Urteil vom Landgericht Wuppertal - 17 O 277/12
Tenor
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Die durch ihre Nebeninterventionen verursachten Kosten tragen die Streithelferinnen der Klägerin jeweils selbst.
Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin erwarb als Bauträgergesellschaft das unbebaute Grundstück M-Straße in V , katastermäßig erfasst als Gemarkung xxx. Die Klägerin beabsichtigte, eine umfangreiche Baumaßnahme durchzuführen. Es war Gegenstand der klägerseitigen Planung, drei Mehrfamilienwohnhäuser sowie zwei noch dahinter liegende Stadthäuser zu errichten, in denen jeweils Eigentumswohnungen geschaffen und veräußert werden sollten. Zudem sollte eine Tiefgaragenanlage mit Anbindungen an die Häuser entstehen. Zur Realisierung des Objektes beauftragte die Klägerin im Jahre 2008 den Beklagten zu 1) mit Architektenleistungen der Leistungsphasen 1-9. Wegen des Inhalts des später niedergelegten schriftlichen Vertrages wird Bezug genommen auf die als Anlage K 1 zu den Akten gereichte Vertragsurkunde vom 25. März 2009. Die Klägerin beauftragte zudem zumindest den Beklagten zu 3), der öffentlich bestellter Vermessungsingenieur ist, mit den Leistungen gemäß dem von diesem unterzeichneten Schreiben vom 29. Juli 2008, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (vgl. Anlage K 2). Der Beklagte zu 3) bildete mit dem damals ebenfalls öffentlich bestellten Beklagten zu 2) eine Arbeitsgemeinschaft in Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
3Auf der Grundlage vom Beklagten zu 1) übermittelter Planunterlagen erstellte jedenfalls der Beklagte zu 3) unter dem 10. Dezember 2008 eine Abstandsflächenberechnung (vgl. Anlage K 5) für die Häuser A bis C, welche als Anlage zu dem von ihm ebenfalls zu erstellenden und erstellten amtlichen Lageplan zur Bauvorlage vom selben Tag (vgl. Anlage K 36) genommen wurde. Die Klägerin reichte die Bauunterlagen inklusive diesem sowie einem auf die Häuser D und E erweiterten Lageplan vom 6. Juli 2009 (vgl. Anlage 10 Beklagter zu 1) bei der Stadt Wuppertal ein. Die Stadt erteilte unter dem 23. Juli 2009 die beantragte Baugenehmigung für die Häuser A bis C, nach deren Erhalt die Klägerin im September 2009 mit den Bauarbeiten begann. Unter dem 11. Dezember 2009 genehmigte die Stadt die Häuser D und E. Unmittelbar neben dem Baugrundstück wohnende Nachbarn erhoben gegenüber der Stadt fristgerecht Nachbarklage gegen die Baugenehmigungen beim Verwaltungsgericht Düsseldorf und stellten zugleich einen Eilantrag, die aufschiebende Wirkung dieser Anfechtungsklage anzuordnen. Mit Beschluss vom 25. Januar 2010 lehnte das Verwaltungsgericht Letzteres ab, wogegen die Nachbarn Beschwerde einlegten. Am 17. März 2010 ordnete sodann das Oberverwaltungsgericht (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen die aufschiebende Wirkung an. Nach Auffassung des OVG wurden die erforderlichen Abstandsflächen durch das genehmigte Bauvorhaben der Klägerin unzulässig unterschritten. Wegen der Einzelheiten, auch wegen der zwischenzeitlichen Grundstücksverhältnisse inklusive einer Vereinigungsbaulast, wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des OVG-Beschlusses (vgl. Bl. 250-254R der Beiakte 11 L 1344/09, Verwaltungsgericht Düsseldorf). Die Klägerin legte nach Erhalt der Entscheidung die Bauarbeiten still.
