Urteil vom Landessozialgericht NRW - L 12 AL 246/00
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25. Oktober 2000 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Umstritten ist, ob dem Kläger ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe zusteht oder nicht.
3Der am ...19 ... geborene Kläger war in der Zeit vom 01.05.1981 bis 31.07.1999 als Verwaltungsangestellter tätig, zuletzt in leitender Stellung. Zum 01.08.1999 meldete er sich arbeitslos. Der Kläger bezog Arbeitslosengeld bis zum 25.07.2000. Dann stellte er einen Antrag auf Anschlussarbeitlosenhilfe. Im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung gab er an, ein bebautes Hausgrundstück zu besitzen, welches am 03.03.1997 mit einem Verkehrwert von 590.000,00 DM geschätzt worden sei. Der Kläger teilte der Beklagten mit, das Hausgrundstück werde voraussichtlich zum 01.11.2000 veräußert. Eigenen Angaben zur Folge handelte es sich um ein 3-Familien-Haus, wovon seine Mutter eine Wohnung und er selbst eine Wohnung bewohne; lediglich die 3. Wohnung sei gegen Entgelt vermietet. Der Überschuss aus Vermietung und Verpachtung betrage monatlich 139,52 DM.
4Die Beklagte berücksichtigte nach Abzug der Erschließungkosten und der selbst genutzten Wohnungsanteile den Wertanteil der vermieteten Wohnung und legte eine Beleihung von 70 % zu Grunde. Nach Abzug des Freibetrages rechnete sie insgesamt 250.851,60 DM als Vermögen an, das bei der Prüfung der Bedürftigkeit zu berücksichtigen sei. Mit Bescheid vom 18.07.2000 stellte sie fest, der Kläger sei für einen Zeitraum von 153 Wochen nicht bedürfig und habe insoweit keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und trug vor, er habe bereits den Verkauf des Hauses eingeleitet. Der Verkaufserlös werde voraussichtlich zum 01.11.2000 fließen. Zu diesem Zeitpunkt werde er auch sein Vermögen einsetzen. In der Zwischenzeit sei es ihm gemäß den Bestimmungen der Arbeitslosenhilfeverordnung (Alhi-VO) nicht zumutbar und auch nicht möglich, sein Hausvermögen anderweitig zu verwerten. Dies gelte auch deswegen, weil er sich zum 01.01.2001 selbstständig machen wolle. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2000 zurück und führte aus, es sei dem Kläger zumutbar, sein Vermögen einzusetzen.
5Hiergegen hat der Kläger am 06.09.2000 Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Der Hausverkauf sei zwischenzeitlich am 23.08.2000 notariell beurkundet worden. Nach diesem Vertrag stehe ihm die erste Kaufpreisrate in Höhe von 300.000,00 DM zum 01.11.2000 zur Verfügung. Wegen der Verkaufsverhandlungen und des Verkaufes sei es ihm nicht möglich gewesen, von den Banken eine Zwischenkredit zu erhalten, da er über kein laufendes Einkommen verfüge und das Hausgründstück nicht mehr belastet werden könne. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, er wolle sich zum 01.01.2001 selbstständig machen. Sein Vermögen sei nicht derart verwertbar, dass es für die Zeit bis zur Zahlung der ersten Kaufpreisrate zum Wegfall seiner Bedürftigkeit führe.
6Vor dem Sozialgericht hat der Kläger beantragt,
7den Bescheid vom 18.07.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom "24.07.2000" insoweit abzuändern, als darin für die Zeit vom 26.07. bis 31.10.2000 einschließlich die Zahlung von Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach verweigert werde und für diesen Zeitraum Arbeitslosenhilfe dem Grunde nach zu gewähren.
8Die Beklagte hat beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Sie ist bei ihrer im Verwaltungsverfahren geäußerten Rechtsauffassung verblieben und hat vorgetragen, das dem Kläger zurechenbare Vermögen in der Gestalt des Hausgrundstückes führe zum Wegfall der Bedürftigkeit im genannten Umfang. So sei eine Verwertung in Form einer Belastung wie auch die Aufnahme von Zwischenkrediten durchaus möglich und zumutbar gewesen.
