Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (8. Senat) - L 8 AS 251/18 B ER

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stralsund vom 3. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren Arbeitslosengeld II für die Zeit ab März 2018.

2

Der 1964 geborene Antragsteller bewohnte seit Ende 2006 in A-Stadt in der A-Straße eine Mietwohnung, für die ab Februar 2018 monatlich eine Gesamtmiete i.H.v. 302,29 € sowie ein Abschlag auf die Trink- und Schmutzwassergebühren i.H.v. 25 € zu zahlen waren.

3

Seit Ende 2006 bezog der Antragsteller als Alleinstehender von dem Antragsgegner Arbeitslosengeld II. Zuletzt wurde ihm mit Bescheid vom 5. April 2017 vorläufig Arbeitslosengeld II für die Zeit von Mai 2017 bis April 2018 bewilligt, wobei die vorläufige Bewilligung für März und April 2018 in Höhe von monatlich 720 € mit den weiteren Änderungsbescheiden vom 25. November 2017 und 13. Februar 2018 für März 2018 – unter Anrechnung eines Guthabens aus der Trink- und Schmutzwasserabrechnung – auf 492,67 € (416 € Regelbedarf + 76,67 € KdU) abgesenkt und für April 2018 auf 743,20 € (416 € Regelbedarf + 327,20 € KdU) erhöht wurde.

4

Am 22. Januar 2018 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner per Faxschreiben mit, dass er für die Versorgung seiner Mutter aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit mit dem Pflegegrad 2 weiterhin ehrenamtlich tätig sei. Die Versorgung über einen Pflegedienst sei nicht möglich, sodass seine Anwesenheit bei der Mutter ganztags erforderlich sei. Als derzeitige Erreichbarkeitsadresse gab er die Adresse der Mutter in der M.-Allee 78 in C-Stadt an.

5

Darauf hob der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Februar 2018 die zuvor ergangenen Bescheide vom 5. April 2017, 25. November 2017 und 13. Februar 2018 ab 1. März 2018 ganz auf. Da der Antragsteller sich nach seiner Mitteilung zur ganztägigen Pflege seiner Mutter in C-Stadt aufhalte, sei die Zuständigkeit des Antragsgegners nicht mehr gegeben. Der Antragsgegner sei nach § 36 SGB II nur insoweit zuständig, als der erwerbsfähige Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Jobcenters habe. Der Antragsteller werde aufgefordert, umgehend Leistungen beim zuständigen Jobcenter in C-Stadt zu beantragen.

6

Am 28. Februar 2018 legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein und stellte bei dem Antragsgegner einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 1. Mai 2018 – hilfsweise ab 1. März 2018 – sowie mit handschriftlichem Fax-Schreiben bei dem beigeladenen Jobcenter Berlin Lichtenberg. vorsorglich einen Leistungsantrag ab 1. März 2018 mit der Bitte um Zusendung der Antragsunterlagen.

7

Ebenfalls am 28. Februar 2018 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Stralsund den vorliegend streitigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und zur Begründung ausgeführt, er habe einen neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht begründet und beabsichtige dies auch nicht. Ebenso wenig habe er seinen bisherigen Aufenthaltsort aufgegeben und beabsichtige dies auch nicht. Er pflege seine Mutter seit Juli 2017 jeden Tag der Woche ganztägig. Insoweit hat der Antragsteller zwei Bescheinigungen der Pflegekasse vom 4. Januar 2018 vorgelegt, wonach seine Mutter seit 17. Juni 2017 einen Anspruch auf Pflegeleistungen nach dem Pflegegrad 2 habe und dass er sie ehrenamtlich an 112 Stunden pro Woche pflege. Ferner hat der Antragsteller dargelegt, dass es sich bei seiner Pflegetätigkeit um eine vorübergehende Notversorgung handele. Da kein Pflegedienst oder eine andere Versorgungsmöglichkeit zur Verfügung stehe, sei er weiterhin vorübergehend ehrenamtlich tätig. Sobald eine anderweitige Versorgungsmöglichkeit oder Ähnliches möglich sei, werde er sich wieder in A-Stadt aufhalten. Zwar zahle die Pflegekasse monatlich 689 €. Jedoch erhalte er von seiner Mutter keine finanzielle Unterstützung zum Lebensunterhalt. Eine entsprechende handschriftliche Erklärung seiner Mutter vom 9. April 2018 hat der Antragsteller abgereicht. Der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 4a SGB II greife nicht ein, da nach dem Bundessozialgericht die Vermittlung in Arbeit bei Pflege von Angehörigen unzumutbar sei. Wegen Unmöglichkeit der Ablösung der Sicherstellung der Pflege könne er kaum weg. Er sei im November 2017 an einem Tag, im Dezember 2017 an vier Tagen sowie im Januar und April 2018 jeweils an einem Tag nach A-Stadt gefahren.

