Urteil vom Landessozialgericht NRW - L 8 LW 18/01
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.10.2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt von der Beklagten auch für die Zeit vom 27.05. bis 09.06.2000 die Bewilligung von Haushaltshilfe und die Übernahme der insoweit entstandenen Kosten in Höhe von 1.093.86 DM.
3Die am 26.12.1948 geborene Klägerin ist die Ehefrau des landwirtschaftlichen Unternehmers F ... B ... und ist versicherungspflichtig als Landwirtin. Sie ist bei der Barmer Ersatzkasse S ... (BEK) familienversichert. Mit ihr leben im gemeinsamen Haushalt der 1943 geborene Ehemann, der 1971 geborene Sohn und die 1923 geborene Tante der Klägerin, A ... L ...
4Am 05.05.2000 beantragte die Klägerin wegen stationärer Krankenhausbehandlung die Gewährung von Haushaltshilfe. Die Ersatzkraft solle ab 08.05.2000 täglich 6 Stunden eingesetzt werden für alle anfallenden Hausarbeiten sowie die häusliche Versorgung von A ... L ..., die bettlägerig und pflegebedürftig sei.
5Die Krankenhausbehandlung der Klägerin dauerte vom 05.05. bis 26.05.2000. Danach war sie noch bis 09.06.2000 arbeitsunfähig krank. Für diese Zeit hatte sie am 25.05.2000 einen Verlängerungsantrag bezüglich der Haushaltshilfe gestellt.
6Die BEK teilte auf Anfrage der Beklagten mit, die Klägerin habe gegen die Krankenkasse keinen Anspruch auf Haushaltshilfe nach § 38 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
7Für die Dauer des Krankenhausaufenthaltes der Klägerin war an 15 Tagen und während der anschließenden Arbeitsunfähigkeit an 9 Tagen eine Helferin des Landwirtschaftlichen Betriebshilfsdienstes täglich 6 Stunden eingesetzt. Hierfür wurde der Beklagten ein Gesamtbetrag von 2.916,48 DM in Rechnung gestellt. Die Beklagte übernahm davon nur einen Betrag von 1.822,80 DM für 15 Einsatztage (Krankenhausbehandlung). Der Restbetrag von 1.093,68 DM ist noch nicht an den Betriebshilfsdienst gezahlt.
8Mit Bescheid vom 30.06.2000 gewährte die Beklagte der Klägerin Haushaltshilfe täglich bis zu 6 Stunden; montags bis freitags) für die Dauer der stationären Krankenhausbehandlung ab 08.05. bis 26.05.2000. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag lehnte die Westfälische Landwirtschaftliche Krankenkasse im Auftrag der Beklagten die Gewährung von Haushaltshilfe für die Dauer der ambulanten Behandlung ab und führte aus: Nach § 36 Abs. 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) könne Betriebs- oder Haushaltshilfe bei Arbeitsunfähigkeit des Versicherten u.a. erbracht erden, wenn die Erbringung dieser Leistung durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherun kraft Gesetzes ausgeschlossen sei. Hierzu habe das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in einem Schreiben an den Gesamtverband der Alterskassen bestätigt, dass die Landwirtschaftlichen Alterskassen keine Haushaltshilfe nach § 36 ALG gewähren dürften, wenn von einer gesetzlichen Krankenkasse inhaltsgleiche Leistungen gewährt werden könnten bzw. dürften. Dies gelte unabhängig davon, ob die gesetzliche Krankenkasse die Leistungen auch tatsächlich erbringe. Die Klägerin sei bei der BEK versichert. Die Krankenkasse habe nach § 38 Abs. 2 SGB V die Möglichkeit, Mehrleistungen kraft Satzung einzuführen, die mit der bei der Landwirtschaftlichen Alterskasse beantragten Leistungen inhaltsgleich seien. Allein diese Möglichkeit schließe den Anspruch auf Haushaltshilfe gegenüber der Landwirtschaftlichen Alterskasse aus und zwar unabhängig davon, ob die BEK von der Möglichkeit, die Leistungen in ihre Satzung tatsächlich aufzunehmen, Gebrauch gemacht habe.
