Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (4. Senat) - L 4 KR 204/00
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. Juni 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 15. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1999 werden geändert.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 29. November 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger hinsichtlich der Behandlungen vom 14. bis 28. September 1999 und vom 28. März bis 11. April 2000 neu zu bescheiden.
Im Übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu einem Viertel zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
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Der Rechtsstreit betrifft die Kostenübernahme für die Behandlung nach der Methode Dr. K in der Ukraine.
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Der ... 1978 geborene Kläger ist freiwillig versichertes Mitglied der Beklagten. Er wurde in der 28. Schwangerschaftswoche mit deutlichem Untergewicht geboren. Er leidet an Infantiler Zerebralparese (ICP) mit Bewegungsstörungen im Sinne einer spastischen Tetraplegie und einer massiven statomotorischen Retardierung. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100; zu seinen Gunsten sind die Nachteilsausgleiche "aG", "H" und "RF" festgestellt.
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Vom 29. November bis 11. Dezember 1993 wurde der Kläger erstmals im Institut Dr. K in der Ukraine behandelt. Eine zweite Behandlung erfolgte vom 28. März bis 9. April 1994. Die Beklagte lehnte die Übernahme der entstandenen Kosten für beide Behandlungen ab. Der Kläger erhob hiergegen Klage, die das Sozialgericht Stade (SG) mit Gerichtsbescheid vom 23. Mai 1995 abwies (S 1 Kr 51/94). Die Berufung war hinsichtlich des ersten Behandlungszeitraums wegen verspäteter Antragstellung erfolglos. Hinsichtlich der Behandlung vom 28. März bis 9. April 1994 verurteilte der erkennende Senat die Beklagte, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Im Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen (Landessozialgericht – LSG – Niedersachsen, Urteil vom 17. Juni 1998 – L 4 KR 82/95). Die hiergegen von der Beklagten erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) war erfolglos (Beschluss vom 24. Februar 1999 – B 1 KR 36/98 B). Die Beklagte übernahm daraufhin für den zweiten Behandlungszeitraum vom 28. März bis 9. April 1994 die angefallenen Behandlungs-, Sanatoriums- und Reisekosten in Höhe von insgesamt 8.874,00 DM.
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Inzwischen hatte sich der Kläger erneut in der Zeit vom 16. bis 30. Oktober 1994 in die Behandlung bei Dr. K begeben. Den diesbezüglichen Antrag auf Kostenübernahme lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. November 1994 ab. Hiergegen hat der Kläger am 20. April 1995 Klage vor dem SG Stade erhoben (S 1 Kr 39/95). Auf Antrag der Beteiligten hat das SG das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Es hat das Verfahren am 6. Mai 1999 unter dem Aktenzeichen: S 1 KR 77/99 WA fortgeführt.
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Während dessen hat sich der Kläger wiederholt im Institut Dr. K behandeln lassen, und zwar vom 1. bis 15. Oktober 1995, vom 22. Juni bis 7. Juli 1996, vom 16. bis 30. März 1997, vom 9. bis 23. Oktober 1997, vom 26. Mai bis 9. Juni 1998, vom 15. bis 29. März 1999 und vom 14. bis 28. September 1999. Die Anträge auf Kostenübernahme hat die Beklagte mit Bescheiden vom 15. November 1994, 11. September 1995, 6. Februar 1996, 7. April 1999, 15. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1999 abgelehnt. Die Bescheide sind nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens (S 1 KR 77/99 WA) geworden.
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Mit Urteil vom 26. Juni 2000 (S 1 KR 77/99 WA) hat das SG die Klage auf Aufhebung der Bescheide der Beklagten und Übernahme der Behandlungskosten für sämtliche Zeiträume abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf Kostenübernahme nach § 18 Abs. 1 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe nicht. Denn die Therapie Dr. K entspreche nicht dem allgemein anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse. Es lägen zwar Berichte über Behandlungserfolge im Einzelnen vor. Jedoch sei die Erfolgsrate mangels vergleichender Effektivitätsstudien nicht objektivierbar. Hiergegen hat der Kläger am 20. September 2000 Berufung beim LSG eingelegt (L 4 KR 204/00).