8

Der Antragsteller hat beantragt,

9

den Aufhebungsbescheid vom 16. Februar 2018 und die Zahlungseinstellung ab 1. März 2018 aufzuheben und Recht zu schaffen,

10

hilfsweise den Antragsgegner zu verpflichten, Leistungen nach dem Weiterbewilligungsantrag vom 28. Februar 2018 ab 1. März 2018 zu bewilligen.

11

Der Antragsgegner hat beantragt,

12

den Antrag abzulehnen.

13

Der Antragsgegner hat angeregt, das Verfahren an das örtlich zuständige Sozialgericht Berlin zu verweisen, und ergänzend ausgeführt, dass die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers bezweifelt werde, da er seine finanzielle Situation nicht glaubhaft gemacht habe. So seien die zuletzt eingereichten Unterlagen gut ein Jahr alt. Darüber hinaus sei der Antragsteller ohne Genehmigung ortsabwesend, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt kein Leistungsanspruch bestehe.

14

Das Jobcenter Berlin Lichtenberg, das von dem Sozialgericht mit Beschluss vom 12. April 2018 beigeladen worden ist, hat dem Antragsteller auf dessen Antrag vom 28. Februar 2018 die Antragsunterlagen mit Schreiben vom 7. März 2018 übersandt und ihn aufgefordert, sich zu deren Abgabe am 26. März 2018 persönlich zu melden. Diesen Termin hat der Antragsteller per Fax am 26. März 2018 wegen der Pflege seiner Mutter abgesagt. Auch in der Folgezeit hat der Antragsteller keine Antragsunterlagen bei dem Beigeladenen eingereicht. Der Beigeladene hat den Antrag bislang nicht beschieden.

15

Der Beigeladene hat die Auffassung vertreten, dass er unzuständig sei bzw. nur der Antragsgegner vorläufig verpflichtet werden könne.

16

Auf die Aufforderung des Sozialgerichts mit Schreiben vom 10. April 2018, Kontoauszüge der letzten drei Monate vorzulegen, hat der Antragsteller mit Schreiben vom 9. und 26. April 2018 für den Zeitraum vom 26. November 2017 bis 26. April 2018 lückenlose Kontoauszüge für sein Girokonto bei der Sparkasse Vorpommern vorgelegt.

17

Mit Beschluss vom 3. Mai 2018 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweilige Anordnung zurückgewiesen und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, dass die Voraussetzungen für einen Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG nicht vorlägen. Der Antragsteller habe seine Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft machen können. Entgegen der Aufforderung des Sozialgerichts habe der Antragsteller Kontoauszüge nur für den Zeitraum von Dezember bis Februar 2018 eingereicht. Es fehlten die Kontoauszüge für die Zeit vom 27. Februar 2018 bis 9. April 2018. Aus den Kontoauszügen für Januar und Februar ergäben sich als Ausgaben nur die Mietzahlung sowie kleinere Überweisungen an einzelne Personen sowie an die Telekom, aber keine Abhebungen. Es sei nicht ersichtlich, wie der Antragsteller tatsächlich gelebt habe. Am 25. April seien dann rund 1.100 € weniger auf dem Konto des Antragstellers gewesen, wobei die dazwischen liegenden Bewegungen nicht hätten überprüft werden können. Als Mindestgrundsicherung hätte der Antragsteller jedoch monatlich 743,20 € verbrauchen müssen, mithin 1.486,40 €. Warum er knapp 400 € weniger verbraucht habe, bleibe unklar. Darüber hinaus seien vom 10. bis 25. April nur 50 € abgehoben worden. Dass der Antragsteller tatsächlich nur von 50 € in zwei Wochen gelebt haben solle, widerspreche jeder Lebenswahrscheinlichkeit. Vielmehr sei anzunehmen, dass der Antragsteller tatsächlich andere Einnahmen oder finanziellen Möglichkeiten habe, um seinen laufenden Lebensbedarf zu decken.

