Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (6. Senat) - L 6 U 398/03
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 6. November 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt die Überprüfung des bestandskräftigen Bescheides vom 4. Juni 1996, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, als Folge des Arbeitsunfalls, den der Kläger am 18. Januar 1996 erlitt, einen Kahnbeinbruch rechts festzustellen und ihm Verletztenrente zu zahlen.
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Der 1944 geborene Kläger verletzte sich am 18. Januar 1996 die rechte Hand, als sich beim Bohren in einem Sichtmauerwerk die Bohrmaschine verkantete, umschlug und dabei die rechte Hand mitriss (Unfallanzeige vom 19. Januar 1996, Unfallschilderung des Klägers vom 22. März 1996). Dr. C., den der Kläger noch am selben Tag aufsuchte, diagnostizierte eine Kapselzerrung des Handgelenks und eine Kapselbandzerrung des rechten Mittelfingermittelgelenks. Des Weiteren hielt er im Durchgangsarztbericht vom 19. Januar 1996 fest, dass die röntgenologische Untersuchung keine knöchernen Verletzungen und keine knöchernen Bandausrisse ergeben habe. Im Nachschaubericht vom 24. Januar 1996 vermerkte Dr. C. rückläufige Schmerzen und Schwellung. Es bestehe noch eine endgradige Bewegungseinschränkung des Handgelenks und eine endgradig schmerzbedingt eingeschränkte Beweglichkeit des Mittelgelenks des Mittelfingers. Dr. C. hielt den Kläger weiter für arbeitsunfähig und eine Nachschau erforderlich am 22. Februar 1996, sofern dann noch Arbeitsunfähigkeit vorliege. Sein Kollege Dr. D. untersuchte den Kläger an diesem Tag, der über „wahnsinnige Schmerzen“ im rechten Handgelenk berichtete. Dr. D. vermerkte im Nachschaubericht vom 23. Februar 1996 eine geringe Schwellung des Mittelgelenks des dritten Fingers, dessen Beugefähigkeit endgradig eingeschränkt gewesen sei. Der Kapsel-Bandapparat sei fest. Das Handgelenk sei gegenüber links in der Beweglichkeit endgradig eingeschränkt. Die Schmerzangabe sei diffus und auch im Bereich des Karpaltunnels. Dr. D. hielt die Ruptur des Seitenbandes am Mittelgelenk des Mittelfingers für ausgeheilt, die geringe Schwellung im Bereich des Gelenks sowie die endgradige Bewegungseinschränkung könnten noch eine zeitlang bestehen. Die Beschwerden des Klägers seien am ehesten auf ein unfallunabhängiges Karpaltunnelsyndrom zurückzuführen. Die Überweisung zu einem Neurologen habe der Kläger abgelehnt. Er könne so nicht arbeiten und wolle einen anderen Arzt aufsuchen. Dr. D. beendete das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren, die weitere Heilbehandlung solle zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt werden (vgl. auch die Mitteilung vom 27. Februar 1996). Daraufhin begab sich der Kläger noch am selben Tag zu seinem Hausarzt, der seine unmittelbare Vorstellung in der chirurgischen Abteilung des E. veranlasste (Nachschauberichte vom 23. und 29. Februar 1996). Des Weiteren bemängelte der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten gegenüber der Beklagten die Behandlung durch Dr. D., die er für oberflächlich hielt und führte in dem Schreiben vom 28. Februar 1996 aus, dass er bereits in zwei anderen Unfallangelegenheiten mit der Arbeit der von der Beklagten gestellten Ärzte nicht einverstanden gewesen sei, die im Anfangsstadium falsche Diagnosen gestellt und Verletzungen nicht als durch die Unfälle verursacht angesehen hätten. Daraufhin bat die Beklagte den Oberarzt der chirurgischen Abteilung des E. Dr. F., den Kläger in die besondere Heilbehandlung zu übernehmen und die Diagnose eines unfallunabhängigen Karpaltunnelsyndroms zu prüfen (Schreiben vom 14. März 1996).