4Die Klägerin strebte daraufhin eine schnellstmögliche Umplanung an, um vollziehbare neue Baugenehmigungen zu erhalten. Im Anschluss an den Beschluss des OVG vom 17. März 2010 fand ein Abstimmungsgespräch unter Beteiligung der Klägerin, der Beklagten zu 1) und 3) und der von der Klägerin beauftragten Streithelferin zu 1) statt. Der entwickelten Lösung gemäß erfolgte eine Modifikation der Planung durch den Beklagten zu 1) und in seinem Aufgabenbereich zumindest auch durch den Beklagten zu 3). Auf Basis der modifizierten Planung erhielt die Klägerin Nachtrags-Baugenehmigungen der Stadt Wuppertal vom 14. April 2010. Mit Beschluss vom 20. Juli 2010 (vgl. Anlage K 7) ordnete das Verwaltungsgericht Düsseldorf indes die aufschiebende Wirkung der auch hiergegen von den Nachbarn erhobenen Anfechtungsklage an. Im Anschluss an eine erneute Umplanung erteilte die Stadt Wuppertal unter dem 6. August 2010 weitere Nachtrags-Baugenehmigungen, welche – im Anschluss an die Verwerfung aller Rechtsmittel der Nachbarn – bestandskräftig wurden. Die Baumaßnahme ist inzwischen umgesetzt.
5Die Klägerin behauptet: Sie habe – bestritten von den Beklagten zu 2) und 3) – das Vermessungsbüro und nicht allein den Beklagten zu 3) beauftragt. Es wäre unproblematisch möglich gewesen, die den Ursprungsplanungen entsprechende verkaufbare Geschossfläche insgesamt (und im Rahmen nur einer Eigentümergemeinschaft) zu realisieren, hätten die Beklagten, insbesondere der Beklagte zu 1), die Abstandsflächenproblematik erkannt. Sie, die Klägerin, sei zu keinem Zeitpunkt durch einen der Beklagten darauf hingewiesen worden, dass die der Genehmigung zugrunde liegende Planung rechtsfehlerhaft oder rechtlich riskant gewesen sei; ansonsten hätte sie die angegriffene Baugenehmigung niemals beantragt, sondern wäre einen rechtssicheren Weg gegangen. Ihr, der Klägerin, seien im Zuge des Baustillstands und der Umplanungen enorme zusätzliche Kosten entstanden, u. a. Nachträge und Stillstandskosten der Streithelferin zu 2) über 70.170,33 EUR und Avalkosten von 126.963,93 EUR. Zudem seien ihr wirtschaftliche Einbußen wegen Mindererlösen in Höhe von 125.420,00 EUR entstanden. Diese hätten – wobei es nach Auffassung der Klägerin hierauf nicht ankommt – auch dann vermieden werden können, wenn der Beklagte zu 1) den Gebäudekörper von Haus A bei der Umplanung anders gestaltet hätte. Zu dem geltend gemachten Gesamtschaden in Höhe von 431.296,02 EUR trägt die Klägerin umfangreich weiter vor.
6Sie meint: Der Beklagte zu 1) habe eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung geschuldet und hierfür verschuldensunabhängig einzustehen. Die Berechnung von Abstandsflächen stelle zudem Grundwissen dar, über das der Architekt verfügen müsse. Bereits unter dem 22. Januar 2007 sei ein veröffentlichter Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ergangen, welcher der Rechtsprechung entspreche, die auch in dem Beschluss vom 17. März 2010 zur Aufhebung der Baugenehmigung geführt habe. Auch die weiteren Beklagten, der Beklagte zu 2) zumindest als Gesellschafter, hätten für die fehlerhaft berechneten Abstandsflächen einzustehen.
7Die Klägerin und ihre Streithelferin zu 1) beantragen,
81.
9die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 431.296,02 EUR nebst fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz liegender Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
102.
11die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 12.345,77 EUR vorprozessualer Rechtsanwaltskosten nebst fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz liegender Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12Die Beklagten beantragen,
13die Klage abzuweisen.
