Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (1. Senat) - L 1 RA 152/01
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Es geht vorrangig darum, ob die Anerkennung an der Verfallswirkung einer zuvor erfolgten Beitragserstattung scheitert.
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Die 1925 geborene Klägerin war in der Zeit von April 1940 bis März 1942 als Hausgehilfin versicherungspflichtig beschäftigt. Die vorliegenden (Original-) Quittungskarten Nr 1 und 2 der LVA H. weisen 40, 52 bzw 12 Beitragswochen in der Beitragsklasse II aus. Zu der von der Klägerin vorgetragenen weiteren Beschäftigungszeit von April 1942 bis September 1947 liegen keine Beitragsunterlagen mehr vor. Vorhanden ist lediglich ein Zeugnis des I., Heim für Berufstätige und alte Damen, vom 10. Juli 1946. Dem Zeugnis zufolge war die Klägerin dort seit dem 15. Januar 1943 als Hausangestellte tätig. Ihr werde nunmehr Erfolg in dem angestrebten Krankenpflegeberuf gewünscht. Später war die Klägerin wieder von Februar 1950 bis Mai 1959 abhängig beschäftigt.
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Im Zuge ihrer im Juni 1959 erfolgten Heirat beantragte die Klägerin im Juli 1959, ein Verfahren zur Beitragserstattung durchzuführen. Die Beklagte erstattete daraufhin mit Bescheid vom 11. September 1959 die Arbeitnehmeranteile an den für die Zeit vom 15. Februar 1950 bis zum 31. Mai 1959 entrichteten Beiträgen auf der Grundlage des § 83 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) iVm Art 2 § 27 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG).
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Einen Antrag der Klägerin, freiwillige Beiträge für die Zeit der Heiratserstattung nach § 282 Sozialgesetzbuch (SGB) VI aF nachzuzahlen, lehnte die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 29. November 1995 ab. Der Antrag scheitere bereits daran, dass die Klägerin das 65. Lebensjahr bereits vollendet habe.
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Den diesem Verfahren zugrunde liegenden Antrag der Klägerin, die gesamte Zeit von April 1940 bis September 1947 als Beitragszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen, lehnte die Beklagte mit ihrem Bescheid vom 22. Juni 2000 ab. Denn Ansprüche könnten aus ihnen schon deshalb nicht mehr hergeleitet werden, weil die Heiratserstattung zur Folge gehabt habe, dass die bis dahin abgeführten Beiträge sämtlich verfallen seien selbst wenn sich die Erstattung auf sie nicht bezogen habe.
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Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 14. September 2000 zurück. Die Verfallswirkung der Beitragserstattung habe das gesamte bisherige Versicherungsverhältnis betroffen. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe sie sich auch auf alle Zweige der gesetzlichen Rentenversicherung erstreckt.
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Mit ihrer am 10. Oktober 2000 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg eingegangenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die von der Beklagten angenommene umfassende Verfallswirkung sei sozial ungerecht. Es sei nicht einzusehen, weshalb die Anerkennung auch solcher Zeiten ausgeschlossen sei, auf die sich die Erstattung gar nicht bezogen habe.
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Das SG hat die Klage durch Urteil vom 29. Mai 2001 als unbegründet abgewiesen. Es hat auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
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Mit ihrer am 28. Juni 2001 eingegangenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie hält die Entscheidung der Beklagten für unvereinbar mit dem grundgesetzlichen Eigentumsschutz.
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Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
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1. das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Mai 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2000 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verurteilen, die Zeiträume vom 1. April 1940 bis zum 31. März 1942 sowie vom 1. April 1942 bis zum 30. September 1947 als Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen sowie
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3. hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Rentenakte der Beklagten verwiesen. Die Akten sind Gegenstand von Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Über die nach den §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden werden, nachdem sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise zuvor einverstanden erklärt hatten, §§ 124 Abs 2, 153 Abs 1 SGG. Die Berufung war als unbegründet zurückzuweisen.
