Urteil vom Landgericht Trier (1. Zivilkammer) - 1 S 68/04
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Saarburg vom 10. März 2004 – 5 C 9/04 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 3.000,-- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02. Dezember 2003 zu zahlen.
2. Die Klägerin hat die durch die Anrufung des Amtsgerichts Trier entstandenen Mehrkosten zu tragen. Im Übrigen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.400,-- Euro.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tatbestand wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.>
Entscheidungsgründe
I.
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Mit ihrer Teilklage begehrt die Klägerin Schadensersatz nach Widerruf eines Leasingvertrages aus abgetretenem Recht von der Beklagten zu 1) als Hauptschuldnerin und dem Beklagten zu 2) als selbstschuldnerischem Bürgen.
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Die Beklagte zu 1) schloss mit der Bank am 29. Juli 2003 einen Leasingvertrag über einen Ford Transit, da sie eine Existenzgründung als „Ich-AG“ zum Betreiben eines Transportgewerbes beabsichtigte. Der insgesamt fünfseitige schriftliche Leasingvertrag enthält auf Seite 5 oben unter Ziffer XX folgenden Passus:
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“Wertersatz bei Widerruf
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Der LN hat im Fall des Widerrufs des Leasingantrags und der Rückabwicklung Wertersatz für die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme des Fahrzeuges entstandene Verschlechterung, insbesondere für die durch die Zulassung des Fahrzeugs entstandene Wertminderung, zu leisten.
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Diese Rechtsfolge kann dadurch vermieden werden, dass der Gebrauch ausschließlich auf die Prüfung des Fahrzeugs beschränkt wird und die Zulassung des Fahrzeugs erst erfolgt, wenn der LN sich entschlossen hat, von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch zu machen.“
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Darunter befindet sich nach einer waagerechten Trennlinie ein halbseitiger Text mit Regelungen über Sachmangel-, Haftungs- und Garantiebestimmungen und anschließend das Datum des Vertrages mit der Unterschrift der Beklagten zu 1). Unter der Unterschrift ist eine Widerrufsbelehrung abgedruckt, die optisch durch einen Rahmen und ein „hand-icon“ hervorgehoben und mit einer weiteren Unterschrift der Beklagten zu 1) in diesem gesonderten Feld versehen ist.
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Der Beklagte zu 2) unterzeichnete am 29. Juli 2003 eine selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft für die Bank über einen Betrag bis zu 25.897,-- Euro für alle Ansprüche, die der Bank aus dem Leasingvertrag mit der Beklagten zu 1) zustehen.
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Das Leasingfahrzeug wurde am 01. August 2003 durch die Klägerin, die den Leasingvertrag vermittelt hatte, auf den Namen der Beklagten zu 1) mit dem Zusatz: „Transporte“ unter Vorlage der Gewerbeanmeldung vom 29. Juli 2003 und einer Kopie des Personalausweises der Beklagten zu 1) zum Straßenverkehr zugelassen.
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Mit Schreiben vom 06. August 2003 erklärten die Beklagten den „Rücktritt“ von den Verträgen.
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Die Klägerin hat vorgetragen,
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am 31. Juli 2003 habe die Beklagte zu 1) in einem Telefonat mit ihrem Mitarbeiter, dem Zeugen S., auf ausdrückliche Nachfrage des Zeugen mitgeteilt, sie könne den ursprünglichen Abholtermin am 01.08.2003 nicht einhalten, aber der Wagen solle in jedem Fall an diesem Tag auf sie zugelassen werden. Durch die Neuzulassung des Fahrzeuges habe sich dessen Wert um mindestens 5.530,94 Euro verringert.