18

Im Übrigen werde aufgrund der Angaben des Antragstellers zu seinen Anwesenheitszeiten in C-Stadt bzw. A-Stadt davon ausgegangen, dass er seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I inzwischen in C-Stadt habe. Nach seinen Angaben halte er sich ganz überwiegend bereits seit Juli 2017 bei der Mutter in C-Stadt auf. Daher könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Aufenthalt dort nur vorübergehend sei bzw. die Wohnung in A-Stadt für den Antragsteller zu Lasten des Steuerzahlers gesichert werden müsste.

19

Gegen den am 5. Mai 2018 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 4. Juni 2018 Beschwerde eingelegt und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, er habe die von dem Sozialgericht angeforderten Kontoauszüge vollständig vorgelegt. Im Übrigen obliege es seiner Entscheidung, wie oft und in welcher Höhe er Barabhebungen von seinem Konto vornehme und damit seinen Lebensunterhalt bestreite. Er komme in seiner derzeitigen Situation wenig aus der Wohnung. Die regelmäßigen Wege seien überwiegend zu Lebensmittelgeschäften in naher Umgebung. Er habe keine Einnahmen. Das Pflegegeld seiner Mutter sei zur Sicherstellung möglicher Pflegesachleistungen vorgesehen. Von März bis Mai habe er seinen Lebensunterhalt von dem Guthaben auf seinem Konto sichern können. Sein gewöhnlicher Aufenthalt am Wohnsitz sei nicht aufgegeben worden und werde nicht aufgegeben. Er werde aufgrund der persönlichen Situation bei der Mutter in C-Stadt daran gehindert, sich in A-Stadt aufzuhalten. Da er sozusagen eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübe, die vom Gesetz gewollt und geschützt sei, könne auf der anderen Seite demjenigen nicht mit erheblichen Nachteilen als Strafe das bisherige Wohnrecht und die Kostenübernahme entzogen werden. Wenn „irrerweise“ der gewöhnliche Aufenthalt verpflichtend nach C-Stadt festgelegt werde, dann müssten auch die Wohnkosten der bisher und weiterhin bestehenden Wohnung in A-Stadt übernommen werden. Demgegenüber habe er ja auch keine Wohnkosten in C-Stadt. Laut Bundessozialgericht sei der gewöhnliche Aufenthalt erst aufgegeben, wenn auch kein Rückkehrwille mehr bestehe. Sein Rückkehrwille bestehe weiterhin. Er werde nur daran gehindert, zu Hause zu sein, obwohl er nach Hause wolle.

20

Der Antragsteller beantragt,

21

den Beschluss des Sozialgerichts Stralsund vom 3. Mai 2018 und den Aufhebungsbescheid vom 16. Februar 2018 und die Zahlungseinstellung ab 1. März 2018 aufzuheben und Recht zu schaffen – hilfsweise – den Antragsgegner zu verpflichten, Leistungen nach dem Weiterbewilligungsantrag vom 28. Februar 2018 ab 1. März 2018 zu bewilligen.

22

Der Antragsgegner beantragt,

23

die Beschwerde zurückzuweisen.

24

Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und führt ergänzend aus, dass der Antragsteller weiterhin Leistungen für einen Umzug nach C-Stadt begehre. Insoweit führe er insgesamt zwei Berufungsverfahren vor dem erkennenden Senat sowie ein weiteres, welches ihm ebenfalls einen Wegzug aus A-Stadt ermöglichen solle. Dies spreche gegen seine Behauptung, nach A-Stadt zurückzukehren.

25

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und auf sein bisheriges Vorbringen Bezug genommen.

26

Mit Schreiben vom 5. Juli 2018 hat der Antragsteller gerügt, dass das Beschwerdegericht seit dem Eingang der Beschwerde untätig gewesen sei. Dies werde wegen Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Aufgrund der Befangenheit und Befangenheitsentscheidung des Sozialgerichts Stralsund werde nun davon ausgegangen, dass das Landessozialgericht ebenfalls befangen sei. Der Umstand der Untätigkeit im einstweiligen Rechtsschutz sei dazu geeignet, die Befangenheit anzunehmen. Daher werde der Befangenheitsantrag gestellt.