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Zuvor hatte sich der Kläger in der Zeit vom 28. März bis 11. April 2000 wiederum bei Dr. K behandeln lassen. Auch für diese Behandlung lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab (Bescheid vom 29. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000). Die hiergegen am 15. August 2000 erhobene Klage (S 1 KR 113/00) hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2000 abgewiesen. Gegen diesen ihm am 9. Dezember 1999 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 7. Januar 2001 Berufung eingelegt (L 4 KR 2/01).
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Mit Beschluss vom 12. Februar 2001 hat der Senat das Verfahren: L 4 KR 2/01 mit dem Verfahren: L 4 KR 204/00 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen: L 4 KR 204/00 verbunden.
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Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Kläger zahlreiche Unterlagen zu den Akten gereicht. Er meint, dass sich das SG zur Begründung seiner Ansicht zu Unrecht auf das Urteil des BSG vom 16. Juni 1999 bezogen habe. Denn das Urteil des BSG vom 16. Juni 1999 sei in seinem Fall nicht einschlägig. Es stütze sich auf eine Beweiserhebung in einem vom LSG Schleswig Holstein entschiedenen Verfahren. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 SGB V lägen vor. Die Methode Dr. K sei medizinisch allgemein anerkannt. In Deutschland stünden für ihn – den Kläger – keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat sich die Beklagte bereit erklärt, die Kosten der dritten Behandlung des Klägers bei Dr. K in der Zeit vom 16. bis 30. Oktober 1994 zu übernehmen, weil sie bezüglich dieser Behandlung eine schriftliche Zusage erteilt habe. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
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Der Kläger beantragt,
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1. das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 26. Juni 2000 und den Gerichtsbescheid vom 29. November 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 11. September 1995, 6. Februar 1996, 7. April 1999, 15. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2000 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verurteilen, die aus Anlass der ärztlichen Behandlung durch Dr. Kozijavkin während der Zeiträume vom 1. bis 15. Oktober 1995, vom 22. Juni bis 7. Juli 1996, vom 16. bis 30. März 1997, vom 9. bis 23. Oktober 1997, vom 26. Mai bis 9. Juni 1998, vom 15. bis 29. März 1999, vom 14. bis 28. September 1999 und vom 28. März bis 11. April 2000 entstandenen Kosten zu erstatten,
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3. hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufungen zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.
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Der Senat hat im Parallelverfahren vor dem LSG Niedersachsen-Bremen: L 4 KR 46/01 Gutachten eingeholt und in das vorliegende Verfahren eingeführt. Es handelt sich um das Gutachten des Chefarztes der Städtischen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin B und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin e.V. Prof. Dr. M vom 8. April 2002, um das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Manuelle Therapie e.V. in H Dr. H vom 24. Mai 2002 und um das Gutachten des Ärztlichen Direktors im Kinderzentrum M und Vorstands des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der L-Universität M Prof. Dr. Dr. von V vom 6. August 2002 jeweils nebst Anlagen.
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Zahlreiche vom Kläger überreichte Unterlagen und die Verwaltungsakten der Beklagten haben mit den Prozessakten vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf diese Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufungen des Klägers sind zulässig.
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Sie sind teilweise begründet.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Übernahme der Kosten zu, die anlässlich seiner Behandlung durch Dr. K in der Ukraine entstanden sind. Er hat aber Anspruch auf Neubescheidung, und zwar nur hinsichtlich seiner beiden Behandlungen im September 1999 und im März/April 2000.
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Ein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme ergibt sich nicht aus zwischenstaatlichem Recht. Denn zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Ukraine bestehen keine Vereinbarungen über die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen.
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Es besteht auch kein Anspruch auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme nach deutschem Recht.