14Der Beklagte zu 1) meint, die Abstandsflächenberechnung habe den von der Klägerin beauftragten Vermessungsingenieuren oblegen.
15Der Beklagte zu 2) behauptet, er sei mit dem gesamten Vorgang nicht befasst gewesen. Die Beklagten zu 2) und 3) meinen, dass die von dem Beklagten zu 3) entfaltete Tätigkeit hoheitlicher Natur gewesen sei.
16Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18. November 2013 (Bl. 342 ff. d.A.) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung der Zeugin L. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen D vom 3. Juli 2014 sowie auf das Sitzungsprotokoll des beauftragten Richters vom 13. Mai 2015 (Bl. 475 ff. d.A.). Die Akten 11 L 1344/09, 11 K 5630/09, 11 L 787/10 und 11 K 3200/10, jeweils Verwaltungsgericht Düsseldorf, sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die Klage hat keinen Erfolg.
20I.
211.
22Der Klägerin stehen gegen den Beklagten zu 1) keine Schadensersatzansprüche aus §§ 633, 634 Nr. 4, 280 BGB zu.
23a)
24Die Klägerin geht allerdings zutreffend davon aus, dass der ursprünglichen Planung des Beklagten zu 1) ein Werkmangel anhaftete. Denn ein Architekt, der sich zur Erstellung einer Genehmigungsplanung verpflichtet, schuldet als Erfolg eine dauerhaft genehmigungsfähige Planung (vgl. nur BGH BauR 1999, 1195). Dieser Erfolg ist infolge der Entscheidung des OVG Münster vom 17. März 2010 (10 B 229/10) zunächst vereitelt worden, auch wenn sie in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen ist. Ein Rechtsmittel hiergegen stand der Klägerin nicht zur Verfügung (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO). Es stand zudem nicht zu erwarten, dass das OVG in der Hauptsache, die im Kern nicht revisibles Landesrecht betrifft, von seiner Rechtsauffassung abrücken würde.
25b)
26Indes trifft den Beklagten zu 1) kein Verschuldensvorwurf, wie es ausweislich des vertraglich nicht abbedungenen § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB für seine Haftung indes erforderlich wäre. Ein Architekt muss allerdings grundsätzlich die zur Lösung der ihm übertragenen Planungsaufgaben notwendigen Kenntnisse auf dem Gebiet des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts besitzen. So ist in der Rechtsprechung denn auch anerkannt, dass die Einhaltung der Grenzabstände nach Bauordnungsrecht zu den grundlegenden Anforderungen zählt, die ein Architekt bei der Planung zu beachten hat. Jeder Architekt muss wissen, dass bei einem Bauvorhaben Rücksicht auf die Nachbarbebauung zu nehmen ist, und er muss auch in der Lage sein, die Grenzabstände nach den bauordnungsrechtlichen Vorgaben zu berechnen (vgl. KG NJW-RR 2006, 1024, 1025 m.w.N.). Auch dieser Pflichtenkreis unterliegt jedoch immer der Einschränkung, dass die Klärung schwieriger Rechtsfragen von dem Architekten nicht erwartet werden kann (vgl. KG a.a.O.; OLG Düsseldorf BauR 1997, 159, 160). Denn der Architekt ist kein Rechtsberater seines Auftraggebers und kann einem solchen auch nicht von seinem Pflichtenkreis her gleichgestellt werden.