27

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2018 hat der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid vom 16. Februar 2018 zurückgewiesen und in der Rechtsbehelfsbelehrung angegeben, dass gegen die Entscheidung beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben werden könne. Der Antragsteller hat insoweit am 10. August 2018 Klage bei dem Sozialgericht Stralsund – S 8 AS 577/18 – erhoben.

II.

28

Der Senat war nicht aufgrund des Befangenheitsantrags des Antragstellers gehindert, in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung zu entscheiden, da das gegen das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern gerichtete Ablehnungsgesuch rechtsmissbräuchlich ist. Dies ist dann der Fall, wenn – wie hier – pauschal alle Richter eines Gerichts abgelehnt werden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Dezember 2007 – 1 BvR 1273/07 –, juris, Rn. 19). Eine förmliche Bescheidung ist dann nicht erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Dezember 1986 – 2 BvE 1/86 –, juris, Rn. 16).

29

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

30

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere steht der Zulässigkeit eine örtliche Unzuständigkeit des Sozialgerichts Stralsund nicht entgegen. Zwar leitet sich aus der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob der Antragsteller seinen Wohnsitz bzw. seinen Aufenthalt in A-Stadt oder C-Stadt hat, gemäß § 57 SGG ab, ob das Sozialgericht in Stralsund oder in Berlin für die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2018 örtlich zuständig ist und ob es damit als Gericht der Hauptsache auch für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren nach § 86b SGG zuständig gewesen wäre. Jedoch folgt aus § 98 SGG i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG, dass das erkennende Landessozialgericht als Rechtsmittelgericht seine örtliche Zuständigkeit nicht zu prüfen hat.

31

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

32

Das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers ist gegenüber dem Antragsgegner als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der bei dem Sozialgericht Stralsund erhobenen Klage – S 8 AS 577/18 – gegen den Aufhebungsbescheid vom 16. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2018 nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG auszulegen. Denn im Erfolgsfalle hätte der Antragsgegner die für März und April 2018 vorläufig bewilligten Leistungen an den Antragsteller auszuzahlen. Damit ist der streitgegenständliche Zeitraum zugleich auf März und April 2018 beschränkt, da nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der einstweilige Rechtsschutz nicht weiter als im Hauptsacheverfahren reichen kann.

33

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage – wie hier gemäß § 39 Nr. 1 SGB II die vorgenannte Klage – keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht das Interesse des Antragsgegners, den streitigen Bescheid zu vollziehen, und das Interesse des hierdurch belasteten Antragstellers, die Vollziehung vorläufig auszusetzen, gegeneinander abzuwägen. Die aufschiebende Wirkung wird insbesondere dann nicht angeordnet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig und die Klage daher ohne Erfolgsaussichten sein dürfte.

34

Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung schied aus, weil sich die streitige Aufhebungsentscheidung als rechtmäßig erweist.

35

Der Aufhebungsentscheidung ist formell rechtmäßig.

36

Die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung des Antragstellers ist gemäß § 41 Abs. 1 SGB X nachgeholt worden. Während des Widerspruchsverfahrens hat der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die streitige Entscheidung auch auf die nicht genehmigte Ortsabwesenheit nach § 7 Abs. 4a SGB II gestützt werde. Hierzu hat der Antragsteller vor Erlass des Widerspruchsbescheids Stellung genommen. Auch war der Antragsgegner für die Aufhebungsentscheidung zuständig. Auch wenn die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners für Leistungen zu Gunsten des Antragstellers nach § 36 SGB II entfallen war (siehe unten), greift die Zuständigkeitsregelung für das Rücknahmeverfahren gemäß §§ 44 Abs. 3, 45 Abs. 5 bzw. § 48 Abs. 4 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 SGB II nicht ein. Danach entscheidet die zuständige Behörde auch dann über die Rücknahme, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Hiervon abweichend bleibt dagegen ein Jobcenter für die Rücknahme eines von ihm erlassenen Verwaltungsakts auch dann zuständig, wenn ein anderes Jobcenter für die leistungsberechtigte Person örtlich zuständig geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 133/11 R –, juris, für die Zeit vor August 2006; von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. A., § 44 Rn. 37a).