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Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 10. März 2004, auf dessen zutreffende tatsächliche Feststellungen die Kammer im Übrigen Bezug nimmt, die auf Zahlung von 3.000,-- Euro gerichtete Klage abgewiesen, da es die Regelung in Ziffer XX des Leasingvertrages als überraschende Klausel im Sinne des § 305 c Abs. 1 BGB ansieht, weil diese nicht in unmittelbarer Nähe des Textes der Widerrufsbelehrung, sondern vielmehr ohne besondere Hervorhebung im Vertragstext „versteckt“ sei. Dies genüge nicht der in § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB vorgeschriebenen Schriftform, da durch die Anordnung der Haftungsklausel in den Vertragsbedingungen die vom Gesetzgeber bezweckte Warnfunktion geradezu unterlaufen werde.
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Mit der Berufung verfolgt die Klägerin den geltend gemachten Anspruch weiter. Sie nimmt Bezug auf ihren bisherigen Tatsachenvortrag nebst Beweisangeboten und ist der Ansicht, die Klausel sei wirksam.
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Die Klägerin beantragt,
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in Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 3.000,-- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02. Dezember 2003 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
II.
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Die zulässige Berufung ist begründet und führt in Abänderung des angefochtenen Urteils zur Stattgabe der Klage.
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Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz der durch die Neuzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeuges entstandenen Wertminderung in Höhe des geltend gemachten Betrages von 3.000,-- Euro gegen die Beklagten als Gesamtschuldner aus den §§ 357 Abs. 3 Satz 1, 398, 421, 765 Abs. 1, 767 Abs. 1 BGB.
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Der als Widerruf des Leasing- und Bürgschaftsvertrages anzusehende „Rücktritt“ der Beklagten ist unstreitig fristgerecht erfolgt, so dass Primärleistungspflichten aus den Verträgen ausscheiden.
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Indes hat die Beklagte zu 1) der Klägerin Wertersatz für die durch die Neuzulassung des Fahrzeuges entstandene Verschlechterung zu leisten, da sie spätestens bei Vertragsschluss in Textform auf diese Rechtsfolge und eine Möglichkeit hingewiesen worden ist, sie zu vermeiden (§ 357 Abs. 3 Satz 1 BGB).
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Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts verstößt Ziffer XX des Leasingvertrages vom 29. Juli 2003 nicht gegen § 305 c Abs. 1 BGB. Es handelt sich nicht um eine objektiv ungewöhnliche Klausel. Ihr Wortlaut entspricht der von § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB eröffneten Möglichkeit, vertraglich die Geltendmachung von Wertersatz auch für eine durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme der Sache entstandene Verschlechterung zu vereinbaren. Eine einer gesetzlichen Regelung entsprechenden Klausel ist für sich genommen nicht objektiv ungewöhnlich. Zudem ist die Klausel nicht im Vertrag „versteckt“, so dass sich eine Ungewöhnlichkeit auch nicht aus dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages ergibt. Die Klausel ist vielmehr drucktechnisch genauso gestaltet, wie die restlichen Vertragsbedingungen auch. Außerdem besitzt sie die fett gedruckte Überschrift „Wertersatz bei Widerruf“.
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Die Vereinbarung der Wertersatzpflicht im Vertrag ist auch in hinreichend deutlicher Form erfolgt, denn die Anforderungen des § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB, wonach ein Hinweis in Textform (§ 126 b BGB) genügt, sind erfüllt. Insbesondere greifen die strengeren Anforderungen einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung nach § 355 Abs. 2 BGB hier nicht ein, da § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB eindeutig nur die Textform des § 126 b BGB verlangt.
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Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB ist für eine erweiterte Auslegung dahingehend, dass der Hinweis in deutlich gestalteter Form erfolgen müsse, kein Raum. Insbesondere kann nicht daraus, dass im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens der ursprünglich vorgesehene Verweis auf § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB gestrichen wurde, gefolgert werden, dass der Gesetzgeber auch für die Belehrung über die Folgen des Widerrufs eine deutlich gestaltete Form vorschreiben wollte. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich vielmehr, dass die Textform des § 126 BGB vom Gesetzgeber gewollt war. So findet sich zu der Gesetz gewordenen Fassung des § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB die Anmerkung, dass der Text an die neue Textform des § 126 BGB angepasst wird (vgl. Bundestagsdrucksache 14/7052 Seite 194 zu § 357 Abs. 3).