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Als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin waren die §§ 54 Abs 1 Nr 1, 55 Abs 1 Satz 1, 247 Abs 3 Satz 1 und 271 Satz 1 Nr 1 SGB VI in Betracht zu ziehen. Nach § 55 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Im Übrigen sind es auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. Für die im vorliegenden Verfahren streitigen Zeiträume während der Jahre 1940 bis 1947 ist § 55 SGB VI nicht anzuwenden. Denn die Bestimmung bezieht sich mit der Wendung nach Bundesrecht lediglich auf Beiträge nach Inkrafttreten des Grundgesetzes (am 23. Mai 1949). Einschlägig sind vielmehr die §§ 247 Abs 3 Satz 1, 271 Satz 1 Nr 1 SGB VI. Danach sind Beitragszeiten auch solche Zeiten, für die nach den Reichsversicherungsgesetzen Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Reichsversicherungsgesetz iS des § 247 Abs 3 SGB VI waren in diesem Fall die Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw das AVG in den 1940 bis 1947 geltenden Fassungen, abgelöst seit dem 1. Januar 1992 durch das SGB VI. Es muss sich jeweils um Beiträge nach gesetzlichen Vorschriften der Rentenversicherung gehandelt haben. Erfasst ist das Gebiet des früheren deutschen Reiches nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 (vgl Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, §§ 1250 RVO/27 AVG, Anm 5).
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Für den ersten Teil des streitigen Zeitraumes, also die Zeit von April 1940 bis März 1942, wurden ausweislich der zum Vorgang gelangten Quittungskarten Pflichtbeiträge für eine abhängige Beschäftigung entrichtet. Ob dies wie von der Klägerin behauptet auch für die weitere Zeit von April 1942 bis September 1947 zutraf, brauchte nicht entschieden zu werden. Insoweit war lediglich darauf hinzuweisen, dass zwar die Glaubhaftmachung ausreicht (vgl Eicher/Haase/Rauschenbach, aaO, §§ 1258 RVO/35 AVG Anm 3), dass hier jedoch hinsichtlich der Versicherungspflicht und darüber hinaus bereits hinsichtlich des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses für die Zeiträume bis zum 14. Januar 1943 bzw nach dem 10. Juli 1946 Zweifel bestehen.
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Die Frage nach dem Nachweis bzw der Glaubhaftmachung der streitigen Teilzeiträume konnte deshalb offen bleiben, weil auch die für die Klägerin positive Variante im Ergebnis zur Abweisung des Antrages führt. Denn wenn ihr Antrag nicht schon daran scheitert, dass die Beitragsleistungen nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden sind, steht ihm jedenfalls die mit Bescheid der Beklagten vom 11. September 1959 durchgeführte Heiratserstattung entgegen. Dieser Vorgang hatte nicht nur die Rückzahlung der Arbeitnehmeranteile an den Beiträgen für die Jahre 1950 bis 1959 in Höhe von 1.690,30 DM zur Folge, vielmehr wurde das bis dahin bestehende Versicherungsverhältnis insgesamt aufgelöst, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass lediglich die nach der Währungsreform (20. Juni 1948) entrichteten Beiträge überhaupt erstattungsfähig waren.
