Wohnungseigentümer, ob in einem Rechtsstreit mit einem anderen Wohnungseigentümer, soweit die Wohnungseigentümer unterlegen sind, diese eine erstinstanzliche Entscheidung hinnehmen oder sich hiergegen mit prozessualen Maßnahmen, wie einem Rechtsmittel, weiter verteidigen.
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Nach § 97 Abs. 1 ZPO tragen die Kläger die Kosten des Rechtsstreits.

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