Urteil vom Landgericht Wuppertal - 3 O 359/10
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 155.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.11.2010 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist der Insolvenzverwalter der J GmbH. Der Beklagte war bis 2008 der Namensgeber und Partner der Steuerberatungsgesellschaft I & Partner. Diese beriet die Insolvenzschuldnerin in steuerlichen Angelegenheiten durch den Beklagten persönlich.
3Mit der vorliegenden Teilklage macht der Kläger Schadensersatzansprüche wegen einer fehlerhaften Beratungsleistung aus abgetretenem Recht der ehemaligen Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin geltend. Hierbei berücksichtigt er hinsichtlich jeder einzelnen behaupteten Schadensposition ein 50 % Mitverschulden der Zedenten und klagt von dem verbleibenden Restbetrag in Höhe von 644.029,89 € einen Teilbetrag von 155.000 €, mithin 12,033 % jeder einzelnen Position, ein.
4Aufgrund des zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Steuerberatungsgesellschaft I & Partner bestehenden Steuerberatungsvertrages erstellte der Beklagte insbesondere die Jahresabschlüsse für die Jahre 2004, 2005 und 2006. Der Jahresabschluss zum 31.12.2005, der am 11.04.2006 fertiggestellt wurde, wies einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 59.979, 83 € aus. Der Jahresabschluss zum 31.12.2006, der am 30.04.2007 fertiggestellt wurde, wies einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 74.128,55 € aus. Über stille Reserven verfügte die Insolvenzschuldnerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum nicht.
5Anlässlich des Jahresabschlusses 2005 fand am 13.04.2006 in den Büroräumen der Insolvenzschuldnerin eine Bilanzbesprechung zwischen den damaligen Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin, den Zeugen J2 und Xx, dem Mitarbeiter des Beklagten, dem Zeugen I, sowie dem Beklagten persönlich statt.
6In diesem Gespräch wies der Beklagte die Zeugen J2 und Xx auf die bilanzielle Überschuldung sowie deren Indizierung einer eventuellen insolvenzrechtlichen Überschuldung hin. Zudem erörterte er mit den Beiden gemeinsam, ob stille Reserven vorhanden seien, um eine rechnerische Überschuldung auszuschließen. Die Zeugen J2 und Xx erläuterten die Hintergründe für den "Verlust des Jahres 2005", welcher auf einer ungewöhnlichen Belastung der Insolvenzschuldnerin beruhte. Anschließend besprachen die Beteiligten anhand der von dem Zeugen J2 erstellten Excel Tabellen, welche die Planzahlen für die laufenden Kosten, den Umsatz und Prognoseberechnungen enthielten, die mögliche künftige wirtschaftliche Entwicklung der Insolvenzschuldnerin. Der weitere Inhalt des Gespräches ist zwischen den Parteien streitig.
7Anlässlich des Jahresabschlusses 2006 fand am 25.04.2007 ebenfalls eine Bilanzbesprechung statt. In diesem Gespräch empfahl der Zeuge I den Zeugen J2 und Xx aufgrund der bilanziellen Situation die Konsultation eines Rechtsanwaltes.
8Der Kläger behauptet,
9der Beklagte habe den Zeugen J2 und Xx im Rahmen der Bilanzbesprechung vom 13.04.2006 erklärt, dass die Erstellung einer Überschuldungsbilanz nicht erforderlich sei, da die Fortführungsprognose positiv ausfalle.
10Er ist der Ansicht, hierin sei eine Pflichtverletzung des Beklagten zu sehen, da eine positive Fortführungsprognose nach der damals gültigen Rechtslage die Pflicht zur Erstellung einer Überschuldungsbilanz nicht entfallen ließ.
11Der Kläger behauptet weiter, die Insolvenzschuldnerin habe ein Geschäftskonto mit der Nummer 12 86 28 bei der Stadtsparkasse X unterhalten. Auf diesem Konto seien in der Zeit vom 12.04.2006 bis zum 25.04.2007 Beträge in Höhe von insgesamt 1.288.086,97 € eingegangen. Während des gesamten Zeitraumes habe das Konto einen negativen Saldo ausgewiesen.
