Urteil vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 RI 128/02

Tenor

1.Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 18.3.2002 wird zurückgewiesen.

2.Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3.Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwenrente.

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Die 1952 geborene Klägerin schloss mit dem am 1992 verstorbenen Versicherten im April 1971 die Ehe, aus der die im   1972 und   1976 geborenen Kinder hervorgegangen sind. Die Ehe wurde durch das Urteil des Landgerichts (LG) Trier vom 1977 geschieden. Das LG stellte fest, dass beide Parteien eine Schuld an der Scheidung haben. Für den Fall der rechtskräftigen Scheidung schlossen die Klägerin und der Versicherte einen gerichtlichen Vergleich des Inhalts, dass sich der Versicherte verpflichtete, an die Klägerin für diese und die beiden Kinder 500,-- DM monatlich Unterhalt zu zahlen. Hiervon entfielen 100,-- DM auf die Klägerin und je 200,-- DM auf die Kinder. Die Zahlungsverpflichtung wurde auf drei Jahre festgelegt. Für die Zeit danach verzichteten beide Parteien wechselseitig auf Unterhalt. Die Zahlungen für die Kinder wurden von dem Verzicht ausgenommen.

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Seit April 1977 geht die Klägerin mit kürzeren Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Im Versicherungsverlauf der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ist für das Jahr 1991 ein Entgelt von 19.056,-- DM festgehalten und für das Jahr 1992 ein Entgelt von 20.538,-- DM. Der Versicherte war seit 1983 überwiegend arbeitslos mit Leistungsbezug.

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Den im November 1998 gestellten Antrag auf Gewährung einer Witwenrente an den geschiedenen Ehegatten lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27.4.1999 ab. Die Beklagte führte aus, die Voraussetzungen des § 243 Sozialgesetzbuch -Sechstes Buch- (SGB VI) seien nicht erfüllt. Der Versicherte habe im letzten Jahr vor seinem Tod der Klägerin keinen Unterhalt gezahlt. Auch einen Anspruch auf Unterhalt habe die Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode nicht gehabt. Der von der Klägerin mit dem Versicherten am   1977 geschlossene Vergleich schließe jegliche Unterhaltsverpflichtung aus. Damit seien die Voraussetzungen des § 243 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Nr 3 SGB VI nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für eine Rentengewährung nach § 243 Abs 3 SGB VI seien ebenfalls nicht erfüllt. Denn der Unterhaltsverzicht schließe die Feststellung der Voraussetzung der Nr 1 der Vorschrift aus. Eine lediglich deklaratorische Wirkung könne dem Unterhaltsverzicht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht beigemessen werden, weil im Vergleich vom 14.1.1977 eine Unterhaltsverpflichtung für die Dauer von drei Jahren vereinbart worden sei. Der vereinbarte Unterhaltsverzicht stelle damit einen Verfügungsvertrag mit rechtlicher und wirtschaftlicher Substanz und Auswirkung dar und könne im Sinne der genannten Rechtsprechung nicht als „leere Hülse“ angesehen werden.

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Die am 9.3.2000 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Trier durch Urteil vom 18.3. 2002 abgewiesen .

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Gegen das ihr am 25.3.2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.4.2002 Berufung eingelegt.