37

Der streitige Aufhebungsverwaltungsakt ist auch materiell rechtmäßig.

38

Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung ist § 41a Abs. 2 S. 4 SGB II. Danach ist die vorläufige Entscheidung nach § 41a Abs. 1 SGB II, soweit sie rechtswidrig ist, für die Zukunft zurückzunehmen. Hierbei findet § 45 Abs. 2 SGB X keine Anwendung (§ 41a Abs. 2 S. 5 SGB II). Daraus folgt, dass die Aufhebung, soweit sie wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Bescheides nach § 45 SGB X zu erfolgen hat, zwingend, nur mit Wirkung für die Zukunft und ohne Berücksichtigung von Vertrauensschutz zu ergehen hat (vgl. Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 41a Rn. 29 und 30). Gleiches gilt gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X bei nachträglich eingetretener Rechtswidrigkeit einer vorläufigen Bewilligung, sodass eine vorläufige Entscheidung für die Zukunft sowohl bei anfänglicher als auch nachträglicher Rechtswidrigkeit ohne Vertrauensschutz aufzuheben ist.

39

Nachdem der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 5. April 2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 25. November 2017 und 13. Februar 2018 gemäß § 41a Abs. 1 SGB II vorläufig Arbeitslosengeld II für den Zeitraum von Mai 2017 bis April 2018 bewilligt hatte, hat der Antragsgegner mit dem streitigen Aufhebungsbescheid vom 16. Februar 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2018 zu Recht die vorgenannten vorläufigen Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 1. März 2018 und damit für die Zukunft ganz aufgehoben.

40

Denn der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 5. April 2017 wurde durch eine wesentliche Änderung gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X nachträglich rechtswidrig. Die Änderungsbescheide vom 25. November 2017 und 13. Februar 2018 waren dagegen im Sinne von § 45 SGB X von Anfang an rechtswidrig. Die wesentliche Änderung ist hingegen nicht dadurch eingetreten, dass die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners nach § 36 SGB II entfallen war. Dies ist nicht der Fall, weil die Leistungsverpflichtung gegenüber dem Antragsteller grundsätzlich nach § 2 Abs. 3 SGB X fortbestand. Vielmehr greift der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II ein.

41

Der Antragsgegner ist der zutreffenden Auffassung, dass er für den Antragsteller zumindest ab 1. März 2018 nicht mehr gemäß § 36 SGB II örtlich zuständig ist, weil dieser seit Sommer 2017 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in C-Stadt hat. Örtlich zuständiger Leistungsträger ist nach § 36 SGB II derjenige, in dessen Bezirk die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gemäß § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Maßgebend für die Beurteilung eines gewöhnlichen Aufenthaltes sind ein zeitliches Element ("nicht nur vorübergehend"), der Wille der Person als subjektives Element und die objektiven Gegebenheiten ("unter Umständen") mit einer vorausschauenden Betrachtung künftiger Entwicklungen, die eine gewisse Stetigkeit und Regelmäßigkeit des Aufenthaltes erfordern, nicht jedoch eine Lückenlosigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 23. Mai 2012 – B 14 AS 133/11 R – juris, Rn. 21). Maßgeblich sind dabei die näheren Umstände des Einzelfalles im Hinblick auf Unterkunft und Aufenthalt sowie die Qualität und Quantität der am Aufenthaltsort entstandenen persönlichen Bindungen. Ein zeitlich unbedeutender Aufenthalt von Stunden oder Tagen reicht für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts daher regelmäßig nicht aus. Unerheblich ist auch, ob die Person über einen Wohnsitz verfügt oder in einer Gemeinde ordnungsbehördlich angemeldet ist (vgl. Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl., § 36 Rn. 30-34). Nach diesen Vorgaben hat der Senat keine Zweifel, dass der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt in C-Stadt am Wohnsitz seiner Mutter hat. Seit Mitte 2017 pflegt er sie dort ganztägig und wohnt bei ihr. Dies will er auch auf unbestimmte Dauer fortsetzen, nämlich solange, wie es die Pflege seiner Mutter erfordert. Damit hat er seinen dauerhaften Lebensmittelpunkt in C-Stadt begründet. Dass der Antragsteller geltend macht, er habe weiterhin seine Mietwohnung in A-Stadt, halte sich dort an wenigen Tagen im Jahr auf und beabsichtige nach Beendigung der Pflege seiner Mutter wieder dorthin zurückzukehren, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es belegt lediglich, dass sich der Antragsteller neben seinem gewöhnlichen Aufenthalt in C-Stadt auch besuchsweise in A-Stadt aufhält und die Absicht hat, möglicherweise seinen Lebensmittelpunkt zukünftig von C-Stadt nach A-Stadt zurück zu verlagern.