9Die Klägerin legte hiergegen am 21.07.2000 Widerspruch ein und vertrat die Ansicht, die Voraussetzungen des § 36 ALG für die Gewährung von Haushaltshilfe seien auch für die Zeit vom 27.05. bis 09.06.2000 erfüllt. Sie habe keinen Anspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse nach § 38 Abs. 2 SGB V, weil die Satzung der BEK in Fällen einer ambulanten Heilbehandlung keine Haushaltshilfe vorsehe.
10Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2000 zurückgewiesen. Zur Begründung wurden im Wesentlichen die Ausführungen in dem Ablehnungsbescheid wiederholt. Hiergegen hat die Klägerin am 11.10.2000 Klage bei dem Sozialgericht Münster erhoben.
11Sie trägt vor, die Erbringung der Haushaltshilfe durch die Krankenkasse sei nach § 38 Abs. 2 SGB V gesetzlich ausgeschlossen. Denn nur bei einer entsprechenden Satzungsregelung der BEK bestünde ein Anspruch. Da es hieran fehle, sei ein entsprechender Anspruch gegen die Krankenkasse im Sinne des § 36 Abs. 1 ALG ausgeschlossen.
12Die Klägerin hat beantragt,
13die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 30.06.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2000 zu verurteilen, ihr Haushaltshilfe auch für die Zeit vom 27.05. bis 09.06.2000 zu gewähren.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie hat auf die Begründung in den angefochtenen Bescheiden verwiesen.
17Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2001 abgewiesen. Es hat sich der Rechtsauffassung der Beklagten angeschlossen und zusammenfassend ausgeführt, ein gesetzlicher Ausschluss, wie ihn § 36 Abs. 1 ALG verlange, sei hier nicht gegeben. Dass die BEK von der Möglichkeit des § 38 Abs. 2 SGB V keinen Gebrauch gemacht habe, bedeute lediglich einen satzungsmäßigen Ausschluss.
18Gegen das ihr am 30.10.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 26.11.2001 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Formulierung in § 36 ALG "kraft Gesetzes ausgeschlossen" lege nur eine Rangfolge bei den Versicherten fest, die auch Mitglied bei einer gesetzlichen Krankenkasse seien. In Fällen der Arbeitsunfähigkeit solle vorrangig die Krankenkasse leisten. Bestehe dieser gegenüber kein Anspruch, sei eben ein Anspruch auf Haushaltshilfe bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen gegenüber der Beklagten gegeben. Die Rechtsauffassung der Beklagten und des Sozialgerichts führe zu dem eigenartigen Ergebnis, dass in den Fällen der Arbeitsunfähigkeit die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten nie einen Anspruch auf Haushaltshilfe haben könnten, weil der Gesetzgeber den Krankenkassen die Erbringung einer satzungsgemäßen Leistung eröffnet habe.
19Die Klägerin beantragt,
20das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 25.10.2001 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 30.06.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2000 zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
21Die Beklagte beantragt,
22die Berufung zurückzuweisen.
23Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und meint, für die Gesetzesinterpretation der Klägerin sei bei dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in § 36 Abs. 1 ALG kein Raum.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakten, welcher Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe:
26Die Berufung ist zulässig. Sie ist nicht gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 1.000,- DM (500,- Euro ab 01.01.2002) übersteigt. Die Klägerin begehrt, wie sie mit Schriftsatz vom 15.03.2002 unter Vorlage der Abrechnung des Landwirtschaftlichen Betriebshilfsdienstes vom 27.02.2002 konkretisiert hat, die Freistellung von den bzw. Erstattung der Kosten für den Einsatz des Landwirtschaftlichen Betriebshilfsdienstes in einer Resthöhe von 1.093,68 DM (559,19 Euro).