12Am 02.05.2007 hätten die Zeugen J2 und Xx die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Unternehmen beantragt.
13In der Folgezeit habe er sie als ehemalige Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin aufgefordert, ihm die Summe aller Einzahlungen auf das Geschäftskonto in dem obengenannten Zeitraum zu erstatten. Die Zeugen J2 und Xx seien dieser Aufforderung wegen Vermögenslosigkeit nicht nachgekommen. Stattdessen hätten sie ihm – was zwischen den Parteien unstreitig ist- etwaige Schadensersatzansprüche gegen die Steuerberatungsgesellschaft I & Partner abgetreten.
14Der Kläger beantragt,
15den Beklagten zu verurteilen, an ihn 155.000,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 08.11.2010 zu zahlen.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Der Beklagte behauptet, seine Steuerberatungsgesellschaft sei von der Insolvenzschuldnerin nur zur Bilanzerstellung ohne Prüfungshandlung und ohne Plausibilitätsprüfung beauftragt worden.
19Er ist der Ansicht, dass der Inhalt eines solchen Mandates allein die Erstellung ordnungsgemäßer handelsrechtlicher Jahresabschlüsse i.S.d. HGB sei. Eine insolvenzrechtliche Beratung sei nicht Inhalt des Mandatsverhältnisses gewesen und insoweit auch nicht erfolgt. Die Zeugen J2 und Xx hätten allein die Entscheidung getroffen, im Frühjahr 2006 keinen Insolvenzantrag zu stellen.
20Der Beklagte bestreitet den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Zeugen J2 und Xx, den Zahlungseingang von 1.288.086,97 € auf dem debitorisch geführten Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin, die Zahlungsaufforderung des Klägers an die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin sowie die Wirksamkeit der Abtretungserklärungen mit Nichtwissen.
21Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
22Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 28.03.2011. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 12.05.2011 Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die zulässige Klage ist begründet.
25Der Kläger hat einen Anspruch aus abgetretenem Recht auf Zahlung von 155.000 € gegen den Beklagten wegen eines Beratungsfehlers gem. §§ 398, 280 I, 611,675 BGB i.V.m. § 64 II GmbHG i.V.m. § 128 HGB analog.
26Der Kläger ist aktivlegitimiert. Eine wirksame Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten gem. § 398 BGB liegt ausweislich des § 1 der Vergleichsvereinbarung zwischen dem Kläger und den Zeugen J2 und Xx vom 1./3.7.2008 (Anlage K 11) vor. Anhaltspunkte, die die Unwirksamkeit der Vereinbarung begründen könnten sind nicht ersichtlich. Die pauschale Behauptung der Unwirksamkeit der Abtretung sowie die "ins Blaue" hinein aufgestellte Vermutung, die Abtretung sei widerrufen worden, ist unbeachtlich. Sie vermögen die Beweiskraft der vorgelegten Privaturkunde nicht zu erschüttern.
27Der Beklagte ist passivlegitimiert. Als ehemaliger Gesellschafter der I & Partner Steuerberatungsgesellschaft haftet er unmittelbar für Schulden der Gesellschaft in analoger Anwendung des § 128 HGB.
28Den Zeugen J2 und Xx stand auch ein eigener, abtretbarer Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen einer fehlerhaften Beratungsleistung über die Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu.
29Zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Steuerberatungsgesellschaft des Beklagten bestand ein Steuerberatungsvertrag gem. §§ 611, 675 BGB. Die Zeugen J2 und Xx waren als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin in diesen Vertrag mit einbezogen.
30Die erforderliche Leistungsnähe liegt vor. Der in den Schutzbereich einzubeziehende Dritte muss bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommen und damit den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger selbst; es muss sich insofern um ein Leistungsverhalten handeln, das inhaltlich zumindest auch drittbezogen ist (Palandt/Grüneberg § 328 Rn 17).
31Den Zeugen J2 und Xx wurde in ihrer Funktion als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin der jeweilige Jahresabschluss zur Unterschrift vorgelegt. Insbesondere anhand des Jahresabschlusses verschaffen sich die Geschäftsführer einer GmbH einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft und müssen auf dieser Grundlage gegebenenfalls Sanierungsmaßnahmen in die Wege leiten. Zwar sind die Geschäftsführer zunächst lediglich Vertreter der GmbH nach § 35 I GmbHG, allerdings ergibt sich im Fall der Insolvenzverschleppung gegebenenfalls auch eine persönliche Haftung der Geschäftsführer, so dass der Steuerberatervertrag mit dem Inhalt der Bilanzerstellung in erhöhtem Maße auch die Vermögensinteressen der Geschäftsführer tangiert.
32Die Gläubigernähe zwischen der Insolvenzschuldnerin als Auftraggeberin und ihren Geschäftsführern ist ebenfalls zu bejahen. Das erforderliche Einbeziehungsinteresse wird vermutet, wenn der Dritte eine gewisse Nähe zum Gläubiger aufweist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Gläubiger für das "Wohl und Wehe" des Dritten verantwortlich ist, was gerade dann vorliegt, wenn der Gläubiger dem Dritten Schutz und Fürsorge schuldet. Das ist jedenfalls in der Regel bei Rechtsbeziehungen mit personenrechtlichem Einschlag, wie z.B. arbeitsrechtlichen Dienstverhältnissen, der Fall (Palandt/Grüneberg § 328 Rn 17 a). Der Fremdgeschäftsführer, der nicht zugleich auch Gesellschafter ist, fällt wegen seiner arbeitsrechtlichen Verbindung daher in diese von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe. Für die Beurteilung der Gläubigernähe kann es aber im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob der Geschäftsführer zugleich auch Gesellschafter der GmbH ist.
33Die Einbeziehung der Geschäftsführer in den Steuerberatervertrag war für den Beklagten auch erkennbar. Ihm war die Stellung der Zeugen J2 und Xx und deren Haftungsrisiko im Fall einer Insolvenzverschleppung bewusst.
34Die Zeugen J2 und Xx erscheinen auch nach der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen schutzbedürftig. Die Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages ist dem Beklagten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Vertragszweckes zumutbar. Er kannte das Risiko einer Insolvenzverschleppungshaftung für die Geschäftsführer; es war für ihn kalkulierbar. Zudem sind entsprechende Nebenpflichtverletzungen aus dem Mandatsverhältnis von der Berufshaftpflichtversicherung abgesichert. Den Geschäftsführern selbst stehen hingegen keine eigenen, nach Inhalt und Umfang vergleichbaren, vertraglichen Ansprüche zu.
35Der Schadensersatzanspruch der Geschäftsführer gegen den Beklagten folgt aus §§ 280 I, 611,675 BGB.
36Der Beklagte verletzte die ihm obliegende Pflicht zur richtigen und vollständigen Beratung aus dem Steuerberatervertrag. Aus dem Mandatsvertrag ergeben sich für den Steuerberater zahlreiche Aufklärungspflichten, die die Verpflichtung zur unaufgeforderten Information über entscheidungserhebliche Umstände beinhaltet. Es handelt sich insoweit um Nebenpflichten aus dem bestehenden Mandatsvertrag. Der Umfang der Aufklärungspflichten ist dabei vom Umfang des Beratungsauftrags abhängig. Ist der Steuerberater beispielsweise lediglich mit der Erstellung der Steuererklärung beauftragt, sind seine Aufklärungspflichten auf diesen konkreten Auftrag begrenzt. In diesem Fall muss der Steuerberater die Gesamtsituation des Unternehmens nicht berücksichtigen, da er diese häufig auch nicht kennt. Sofern der Steuerberater dagegen die laufende Buchführung erledigt und die Jahresabschlüsse erstellt, kennt er die detaillierte wirtschaftliche Gesamtsituation des Unternehmens. Insbesondere hat der Steuerberater bei der Erstellung des Jahresabschlusses nach § 252 HGB zu beurteilen, ob bei der Bewertung von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen ist. In diesem Zusammenhang muss sich der Steuerberater insbesondere detailliert mit der Frage auseinandersetzen, ob rechtliche oder tatsächliche Gegebenheiten gegen die Fortführung der Unternehmenstätigkeit sprechen. Mit dem aus dieser Prüfung gewonnenen vertieften Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens ist der Steuerberater ohne Probleme in der Lage und damit auch verpflichtet, auf bestehende Gefahren einer sich abzeichnenden Überschuldung oder drohenden Zahlungsunfähigkeit hinzuweisen.
37Mit Schriftsatz vom 16.05.2011 stellte der Kläger, nach erfolgter Beweisaufnahme, die Aufklärung der Zeugen J2 und Xx über das Vorliegen einer bilanziellen Überschuldung und deren Indizwirkung für eine insolvenzrechtliche Überschuldung durch den Beklagten unstreitig. Aufgrund dessen steht nunmehr, unabhängig von dem Ergebnis der Beweisaufnahme, fest, dass der Beklagte insoweit seiner Aufklärungspflicht genügte.
38Er verletzte jedoch seine vertraglichen Pflichten, indem er in der Bilanzbesprechung vom 13.04.2006 den Zeugen J2 und Xx erklärte, dass das Aufstellen einer Überschuldungsbilanz sowie eine Insolvenzantragsstellung wegen des Vorliegens einer positiven Fortführungsprognose entbehrlich seien.
39Diese Erklärung des Beklagten steht zur Überzeugung der Kammer nach der informatorischen Anhörung des Beklagten fest. Er hat bekundet, dass er die Zeugen J2 und Xx in der Bilanzbesprechung im April des Jahres 2006 darauf hingewiesen habe, dass die Bilanz überschuldet sei und nunmehr geprüft werden müsse, ob eine tatsächliche Überschuldung vorläge. Sie hätten dann über stille Reserven gesprochen und festgestellt, dass solche nicht vorhanden waren. Es sei klar gewesen, dass die Firma insolvent wäre, wenn nicht eine positive Fortführungsprognose bestünde. Es sei über die Zukunft gesprochen worden und sie hätten gemeinsam an Hand der von dem Zeugen J2 erstellten Planzahlen überlegt, ob die Firma fortgeführt werden könne oder nicht. Am Ende des Gespräches habe er keine Zweifel mehr gehabt, dass es eine positive Fortführungsprognose gegeben habe. Die Tatsache, dass die Firma insolvent war und nur bei positiver Fortführungsprognose weiter laufen könne, sei so auch kommuniziert worden. Sie seien sich alle einig gewesen, dass es weitergehe und positiv aussehe für die Zukunft. Er habe damit im Prinzip auch gesagt, dass ein Insolvenzantrag nicht mehr nötig sei.
40Die Angaben des Beklagten werden durch die Aussage des Zeugen I bestätigt. Der Zeuge hat ausgesagt, dass in der Bilanzbesprechung im Jahr 2006 ausführlich über die bilanzielle Überschuldung gesprochen worden sei. Man habe über die Ursache der Überschuldung gesprochen. Diese sei dadurch entstanden, dass ein Mitarbeiter der Firma J2 gegangen sei. Hierdurch sei eine außergewöhnliche Situation eingetreten. Die Zeugen J2 und Xx seien aber davon ausgegangen, dass eine solche Situation nicht noch einmal eintreten werde. Alle seien daher davon ausgegangen, dass es eine positive Fortführungsprognose gäbe. Es sei beispielsweise noch eine Auszubildende eingestellt worden. Ob ausdrücklich gesagt worden sei, dass ein Insolvenzantrag nicht gestellt werden müsse, könne er nicht mehr sagen; jedenfalls seien sie aber alle mit dem positiven Gefühl aus der Besprechung gegangen, dass ein solcher Insolvenzantrag nicht notwendig sei.
41Die Kammer hält die Aussage für glaubhaft und den Zeugen für glaubwürdig. Der Zeuge hat widerspruchsfrei und detailreich berichtet. Dies lässt darauf schließen, dass er das Geschilderte selbst erlebt hat. Einseitige Belastungstendenzen waren seiner Aussage nicht zu entnehmen.
42Der Beklagte vermittelte den Geschäftsführern der Insolvenzschuldnerin mithin laut eigener Aussage das Gefühl, dass eine Pflicht zur Insolvenzantragsstellung aufgrund der positiven Fortführungsprognose nicht bestünde. Ob dies durch ausdrückliche Erklärung geschah oder der Tatsache, dass der Beklagte nach der Feststellung der tatsächlichen Überschuldung nur noch über das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose sprach und weder auf die Notwendigkeit einer Überschuldungsbilanz noch eines Insolvenzantrages einging, konkludent zu entnehmen war, kann dahingestellt bleiben. Der Beklagte selbst misst seinem Verhalten, genau wie sein Mitarbeiter, der Zeuge I, einen eindeutigen Erklärungsinhalt zu. Die Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin mussten und durften ihn daher auch so verstehen.
43Diese Erklärungen des Beklagten standen jedoch nicht mit der damals gültigen Rechtslage in Einklang. Die Feststellung einer Überschuldung und der damit verbundenen Verhaltenspflichten eines Geschäftsführers erfolgte unter der bis zum Jahr 1998 geltenden Konkursordnung nach der Rechtsprechung des BGH mittels eines zweistufigen Überschuldungsbegriffs. Danach lag eine Überschuldung grundsätzlich nur dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten die bestehenden Verbindlichkeiten nicht decken würde (rechnerische Überschuldung) und die Finanzkraft der Gesellschaft mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (Überlebens- oder Fortbestehensprognose). Allein das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose ließ die Pflicht zur Aufstellung einer Überschuldungsbilanz und somit auch die Insolvenzantragsstellung entfallen (BGHZ 119,201). Hiernach wäre die Aufklärung des Beklagten ausreichend und richtig gewesen.
44Mit der Insolvenzordnung im Jahr 1999 wurde jedoch mit dem § 19 Abs. 2 InsO ein neuer Überschuldungstatbestand eingeführt. Der Rechtsprechung zum zweistufigen Überschuldungsbegriff wurde dadurch die Grundlage entzogen. Nunmehr konnte eine positive Fortführungsprognose für sich allein eine Insolvenzreife des Schuldners nicht ausräumen, sondern war lediglich für die Bewertung seines Vermögens nach Fortführungs- oder Liquidationswerten von Bedeutung (BGHZ 171,46). Bei Vorliegen einer bilanziellen Überschuldung musste daher in jedem Fall eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden, der, je nachdem wie die Prognose ausfiel, Liquidations- oder Fortführungswerte zu Grunde zu legen waren. Nur wenn beispielsweise stille Reserven aufgelöst werden konnten, um den bilanziellen Fehlbetrag aufzulösen, lag keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vor und die Antragspflicht entfiel. Der Beklagte ging also bei der Besprechung vom 13.04.2006 von einem falschen Überschuldungsbegriff aus. Seine Erklärungen verstießen gegen zum damaligen Zeitpunkt geltendes Recht.
45Die Rückkehr zum ursprünglichen zweistufigen Überschuldungsbegriff durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz vom 18.12.2008, kann den Beklagten nicht entlasten. Die Anwendbarkeit der alten Rechtslage auf den vorliegenden Fall ergibt sich aus der Überleitungsvorschrift in Art. 103 d der EGInsO, der auf die vor dem Inkrafttreten des MoMiG am 01.11.2008 eröffneten Insolvenzverfahren die weitere Anwendung der "bis dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften" anordnet (ZIP 2010,516).
46Entgegen des Einwandes des Beklagten kommt es nicht entscheidend darauf an, dass der Beklagte für eine insolvenzrechtliche Beratung nicht mandatiert wurde. Berät ein Steuerberater seinen Mandanten über seinen eigenen Auftrag hinausgehend, haftet er auch für die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben. Die Tatsache, dass die Geschäftsführer bei fehlender eigener Sachkunde grundsätzlich verpflichtet gewesen wären, sich insolvenzspezifische Beratung einzuholen, und daher durch ihr Vorgehen gegen ihre eigenen Sorgfaltspflichten verstoßen haben, lässt die Pflichtverletzung des Beklagten nicht entfallen. Sie ist lediglich, wie noch darzustellen sein wird, im Rahmen des Mitverschuldens zu berücksichtigen.
47Das Verschulden des Beklagten wird vermutet. Anhaltspunkte, die seine Entlastung begründen könnten, liegen nicht vor. Insbesondere kann er sich nicht erfolgreich auf einen Rechtsirrtum berufen. Als Steuerberater haftet er bei Erledigung der ihm übertragenen Aufgaben grundsätzlich für jeden Rechtsirrtum (Palandt/Grüneberg § 276 Rn 22).
48Den Zeugen J2 und Xx ist durch die Pflichtverletzung des Beklagten auch ein Schaden entstanden. Sie haften gegenüber dem Kläger gem. § 64 II GmbHG auf Zahlung in Höhe von ca. 1,2 Mio € wegen verbotener Zahlungen nach Eintritt der Überschuldung.
49Die Überschuldung der Gesellschaft lag im April 2006 gem. § 19 II InsO a.F. unstreitig vor. Es waren keine stillen Reserven vorhanden, so dass die handelsrechtliche Bilanz, der bereits Fortführungswerte zu Grunde lagen, im Ergebnis einer Überschuldungsbilanz entsprach.
50Trotz der Überschuldung erfolgten verbotene Zahlungen i.S.d. § 64 II GmbHG, indem die ankommenden Zahlungen von Schuldnern der Gesellschaft auf einem debitorisch geführten Konto verbucht wurden.
51Nach dem Urteil des BGH vom 29. November 1999 (BGHZ 143, 184) ist der von dem Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH veranlasste Einzug eines Kundenschecks auf ein debitorisches Bankkonto der GmbH als eine ihm zuzurechnende, gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG verbotene Zahlung zu qualifizieren, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zu Lasten ihrer Gläubigergesamtheit (und zum Vorteil der Bank) geschmälert wird. Für sonstige von dem Geschäftsführer veranlasste oder zugelassene Zahlungen von Gesellschaftsschuldnern auf ein debitorisches Bankkonto im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft gilt nichts anderes. Denn der Geschäftsführer muss in diesem Stadium, wenn er schon seiner Insolvenzantragspflicht gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG nicht rechtzeitig nachkommt, aufgrund seiner Masseerhaltungspflicht (vgl. BGHZ 146, 264, 275) wenigstens dafür sorgen, dass entsprechende Zahlungen als Äquivalent für dadurch erfüllte Gesellschaftsforderungen der Masse zugutekommen, nicht dagegen nur zu einer Verringerung der Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber der Bank und damit den Verboten der §§ 64 Abs. 2 GmbHG, 130 a Abs. 2 HGB zuwider zu bevorzugter Befriedigung dieser Gesellschaftsgläubigerin führen. Grundsätzlich gebietet es deshalb die primär auf Masseerhaltung zielende Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG sowie § 130 a Abs. 2 Satz 2 HGB (vgl. BGHZ 146, 274), in einer solchen Situation ein neues, kreditorisch geführtes Konto bei einer anderen Bank zu eröffnen (vgl. BGHZ 143, 184, 188) und den aktuellen Gesellschaftsschuldnern die geänderte Bankverbindung unverzüglich bekannt zu geben (BGH.ZIP 2007, 1006).
52Durch die Vorlage der entsprechenden Kontobelege hat der Kläger die verbotenen Zahlungen ausreichend belegt. Das pauschale Bestreiten des Beklagten ist insofern unbeachtlich.
53Für den Eintritt des Schadens der Geschäftsführer ist die Pflichtverletzung des Beklagten auch kausal geworden. Der Beklagte war zwar nicht verpflichtet darüber aufzuklären, dass die Geschäftsführer ein kreditorisch geführtes Konto einrichten müssen. Er hätte ihnen aber zumindest zu einer insolvenzrechtlichen Überprüfung der Bilanz raten müssen, anstatt rechtsirrig zu erklären, dass bei positiver Fortführungsprognose ein Insolvenzantrag nicht zu stellen sei. Unter Berücksichtigung der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens hätten die Geschäftsführer bei ordnungsgemäßer Beratung eine solche Überprüfung vorgenommen und in der Folge den notwendigen Insolvenzantrag gestellt. Der Schaden wäre in diesem Fall durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung eines Insolvenzverwalters vermieden worden.