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Der Vorgang der Beitragserstattung richtete sich dabei nach § 83 Abs 1, Abs 3 AVG iVm § 82 Abs 7 AVG, jeweils idF des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten AnVNG - (vom 23. Februar 1957, Bundesgesetzblatt I Seite 88). Danach wurden einer Versicherten auf Antrag die Hälfte der Beiträge erstattet, die für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 im Bundesgebiet oder für die Zeit nach dem 24. Juni 1948 im Land Berlin bis zum Ende des Monats entrichtet worden waren, in dem der Antrag gestellt wurde. Die Erstattung hatte zur Folge, dass weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten nicht mehr geltend gemacht werden konnten, § 82 Abs 7 AVG aF. In der Angestelltenversicherung bestand die Möglichkeit der Beitragserstattung aus Anlass der Heirat bereits seit 1913. Sie war bis Ende 1967 zulässig (vgl zur Rechtsentwicklung Eicher/Haase/Rauschenbach, aaO §§ 28 ArVNG/27 AnVNG Anm 4). Die Heiratserstattung war Ausdruck der herkömmlichen Aufgabenteilung der Eheleute, nach der der Ehemann erwerbstätig war, während sich die Ehefrau der Kindererziehung widmete. Abgeschafft wurde sie im Zuge des wachsenden Wohlstandes, der das Bedürfnis nach einem Startkapital für die Ehe schwinden ließ. Sozialpolitisch bedeutsam war dabei gleichzeitig, dass mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit und eigenständigen Alterssicherung der Frauen negative und zur Zeit der Eheschließung noch nicht abgeschätzte Auswirkungen in Gestalt erheblicher Beitragslücken bedeutsam wurden. Der Gesetzgeber hat sich im Zuge der dem AnVNG von 1957 nachfolgenden Rentenreformen jedoch nicht veranlasst gesehen, die in § 82 Abs 7 AVG festgelegte Verfallswirkung der bis zur Heiratserstattung zurückgelegten Versicherungszeiten aufzuheben (vgl BSG SozR 2200 § 1303 RVO Nr 18).
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Hintergrund der auch die nicht erstatteten Beiträge umfassenden Verfallswirkung war die rechtliche Konstruktion, nach der das bisherige Versicherungsverhältnis aufgelöst wurde. Das ist heute ausdrücklich in § 210 Abs 6 Satz 2 SGB VI geregelt, gilt jedoch auch im bisherigen Recht der Beitragserstattung (vgl Finke in: Hauck/Haines, Kommentar zum SGB VI, Bd II, K § 210 SGB VI Anm 20).
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Die Verfallswirkung nach § 82 Abs 7 AVG aF verstieß nicht gegen Verfassungsrecht. Der Stichtag der Währungsumstellung im Jahre 1948 bot einen sachlichen Anknüpfungspunkt für die zeitliche Reichweite des Verfalls. Eine Umstellung musste auch nicht anteilig, etwa im Verhältnis 10 : 1 stattfinden. Die Verfallswirkung führte weder zu einer verfassungswidrigen entschädigungslosen Enteignung, Art 14 Abs 3 Grundgesetz (GG), noch wurde die Klägerin in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 GG verletzt. Entscheidend gegen einen Verfassungsverstoß spricht die Grundkonzeption des Gesetzgebers, nach der die von der Klägerin im nachhinein als ungünstig angesehenen Rechtsfolgen nicht im Wege eines Eingriffs, sondern im Wege des von ihr selbst freiwillig ausgeübten Gestaltungsrechts eintraten. Dem Gesetzgeber von 1957 konnte nicht verwehrt sein, angesichts der damaligen - inzwischen überkommenen Rollenverteilung in der Ehe (Ehemann Alleinverdiener, die Ehefrau widmete sich Kindern und Haushalt) weiblichen Versicherten zu ermöglichen, sich für die Zukunft aus dem Versicherungsverhältnis zu lösen. Es widersprach nicht der damaligen sozialpolitischen Zielsetzung, wenn je nach bisheriger Versicherungsdauer die Auswirkungen des Verfalls der zurückgelegten Versicherungszeiten unterschiedlich groß waren (BverfG, Beschluss vom 16. Juni 1981, SozR 2200 § 1303 RVO Nr 19; BSG SozR 2200 § 1303 RVO Nr 18 mit dem Hinweis auf die unterschriftliche Versicherung der Klägerin des dortigen Parallelfalls, ihr sei bekannt, dass die Erstattung weitere Ansprüche aus allen bisher zurückgelegten Versicherungszeiten ausschließe, in Kenntnis des Umstandes, dass sich die Heiratserstattung auf die für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 entrichteten Beiträge beschränke). Der mit dem Verfall verbundene Nachteil war den betroffenen Frauen zuzumuten.
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Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
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Es hat kein gesetzlicher Grund vorgelegen, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).
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