Urteil vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (13. Senat) - L 13 AS 5/17

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Streitig ist, ob die Klägerin zum Ersatz der ihr im Juli und August 2015 gewährten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 1.290 € verpflichtet ist.

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Die 1960 geborene Klägerin stand seit dem 25. April 2015 in einem befristeten Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis bei einem ambulanten Pflegedienst (Arbeitgeber: J. e. V.), welches zum 27. Juli 2015 durch Eigenkündigung der Klägerin beendet wurde. Am 22. Juli 2015 beantragte die Klägerin, die Ansprüche auf Arbeitslosengeld I nicht hatte, bei dem Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Im Rahmen eines Anhörungsverfahrens wegen des möglichen Eintritts einer Sanktion gab sie als Grund für die Kündigung an, dass das Arbeitsklima für sie auf Dauer nicht annehmbar gewesen sei. Unter anderem sei ihr vorgeworfen worden, dass sie zu viel für die Klienten machen würde und dies dann auch von den Kollegen erwartet werde. Sie habe sich bemüht, nicht alle Wünsche der Klienten zu erfüllen, was ihr aber immer sehr schwer gefallen sei und nicht geklappt habe. Am 21. August 2015 schloss die Klägerin einen neuen Arbeitsvertrag mit einem anderen Arbeitgeber, welcher eine Beschäftigungsaufnahme zum 24. August 2015 vorsah. Mit Bescheid vom 15. September 2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August 2015 unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs im Höhe von 399 € und eines Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von 295,50 €. Bewilligt wurden für Juli 2008 Leistungen in Höhe von 694,50 € und für August 2008 - unter Anrechnung eines bereinigten Einkommens von 385,68 € - 308,82 €.

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Mit Schreiben vom 5. November 2015 hörte der Beklagte die Klägerin zum Ersatz der in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August 2015 gezahlten Leistungen einschließlich der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge an und teilte zur Begründung mit, dass die Klägerin durch die Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses beim J. zum 27. Juli 2015 ihre Hilfebedürftigkeit vorsätzlich herbeigeführt habe. Ein wichtiger Grund liege unter Berücksichtigung der von der Klägerin angegebenen Gründe für die Eigenkündigung nicht vor. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. November 2015 zog der Beklagte die Klägerin, wie angekündigt, zum Ersatz der gezahlten Leistungen einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 1.290 € heran. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte geltend, dass sie die erfolgte Eigenkündigung des Beschäftigungsverhältnisses bereits bei Antragstellung angegeben habe. Wenn der Beklagte gleichwohl Leistungen bewilligt habe, könne er diese nicht anschließend zurückfordern. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung unter anderem aus, dass die Inanspruchnahme zum Ersatz erbrachter Aufwendungen auch dann möglich sei, wenn bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung bekannt gewesen sei, dass die Hilfebedürftigkeit in sozialwidriger Weise herbeigeführt worden sei.

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Mit ihrer am 4. Januar 2016 erhobenen Klage hat die Klägerin erneut geltend gemacht, dass sie die Tatsache der Eigenkündigung bereits bei Antragstellung angegeben habe. Es sei eine Sanktion angekündigt worden, welche sie auch akzeptiert hätte. Nachdem dann allerdings ein Bewilligungsbescheid erteilt worden sei, sei sie davon ausgegangen, dass ihr die Leistungen zustünden. Sie habe daraufhin das Geld verbraucht. Soweit der Beklagte jetzt die Auffassung vertrete, dass ein Anspruch auf Leistungen nicht bestanden habe, hätte er von vornherein keine Leistungen bewilligen dürfen.

5

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung zu den Gründen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses persönlich gehört. Diese hat angegeben, dass sie von ihren Kollegen keine Anerkennung erhalten habe. Sie habe sich deswegen nicht glücklich gefühlt. Ihr Engagement sei nicht geschätzt worden. Mit Urteil vom 23. November 2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 SGB II vorlägen. Die Klägerin habe ihre Arbeitslosigkeit und damit ihre Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Sie habe zum Zeitpunkt der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses keine konkrete Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz gehabt. Ein wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe habe nicht vorgelegen. Im Hinblick auf die allgemein gute Arbeitsmarktlage bei Pflegekräften wäre es der Klägerin zuzumuten gewesen, sich vor Kündigung des bestehenden Arbeitsvertrages um einen neuen Arbeitsplatz zu bemühen, um eine Beschäftigungslücke zu vermeiden. Der Umstand, dass die Klägerin bereits im August 2015 wieder ein neues Beschäftigungsverhältnis gefunden habe, bestätige, dass es ihr auch möglich gewesen wäre, einen neuen Arbeitsvertrag nahtlos an den bestehenden abzuschließen. Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe für die Kündigung seien auch nicht so schwerwiegend, dass eine unmittelbare Kündigung ohne weiteres Abwarten im Hinblick auf einen sich anschließenden neuen Arbeitsvertrag erforderlich gewesen wäre.

