Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (4. Senat) - L 4 KR 25/01

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Therapiekosten für eine Behandlung nach Dr C..

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Die Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Nach ihren Angaben wurde 1973/1974 die Diagnose Multiple Sklerose (MS) gestellt. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1997, eingegangen bei der Beklagten am 2. Januar 1998, beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für die seit September 1997 durchgeführte Therapie nach Dr C.. Diese besteht vorwiegend aus einer gezielten Diät (linolsäurearme Ernährung) und der Einnahme von „Ernährungsergänzungspräparaten". Erfolge der Therapie stellten sich nach Angaben der Klägerin nach einem halben bis einem Jahr ein. Dem Antrag fügte die Klägerin ua die Stellungnahme des Dr D., Facharzt für Allgemeinmedizin, vom 27. November 1997 sowie Rechnungen der Firma Seviton Naturprodukte GmbH über die Artikel - EPA metidranso Lachsöl, SEAPOWER H. L. Spanier mit Coenzym Q 10, Sevinorm H. L. Spanier Selen und Coenzym Q 10, LIPO E Vitamin E 600 „Vit" sowie Seviton-Reis-und-Dinkel-Müsli - ein.

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Mit Schreiben vom 13. März 1998 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Therapie nach Dr C. nicht zu den Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gehöre, die in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden könnten. Eine Kostenübernahme durch die Beklagte sei daher ausgeschlossen. Daraufhin teilte Dr E. mit Schriftsatz vom 23. April 1998 der Beklagten mit, dass die schulmedizinischen Behandlungen eine Verschlechterung des Allgemeinzustandes und Nebenwirkungen erbracht hätten. Durch die Hebener-Therapie sei zum jetzigen Zeitpunkt eine mäßige Besserung erfolgt. Die Beklagte schaltete daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Harburg ein. Dr F., Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Sozialmedizin vom MDK Hamburg führte in seiner Stellungnahme vom 3. Juni 1998 wie folgt aus:

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„Die Therapie nach Dr. C. setzt u.a. auf die Beobachtung, daß in Regionen, in denen die Ernährung einen hohen Anteil an essentiellen Fettsäuren aufweist, eine geringe Prävalenz der Multiplen Sklerose beobachtet werden kann. Zusätzliche Einnahme von Vitamin E soll als antioxidative Substanz den gesteigerten Bedarf an Antioxidantien unter Einnahme der Omega-3-Fettsäuren Rechnungen tragen.

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Die Wirksamkeit der Einnahme der Fettsäuren auf den Krankheitsverlauf wird durch die Befürworter der Therapie durch den Einfluß auf die Bildung von immunmodulatorischen Substanzen (Prostaglandin-E-Thromboxan) erklärt.

6

Es gibt jedoch keine wissenschaftlich anerkannte Studie, welche einen eindeutigen Effekt der Ernährung auf die Entstehung und der Verlauf der MS belegt. Lediglich ein gewisser Wirkmechanismus in Hinblick auf die immunregulierenden Prostaglandine kann gezeigt werden, ohne daß jedoch daraus auf eine Wirksamkeit in der Behandlung der MS geschlossen werden kann.

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Zur ergänzenden Behandlung mit Selen und Co-Enzym Q muß angeführt werden, daß bei der Encephalitis disseminata bislang kein Nachweis eines Selenmangels geführt werden konnte und ebenfalls keine wissenschaftlich anerkannten Arbeiten vorliegen, welche einen Einfluß von Silensubstitution bzw. Co-Enzym Q-Substitution auf den Verlauf und Ausprägungsgrad der MS belegen.

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Die Einnahme eines Vitamines als Nahrungsbestandteil ist - abgesehen davon, daß keinerlei Informationen über die Wirkung von Vitamin E bei der MS vorliegen - ohnehin als Nahrungsbestandteil keine Kassenleistung.

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Zusammenfassend kann somit Kostenübernahme für die beantragte Stoffwechsel- und Ernährungsbehandlung diesseits nicht empfohlen werden.“

10

Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 1. Juli 1998 ab. Den Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss bei der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 24. März 1999).

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Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben, die am 22. April 1999 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg eingegangen ist. Der Klage fügte die Klägerin eine Patienteninformation des Dr med G., bei. Darin heißt es:

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„Die Behandlungsmethode gilt insgesamt als nicht anerkannt und ist somit keine vertragsärztliche Leistung. Daraus folgt, daß selbst im Falle meiner angestrebten kassenärztlichen Zulassung die Verordnung der Präparate nicht auf Kassenrezept erfolgen darf. Das ist nur dann möglich, wenn die Krankenkasse Ihrem Antrag auf Kostenübernahme im Einzelfall zugestimmt hat.“

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Mit Urteil vom 14. Dezember 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass für die Behandlung bis zum 9. Dezember 1997, also vor Antragstellung bei der Beklagten, die Klage deshalb abzuweisen sei, weil die Klägerin die Leistungen habe durchführen lassen, ohne zuvor einen entsprechenden Antrag bei der Beklagten zu stellen. Eine Kostenübernahme nach Antragstellung scheitere daran, dass nach den Arzneimittelrichtlinien (AMR) idF vom 1. August 1993 nach Nr F 17.2 Vitaminpräparate grundsätzlich nicht verordnet werden dürften. Die Therapie des Dr C. stelle neben einer linolsäurearmen Ernährung auf die Einnahme von Nahrungsergänzungspräparaten, Selen, Fettsäure, Vitamin E, Co-Enzym Q ab. Da ein Vitaminmangel nicht nachgewiesen sei, scheide nach den AMR, die Rechtsnormcharakter hätten, eine Kostenübernahme aus. Schließlich komme eine Kostenübernahme auch unter dem Gesichtspunkt der besonderen Therapierichtungen nicht in Betracht. Eine solche sei nur dann möglich, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen den therapeutischen Nutzen der Behandlungsmethode festgestellt habe. Das sei hier nicht der Fall.