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Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit Europäischem Gemeinschaftsrecht ruht ein Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung, solange sich ein Versicherter im Ausland aufhält, das nicht zum Vertragsgebiet der Europäischen Union (EU) gehört. Die Ukraine ist kein Mitgliedsstaat der EU. Ansprüche des Klägers nach dem SGB V haben während seiner Aufenthalte in der Ukraine daher grundsätzlich geruht.
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Eine Ausnahme hiervon besteht für den Anspruch des Klägers auf Verurteilung der Beklagten zur Kostenübernahme nicht. Zwar hat der Gesetzgeber in § 18 SGB V von dem grundsätzlichen Ruhen eines Leistungsanspruches bei Auslandsaufenthalt Ausnahmen vorgesehen. § 18 SGB V gewährt jedoch lediglich Ermessensleistungen. Der Kläger hat daher keinen Rechtsanspruch auf Leistungsgewährung.
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Er hat nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V lediglich einen Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte. Dieser Anspruch besteht allerdings nicht für sämtliche streitbefangenen Behandlungen des Klägers. Ein Neubescheidungsanspruch ist lediglich für die Behandlungen in der Zeit vom 14. bis 28. September 1999 und vom 28. März bis 11. April 2000, nicht aber für die Behandlungen von Oktober 1995 bis März 1999 begründet.
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Die Frage, ob die Methode Dr. K die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfüllt, war bereits Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14. Februar 2001 (B 1 KR 29/00 R in SozR 3-2500 § 18 Nr. 6) entschieden, dass die Behandlungsmethode Dr. K bis einschließlich August 1999 nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V entsprochen hat. Nach Ansicht des BSG war die Methode bis zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich nicht anerkannt. Das Therapiekonzept von Dr. K sei in den seinerzeit verfügbaren Äußerungen deutscher Wissenschaftler und sozialpädiatrischer Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt worden. Das könne sich jedoch geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept Dr. K und die mit dieser Methode erzielten Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September 1999 einem Fachpublikum vorgestellt und veröffentlicht worden seien. Damit ist höchstrichterlich entschieden, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für Behandlungen bei Dr. Kozijavkin bis August 1999 nicht erfüllt sind. Der Kläger hat daher für seine Behandlungen bis März 1999 keinen Anspruch auf Neubescheidung.
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Ihm steht aber ein Anspruch auf Neubescheidung nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V für die Behandlungen vom 14. bis 28. September 1999 und vom 28. März bis 11. April 2000 zu.
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Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung im Ausland ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland möglich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, kann die Krankenkasse darüber hinaus weitere Kosten für den Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder teilweise übernehmen (§ 18 Abs. 2 SGB V). Nach der Rechtsprechung des BSG entspricht eine Behandlungsmethode dann dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse, wenn sie nicht nur von einzelnen Ärzten, sondern von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, also von Ärzten und Wissenschaftlern, befürwortet wird. Von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen muss über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens bestehen (BSG, Urteil vom 14. Februar 2001, aaO). Dem schließt sich der erkennende Senat grundsätzlich an.
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Die Methode Dr. K entspricht ab September 1999 dem allgemein anerkannten Stand der medizinischer Erkenntnisse im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V.
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Aufgrund des Gutachtens des Ärztlichen Direktors im Kinderzentrum M und Vorstands des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität M Prof. Dr. Dr. von V vom 6. August 2002 und des Gutachtens des Chefarztes der Klinik für Manuelle Therapie e.V. in H Dr. H vom 22. April 2002 hat der Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Behandlungsmethode Dr. K von der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute, insbesondere von Ärzten und Krankengymnasten, befürwortet wird. Der gegenteiligen Ansicht im Gutachten des Chefarztes der Städtischen Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in B und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin e.V. Prof. Dr. M vom 8. April 2002 vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
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Die Therapie Dr. K ist eine Methode zur Behandlung der ICP. Die Folgen dieser Erkrankung können gravierend und progredient sein, z.B. spastische Lähmungen, pathologische Mitbewegung, Synergien, Intelligenzminderung, Verzögerung der Sprachentwicklung, Seh- und Sensibilitätsstörungen (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl. 2002, S. 1813 f.) Wie der Sachverständige Prof. Dr. Dr. von V in seinem Gutachten überzeugend dargestellt hat, fehlen eindeutige Kenntnisse zur Grundproblematik, insbesondere zu den Ursachen der ICP. Es wird angenommen – so der Sachverständige –, dass die ICP durch eine Schädigung der kindlichen Entwicklung in einer sehr frühen Phase (vor allem intrauterin) verursacht wird. Während bislang angenommen wurde, dass ausschließlich das Gehirn der Ort der Schädigung ist, richtet sich das Interesse zunehmend auf das Rückenmark, weil z.B. Mikrozirkulationsstörungen, Sauerstoffunterversorgung, Azidose nicht nur das Zentralnervensystem, sondern auch das Rückenmark schädigen können.
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Da die Ursachen der ICP nicht eindeutig bekannt sind, ist eine Behandlung der Patienten mit ICP schwierig. In der Vergangenheit wurden vor allem Krankengymnastik nach Vojta und nach Bobath sowie Ergotherapie angewandt. Inzwischen ist neben der Konduktiven Förderung nach Petö auch die Methode Dr. K hinzugekommen, wie der Sachverständige Prof. Dr. Dr. von V ausführt. Für keine der genannten Methoden liegen nach den Bekundungen des Sachverständigen Langzeit- oder Effektivitätsstudien vor. Gleichwohl sind die Krankengymnastik nach Vojta und nach Bobath sowie die Ergotherapie in der Fachwelt seit langem allgemein anerkannt. Sie werden auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung gewährt.
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Die Methode Dr. K beruht auf einem multimodalen Behandlungskonzept. Therapieelemente sind nach Prof. Dr. Dr. von V vor allem: die Manualtherapie mit der Wirbelsäulen-Deblockierung (im Gegensatz zur Rotation der klassischen Manualtherapie nicht nach ventral vorn, sondern in der Rotation nach dorsal über den obersten Punkt des vorderen knöchernen Beckenhöhepunktes); die Gelenktherapie mit dem Ziel der Lockerung von Versteifungen und Verkürzungen durch Fibrillieren; die Reflextherapie zur Aufhebung von Muskelverhärtungen und Versteifungen, zur besseren Durchblutung etc.; die Krankengymnastik für die Entwicklung eines eigenen Modus von Körperkontrolle und Fortbewegung; die Massage mit dem Ziel der Verbesserung von Muskel(ver)spannungen; die Musiktherapie zur Koordination und Synchronität der eigenen Bewegung etc. und die Bienenwachstherapie.
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Aufgrund der Beweiserhebung hat der erkennende Senat die Überzeugung gewonnen, dass die Methode Dr. K inzwischen von der Mehrheit der Fachleute befürwortet wird, weil sie für die Behandlung der Folgen der ICP zweckmäßig und wirksam ist.
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Die Akzeptanz der Methode Dr. K in der Fachwelt, bei Ärzten und Ärztinnen sowie bei Krankengymnasten und Krankengymnastinnen ist kontinuierlich gestiegen. Sie nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu. Das haben die Sachverständigen Prof. Dr. Dr. von V und Dr. H übereinstimmend, überzeugend und glaubhaft bekundet. Grund für die Akzeptanz sind die deutlichen Behandlungserfolge der Methode, die bei einem Großteil der Patienten zu verzeichnen sind. Mit der Therapie Dr. K und den positiven Ergebnissen ist – so Prof. Dr. Dr. von V – endlich Bewegung in die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ICP gekommen. Prof. Dr. Dr. von V stützt seine Bekundung auf eigene Erhebungsdaten. Der Sachverständige Dr. H verweist für die Akzeptanz der Methode Dr. K bzw. der manualtherapeutisch-reflektorischen Behandlung bei ICP auf Kongresse in Deutschland und in der Schweiz, auf Veröffentlichungen der Deutschen Gesellschaft für Manuelle Medizin und auf eine Studie der Klinik für Manuelle Therapie, H in Zusammenarbeit mit der Universität M. Beide Sachverständigen befürworten in ihren Gutachten das Behandlungskonzept Dr. K auch persönlich, weil sie festgestellt haben, dass zahlreiche Patienten nach der Behandlung bei Dr. K erstmals in der Lage waren, aus dem Rollstuhl aufzustehen, sich mit den Beinen fortzubewegen, die Hände zu öffnen, sich sogar selbst zu versorgen. Der Senat misst der Akzeptanz der Methode Dr. K gerade durch diese beiden Sachverständigen, Prof. Dr. Dr. von V und Dr. H hohes Gewicht bei. Denn beide Sachverständige sind Chefärzte renommierter großer Kliniken für die Behandlung cerebralgeschädigter Kinder und Jugendlicher. Sie sind angesehene, führende Fachleute auf dem Gebiet der Behandlung der ICP, Prof. Dr. Dr. von V in seiner Funktion als Ärztlicher Direktor im Kinderzentrum M und als Vorstand des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität M und Dr. H als Chefarzt der Klinik für Manuelle Therapie e.V. in H.
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Die überwiegende Akzeptanz der Methode Dr. K in der Fachwelt ist für den Senat uneingeschränkt nachvollziehbar und plausibel. Das Behandlungsteam Dr. K hat eine Analyse seiner Behandlungsdaten erstellt, die 12.265 Kinder und Jugendliche mit ICP erfasst. Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. von V hat hierzu im Einzelnen Stellung genommen. Er betont, dass die Behandlungsdaten-Analyse die Wirksamkeit der Methode Dr. K nicht nur erkennbar macht, sondern sie auch glaubhaft darstellt. Zu den Angaben im Einzelnen führt Prof. Dr. Dr. von V aus, dass bei 94 % der untersuchten 10.793 Patienten von einer Verringerung des spastischen Muskeltonus berichtet wird. Die Veränderung der Beweglichkeit der Großgelenke verbesserte sich aktiv bei 91 % und passiv bei 84 % der behandelten Patienten. 75 % der Patienten (von 12.265) gelang es, eine Kopfkontrolle zu erlernen, 62 % lernten das Sitzen, 41 % zu stehen, 28 % zu krabbeln und 19 % das freie Laufen. Bei 87 % der Patienten verbesserte sich die Handöffnung. Hinsichtlich der Wirkungsdauer dieser Effekte konnte bei 47 % der hierzu befragten 7.722 Patienten (von insgesamt 12.265) eine andauernde Verbesserung der erreichten motorischen Fortschritte festgestellt werden. Bei 45 % trat eine Verbesserung der Funktion zu einzelnen motorischen Fähigkeiten ein. Bei allen untersuchten Kindern kam es außerdem zu einem gewissen Anstieg des Intelligenzquotienten.
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Wie Prof. Dr. Dr. von V überzeugend betont, werden durch diese langjährigen ärztlichen Erfahrungen die deutlichen Behandlungserfolge der Methode Dr. K eindrucksvoll belegt. Die guten Behandlungserfolge sind um so höher zu bewerten, als es sich bei den Patienten zumeist um schwerstbehinderte Kinder und Jugendliche handelt, für die überhaupt nur wenige nachhaltige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Durch die Methode Dr. K wird die Entwicklung bei einer großen Zahl dieser Patienten entscheidend positiv beeinflusst. Viele der Patienten können – so Prof. Dr. Dr. von V – durch die Methode Dr. K zum ersten Mal elementare menschliche Grundfähigkeiten erlernen, wie z.B. das Kopfheben, das Greifen, das Stehen, das Gehen (s.o.). Damit eröffnen sich für diese Patienten neue und gute Perspektiven. Sie erhalten die Chance auf eine bessere und würdigere Gestaltung ihres Lebens. Zugleich wird damit die Solidargemeinschaft der Versicherten entlastet, weil viele der Patienten in geringerem Umfang als vorher auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung angewiesen sind.
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Für die Feststellung des Senats, dass die Methode nach Dr. K inzwischen dem medizinischen Standard entspricht, ist es unerheblich, dass der Sachverständige Prof. Dr. M meint, die Gruppe der Neuropädiater befürworte die Methode nicht. Denn Prof. Dr. M stützt sein kurzes Gutachten auf eine Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädiatrie ("Behandlung motorischer Störungen mit manueller Therapie" in der Monatsschrift Kinderheilkunde 1999, 696 ff.). In dieser Stellungnahme jedoch hat sich die Gesellschaft für Neuropädiatrie zur allgemeinen Akzeptanz der Methode Dr. K nicht geäußert. Die Stellungnahme gibt zunächst die positiven Behandlungserfolge der Methode Dr. K wieder. Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse äußert die Stellungnahme nicht, sondern lehnt die Methode Dr. K lediglich deshalb ab, weil die Evaluation der von Dr. K vorgelegten Behandlungsergebnisse jeglichen statistisch-wissenschaftlichen Standards entbehre. Allein dieser Umstand besagt jedoch nichts über die allgemeine Akzeptanz der Behandlungsmethode. Die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode kann nicht nur durch Studien, sondern auch durch Expertenwissen oder klinische Erfahrung belegt werden. Wäre das nicht der Fall, so müsste in der gesetzlichen Krankenversicherung auch auf eine Anwendung der Methoden nach Vojta und Bobath sowie der Ergotherapie verzichtet werden, weil auch für sie keine entsprechenden Studien vorliegen.
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Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V liegen schließlich auch insoweit vor, als die Behandlung mit der Methode Dr. K nur im Ausland möglich ist. Das folgt aus der Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. von V. Er hat überzeugend ausgeführt, dass in Deutschland kein multimodales Behandlungskonzept besteht, das mit der Methode Dr. K in vollem Umfange vergleichbar ist. Zwar bietet das Kinderzentrum München teilmodale Behandlungsblöcke für die ICP an. Sie umfassen jedoch andere Techniken als die Methode Dr. K.
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Ähnliches gilt für andere Behandlungszentren in Deutschland. Der Sachverständige Dr. H weist darauf hin, dass in seiner Klinik für Manuelle Therapie in H zwar ein ähnliches, doch nicht in vollem Umfang gleiches Konzept angewendet wird wie bei Dr. K Hinzu kommt nach der Bekundung von Dr. H dass diese alternativen Behandlungsmöglichkeiten im Bundesgebiet nur spärlich vorhanden sind. Allein in seiner Klinik bestehen Wartezeiten von mehr als einem Jahr, so dass er seine Patienten immer wieder auf die Behandlungsmöglichkeit bei Dr. K verweist, um keine wichtigen Zeiträume in der Entwicklung der Kinder verstreichen zu lassen.
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Der Kläger war schließlich auch berechtigt, die Methode Dr. K noch im September 1999 und März/April 2000 in Anspruch zu nehmen. Zwar war er zu dieser Zeit bereits 21 Jahre alt und gehörte im chronologischen Sinne nicht mehr zu dem Kreis der Kinder und Jugendlichen. Für eine ärztliche Behandlung jedoch ist nicht das Lebensalter, sondern das Entwicklungsalter entscheidend. Die Entwicklung des Klägers jedoch ist infolge der schweren ICP massiv verzögert.
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Der Tatbestand des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist somit erfüllt. Die Rechtsfolge einer Kostenübernahme steht nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V im Ermessen der Beklagten, wie der Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V "kann" belegt. Die Beklagte war daher zur Neubescheidung des Antrages des Klägers auf Übernahme der Behandlungs- und Begleitkosten (§ 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V) für die Behandlung des Klägers bei Dr. K im September 1999 und März/April 2000 zu verurteilen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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