42

Unabhängig vom Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bleibt der Antragsgegner grundsätzlich dennoch gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X zur weiteren Leistungserbringung für März und April 2018 verpflichtet. Nach dieser Norm muss die bisher zuständige Behörde, wenn die örtliche Zuständigkeit gewechselt hat, die Leistungen noch so lange erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden.Die Norm gewährt damit dem Leistungsempfänger einen Anspruch gegen den unzuständig gewordenen Leistungsträger (vgl. jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 2 SGB X, Rn. 22). Die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X liegen auch vor, weil der Beigeladene über den dort gestellten Leistungsantrag des Antragstellers vom 28. Februar 2018 bislang nicht entschieden hat. Allerdings besteht der Anspruch gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X nur insoweit, als die bisherige Leistung auch rechtmäßig war (vgl. wie vor).Da sich nur der Zuständigkeitswechsel vorerst nicht auf die Leistungen auswirken soll, kann die bisherige und nach der Übernahme erst recht die neue Behörde die Leistungen „einstellen“, wenn anspruchsbegründende Umstände entfallen oder anspruchsausschließende Umstände hinzutreten (vgl. wie vor). Von „Leistungen“ i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X kann unabhängig vom Wechsel der Behördenzuständigkeit nämlich nur beim Fortbestehen des Leistungsanspruchs und der notwendigen Leistungsvoraussetzungen die Rede sein (vgl. wie vor). Außerdem bezweckt der Fortzahlungsanspruch die Sicherung der Leistung, nicht aber die Schaffung eines Anspruchs eigener Art, welcher materiell-rechtlich sogar ausgeschlossen wäre (vgl. wie vor).

43

Eine wesentliche Änderung ist jedoch dadurch eingetreten, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4a SGB II vorgelegen haben. Diese Norm hat die Funktion eines Leistungsausschlusses (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 166/11 R –, juris, Rn. 24). Nach der Übergangsregelung des § 77 Abs. 1 SGB II ist § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung anzuwenden, da bislang eine Rechtsverordnung zu § 7 Abs. 4a SGB II noch nicht gemäß § 13 Abs. 3 SGB II erlassen und in Kraft getreten ist. § 7 Abs. 4a SGB II alter Fassung (a. F.) lautet: Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.

44

Zum Nahbereich gehören nach § 2 Satz 2 EAO alle Orte in der Umgebung des Arbeitsamtes, von denen aus der Arbeitslose erforderlichenfalls in der Lage wäre, das Arbeitsamt täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. § 3 Abs. 1 EAO regelt sinngemäß, dass ein Aufenthalt außerhalb des Nahbereichs der Verfügbarkeit des Arbeitslosen bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegensteht, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat.Die Zustimmung darf jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird. Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 3 EAO ist Abs. 1 bei Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit entsprechend anzuwenden.

45

Danach greift der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II a. F. vorliegend ein. Der Antragsteller hielt sich seit Mitte 2017 und damit auch im März und April 2018 im von A-Stadt ca. 200 km entfernten C-Stadt auf. C-Stadt liegt offenkundig nicht im Nahbereich der Geschäftsstelle des Antragsgegners in A-Stadt, sodass eine vorherige Zustimmung zur Ortsabwesenheit erforderlich war. Nur eine Zustimmung, die erteilt wurde, bevor sich der Betroffene aus dem Nahbereich entfernt hat, steht einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II a. F. entgegen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juli 2010 – L 3 AS 3552/09 –, Rn. 29, juris). Der Antragsgegner hat der Ortsabwesenheit des Antragstellers nicht zugestimmt. Auch wenn das Schreiben des Antragstellers vom 22. Januar 2018 als Antrag auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit auslegt wird, schied eine Zustimmung bereits deswegen aus, weil sie erst nach Beginn der Ortsabwesenheit beantragt wurde. Am 22. Januar 2018 hielt sich der Antragsteller bereits in C-Stadt auf.