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Gegen das der Klägerin am 4. Januar 2001 zugestellte Urteil hat diese Berufung eingelegt, die am 2. Februar 2001 beim SG Lüneburg eingegangen ist. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass das Bundessozialgericht (BSG) mehrfach in den letzten Jahren hervorgehoben habe, dass bei Krankheiten, bei denen allgemein anerkannte und Erfolg versprechende Behandlungsmethoden nicht zur Verfügung stünden, ein Anspruch des Versicherten auf eine noch nicht allgemein anerkannte Behandlungsmethode auch nach neuem Recht bejaht werden müsse. Im weiteren Verfahren hat die Klägerin die Kosten, die seit Mitte September 1997 bis 2001 entstanden sind, belegt. Weitere Kosten werden nicht geltend gemacht.

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Die Klägerin beantragt,

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1. das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Dezember 2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 1. Juli 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1999 aufzuheben,

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2. die Beklagte zu verurteilen, ihr Kosten in Höhe von 14.434,85 DM (7.380,42 €) zu erstatten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die von der Klägerin eingereichten Unterlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des SG Lüneburg vom 14. Dezember 2000 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten sind zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Kosten gemäß § 13 Abs 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V a.F.).

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§ 13 Abs 3 SGB V in der hier bis zum 31. Dezember 1998 anzuwendenden Fassung (a.F.) - Gesetz vom 21. Dezember 1992, BGBl I S 2266 - bestimmt: Konnte eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alternative 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Nach allgemeiner Ansicht tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung. Er besteht daher nur, soweit die Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von der gesetzlichen Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen sind.

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Anhaltspunkte für eine Notfallbehandlung liegen nicht vor, so dass § 13 Abs 3 Alternative 1 SGB V a.F. von vornherein ausscheidet.

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Entgegen der Ansicht der Klägerin liegen aber auch die Voraussetzungen von § 13 Abs 3 Alternative 2 SGB V a.F. nicht vor.

26

Nach § 27 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Satz 1). Die Krankenbehandlung umfasst ärztliche Behandlung, einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung. Anspruch auf Krankenbehandlung besteht jedoch nur, wenn die Maßnahme dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) und dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Abs 1 SGB V) entspricht.

27

Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 27 Abs 1 Satz 1 SGB V) ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf und/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Ein regelwidriger Zustand liegt dann vor, wenn der Körper- oder Geisteszustand vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht.

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Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin unter einer Multiplen Sklerose leidet. Die Behandlung der Klägerin nach der Methode des Dr C. entspricht aber nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse im Sinne des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V.

29

Die Frage, ob eine Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, ist mit normsetzender Wirkung für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V aF zu entscheiden. Der Senat vermag sich der gegenteiligen Auffassung der Beklagten und des SG, die sich auf die Rechtsprechung des BSG stützen, nicht anzuschließen. Der erkennende Senat verweist insofern insbesondere auf sein Urteil vom 23. Februar 2000 - Az: L 4 KR 130/98 - (in NZS 2001, 32 ff) und das vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren 1 BvR 347/98, das die verfassungsrechtliche Legitimation der Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen gegenüber den Versicherten gemäß § 92 SGB V betrifft.

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Im Ergebnis ist jedoch gleichwohl der Ansicht des SG und der Beklagten zuzustimmen. Denn die Therapie nach Dr C. ist keine Behandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht.

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Diese Feststellung ergibt sich aus der überzeugenden Patienteninformation des Dr C. selbst sowie den Feststelllungen des MDK Hamburg.

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Wie bereits das SG zu Recht ausgeführt hat, hat Dr C. in seiner Patienteninformation, die von der Klägerin zu den Akten gereicht wurde, ausgeführt, dass die Behandlungsmethode insgesamt als nicht anerkannt gilt und somit keine vertragsärztliche Leistung ist. Die Feststellung wird bestätigt durch Dr F. vom MDK Hamburg. In seiner Stellungnahme vom 3. Juni 1998 führt Dr F. gleichfalls aus, dass es keine wissenschaftlich anerkannte Studie gibt, welche einen eindeutigen Effekt der Ernährung auf die Entstehung und den Verlauf der MS belegt. Lediglich ein gewisser Wirkmechanismus in Hinblick auf die immunregulierenden Prostaglandine kann aufgezeigt werden. Daraus kann jedoch nach Ansicht des Dr F., der sich der Senat inhaltlich anschließt, nicht auf eine Wirksamkeit bei der Behandlung der MS geschlossen werden.

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Aus diesen beiden Stellungnahmen ergibt sich fraglos, dass die Behandlung nach der Methode des Dr C. nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprach bzw entspricht.

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Die Klägerin hat demzufolge keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 3 SGB V a.F..

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Für die vor Antragstellung angefallenen Kosten der Therapie scheitert eine Kostenerstattung darüber hinaus auch an der notwendigen Kausalität. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs 2 SGG).

 


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