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Gegen das ihr am 6. Dezember 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. Januar 2017 Berufung eingelegt. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Wenn sie ihre damalige Situation selbst verschuldet hätte, hätte der Beklagte ihren Leistungsantrag auch ablehnen können. Diese Vorgehensweise wäre richtig gewesen. Sie habe seinerzeit gute Gründe für die Aufgabe der Stelle beim K. gehabt. Diese Gründe hätte der Beklagte nicht akzeptieren müssen und hätte ihr eine Ablehnung schicken können. Aufgrund der tatsächlich erfolgten Bewilligung sei sie davon ausgegangen, dass die angegebenen Gründe doch akzeptiert worden seien. Bei dieser Sachlage sei eine Rückforderung unzulässig, da sie sich die Leistungen nicht erschlichen habe. Sie sei über eine mögliche Verpflichtung zum Ersatz der gewährten Leistungen auch nicht aufgeklärt worden. Hätte sie davon gewusst, hätte sie von vornherein keinen Antrag auf Leistungen gestellt, zumal es ihr nur um die Übernahme der Krankenversicherungsbeträge durch das Jobcenter gegangen sei.

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Die im Verhandlungstermin nicht erschienene Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

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das Urteil des SG Oldenburg vom 23. November 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 16. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2015 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er hält an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte über die Berufung der Klägerin verhandeln und entscheiden, obwohl diese zum Verhandlungstermin nicht erschienen war. Die Klägerin war ordnungsgemäß geladen worden und in der Ladung auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch im Falle ihres Ausbleibens hingewiesen worden. Soweit die Klägerin – wie sie am Verhandlungstag telefonisch hat mitteilen lassen – akut erkrankt war, hat sie einen Antrag auf Terminsverlegung nicht gestellt.

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Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 16. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zutreffend hat das SG festgestellt, dass die Voraussetzungen für einen Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II in der hier anwendbaren, bis zum 31. Juli 2016 gültigen Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölftes Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) erfüllt sind, d. h. die Klägerin ihre Hilfebedürftigkeit im Juli und August 2015 in sozialwidriger Weise und vorsätzlich herbeigeführt hat, ein wichtiger Grund für das Verhalten der Klägerin nicht vorlag und auch ein Härtefall nicht angenommen werden kann. Insbesondere hat das SG die Sozialwidrigkeit des Verhaltens der Klägerin zu Recht bejaht. Umfasst von § 34 SGB II ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der auch der Senat folgt, lediglich ein sozialwidriges Verhalten in dem Sinne, dass der Betreffende – im Hinblick auf die von der Solidargemeinschaft aufzubringenden Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende – in zu missbilligender Weise sich selbst in die Lage gebracht hat, Leistungen nach dem SGB II in Anspruch zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 16. April 2013 – B 14 AS 55/12 R – juris Rn. 21, 22 m. w. N.). Es liegt auf der Hand, dass die von der Klägerin – ohne wichtigen Grund – ausgesprochene Eigenkündigung in der Handlungstendenz auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und damit – in Ermangelung einer Anschlussbeschäftigung – auf die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II gerichtet war. Das Verhalten der Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe (§ 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch) und läuft damit auch den Wertungen des SGB II zuwider (vgl. § 31 Abs. 2 Nr. 4 SGB II). Der Senat weist die Berufung daher gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus den in jeder Hinsicht zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils zurück und sieht von einer weiteren Begründung ab.

16

Im Hinblick auf die Berufungsbegründung der Klägerin ist lediglich das Folgende zu ergänzen: Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Vorgehensweise des Beklagten, in Kenntnis der erfolgten Arbeitsaufgabe der Klägerin zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu bewilligen und im Nachhinein einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II geltend zu machen, rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere setzt der Beklagte sich damit nicht dem Einwand widersprüchlichen Verhaltens aus. Die Klägerin verkennt, dass die Jobcenter verpflichtet sind, Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums grundsätzlich unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten. Verschuldensgesichtspunkte spielen bei der Feststellung eines Hilfebedarfs noch keine Rolle. Dementsprechend hat der Beklagte der mit dem Leistungsantrag der Klägerin geltend gemachten Notlage zu Recht mit der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II abgeholfen. Diese rechtmäßige Vorgehensweise hindert ihn nicht daran, anschließend einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II geltend zu machen. Denn der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen das Jobcenter erst nachträglich von einem sozialwidrigem Verhalten des Leistungsberechtigten Kenntnis erlangt. Der Beklagte hat auch zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben, dass ein Ersatzanspruch nicht geltend gemacht werden soll. Schließlich steht allein das fehlende Wissen des Leistungsberechtigten um einen möglicherweise bestehenden Ersatzanspruch des Jobcenters nach § 34 SGB II der Geltendmachung eines derartigen Anspruchs nicht entgegen, da jedem Bürger gesetzliche Be-stimmungen nach ihrer Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt als bekannt gelten (Publizitätsgrundsatz, vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 – B 9 V 6/15 R - juris Rn. 22 m. w. N.).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 


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