27Der vorliegende Fall gründet in einer solch schwierigen Rechtsfrage. Soweit die Zeugin L für den Beklagten zu 1) tätig geworden ist, war sie dessen Erfüllungsgehilfin gemäß § 278 BGB. Ihr Handeln ist daher schlicht an dem Maßstab zu messen, der auch für den Beklagten zu 1) als ihrem Geschäftsherrn gilt. Der Beklagte zu 1) bzw. die Zeugin L haben keineswegs – wie die Klägerin anfänglich behauptet hat – die Neuregelung Ende 2006 des § 6 Abs. 6 BauO NRW gänzlich verkannt. Schon die Zeugin L hat glaubhaft ausgesagt, dass ihr die Neuregelung bekannt gewesen sei. Dies findet sich bestätigt in den Ausführungen des Sachverständigen D. Die Analyse des amtlichen Lageplans vom 10. Dezember 2008 (Anlage K 36) durch den Sachverständigen hat in aller Deutlichkeit ergeben, dass die Abstandsflächen unter Heranziehung der Vorschrift in ihrer damals gültigen (Neu-)Fassung erfolgt ist. Dies folgt schon daraus, dass für mehr als zwei Außenwände der Gebäude als Tiefe der Abstandsfläche die Hälfte der nach § 6 Abs. 5 BauO NRW erforderlichen Tiefen angesetzt ist. Dies wäre in Anwendung des sog. Schmalseitenprivilegs nach der BauO NRW 2000 nicht möglich gewesen. Im Übrigen wird auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen verwiesen, denen sich die Kammer auch im Weiteren nach eigener Überprüfung anschließt.
28Der eingangs aufgezeigte Werkmangel beruht darauf, dass das OVG mit dem Beschluss vom 17. März 2010 gegen die Interessen der Klägerin eine Einzelfrage zu der Neuregelung in § 6 Abs. 6 BauO NRW entschieden hat. Der Sachverhalt ist hierdurch atypisch gelagert. Die OVG-Entscheidung beruht im Kern auf der Ansicht, dass bei getrennt stehenden Gebäuden auf einem Baugrundstück die gegenüber einer Grundstücksgrenze liegenden Außenwände der Gebäude, soweit sie die reguläre Tiefe von 0,8 H nicht einhalten, insgesamt nicht länger als 16 Meter sein dürfen, also eine Addition vorzunehmen ist. Eine solche Rechtsprechung – die insoweit die Rechtslage im Vergleich zum gebäudebezogenen Schmalseitenprivileg zum Nachteil des Bauherrn verschärft hat – deutete sich zuvor nicht an und konnte daher von dem Beklagten zu 1) auch nicht berücksichtigt werden. Zwar treffen die klägerischen Ausführungen zu, dass bereits eine OVG-Entscheidung (Beschluss v. 22.01.2007, 10 B 2456/06) zu der betreffenden Neuregelung ergangen war. Diese Entscheidung befasst sich aber mit der Ersetzung des Schmalseitenprivilegs und der damit verbundenen Privilegierung des Bauherrn durch die mehrfache Anwendung der Halbierung. Die hier in Rede stehende Problematik einer Addition der Außenwände bei getrennt stehenden Gebäuden spielte dort aber keine Rolle und ist dementsprechend auch nicht ansatzweise abgehandelt.
29Auch die Einsichtnahme in einen juristischen Kommentar, die dem Architekten zur Prüfung einer Rechtsfrage im Einzelfall zuzumuten sein kann (vgl. OLG Stuttgart BauR 2004, 552 [Ls.] juris Tz. 81), hätte den Beklagten zu 1) nicht zu einer anderen Planung veranlassen müssen. So heißt es in der im Dezember 2007 erschienenen 11. Auflage des von Gätke/Temme/Heintz herausgegebenen Kommentars zur BauO NRW in Randnummer 251 zu § 6 u. a. (Hervorhebungen im Original):
30„… Eine Anwendung der Halbierungsregel bei getrennt liegenden Gebäuden auf demselben Grundstück entspräche dem Vorgängerrecht, das die mehrfache Anwendung des Schmalseitenprivilegs zuließ, selbst wenn jedes Gebäude die Wandlänge von 16 m ausschöpfte, was den Nachbarn ungleich stärker belastete, als eine Aufteilung der auf 16 m beschränkten Halbierung auf zwei getrennte Gebäude. Es ist auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine derartige Verschärfung der Vorschrift nicht gewollt hat. Es ist eher anzunehmen, dass diese Folgen der Rechtsänderung im Gesetzgebungsverfahren nicht erkannt worden sind, was nicht verwundert, da das Schmalseitenprivileg schon immer besondere Schwierigkeiten bereitete. Eine für die Praxis brauchbare Formulierung des Schmalseitenprivilegs ist noch niemand gelungen, was schließlich auch unter Berücksichtigung der nicht enden wollenden Abhandlungen in der Fachliteratur und der Länge der einschlägigen Kommentierungen für die Abschaffung mit der MBO 2002 ausschlaggebend war (s. Rdn. 234). Insgesamt spricht aus Gründen des Maßes der nachbarlichen Beeinträchtigung mehr dafür, eine Aufteilung der Länge von 16 m auch im Fall getrennt stehender Gebäude zuzulassen, da der Nachbar durch die Aufteilung der Baumasse auf zwei Baukörper mit dazwischen liegendem Abstand weniger stark beeinträchtigt wird als bei einem größeren kompakten Gebäude, zumal Dächer bis 45° Neigung an der Traufseite – entgegen der MBO 2002 – nicht auf die Wandhöhe – H – angerechnet werden und sich hierdurch der Vergleich des größeren mit den beiden kleineren Baukörpern in Wirklichkeit noch viel extremer darstellt. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach Satz 1 die halbierte Tiefe der Abstandfläche auch für sich gegenüberliegende Außenwände getrennt stehender Gebäude auf demselben Grundstück zulässig ist, so dass es keinen rechten Sinn macht, dort die Halbierung zuzulassen, nicht aber bei der Aufteilung auf zwei getrennt stehende Gebäude. Da sich die Frage aufgrund der unklaren Formulierung nicht zufriedenstellend klären lässt, bleibt letztlich nichts anderes übrig, als das Ergebnis der Rechtsprechung abzuwarten. Bis dahin kann eine mit dem Problem befasste Bauaufsichtsbehörde im Interesse des Rechtsfriedens versuchen, eine Einigung der Angrenzer herbeizuführen, um sodann – sollten sie denn von der Unzulässigkeit der Aufteilung weiterhin ausgehen – unter Anwendung des § 73 BauO NRW eine Abweichung zu gewähren.“
31Der von der Klägerin (zu Recht) als das Standardwerk zur BauO NRW bezeichnete Kommentar vertrat demnach für die hiesige Konstellation damals mit guten Gründen eine Rechtsauffassung, in deren Folge die Planung des Beklagten zu 1) genehmigungsfähig gewesen wäre. Es verwundert daher, dass sich das OVG Münster (vgl. Beschluss v. 17. März 2010, 10 B 229/10, juris Tz. 14) zur Rechtfertigung seiner gegenteiligen Auffassung auf eben jene Kommentarstelle beruft. Die weiter zitierten Hinweise des Ministeriums für Bauen und Verkehr NRW betreffen ebenfalls eine andere Konstellation; die Situation zweier freistehender Gebäude ist dort nicht dargestellt (vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, 24. Update, § 6 Rn. 253a). Die Entscheidung des OVG vermag die Kammer auch in der Sache nicht zu überzeugen, die sich den oben zitierten Gegenargumenten anschließt. Eine dem OVG konträre Rechtsauffassung vertritt denn auch der weitere Großkommentar zur BauO NRW von Boeddinghaus/Hahn/Schulte. Danach (a.a.O.) kann der Ansicht des OVG nicht gefolgt werden, denn die Bezugseinheit für die Abstandsvorschriften ist immer und grundsätzlich das einzelne Gebäude, auch wenn dies nicht besonders erwähnt wird. In der Gesetzesbegründung fallen zudem die Worte „wie bisher“, was den Willen des Gesetzgebers im Sinne der Planung des Beklagten zu 1) belegt.
32Schließlich hat auch der Sachverständige D bei seiner mündlichen Anhörung die OVG-Entscheidung als dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufend kritisiert. Der Sachverständige hat keineswegs ausgeschlossen, dass er die Abstandsflächen damals – und nur dies ist entscheidend – ebenso berechnet hätte wie die Beklagten zu 1) bzw. 3). Weiter gilt es zu bedenken, dass selbst das Verwaltungsgericht Düsseldorf die Planung gerade auch der Abstandsflächen in seinem Beschluss vom 25. Januar 2010 (11 L 1344/09) gebilligt hat. Klüger als drei Verwaltungsrichter, die bei ihrer Entscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind und diesen sorgfältig geprüft haben, muss der Beklagte zu 1) nicht sein. Auch wenn die im Amtshaftungsrecht entwickelte sog. „Kollegialgerichtsrichtlinie“ nicht unbesehen und generell für die Architektenhaftung Geltung wird beanspruchen können, rechtfertigen doch die Besonderheiten des vorliegenden Falls einen Schluss von der gerichtlichen Verfahrensweise darauf, dass dem Beklagten zu 1) ein Verschuldensvorwurf nicht zu machen ist. So hat das Verwaltungsgericht die Berechnung der Abstandsflächen eingehend geprüft. Es führt aus (juris Tz. 14), dass vor den Außenwänden der genehmigten Wohngebäude zu den Grundstücksgrenzen der Antragsteller die notwendigen Abstandsflächen eingehalten werden. Diese wurden nach Auffassung der Kammer des Verwaltungsgerichts ausweislich der vorliegenden Verwaltungsvorgänge durch die öffentlich bestellten Vermessungsingenieure nachvollziehbar berechnet und auf den Lageplänen, die Gegenstand der Baugenehmigungen sind, als auf dem Grundstück der Klägerin liegend dargestellt. Durchgreifende Bedenken gegen die Berechnung und Darstellung waren dem Verwaltungsgericht nicht ersichtlich. Seiner Meinung nach berücksichtigen die Berechnungen Veränderungen der Geländeoberflächen, die nach den Baugenehmigungen vorgesehen sind und die zu Absenkungen bzw. Erhöhungen der künftigen Geländeoberfläche führen werden, wobei die Berechnung der Abstandsflächen sich jeweils auf die niedrigere Höhe der bisherigen bzw. künftigen Geländeoberfläche beziehen.
33Eine Erörterung der vom OVG gesehenen Problematik ist hingegen unterblieben, obwohl sich das Verwaltungsgericht u. a. – wie es ausdrücklich ausführt – mit dem Inhalt der Lagepläne befasst hat. Schon diesen ist unschwer zu entnehmen (da zeichnerisch kenntlich gemacht), dass die beabsichtigte Grundstücksteilung mit einer Vereinigungsbaulast für die einheitliche Tiefgarage einhergeht. Gleichwohl kam es dem Verwaltungsgericht nicht in den Sinn, deswegen eine Addition der Außenwände auch nur näher zu erwägen und zu erörtern. Dies ist trotz der Vereinigungsbaulast wegen der zitierten Passagen aus dem Standardkommentar zur BauO nicht verwunderlich. Nach der Argumentation des OVG verhilft zudem letztlich eine unterirdische Tiefgarage, die gemäß § 6 Abs. 1 BauO NRW gerade keine Abstandsflächen auslöst, der Nachbarklage wegen mangelnder Abstandsflächen zum Erfolg. Angesichts dieser erstaunlichen, nicht eben naheliegenden Konsequenz hätte das OVG Anlass gehabt, die nachbarschützenden Wirkungen einer Vereinigungsbaulast zu überdenken, wenn und soweit das grenzüberschreitende Gebäude keine nachbarlichen Belange tangiert. Schon der Wortlaut des § 4 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW ist gebäudebezogen, was eine teleologische Reduktion nahelegen könnte.
34c)
35Angesichts der aufgezeigten deutlich überwiegenden Argumente für eine unterbleibende Addition der eine Tiefe von 0,8 H unterschreitenden Außenwände getrennt stehender Gebäude war der Beklagte zu 1) auch nicht verpflichtet, die Klägerin auf eine unklare Rechtslage hinzuweisen. Dies gilt unbeschadet der letzten Ausführungen in der zitierten Randnummer aus dem Kommentar zur BauO NRW von Gädtke/ Temme/Heintz. Denn dass der Klägerin an Rechtsfrieden besonders gelegen war, musste der Beklagte zu 1) mit Blick auch auf das Verfahren gegen den Bauvorbescheid nicht annehmen. Hier gleichwohl eine Hinweispflicht zu bejahen, würde den Architekten unzulässigerweise dem Rechtsberater der Auftraggeberin gleichstellen. Immerhin hat – wie ausgeführt – selbst das Verwaltungsgericht Düsseldorf es nicht für nötig gehalten, die Problematik auch nur zu thematisieren. Den Architekten treffen keine Hinweispflichten gegenüber seiner Auftraggeberin, die über die Begründungsanforderungen verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen hinausgehen.
36d)
37Selbst noch wenn eine Hinweispflicht des Beklagten zu 1) zu bejahen wäre, müsste dessen Haftung gegenüber der Klägerin i.E. ausscheiden. Denn ein jeder von der Klägerin eingeschalteter Rechtsberater hätte die damals aktuelle Kommentierung des Gädtke/Temme/Heintz herangezogen, weshalb eine Beratung in dem dort niedergelegten Sinne richtig bzw. nicht zu beanstanden gewesen wäre. Es bestehen – worauf bereits der Beklagte zu 2) mit Schriftsatz vom 25. September 2013 aufmerksam gemacht hat – mindestens Zweifel, dass die Klägerin unter Würdigung der verfügbaren Argumente eine andere „rechtssichere“ Planung gewünscht hätte. Eine Vermutung in diesem Sinne kommt ihr jedenfalls nicht zugute (vgl. BGH BauR 1997, 494 juris Tz. 22 f.). Denn eine von dem Beklagten zu 1) erteilte Information und weitere rechtliche Erkundigungen hätten nur der selbständigen Entscheidung der Klägerin dienen können. Diese entzieht sich jeder typisierenden Betrachtung. Die Entscheidung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, so dass kein Erfahrungsurteil als notwendige Grundlage einer Vermutung möglich ist.
38Es handelte sich um ein komplexes Gesamtprojekt, für dessen Rechtmäßigkeit das allermeiste sprach. Die Klägerin hat den erzielbaren Maximalprofit angestrebt. Dieser hängt aber nicht allein von der reinen Wohnfläche, sondern auch von deren Wertigkeit in gestalterischer Hinsicht ab. Zudem hat der Geschäftsführer der Klägerin eine Aufteilung des Grundstücks und damit kleinere Eigentümergemeinschaften schon zwecks besserer Vermarktung gewünscht. Die Kammer hegt keinerlei Zweifel an dieser plausiblen Aussage der Zeugin L, die insgesamt sachlich und ohne Beschönigung ihres eigenen Handelns (fehlende Bedenken, kein Hinweis) ausgesagt hat. Die von der Klägerin angesprochene Verschiebung der geplanten Gebäudekörper zwecks Einhaltung der Abstandsflächen auch bei Addition der Außenwände unter 0,8 H Tiefe hätte das architektonische Gesamtkonzept völlig geändert. Dies belegen die bei der Akte befindlichen Lagepläne mitsamt der zeichnerischen Darstellung der Abstandsflächen. Eine Verschiebung von Haus B nach Norden und von Haus C nach Südosten hätte – wenn überhaupt möglich – nicht nur verschiedene Abstände zwischen den Gebäudekörpern massiv verkleinert und die Symmetrie durchbrochen, sondern auch die Tiefgarage tangiert. Deren Errichtung unterhalb der Gebäudekörper würde die Klägerin aus wirtschaftlichen Gründen wohl kaum ernsthaft in Betracht gezogen haben. Letztlich zeichnete sich die Notwendigkeit einer abweichenden Planung beim damaligen Meinungsstand zu § 6 Abs. 6 BauO NRW 2006 nicht am Horizont ab. Gegen ein derartiges, überaus vorsichtiges Agieren der Klägerin spricht zudem, dass sie trotz der im August erhobenen Anfechtungsklage der Nachbarn im folgenden Monat mit den Bauarbeiten begonnen hat.
39e)
40Auf die vertragliche Regelung in Ziffern 9.2, 13.1 des Architektenvertrages, welche der Beklagte zu 1) weiter zu seiner Entlastung heranzieht, kommt es nach alledem ebenfalls nicht an. Sonstige Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
41Soweit die Klägerin den geltend gemachten Schadensersatz für einen Mindererlös der verkauften Wohnungen hilfsweise (wenn es denn darauf an sich nicht ankommen soll) auf eine vermeintlich fehlerhafte Umplanung des Beklagten zu 1) stützt, ist der Klage ebenfalls kein Erfolg beschieden. Der im Bauträgergeschäft erfahrenen Klägerin konnte nicht verborgen bleiben, dass mit der abgestimmten und anwaltlich begleiteten Umplanung u. a. Wohnquadratmeter wegfielen. Dem Vortrag ihrer Streithelferin zu 1) über die erfolgte Abstimmung im Anschluss an die OVG-Entscheidung vom 17. März 2010 ist die Klägerin nicht entgegen getreten. Wenn denn tatsächlich eine Verlängerung des Gebäudekörpers von Haus A etc. möglich gewesen wäre, hätte sie solche gestaltändernden Maßnahmen von dem Beklagten zu 1) vor abermaliger Stellung des Baugesuchs konkret verlangen müssen. Es kann somit dahinstehen, ob dem nicht auch der erfolgte Abverkauf der Wohneinheiten Nrn. 1, 7, 11-13 des Hauses A entgegen gestanden hätte.
422.
43Die Klägerin hat auch keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 2) und 3), wie sich bereits aus dem Vorstehenden ergibt. Denn weitergehende Pflichten als einen Architekten im Verhältnis zu seiner Auftraggeberin treffen einen Vermessungsingenieur nicht. Auch dieser ist kein Rechtsberater und darf einem solchen nicht gleichgestellt werden. Soll ein Vermessungsingenieur außer der rechnerischen Ermittlung der Abstandsflächen auch die (gar verschuldensunabhängige) Verantwortlichkeit für die rechtlichen Anforderungen von Abstandsflächenprivilegien tragen, muss dies im Auftrag deutlich zum Ausdruck kommen (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2000, 22). Hieran fehlt es. Dem Schreiben des Beklagten zu 3) vom 29. Juli 2008 (Anlage K 2), welches der Beauftragung durch die Klägerin zugrunde liegt, lässt sich für eine derart weitreichende Einstandspflicht nichts entnehmen. Für einen entsprechenden Rechtsbindungswillen genügen die bloß vorzufindende Angabe, einen amtlichen Lageplan zur Bauvorlage gemäß §§ 2, 3 BauPrüfVO NRW anzufertigen, und ein korrespondierender Kostenvoranschlag sicher nicht. All dies gilt unabhängig davon, ob der Beklagte zu 3) privatrechtlich oder hoheitlich tätig geworden ist.
44II.
45Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 a.E. ZPO.
46Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1, 2 ZPO.
47Streitwert: 431.296,02 EUR,
48im Verhältnis zu der Streithelferin zu 2) jedoch nur 70.170,33 EUR (von dieser vereinnahmte Nachtragsforderungen als Schaden, vgl. Anlagenkonvolut K 13).
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