46

Es liegt auch kein Fall vor, dass § 7 Abs. 4a SGB II a. F. nicht anzuwenden ist. Nach dessen Wortlaut werden alle leistungsberechtigten Personen nach dem SGB II unabhängig davon erfasst, ob sie erwerbsfähig sind und ihnen eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann. Im Hinblick darauf, dass § 7 Abs. 4a SGB II a. F. ortsabwesende Hilfebedürftige auf Grund des Leistungsausschlusses zu einer Rückkehr und zur aktiven Mitwirkung an der Eingliederung in den Arbeitsmarkt bewegt werden sollen und insbesondere Auslandsaufenthalte bei aufrechterhaltenem gewöhnlichem Aufenthalt im Inland vermieden werden sollen (vgl. BT-Drucksache 16/1696, S. 26), ist einschränkend vertreten worden, dass von der Regelung nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte erfasst seien, nicht hingegen Personen, denen eine Erwerbstätigkeit nicht möglich sei oder nicht zugemutet werden könne, etwa weil sie erwerbsgemindert seien oder ihnen eine Erwerbstätigkeit aus den in § 10 SGB II aufgezählten Gründen nicht zuzumuten sei.

47

So soll § 7 Abs. 4a SGB II auf nicht erwerbsfähige Bezieher von Sozialgeld keine Anwendung finden (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juli 2010 – L 3 AS 3552/09 –, juris). Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, aufgrund der klarstellenden Änderung des § 7 Abs. 4a SGB II ab 1. April 2011 gelte der Leistungsausschluss nur für „erwerbsfähige Leistungsberechtigte" und nicht für sonstige leistungsberechtigte Personen nach § 7 Abs. 2 SGB II (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. November 2017 – L 7 AS 934/17 B ER –, juris, Rn. 30). Der Leistungsausschluss soll bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht eingreifen, dem eine Erwerbstätigkeit nach § 10 SGB II nicht zumutbar ist wie in dem dortigen Fall einer alleinerziehenden hilfebedürftigen Person in Elternzeit gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 – L 34 AS 1030/11 –, juris, Rn. 24 f.; ebenso Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. September 2012 – L 5 AS 378/10 B ER –, juris; wohl ablehnend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. November 2017 – L 7 AS 934/17 B ER–, juris, Rn. 31).

48

Vorliegend könnte zu Gunsten des Antragstellers § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II eingreifen. Danach ist eine Arbeit unzumutbar, wenn deren Ausübung mit der Pflege einer oder eines Angehörigen nicht vereinbar wäre und die Pflege nicht auf andere Weise sichergestellt werden kann. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann jedoch dahin stehen. Denn die Befreiung vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II a. F. kann nicht auf einen Tatbestand im Sinne von § 10 SGB II gestützt werden, wenn diese Umstände gleichzeitig einen anderen Ausschlussgrund erfüllen. Dies ist vorliegend der Fall, weil der Antragsteller mit der Aufnahme der Pflege seiner Mutter in C-Stadt – wie oben ausgeführt – zugleich seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach C-Stadt verlagert hat, sodass die örtliche Zuständigkeit des Antragsgegners nach § 36 SGB II entfallen ist.

49

Der gegen den Antragsgegner gerichtete Hilfsantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG ist für den Zeitraum März und April 2018 unzulässig. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG sieht den Erlass einer einstweiligen Anordnung nur vor, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt. Das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers richtet sich jedoch insoweit – wie bereits oben ausgeführt – nach § 86b Abs. 1 SGG. Für den Zeitraum ab 1. Mai 2018 ist der Antrag gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG dagegen unbegründet, da mit dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4a SGB II a. F. ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist.

50

Schließlich scheidet auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auf vorläufige Leistungsverpflichtung des Beigeladenen für die Zeit ab März 2018 aus. Der Antragsteller hat unstreitig das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II und damit einen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat bei dem Beigeladenen lediglich am 28. Februar 2018 einen formlosen Leistungsantrag gestellt, ohne bislang die von dem Beigeladenen angeforderten weiteren Angaben zu machen bzw. die Antragsformulare ausgefüllt zurückzusenden. Auch hat der Antragsteller diese Angaben im vorliegenden Verfahren nicht nachgeholt.

51

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

52

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen