Urteil vom Landgericht Wuppertal - 9 S 248/12
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin zu 1) wird das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal, 31 C 246/11, vom 18.10.2012 teilweise abgeändert und – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels und der Berufung des Klägers zu 2) - insgesamt wie folgt neu gefasst:Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1) 919,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.7.2011 zu zahlen und die Klägerin von außergerichtlichen Anwaltskosten der Rechtsanwälte Dr. I und Kollegen in Höhe von 155,30 € freizustellen.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.Der Kläger zu 2) hat seine eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen.Ihm werden 10 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten auferlegt.Der Klägerin zu 1) werden 60 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten auferlegt.Den Beklagten werden als Gesamtschuldner 30 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) auferlegt.Im übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.Diese Regelungen gelten für beide Instanzen.Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe
2I.
3Die Klägerin zu 1) verlangt Ersatz ihrer materiellen Schäden und der Kläger zu 2) begehrt ein Schmerzensgeld, nachdem am 3.6.2011 um 0:30 Uhr der Beklagte zu 2) mit dem Pkw des Beklagten zu 1) auf der A 46 im dort mit zwei baulich getrennten Richtungsfahrspuren versehenen Baustellenbereich auf das von dem Kläger zu 2) gesteuerte Kraftfahrzeug der Klägerin zu 1) aufgefahren war.Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger zu 2) habe den Beklagten zu 2) entgegen § Ziffer 4 I 2 StVO ausgebremst. Der Zeuge N habe ein wechselvolles Aussageverhalten gezeigt. Aufgrund der Aussagen der beiden anderen Zeugen seien die Behauptungen der Kläger widerlegt. Der Verkehrsverstoß auf Seiten der Kläger verdränge die Betriebsgefahr auf Seiten der Beklagten restlos.Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, welche die Beweiswürdigung des Amtsgerichts angreifen. Die Worte Fernlicht und Lichthupe seien für den der deutschen Sprache sicherlich nicht so mächtigen Zeugen N offensichtlich deckungsgleich. Unberücksichtigt habe das Amtsgericht gelassen, dass der Beklagte zu 2) gegenüber der Polizei erklärt habe, er habe aufgeblendet, weil er die Schilder nicht so gut habe lesen können. Die beiden anderen Zeugen hätten zum Fahrverhalten des Beklagten zu 2) nichts sagen können. Beide hätten im Übrigen gegenüber der Polizei Auffälligkeiten im Verhalten des Klägers zu Ziffer 2) nach dem Unfall gerade nicht geschildert.Im Übrigen wird von der Darstellung eines Tatbestandes gemäß §§ 540 II, 313a ZPO, 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO abgesehen.
4II.
5Von den zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen hat nur diejenige der Klägerin zu 1) zum geringeren Teil auch in der Sache Erfolg.1.Die Klägerin hat gemäß §§ 7 I, 17, 18 I, III StVG, 823 I, II BGB i. V. m. 4 I 1 StVO, 115 I 1 Nr. 1 VVG, 426, 249 BGB gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Ersatz von 1/3 ihres unfallbedingten Schadens.§ 17 StVG ist anwendbar. Denn der Unfall ist für keine der Parteien durch höhere Gewalt - von außen wirkende betriebsfremde Ereignisse aufgrund elementarer Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen - verursacht oder auch bei Wahrung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abzuwenden gewesen (unabwendbares Ereignis), so dass die Ersatzpflicht der einen oder anderen Seite nicht von vornherein gemäß §§ 7 II, 17 III StVG, 115 I 1 Nr.1 VVG ausgeschlossen ist.Gemäß §§ 17 I, II, 18 I, III StVG hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz, wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Halter und Fahrer der beteiligten Fahrzeuge und unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach §§ 17 I, II, 18 I, III StVG, 254 BGB sind neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.Danach ist es vorliegend gerechtfertigt, dass die Klägerin 33 % ihres unfallbedingten Schadens ersetzt erhält. Denn es ist davon auszugehen, dass auf beiden Seiten ein unfallursächliches Verschulden zu berücksichtigen ist, auf Seiten der Kläger ein Verstoß gegen § 4 I 2 StVO und auf Seiten der Beklagten ein Verstoß gegen § 4 I 1 StVO.Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Behauptung der Kläger, der Beklagte zu 2) sei dicht aufgefahren und habe wiederholt die Lichthupe betätigt, widerlegt worden sei. Der Kläger zu 2) habe gegen § 4 I 2 StVO verstoßen, mithin ohne zwingenden Grund stark abgebremst.Gemäß § 529 I ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Solche konkreten Anhaltspunkte können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor, wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können, oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH V ZR 257/03, Rn. 8f). Solche konkreten Anhaltspunkte sind im Entscheidungsfall weder dargelegt worden, noch sonst ersichtlich.Soweit die Kläger in ihrer Berufungsbegründung erstmals behaupten, der Zeuge N sei „der deutschen Sprache sicherlich (sic !) nicht so mächtig“, die Worte Fernlicht und Lichthupe seien für ihn offensichtlich deckungsgleich, können Sie hiermit, selbst wenn das Vorbringen entgegen § 531 II ZPO zulässig wäre, nicht durchdringen. Der Zeuge, bei dem Sprachschwierigkeiten zu keinem Zeitpunkt zu erkennen waren, hat im Ermittlungsverfahren eindeutig bekundet, er habe Fernlicht beobachtet, habe zwar keinen Führerschein, kenne aber den Unterschied zum Abblendlicht (Bl. 52 der Beiakte). Im Übrigen hat das Amtsgericht zutreffend die Widersprüche in den Angaben des Zeugen im Ermittlungsverfahren und vor dem Amtsgericht aufgezeigt.Zulasten der Beklagten ist aber ein Verstoß gegen § 4 I 1 StVO anzunehmen.Dabei ist unerheblich, ob die Klägerseite verkehrswidrig oder verkehrsgerecht stark gebremst hat, weil der Beklagte zu 2) in jedem Falle mit einer solchen Geschwindigkeit, einen solchen Abstand und einer solchen Aufmerksamkeit fahren musste, dass er hinter einem abbremsenden Fahrzeug sein eigenes rechtzeitig würde zum stehen bringen. Die den Beklagten zuzurechnende Betriebsgefahr war auch deshalb erhöht, weil ihr Fahrzeug mit Fernlicht gefahren wurde. Insoweit war in erster Instanz vom Amtsgericht unberücksichtigt unstreitig, hiervon abweichendes Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren ist gemäß § 531 II ZPO nicht zulässig, dass der Beklagte zu 2) am Unfallort gegenüber der Polizei eingeräumt hatte, mit Fernlicht gefahren zu sein (Bl. 6 der Beiakte). Der Zeuge P hatte dazu passend gegenüber der Polizei bekundet, der Fahrer kenne sich nicht so gut mit dem Wagen aus (w.v.). Im Übrigen sind die Zeugen L und P auf das sich anbahnende Unfallgeschehen erst im letzten Moment aufmerksam geworden, als der Fahrer ihres Fahrzeuges bremste und im Fahrzeug geschrien wurde (Bl. 41 der Beiakte; Bl. 63 und 75 d.A.). Darüber hinaus hat die Zeugin L im Ermittlungsverfahren indirekt bestätigt, dass mit Fernlicht gefahren wurde, indem sie ausgeführt hat, dass er das Fernlicht betätigt hatte, habe ich nicht mitbekommen, weil ich mich mit meinem Nachbarn unterhalten habe (Bl. 41 der Beiakte).Die Zeugen mussten hierzu von der Kammer nicht erneut gehört werden, weil sich die Beweiswürdigung des Amtsgerichts zur Frage, ob mit Fernlicht gefahren worden ist, gar nicht verhalten hat.Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile wiegt der Sorgfaltsverstoß des Klägers zu 2) weitaus stärker als die Verkehrswidrigkeit des Beklagten zu 2). Auf der Autobahn, wenn auch im Baustellenbereich mit einer erheblichen Tempobegrenzung, bei Nacht stark bis zumindest fast zum Stillstand abzubremsen, gefährdet zumindest grob fahrlässig Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer. Deshalb ist es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorliegend berechtigt, eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zum Nachteil der Kläger vorzunehmen.Der Schaden der Klägerin beträgt 2.757,98 €. Hiervon 1/3 ergibt den sich aus dem Tenor ersichtlichen Betrag. Die Nebenforderungen ergeben sich aus Verzugsgesichtspunkten.2.Die Berufung des Klägers zu 2) bleibt vollständig ohne Erfolg. Dabei kann unterstellt werden, dass er die im Attest dokumentierten pathologischen Zustände unfallbedingt erlitten hatte (Bl. 25 d.A.: „Heckaufprall mit ca. 30 km/h“). Angesichts des bagatellhaften Charakters der Beeinträchtigungen, Bewegungsschmerz und Druckschmerz, einerseits und insbesondere des zumindest grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers zu 2) andererseits wäre es nicht billig im Sinne von § 253 II BGB, dem Kläger deswegen eine Geldentschädigung zuzusprechen.III.Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 und 97 ZPO einerseits und §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO andererseits.Streitwert für das Berufungsverfahren: für die Klägerin zu 1) 2.757,98 €, für den Kläger zu 2) 350 € und für die Beklagten bis 3.200 € (§§ 43 I, 48 I GKG, 6 S. 1 ZPO)
6Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.
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Referenzen
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