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Im Nachschaubericht vom 14. März 1996 informierte Dr. F. darüber, dass klinisch „kein eindeutiges Karpaltunnelsyndrom“ bestehe. Die Diagnose müsse von einem Facharzt für Neurologie gestellt werden. Ein Karpaltunnelsyndrom sei unfallunabhängig, zumal der Kläger angegeben habe, dass diese Diagnose bereits vor mehreren Jahren gestellt worden sei (vgl. auch das Schreiben des Klägers vom 20. Januar 1997). Auf Veranlassung seines Hausarztes suchte der Kläger am 4. April 1996 den Facharzt für Orthopädie Dr. G. auf, der den Kläger in die Abteilung für plastische Chirurgie und Handchirurgie des H. überwies (Arztbrief vom 9. April 1996). Chefarzt Dr. I. bestätigte in der Stellungnahme vom 16. April 1996 die Beurteilung des Dr. D. und wies darauf hin, dass eine neurologische Konsiliaruntersuchung durch Dr. J. ein manifestes Karpaltunnelsyndrom mit deutlichen neurographischen Veränderungen ergeben habe (vgl. den Arztbrief vom 14. Juni 1996). Eine vorübergehende Verschlimmerung aufgrund der infolge der Distorsion aufgetretenen vorübergehenden Schwellung im Handgelenksbereich sei wahrscheinlich. Mit dem Abklingen der Handgelenksschwellung sei auch die zusätzliche unfallbedingte Druckirritation des Nervus medianus abgeklungen. An Unfallfolgen seien noch nachweisbar eine geringe Seitenbandlockerung am Mittelfingermittelgelenk, eine endgradige Bewegungseinschränkung des Mittel- und Endgelenks dieses Fingers und eine endgradige Bewegungseinschränkung des Handgelenks. Anschließend begab sich der Kläger in die Abteilung für Unfallchirurgie des Kreiskrankenhauses Ammerland. Dr. K. sah auf den am 30. April 1996 gefertigten Röntgenaufnahmen keinen Knochenverletzungsbefund (Durchgangsarztbericht vom 30. April 1996). Im Zwischenbericht vom 9. Mai 1996 führte er aus, dass die szintigraphische Untersuchung keine frakturverdächtige Mehranreicherung ergeben habe. Die rechte Hand sei klinisch unauffällig. Alle Gelenke seien frei beweglich, der Faustschluss sei komplett. Insgesamt seien Folgen des Arbeitsunfalls nicht mehr nachweisbar. Zur Klärung der vom Kläger angegebenen Beschwerden empfahl er eine handchirurgische Untersuchung im L.. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. Juni 1996 die Zahlung von Verletztenrente ab. Den Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 6. August 1996).
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Der Hausarzt des Klägers veranlasste eine erneute neurologische Untersuchung bei der Ärztin M., die als Ursache der vom Kläger geschilderten Beschwerden ebenfalls ein Karpaltunnelsyndrom und darüber hinaus erhebliche Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule mit Kompression des Myelons bestätigte (Arztbrief vom 26. Juni 1996). Auch der Ltd. Arzt für Handchirurgie und plastische Chirurgie im Evangelischen Krankenhaus Dr. N. teilte diese Beurteilung und hob im Arztbrief vom 23. August 1996 hervor, es bestünden eindeutige Hinweise für ein beidseitiges chronisches Karpaltunnelsyndrom ohne Verbindung zu dem Arbeitsunfall. Des Weiteren führte Dr. O. aus, dass ausführliche Versuche, dem Kläger dieses darzustellen, an Unverständnis oder Unwillen scheiterten. Es sei bedauerlich, dass er aufgrund der Haltung des Klägers eine Operation ablehnen müsse. Er habe dem Kläger geraten, sich bei einem anderen Handchirurgen vorzustellen. Am 23. September 1996 erfolgte die Spaltung des fibrotisch verhärteten Karpalkanals durch den Durchgangsarzt Dr. P.. Dr. O. wies im Arztbrief vom 27. September 1996 darauf hin, dass die auf Wunsch des Klägers vorgenommene histologische Untersuchung einen Unfallzusammenhang nicht bestätigt habe (histologischer Bericht des Pathologischen Instituts Q. vom 26. September 1996). Im Dezember 1996 suchte der Kläger die Klinik für Hand- und rekonstruktive Chirurgie der R. auf. Auf den Röntgenaufnahmen vom 30. April und 11. Dezember 1996 sah Dr. S. Zeichen einer Knochenverletzung und bat die Beklagte, ihm die Akten und Röntgenbilder zur Verfügung zu stellen, um den Sachverhalt aufzuklären (Schreiben vom 17. Dezember 1996). Die Röntgenaufnahmen vom 18. Januar 1996 waren nicht mehr auffindbar. Nach Einsichtnahme in die Akten und nach Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 4. und 30. April 1996 vermochte Dr. S. die Diagnose einer Kahnbeinfraktur nicht mehr aufrecht zu erhalten und führte in dem Schreiben vom 25. Februar 1997 aus, dass es sich auf den Röntgenaufnahmen vielmehr um eine anlagebedingte Verformung des Kahnbeins handele, die in der Projektion auch bei den Quartett-Aufnahmen wie eine Pseudarthrose wirke, jedoch nicht einem Knochenbruch entspreche. Entscheidend sei, dass die durchgeführte szintigraphische Untersuchung keine frakturverdächtige Mehranreicherung ergeben habe, die bei einer Fraktur des Kahnbeins in jedem Fall festzustellen gewesen wäre. Des Weiteren belege die Tatsache, dass neurologisch dokumentiert die Veränderung am Medianusnerv auf beiden Seiten aufgetreten sei, eine unfallunabhängige Erkrankung.
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Das Sozialgericht (SG) Aurich hat die Klage gegen den Bescheid vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1996 durch Gerichtsbescheid vom 2. August 1999 abgewiesen, nachdem der - auf Antrag des Klägers gehörte - Sachverständige Prof. Dr. T. im orthopädischen Gutachten vom 24. Juni 1998 eine Kahnbeinfraktur ebenfalls nicht zu bestätigen vermocht hatte. Zusammenfassend führte der Sachverständige aus, dass der Nachweis eines Kahnbeinbruchs durch die konventionelle Röntgendiagnostik wegen der komplexen Formgebung des Kahnbeins außerordentlich schwierig sei. Diagnostischer Goldstandard sei die Szintigraphie des Handgelenks, die bei dem Kläger im Mai 1996 veranlasst worden sei und eine Kahnbeinfraktur oder andere knöcherne Verletzungen im Bereich der rechten Hand ausschließe. Auch die später durchgeführte Kernspintomographie und Computertomographie habe keinen Bruch des Kahnbeins oder Folgen der Handgelenksverletzung vom 18. Januar 1996 im anatomisch-morphologischen Sinne ergeben. Eine knöcherne Verletzung durch den Arbeitsunfall sei nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen. Vielmehr leide der Kläger unter einem Karpaltunnelsyndrom, das von zwei verschiedenen Fachärzten diagnostiziert worden sei. Diese Erkrankung sei unfallunabhängig und chronisch, zumal in der histologischen Untersuchung frische Veränderungen nicht festgestellt worden seien.
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Im November 1999 überreichte Dr. jur. U. der Beklagten das „Sachverständige Privatgutachten“ vom 17. November 1999, in dem er zu dem Ergebnis gelangte, dass eine Kahnbeinfraktur verkannt worden sei, und bat die Beklagte um Überprüfung. Die Beklagte legte das Gutachten dem Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. V. vor, der darin keine neuen Anhaltspunkte zu erkennen vermochte (beratungsärztliche Stellungnahme vom 9. Juli 2000). Daraufhin lehnte die Beklagte die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1996 über die Ablehnung von Verletztenrente und der Anerkennung eines Kahnbeinbruchs als Unfallfolge ab (Bescheid vom 25. Juli 2000). Sie wies darauf hin, dass sie sich ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung der früheren Entscheidung berufen könne, wenn keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgebracht worden seien oder ihre Überprüfung ergeben habe, dass vorgebrachte Gesichtspunkte tatsächlich nicht vorlägen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich gewesen seien. Sämtliche im Verwaltungs- und anschließenden Klageverfahren eingeholten medizinischen Befundberichte und Gutachten bestätigten folgenlos ausgeheilte Verletzungen bei unfallunabhängig bestehendem Karpaltunnelsyndrom ohne Nachweis eines frischen Kahnbeinbruchs. Das Gutachten des Dr. jur. U. trage demgegenüber nicht zur Sachaufklärung bei. Neue Erkenntnisse, dass die bindende Ablehnung unrichtig gewesen sei, würden deshalb nicht vorliegen. Eine nochmalige Sachprüfung werde daher nicht vorgenommen. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2000).
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Dagegen richtet sich die Klage, die der Kläger am 19. Februar 2001 erhoben hat, nachdem er den Widerspruchsbescheid am 16. Februar 2001 erhielt. Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 6. November 2003 abgewiesen.
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Gegen den ihm am 21. November 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22. Dezember 2003 (Montag) Berufung eingelegt. Er hält an seiner Auffassung fest, dass durch die sachverständigen Äußerungen des Dr. U. eine Kahnbeinfraktur nachgewiesen sei, die insbesondere durch den Durchgangsarzt Dr. C. verkannt worden sei. Ein Kahnbeinbruch sei von den Ärzten Dr. W., Dr. X., Dr. Y., Dres. Z. sowie durch Dr. AA. diagnostiziert worden. Schließlich komme es häufig vor, dass sich Ärzte in der Diagnose einer Kahnbeinfraktur täuschten. Dazu hat der Kläger Röntgenaufnahmen eines „Parallelfalls“ vorgelegt.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 6. November 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2000 aufzuheben,
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2. die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme des Bescheides vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1996 wegen eines Kahnbeinbruchs rechts als Folge des Arbeitsunfalls vom 18. Januar 1996 Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen,
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hilfsweise, Prof. Dr. AB., Abteilung Plastische Handchirurgie der AC. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz gutachtlich zu hören.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 6. November 2003 zurückzuweisen.
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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Der medizinische Sachverhalt sei erschöpfend aufgeklärt. Alle zeitnah zum Arbeitsunfall dokumentierten Befunde hätten eine Kahnbeinfraktur ausgeschlossen.
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Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Denn die Beklagte durfte sich ohne nähere Prüfung des Anspruchs auf die Bindungswirkung des die Zahlung von Verletztenrente ablehnenden Bescheides vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1996 berufen.
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Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Vorschrift durchbricht die materielle Bestandskraft (Bindungswirkung, vgl. § 77 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Voraussetzung für die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides ist „einfache Rechtswidrigkeit“ (BSG SozR 2200 § 1251 Nr. 102). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der erkennende Senat folgt, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen, wenn sich im Einzelfall nichts ergibt, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass diese tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (BSGE 63, 33, 35 f.; 88, 75, 79; s. auch Bereiter-Hahn/Mehrtens Gesetzliche Unfallversicherung, § 44 SGB X Anm. 3.1). Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfung auf die vom Antragsteller vorgebrachten Einwände beschränkt ist (BSGE 79, 297, 299). Denn anders als das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht räumt das SGB X bei Ansprüchen auf Sozialleistungen der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und damit vor der Rechtssicherheit ein. Es kennt keine dem § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz vergleichbare Regelung, die es der Behörde erlaubt, ein Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens unter Berufung auf die Bindungswirkung früherer Bescheide abzulehnen, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und der Antragsteller keine neuen Beweismittel vorlegen kann (BSG, Urteil vom 11. November 2003 - B 2 U 32/02 R = NZS 2004, 660 mit krit. Anm. von Friedrich). Wenn die Rechtswidrigkeit des bindenden Bescheides erkannt wird, spielen fehlende neue tatsächliche Argumente keine Rolle (BSG SozR 3-2600 § 243 Nr. 8). Ergeben sich aber im Einzelfall keine Anhaltspunkte für die sachliche Unrichtigkeit des bindenden Verwaltungsakts, so beschränkt sich die Entscheidung auf die vom Antragsteller vorgebrachten Einwände und lässt die Bindungswirkung im Übrigen unberührt (BSGE 79, 297, 299). Die Verwaltung soll nicht durch aussichtslose Anträge, die beliebig oft wiederholt werden könnten, immer wieder zu neuen Sachprüfungen gezwungen werden (BSGE 68, 180, 182; vgl. auch Friedrich, aaO, 263 und Jung, SGb 2002, 1, 2 ff.).
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Unter Beachtung dieser Grundsätze durfte sich die Beklagte ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung des ablehnenden Rentenbescheides berufen. Denn es liegt kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die nach sorgfältiger Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts getroffene Entscheidung rechtswidrig gewesen ist. Auch die vom Kläger vorgetragenen Argumente, insbesondere das „Sachverständige Privatgutachten“ des Juristen Dr. U. aus dem „Institut für Medizinschaden-Begutachtung“ vom 17. November 1999 geben keinen ernst zu nehmenden Hinweis auf eine Rechtswidrigkeit des die Zahlung von Verletztenrente ablehnenden Bescheides der Beklagten.
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Mit dem Bescheid vom 4. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1996 hat die Beklagte es abgelehnt, wegen der Folgen des Arbeitsunfall vom 18. Januar 1996 Verletztenrente zu zahlen. Unabhängig von der Frage einer bei diesem Unfall erlittenen Kahnbeinfraktur besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass aufgrund der Gesundheitsstörung im Bereich der rechten Hand des Klägers die Erwerbsfähigkeit des Klägers in rentenberechtigendem Grad, d.h. um mindestens 20 vom Hundert (v.H.) gemindert ist (§ 56 SGB VII). Schon deshalb durfte sich die Beklagte ohne neue Sachprüfung auf die Bindungswirkung ihres Bescheides berufen. Denn maßgebend für die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist in erster Linie eine Funktionseinschränkung (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, 2.6.1). Auch aus dem vom Kläger überreichten chirurgischen Gutachten der Dres. AD. und AA. vom 6. Dezember 2001 geht keine Funktionseinschränkung hervor, die die Zahlung von Verletztenrente rechtfertigen würde. Zwar war die grobe Kraft der rechten Hand rechts deutlich geringer als links. Der Faustschluss war jedoch vollständig und auch der Spitzgriff konnte mühelos ausgeführt werden. Die Beweglichkeit des rechten Handgelenks war fast frei. Wenn die Hohlhandbeschwielung rechts gegenüber links auch geringer war, waren jedoch auch an dieser Hand Arbeits- und Gebrauchsspuren vorhanden (S. 6 des chirurgischen Gutachtens vom 6. Dezember 2001). Eine wesentliche, die Zahlung von Verletztenrente rechtfertigende Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand auf dem für die Schätzung der MdE maßgebenden gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) besteht somit nicht. Deshalb haben Dres. AD. und AA. die MdE auf unter 20 v.H. geschätzt. Dieser Wert umfasst zudem die Folgen der Karpaltunneloperation und Beschwerden der HWS, die in keinem Zusammenhang zu dem Unfall stehen (S. 8 des chirurgischen Gutachtens vom 6. Dezember 2001).
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Darüber hinaus besteht für die Annahme einer Kahnbeinfraktur kein ernst zu nehmender Hinweis. In der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine Gesundheitsstörung, hier eine Kahnbeinfraktur, als solche voll bewiesen sein. Nur für die Feststellung des Zusammenhangs mit einem Versicherungsfall genügt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit. Dr. jur. U. hat in dem „Sachverständigen Privatgutachten“ vom 17. November 1999 zwar eine Kahnbeinfraktur angenommen. Diese Beurteilung entbehrt jedoch einer nachvollziehbaren Grundlage. Überwiegend hat Dr. jur. U. Literatur zur Anatomie des Kahnbeins zusammengestellt und auf verkannte Kahnbeinfrakturen in anderen Fällen hingewiesen. Allein diese Mitteilung sagt jedoch nichts darüber aus, dass auch beim Kläger eine Kahnbeinfraktur verkannt worden ist. Deshalb musste auch dem Hinweis des Klägers im Berufungsverfahren auf die Diagnosestellung in einem „Parallelfall“ nicht nachgegangen werden. Auch das „Gutachten“ des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Y. vom 27. September 1999, auf das sich Dr. jur. U. stützt, gibt keinen ernst zu nehmenden Hinweis darauf, dass die zuvor mit der Fragestellung beauftragten Fachärzte für Chirurgie und Orthopädie eine Kahnbeinfraktur übersahen. Denn ausweislich der Formulierung des Dr. Y., nach den Röntgenaufnahmen von April 1996 „scheine“ eine Fraktur des rechten Kahnbeins vorzuliegen, hält dieser eine solche Fraktur allenfalls für möglich. Schon den Ausführungen des in der Beurteilung von Handverletzungen erfahrenen Chefarztes der Klinik für Hand- und Rekonstruktive Chirurgie der AE. Dr. S. vom 17. Dezember 1996 und 25. Februar 1997 ist zu entnehmen, dass die Röntgenbilder allenfalls auf den ersten Blick einen solchen Verdacht nahe legen. Bei kritischer Würdigung aller Befunde vermochte Dr. S. die Diagnose einer Kahnbeinfraktur nicht mehr aufrecht zu halten. Seine Beurteilung wird bestätigt durch den dem „Sachverständigen Privatgutachten“ vom 17. November 1999 anliegenden Arztbrief des Radiologen Dr. AF. vom 29. April 1997, in dem eine alte oder neuere Kahnbeinfraktur ausgeschlossen wird. Auch die weiteren vom Kläger im Berufungsverfahren vorgetragenen Argumente führen zu keiner anderen Beurteilung.
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Die Kernspintomographie des rechten Handgelenks vom 15. Januar 1997 hatte bereits der - auf Antrag des Klägers - vom SG gehörte Sachverständige Prof. Dr. T. ausgewertet (S. 14 des orthopädischen Gutachtens vom 25. Mai 1998). Ein sicherer Hinweis auf eine Kahnbeinfraktur ist auch nicht dem Arztbrief des Arztes für Radiologie Dr. X. vom 15. Januar 1997 zu entnehmen. Vielmehr hielt er den Befund lediglich für „vereinbar“ mit einer „eher alten inkompletten Querfraktur im distalen Drittel“, benannte eine Normvariante als Differentialdiagnose und hielt weitere Untersuchungen für erforderlich. Dem radiologischen Arztbrief der Dres. AG. und AH. vom 12. April 2001 ist nur das Fehlen einer Pseudarthrose zu entnehmen, was die Annahme einer Kahnbeinfraktur nicht stützt. Schließlich teilen Dres. AD. und AA. im chirurgischen Gutachten vom 6. Dezember 2001 lediglich mit, ihre gefertigten Röntgenaufnahmen vermittelten „den Eindruck wie nach einem Kahnbeinbruch“. Anschließend erwähnen sie den im Schreiben vom 17. Dezember 1996 durch Dr. S. diagnostizierten Kahnbeinbruch und übernehmen diese Diagnose (S. 7 f. des Gutachtens). Offensichtlich sind ihnen die weiteren sorgfältigen und umfangreichen Ermittlungen nicht bekannt gewesen.
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Insgesamt sind im vorherigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mehrere Fachärzte der Frage kritisch nachgegangen, ob eine Kahnbeinfraktur verkannt wurde. Das haben die Fachärzte übereinstimmend und mit deutlichen Worten verneint (vgl. z.B. S. 16 des orthopädischen Gutachtens vom 25. Mai 1998: eine knöcherne Verletzung ist nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen.). Der Senat verkennt nicht, dass Verletzungen „übersehen“ werden können. Entscheidend ist hier jedoch, dass genau unter dieser Fragestellung im vorherigen Verwaltungs- und Klageverfahren ermittelt wurde. Ausweislich des Ergebnisses dieser Ermittlungen besteht kein vernünftiger Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger an den Folgen eines Kahnbeinbruchs leidet. Im Übrigen hat er - wie ausgeführt - ungeachtet dieser Frage keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente, da seine Erwerbsfähigkeit infolge der Gesundheitsstörung im Bereich der rechten Hand nicht in rentenberechtigendem Grad um mindestens 20 v.H. gemindert ist.
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Schon deshalb war auch dem Antrag nach § 109 SGG nicht nachzugehen. Im Übrigen ist er auch deshalb nicht rechtserheblich, weil die Beklagte zu Recht eine erneute Sachprüfung abgelehnt hat. Schließlich läuft er im Ergebnis darauf hinaus, über ihn Argumente für die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 4. Juni 1996 zu gewinnen. Insgesamt soll der Senat veranlasst werden, „ins Blaue hinein“ zu ermitteln. Dem muss er nicht - auch nicht nach § 109 SGG - nachgehen (BSGE 78, 207, 213; vgl. auch BSGE 77, 140, 144 und BGH NJW-RR- 1995, 722).
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Der Kläger muss akzeptieren, dass ein Kahnbruch nicht vorgelegen hat und dass ihm Verletztenrente nicht zusteht. Würden sich alle Versicherten so uneinsichtig verhalten, wäre letztlich eine geordnete Rechtsprechung auf dem Gebiet der Sozialgerichtsbarkeit ernsthaft in Frage gestellt. Sofern der Kläger ein neues Gerichtsverfahren anstrengen sollte, muss er deshalb damit rechnen, dass ihm die dadurch verursachten Kosten auferlegt werden (§ 192 SGG). Davon hat der Senat zu diesem Zeitpunkt noch einmal abgesehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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Ein gesetzlicher Grund, zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.
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