Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 P 5/18 B PKH

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Rostock vom 19. Januar 2018 aufgehoben.

Dem Kläger wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Büschel, A-Stadt, bewilligt.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

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Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein erstinstanzliches Klagverfahren gegen einen Bescheid der Beklagten, mit welchem die Bewilligung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung (Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfe) abgelehnt wurde.

2

Der Antrag des Klägers aus Februar 2016 war mit Bescheid vom 04. März 2016 und Widerspruchsbescheid vom 04. August 2016 nach Maßgabe der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage mit der Begründung abgelehnt worden, dass die Leistungsvoraussetzungen bei einem vom MDK festgestellten durchschnittlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von lediglich einer Minute täglich nicht erfüllt seien. Nach Klageerhebung im September 2016 hat die Beklagte auf einen erneuten Antrag des Klägers vom 07. Dezember 2017 mit Bescheid vom 11. Januar 2018 dem Grunde nach Leistungen nach Pflegegrad 1 ab dem 01. Dezember 2017 bewilligt. Im zugrundeliegenden MDK-Gutachten waren 22,5 Gesamtpunkte im Sinne von § 15 SGB XI in der seit dem 01. Januar 2017 geltenden Fassung ermittelt worden. Hiernach ist im Jahr 2017 eine Epilepsie als weitere Krankheit des Klägers hinzugetreten.

3

Den zugleich mit Klageerhebung gestellten Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. Januar 2018 mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die Entscheidungen der Beklagten seien (nach alter Rechtslage) nicht zu beanstanden, ohne dass es zur Beurteilung dieser Frage weiterer Ermittlungen bedürfte. Die Ansprüche des Klägers nach neuem Recht seien nicht streitgegenständlich.

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Gegen den ihm am 19. Februar 2018 zugestellten Beschluss wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde vom 19. März 2018.

II.

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Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage zu Unrecht verneint.

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Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält der Beteiligte eines sozialgerichtlichen Verfahrens dann Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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Von hinreichender Erfolgsaussicht ist in tatsächlicher Hinsicht regelmäßig dann auszugehen, wenn zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts Ermittlungsmaßnahmen des Gerichts erforderlich sind bzw. vom Sozialgericht für erforderlich erachtet werden und in rechtlicher Hinsicht, wenn die maßgebliche Rechtsfrage in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang ungeklärt ist und der der Klägerseite zum Erfolg verhelfende Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint. Es reicht aus, wenn eine hinreichende Erfolgsaussicht nur hinsichtlich eines – nicht gänzlich unbedeutenden – Teils des Klagebegehrens zu bejahen ist. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen, welche regelmäßig dann anzunehmen ist, wenn neben dem Antrag die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit vollständigen Anlagen eingegangen sind.

8

Letzteres war vorliegend bereits bei Klageerhebung der Fall. Der Kläger ist hiernach auch bedürftig. Er kann die Kosten der Prozessführung nicht, auch nicht zum Teil oder in Raten aufbringen.

9

Zudem bietet seine Klage jedenfalls für den Zeitraum vom 01. Januar bis 30. November 2017 hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ansprüche für diesen Zeitraum sind entgegen der Auffassung des Sozialgerichts auch Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

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Geht man davon aus, dass es durch den erneuten Antrag des Klägers bei der Beklagten im Dezember 2017 zu einer Zäsur mit der Folge gekommen ist, dass sich der hier angefochtene Bescheid für die von diesem Antrag und vom neuen Bescheid erfasste Zeit erledigt hat (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 12/06 R, für Ansprüche auf Sozialhilfe), folgte hieraus lediglich, dass der Bescheid vom 11. Januar 2018 nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden und der Zeitraum ab dem 01. Dezember 2107 nicht mehr Streitgegenstand wäre. Da mit dem neuen Bescheid Ansprüche auf Pflegegeld jedenfalls nicht ausdrücklich (erneut) abgelehnt worden sind, ist eine derartige, den Streitgegenstand zeitlich begrenzende Wirkung allerdings bereits zweifelhaft.

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Hiervon unberührt bleibt jedenfalls der gesamte vorangegangene Zeitraum. Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage sind mithin die ursprünglich beantragten und klageweise geltend gemachten Leistungen der sozialen Pflegeversicherung in Form von Pflegegeld zumindest bis zum 30. November 2017. Die Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen und der Höhe dieser Leistungen durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz vom 21. Dezember 2015 mit Wirkung vom 01. Januar 2017 hat nicht etwa zu einer zeitlichen Begrenzung des Klagegegenstandes geführt. Der Streitgegenstand ändert sich nicht dadurch, dass sich die den erhobenen Anspruch regelnden Bestimmungen des materiellen Rechts ändern, vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2005 – B 13 RJ 31/04 R.

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Somit hat das Sozialgericht über Ansprüche auf Pflegegeld auch nach der neuen Rechtslage zu entscheiden. Dabei kann der Klage schon angesichts der nur geringen Differenz zwischen den festgestellten 22,5 Gesamtpunkten und den für den Pflegegrad 2 und damit einen Pflegegeldanspruch erforderlichen 27 Gesamtpunkten eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

14

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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