54Die Zeugen J2 und Xx haben die Zahlungen auch zu vertreten. Anhaltspunkte, die die vollständige Exkulpation der Geschäftsführer ermöglichen, liegen nicht vor. Insbesondere entfällt ihre Haftung nicht deshalb, weil sie mit dem Beklagten die Bilanz und deren Konsequenzen besprochen haben.
55In ihrer Position als Geschäftsführer traf die Zeugen J2 und Xx selbst die Pflicht, mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft ständig zu beobachten und sich bei Anzeichen einer Krise, wie etwa einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in der Bilanz, durch die Erstellung einer Überschuldungsbilanz einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen und ggf. einen Insolvenzantrag zu stellen.
56Verschafft sich der organschaftlichen Vertreter einer Gesellschaft nicht rechtzeitig die erforderlichen Kenntnisse, um der Insolvenzantragspflicht zu genügen, so handelt er fahrlässig. Sollte er selbst nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügen, so muss er sich extern beraten lassen. Hierfür reicht jedoch eine schlichte Anfrage bei einer von dem organschaftlichen Vertreter für fachkundig gehaltenen Person nicht aus. Vielmehr scheidet ein Verschulden des Geschäftsführers nur dann aus, wenn er sich gezielt wegen der Insolvenzantragspflicht an einen Experten wendet und dieser ihm mitteilt, dass keine Antragspflicht bestehe (vgl. BGH NJW 2007, 2118).
57Vorliegend wurde ein solches insolvenzspezifisches Sondermandat an den Beklagten gerade nicht erteilt. Er war lediglich damit beauftragt, die Buchführung durchzuführen und die Jahresabschlüsse zu erstellen. Zugunsten des Beklagten ist zu unterstellen, dass er sich bei Erteilung eines insolvenzrechtlichen Sondermandates intensiver mit der Sach- und Rechtslage auseinandergesetzt hätte und in diesem Fall dem streitgegenständlichen Rechtsirrtum nicht unterlegen wäre, sondern die Geschäftsführer richtig aufgeklärt hätte.
58Eine vollständige Verlagerung des Verschuldensbeitrages auf den Beklagten kommt daher nicht in Betracht. Vielmehr sind im Rahmen des Mitverschuldens gem. § 254 BGB die unterschiedlichen Verursachungsbeiträge zu berücksichtigen.
59Der Kläger muss sich, wie bereits im Klageantrag berücksichtigt, einen 50 %-igen Mitverschuldensanteil der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin anrechnen lassen.
60Bei Abwägung der beiderseitigen Schadensbeiträge ist eine überwiegende Haftung des einen oder des anderen Teils nicht festzustellen. Die Verursachungsbeiträge sind als gleichwertig zu betrachten.
61Vorliegend war den Geschäftsführern die bilanzielle Überschuldung zwar positiv bewusst, so dass zunächst an ein überwiegendes Verschulden der Zeugen J2 und Xx zu denken wäre. Es war ihnen allerdings nicht bekannt, dass sie, unabhängig von einer positiven Fortführungsprognose, eine Überschuldungsbilanz erstellen mussten und nur, wenn diese keine Überschuldung ausweist, ihrer Insolvenzantragspflicht entgehen. Genau diese Kenntnis der rechtlichen Konsequenzen der bilanziellen Überschuldung ist aber erforderlich, um eine Haftung des Steuerberaters gänzlich auszuschließen, der aufgrund seines überlegenen Fachwissens im Rahmen seiner vertraglichen Nebenpflichten dazu verpflichtet ist, zumindest auf das Erfordernis einer insolvenzrechtlichen Überprüfung hinzuweisen. Wie bereits dargelegt führt aber auch die diesbezügliche Pflichtverletzung des Beklagten nicht dazu, dass sein Verschuldensbeitrag als überwiegend zu bezeichnen wäre. Da die Geschäftsführer den Beklagten nicht konkret mit der Überprüfung der Insolvenzreife beauftragt haben, hätten sie seine Äußerungen noch einmal überprüfen lassen müssen.
62Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB.
63Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
64Streitwert: 155.000 €
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.