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Soweit in der Literatur (vgl. Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage, § 357 Rdn. 33, Rott VuR 2001, 78, 85 und Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, Das neue Schuldrecht 2002, Rdn. 147) die Ansicht vertreten wird, es sei nicht ausreichend, dass der erforderliche Hinweis nur in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sei, so widerspricht dies dem eindeutigen Gesetzeswortlaut.
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Unabhängig davon ist von einem mündigen Verbraucher zu erwarten, dass er sich die Regelungen des von ihm unterzeichneten Vertrages durchliest, bevor er sich zum Widerruf entscheidet. Tut er dies im vorliegenden Fall, findet er sehr schnell die einschlägige Regelung. Diese befindet sich nämlich in der ersten Zeile desselben Blattes, auf dem die allgemeine Widerrufsbelehrung steht. Sie hat eine eigene, fett gedruckte Überschrift und einen eindeutigen und für jedermann verständlichen Wortlaut, der zudem die Anforderungen der Musterbelehrung in der Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV erfüllt.
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Schließlich muss auch jedem Verbraucher klar sein, dass gerade ein neues Kraftfahrzeug durch die Erstzulassung zum Straßenverkehr erheblich an Wert verliert und dass er diesen Wertverlust im Falle des Widerrufs seinem Vertragspartner ersetzen muss.
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Nach alledem ist streitentscheidend, ob zwischen den Parteien vereinbart war, dass das streitgegenständliche Fahrzeug schon vor Ablauf der Widerrufsfrist zum Straßenverkehr zugelassen wird. Hiervon ist die Kammer nach dem Ergebnis der von ihr durchgeführten Beweisaufnahme aufgrund der glaubhaften, in sich geschlossenen, widerspruchsfreien, detailreichen und ohne Belastungstendenzen gemachten Bekundungen des Zeugen S. überzeugt.
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Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, dass die Beklagte zu 1) in einem Telefonat vom 31. Juli 2003 den ausdrücklichen Wunsch geäußert hatte, dass das Fahrzeug umgehend durch die Klägerin zum Straßenverkehr zugelassen wird, da sie es am 02. August 2003 abholen wollte, um sogleich ihren ersten Speditionsauftrag damit zu erledigen.
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Zudem hat der Zeuge glaubhaft in Abrede gestellt, dass die von der Beklagten benannte Zeugin Sch. ihm in einem Telefonat im Auftrag der Beklagten gesagt habe, das Fahrzeug solle nicht zugelassen werden.
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Die Kammer folgt den glaubhaften Bekundungen des Zeugen S. und nicht den entgegenstehenden Bekundungen der Zeugin Sch.
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Dass die Beklagte zu 1) die umgehende Neuzulassung des Fahrzeuges mit dem Zeugen S. vereinbart hat, ergibt sich insbesondere daraus, dass sie im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Leasingvertrages bereits ihr neues Gewerbe angemeldet und dem Zeugen S. eine Kopie der Gewerbeanmeldung ausgehändigt hatte. Auch hatte sie ihren Personalausweis zum Anfertigen von Fotokopien übergeben. Damit war der Zeuge S. im Besitz aller Unterlagen, die zur Zulassung eines Fahrzeuges benötigt werden, da die Deckungskarte der Versicherung im Hause der Klägerin ausgestellt wurde. Außerdem besaß die Beklagte ausweislich der Bekundungen der Zeugin Sch. bereits einen Speditionsauftrag einer Firma aus Frankfurt.
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Hinzu kommt, dass unstreitig auf Wunsch der Beklagten durch die Klägerin umgehend erhebliche Zusatzausstattung (Navigationssystem, Anhängerkupplung) in das Fahrzeug eingebaut wurde, damit es sofort für das angemeldete Gewerbe genutzt werden konnte. Zu diesem Zweck hatte die Klägerin veranlasst, dass das Fahrzeug schnellstmöglich von seinem Standort bei einer anderen Firma zu ihr verbracht wird.