11Mit Urteil vom 25.10.2000 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger vom 26.07. bis 31.10.2000 dem Grunde nach Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dass das Hausgrundstück des Klägers sei, soweit es nicht der angemessenen Eigennutzung diene, zu verwerten. Die Verwertung habe der Kläger selbst bereits eingeleitet. Eine anderweitige oder zusätzliche Verwertung durch Belastung des Hausgrundstückes oder durch Aufnahme von Zwischenkrediten sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen. Die Zumutbarkeit setze voraus, dass die Verwertung nicht offensichtlich unwirtschaftlich sei und unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebensführung des Inhabers des Vermögens billigerweise erwartet werden könne. Im vorliegenden Falle könne eine Zwischenbelastung oder Zwischenfinanzierung vom Kläger vernünftigerweise nicht erwartet werden. Die Aufnahme ungesicherter Zwischenkredite sei nach den glaubhaften Bekundungen des Klägers ohne Nachweis eines regelmäßigen Einkommens nicht möglich gewesen. Damit sei die Bedürftigkeit des Klägers erst mit dem 01.11.2000 entfallen, weil er frühestens zu diesem Zeitpunkt über den Verwertungserlös seines Hausgrundstückes habe verfügen können. Wegen des genauen Wortlauts der Entscheidungsgründe wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
12Gegen dieses ihr am 17.11.2000 zugestellte Urteil richtet sich die am 15.12.2000 eingegangene Berufung der Beklagten. Die Beklagte vertritt die Auffassung: Bedürftigkeit habe bereits ab Antragstellung nicht vorgelegen. Der Vermögenswert des nicht angemessenen Teils der selbst genutzten Immobilie sei ab dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung des Vermögens sei unter dem Aspekt der Verwertbarkeit zu beachten. Ob eine Verwertung tatsächlich erfolge, sei unbeachtlich. Insbesondere komme es nicht auf die Liquidität des Vermögens an. Die Begründung des Sozialgerichts, eine Berücksichtigung des Vermögens sei erst ab Zufluss der Geldmittel aus der Verwertung möglich, sei unzutreffend. Die Beklagte beruft sich zur Stützung ihrer Rechtsauffassung auf das Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 30.05.1990 (11 RAr 33/88).
13Die Beklagte beantragt,
14das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25.10.2000 zu ändern und die Klage abzuweisen.
15Der Kläger beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Er hält das angefochtene Urteil jedenfalls im Rahmen des ausgeurteilten Tenors für zutreffend. Er weist daraufhin, dass die erste Kaufpreisrate entgegen der ursprünglichen Annahme nicht zum 01.11.2000, sondern erst Anfang Januar 2001 geflossen sei, weil der Käufer Finanzierungsprobleme bekommen habe. Da diese Finanzzierungsprobleme auch den Banken bekannt gewesen seien, habe er den Kaufpreisanspruch nach Abschluss des Kaufvertrages nicht beleihen können. Erst als der Käufer im Januar 2001 Sicherheiten habe vorweisen können, hätte ihm seine Bank einen Kredit eingeräumt. Deshalb habe er auch die geplante Selbstständigkeit verschieben müssen.
18Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Vorstreitakte des Sozialgerichts Duisburg S 1 AL 119/00 ER und der den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten mit der Kundennummer ... Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
19Entscheidungsgründe:
20Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger ab dem 26.07.2000 dem Grunde nach Arbeitslosenhilfe zu gewähren war. Insbesondere hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass dem Kläger vor dem 01.11.2000 eine Verwertung seines Hauses unter zu mutbaren angemessenen Bedingungen nicht möglich gewesen ist.
21Der Kläger kann Arbeitslosenhilfe ab dem 26.07.2000 beanspruchen. Er hatte zuvor ab dem 01.07.2000 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 1.800,00 DM pro Woche bezogen. Bei Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen hatte er bei einem Bemessungsentgelt von 1.800,00 DM nach der Leistungsgruppe C mit Kindermerkmal Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in Höhe von 635,04 DM pro Woche. Der Kläger war insbesondere arbeitslos, hatte Arbeitslosenhilfe beantragt, und stand der Arbeitsverwaltung jedenfalls bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes am 31.10.2000 zur Verfügung. Der Kläger war auch bedürftig im Sinne von § 193 Sozialgesetzbuch 3. Buch (SGB III). Bedürftig im Sinne dieser Vorschrift ist ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 194 SGB III zu berücksichtigen ist, die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Dies ist hier der Fall, denn jedenfalls bis zum 31.10.2000 ist das Hausgrundstück nicht als anrechenbar und zu berücksichtigen anzusehen. Selbst wenn man die vom Kläger selbst angegebenen Mieteinnahmen in Höhe von 139,52 DM pro Monat (vergleiche Bl. 62 Verwaltungsakte der Beklagten) voll ansetzen würde, verbleibt noch ein Zahlbetrag an Arbeitslosenhilfe, so dass das Sozialgerichtsurteil, welches die Beklagte nur zur Zahlung dem Grunde nach verurteilt hat, zu bestätigen ist.
22Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass das zu 2/3 selbst genutzte und zu 1/3 vermietete 3-Familien-Haus des Klägers seiner Bedürftigkeit für die Zeit seit Antragstellung bis zum 31.10.2000 nicht entgegengestanden hat. Der Senat hat den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils, hier insbesondere den Seiten 5 und 6, nichts hinzuzufügen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug.
23Der Vortrag der Beklagten im Berufungsverfahren gibt zu keiner an deren Beurteilung Anlass. Das von der Beklagten für ihre Auffassung zitierte BSG-Urteil vom 30.05.1990 (11 RAr 33/88) spricht vielmehr für die Auffassung des Sozialgerichts. Das Sozialgericht hat gerade nicht entschieden, dass ein als verwertbar anzusehendes Hausgrundstück erst ab Zufluss des Verkaufserlöses auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen ist. Mit dem Leitsatz 1 des BSG-Urteils hat es vielmehr auf den Gesichtspunkt der Verwertbarkeit abgestellt. Hier hat es, wie vom BSG gefordert, auf alle individuellen Besonderheiten des Einzelfalles abgestellt. Das BSG hat - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht allein den Zeitpunkt der Beantragung von Arbeitslosenhilfe als entscheidend angesehen. Einerseits soll Manipulationsmöglichkeiten vorgebeugt werden, andererseits soll Einzelfallgerechtigkeit erzielt werden. Der Senat zitiert wörtlich aus der BSG-Entscheidung vom 30.05.1990: "Erst wenn feststeht, ob, wann und zu welchen Bedingungen ein Verkauf des Hausgrundstücks tatsächlich möglich war oder ist, kann letztlich auch die Frage der zumutbaren Verwertung nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Alhi-VO abschließend beurteilt werden." Genau dieser Forderung ist das Sozialgericht mit zutreffenden Erwägungen nachgekommen.
24Der Kläger hat durch sein tatsächliches Handeln dokumentiert, dass er gewillt war, sein Hausgrundstück zur Vermeidung von Leistungen der Allgemeinheit einzusetzen. Schon einen Monat nach Antragstellung hat er am 23.08.2000 einen notariellen Kaufvertrag abschließen können. Diesen Zeitraum billigt der Senat mit dem Sozialgericht dem Kläger für zielstrebige Bemühungen zu. Für die Zeit ab Abschluss des notariellen Kaufvertrages stellte sich die Frage, ob der Kläger die Kaufpreisforderung hätte beleihen können, um Arbeitslosenhilfe nicht in Anspruch nehmen zu müssen. Auch in diesem Punkt folgt der Senat dem Sozialgericht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und nachvollziehbar bekundet, dies tatsächlich versucht zu haben, aber keinen Erfolg gehabt zu haben. Die Banken hätten ihn deshalb keinen Zwischenkredit eingeräumt, weil er selbst keine Sicherheit habe bieten können, das Haus nicht weiter belastbar gewesen sei und der Käufer selbst in Finanzierungsschwierigkeiten gewesen sei. Dies wird dadurch belegt, dass der Kläger die erste Kaufpreisrate tatsächlich auch nicht am 01.11.2000, sondern erst Anfang 2001 erhalten hat. Der Sachvortrag des Klägers und die Annahme des Sozialgerichts finden also auch in dem tatsächlichen Geschehensablauf ihre Bestätigung. Es spricht somit nichts dafür, dass der Kläger den Zeitpunkt der Verwertbarkeit seines Hausgrundstückes auf Kosten der Allgemeinheit hinausschieben wollte. Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts war somit zu bestätigen und die Berufung zurückzuweisen.
25Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
26Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die hierfür in § 160 Abs. 2 Ziffern 1 oder 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Senat weicht insbesondere nicht von der Entscheidung des BSG vom 30.05.1990 (11 RAr 33/98) ab, sondern hat sie im Gegenteil zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Das BSG hat entgegen der Auffassung der Beklagten nicht allein auf die Verwertbarkeit bei Antragstellung abgestellt, sondern hat die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gefordert. Genau dies ist hier geschehen.
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