27Die Berufung, die nicht mehr auf die Verurteilung der Beklagten zur Leistung, sondern zutreffend auf eine Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts gerichtet ist, ist unbegründet. Die Beschränkung auf einen Neubescheidungsantrag folgt aus der begrenzten gerichtlichen Überprüfbarkeit von Ermessensentscheidungen der Verwaltung durch die Gerichte (vgl. §§ 54 Abs. 2, 131 Abs. 2, 3 SGG). Bei der Erbringung von Haushaltshilfe, gleiches muss dann auch für die Kostenerstattung bzw. -freistellung gelten, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung ("kann erbracht werden - §§ 10 Abs. 2, 36 Abs. 1 ALG).
28Nach § 36 Abs. 1 ALG (in der bis 30.06.2001 und der ab 01.07.2001 - im Wesentlichen inhaltsgleichen - geltenden Fassung) kann Haushaltshilfe bei Arbeitsunfähigkeit des Versicherten u.a. nur erbracht werden, wenn die Erbringung dieser Leistung durch einen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung oder eine Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Ein Ausschlusskraft Gesetzes besteht hier aber nicht, weil die gesetzliche Krankenkasse - hier die BEK - nach § 38 Abs. 2 SGB V ermächtigt ist, in anderen als den in Abs. 1 genannten Fällen (stationäre Behandlung) Haushaltshilfe durch Satzungsbestimmung zu erbringen.
29Dieser Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 2 ALG ist eindeutig. Der in dieser Vorschrift bestimmte Leistungsausschluss kann nicht im Sinne der Klägerin auf den Fall beschränkt werden, dass der Landwirt als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse einen (vorrangigen) Anspruch auf Gewährung von Haushaltshilfe bei Arbeitsunfähigkeit gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse hat. Die Leistungsberechtigung nach § 36 Abs. 1 ALG entfällt vielmehr bereits dann, der Senat tritt der in dem im Tatbestand angeführten Schreiben des BMA vom 23.02.2000 an den Gesamtverband dargelegten Rechtsauffassung vollinhaltlich bei, wenn von einem der genannten Träger inhaltsgleiche Maßnahmen erbracht werden können bzw. dürfen, und zwar unabhängig davon, ob der andere Leistungsträger Leistungen tatsächlich erbringt.
30Mit diesem Verständnis des Gesetzeswortlautes hat der Senat nicht verkannt, dass ein Anwendungsbereich für die Gestellung von Betriebs- und Haushaltshilfe gem. § 36 Abs. 1 ALG praktisch nur noch für Nebenerwerbslandwirte verbleibt, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse sind. Dieser Leistungsausschluss geht damit über die mit dem Agrarsozialreformgesetz 1995 angestrebte grundsätzliche Zuordnung von Betriebs- und Haushaltshilfe hinaus. Danach sollten Nebenerwerbslandwirte, die nicht in der Krankenversicherung der Landwirte versichert sind, die Leistungen von der Landwirtschaftlichen Alterskasse erhalten, wohingegen Vollerwerbslandwirte die Leistung von den Trägern der Landwirtschaftlichen Krankenkasse und alle Versicherten bei Arbeitsunfall von den Trägern der Landwirtschaftlichen Unfallversicherung erhalten sollten (vgl. Gesetzesbegründung zu § 36 Drucksache Deutscher Bundestag 12/5700 S. 78; Dieter Habermann, "Betriebs- und Haushaltshilfe in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung" in Soziale Sicherheit der Landwirtschaft 1995 S. 169, 186). Diese Zielsetzung des Gesetzgebers, die durchaus im Sinne der von der Klägerin vertretenen subsidiären Rangordnung des Anspruchs gem. § 36 ALG gegenüber dem Anspruch gegen die gesetzliche Krankenkasse verstanden werden kann, ist aber in dem (unmissverständlich) formulierten Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck gekommen. Für eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Antrags besteht daher kein Raum.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
32Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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