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Die Kammer verkennt nicht, dass der Zeuge S. als bei der Klägerin beschäftigter Autoverkäufer möglicherweise ein persönliches und eventuell auch ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits zugunsten der Klägerin haben könnte. Indes sind konkrete Anhaltspunkte hierfür nicht zu Tage getreten und auch sonst nicht ersichtlich.
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Von der Richtigkeit der Aussage der Zeugin Sch. ist die Kammer nicht überzeugt. So hat die Zeugin sofort ungefragt die allein entscheidende Frage beantwortet, indem sie ausgesagt hat, sie habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Fahrzeug nicht zugelassen werden solle. Ihre weitere Aussage, wonach sie dem Zeugen S. in dem Telefonat gesagt habe, die Beklagte zu 1) sei wegen ihrer Bankgeschäfte nicht zugegen, steht nicht im Einklang mit dem Tatsachenvortrag der Beklagten zu 1), wonach diese aus familiären Gründen (wegen einer Beerdigung) ortsabwesend war. Außerdem hat die Zeugin Sch. sich festgelegt, dass der Zeuge S. zwei Tage nach Abschluss des Leasingvertrages, also am 31. Juli 2003, angerufen habe. Auch dies steht im Widerspruch zum Tatsachenvortrag der Beklagten. Danach will die Beklagte zu 1) an diesem Tag selbst bei der Klägerin angerufen und erfahren haben, dass der Zeuge S. nicht anwesend sei.
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Die weitere Bekundung der Zeugin Sch., sie habe als Grund für die Nichtzulassung des Fahrzeuges Schwierigkeiten der Beklagten zu 1) mit ihrer Bank angegeben, widerspricht ebenfalls dem Tatsachenvortrag der Beklagten. Danach soll die Zeugin Sch. als Begründung angegeben haben, dass noch die Frage abzuklären sei, bei welcher Gesellschaft das Fahrzeug versichert werde.
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Zudem sind nicht unerhebliche Belastungstendenzen in der Aussage der Zeugin Sch. feststellbar. So hat sie mehrfach sinngemäß bekundet: „Wir bekommen immer noch Post von Ford, die lassen uns keine Ruhe“. Auch war die Zeugin, die mit beiden Beklagten zusammen wohnt, in die beabsichtigte Firmengründung der Beklagten zu 1) und in den Widerruf des hier streitgegenständlichen Leasingvertrages stark involviert. So hat sie eingeräumt, der Beklagten zu 1) zum Widerruf geraten zu haben und gemeinsam mit der Beklagten zu 1) bei mehreren Autohäusern Fahrzeug besichtigt zu haben.
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Letztlich hat die Beklagte zu 1) bislang nicht nachgewiesen, dass zur Firmengründung überhaupt die Aufnahme eines Darlehens notwendig war und dass ihr dieses nicht bewilligt worden ist.
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Die Höhe der geltend gemachten Wertminderung schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO anhand der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (Gebrauchtfahrzeugbewertung nach DAT vom 13. August 2003 und der Rechnung der Klägerin an das Autohaus St. vom 10. Dezember 2003) auf 3.000,-- Euro. Die Kammer weiß aus eigener Erfahrung, dass mit der Neuzulassung eines Pkws eine erhebliche Wertminderung einhergeht, die bei einem Pkw bis zu 20 % des Neupreises ausmachen kann (vgl. Palandt, BGB, 62. Auflage, § 357 Rdn. 9).
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Der Zinsanspruch resultiert aus den §§ 288, 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1 und 100 Abs. 4 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 2 ZPO.
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Die Kammer hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). So ist die entscheidungserhebliche Rechtsfrage, ob der Hinweis an den Verbraucher im Sinne des § 357 Abs. 3 Satz 1 BGB über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus in deutlich gestalteter Form erfolgen muss, höchstrichterlich noch nicht entschieden. Zudem betrifft diese Rechtsfrage ohne jeden Zweifel eine unbestimmte Vielzahl von Fällen.
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Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 3.000,-- Euro.
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