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Die Klägerin trägt vor, ihrer Auffassung nach seien sämtliche Voraussetzungen des § 243 Abs 3 SGB VI erfüllt. Sie sei erwerbsunfähig, was sich aus dem von ihr vorgelegten Attest ergebe. Im Zeitpunkt der Scheidung habe sie die beiden Kinder erzogen. Außerdem seien auch die Voraussetzungen des § 243 Abs 3 Nr 1 SGB VI erfüllt. Dem stehe nicht entgegen, dass sie mit dem Versicherten einen Unterhaltsverzicht vereinbart habe. Denn diesem komme lediglich deklaratorische Bedeutung zu. Zu Unrecht werde dies in den angefochtenen Bescheiden unter Hinweis auf die in Ziffer 1 des Vergleiches vereinbarte Verpflichtung, für drei Jahre Unterhalt zu zahlen, verneint. Es sei kurzschlüssig, wenn aus der Übernahme der Verpflichtung gefolgert werde, dass bei Abgabe des Verzichts auch eine entsprechende Unterhaltsverpflichtung des Versicherten bestanden habe. Der angefochtene Bescheid gehe einzig und allein gestützt auf die Übernahme einer Unterhaltsverpflichtung davon aus, dass der Versicherte sich zu etwas verpflichtet habe, was er von Gesetzes wegen ohnehin habe leisten müssen. Dies sei  eine reine Unterstellung und bloße Spekulation, was letztlich gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoße und weiterer Aufklärung bedürfe. Im erstinstanzlichen Urteil werde lapidar ausgeführt, dass sie, die Klägerin, angeblich im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten von diesem weder Unterhalt erhalten noch hierauf einen Anspruch gehabt habe. Da sie bereits über keinen Unterhaltsanspruch verfügt habe, könne dahingestellt bleiben, welche Wirkungen der von ihr anlässlich der Ehescheidung im Wege des Vergleiches für die Zeit nach Ablauf von drei Jahren erklärte Unterhaltsverzicht gehabt haben könne. Diese Ausführungen des Sozialgerichts seien gleich in doppelter Hinsicht falsch. Zum einen insoweit, als spekulativ aus dem bloßen Bezug von Sozialleistungen geschlussfolgert werde, sie sei nicht unterhaltsberechtigt gewesen. Zum anderen seien die Darlegungen auch unvollständig, da der hier einschlägige Tatbestand des § 243 Abs 3 SGB VI gerade dann eingreife, wenn ein Unterhaltsanspruch nach Absatz 2 Nr 3 fehle.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des SG Trier vom 18.3.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.4.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.2.2000 zu verurteilen, ihr Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen früheren Ehemannes zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie trägt vor, sie sei nach wie vor der Auffassung, dass der am 1977 vereinbarte Unterhaltsverzicht ein Verfügungsvertrag mit rechtlicher und wirtschaftlicher Substanz und Auswirkung sei, weshalb von einer „leeren Hülse“ nicht ausgegangen werde. Die Voraussetzungen des § 243 Abs 3 Nr 1 SGB VI seien damit nicht erfüllt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die beigezogene Beklagtenakte; deren wesentlicher Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß §§ 143 ff SGG zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Sie hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Witwenrente gemäß § 243 SGB VI.

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Nach § 243 Abs 1 und 2 SGB VI hat Anspruch auf Witwenrente der vor dem 1.7.1977 geschiedene Ehegatte, sofern die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind, wenn er im letzten Jahr vor dem Tode des geschiedenen Ehegatten Unterhalt von diesem erhalten oder im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dessen Tode einen Anspruch hierauf hatte. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

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Die Klägerin hat im letzten Jahr vor dem Tode ihres geschiedenen Ehegatten keinen Unterhalt von diesem erhalten. Die Klägerin hat dies weder behauptet noch bestehen hierfür irgendwelche Anhaltspunkte.

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Sie hatte auch keinen Anspruch auf Unterhalt im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des geschiedenen Ehegatten. Die Klägerin hat in dem am   1977 vor dem LG Trier geschlossenen Vergleich nach Ablauf der dreijährigen Zahlungsverpflichtung (wechselseitig) auf Unterhalt verzichtet. Mit diesem umfassenden Unterhaltsverzicht schloss die Klägerin Unterhaltsansprüche auch mit Wirkung für den Witwenrentenanspruch aus (Bundessozialgericht -BSG- Urteil vom 21.1.1993 -13 RI 19/91).

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Der Verzicht ist nicht deshalb unbeachtlich, weil er nicht ausdrücklich auch Fälle des Notbedarfs einbezog. Ein Unterhaltsverzicht bezieht sich grundsätzlich auf jeglichen Unterhalt; er soll auch finanziell eine endgültige Trennung der Eheleute bewirken (BSG Urteil vom 16.12.1993 -13 RI 1/93). Von einem wirksamen, die Fälle des Notbedarfs einschließenden Unterhaltsverzicht ist deshalb für die Zeit nach Ablauf der dreijährigen Zahlungsverpflichtung auszugehen.

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Eine den Witwenrentenanspruch gemäß § 243 Abs 1 und 2 SGB VI ausschließende Wirkung wäre dem Prozessvergleich nur dann nicht beizumessen, wenn er gemäß §§ 323, 767 Zivilprozessordnung (ZPO) abgeändert worden wäre oder gemäß § 72 Ehegesetz iVm § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam wäre.

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Eine Klage auf Änderung des Prozessvergleichs gemäß §§ 323, 767 ZPO hat die Klägerin nicht erhoben.

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Der Unterhaltsverzicht ist auch nicht gemäß § 72 Ehegesetz iVm § 138 BGB unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages zu Lasten Dritter unwirksam. Bei einem Verzicht zu Lasten Dritter, insbesondere  der Kinder , kann die wegen eines unzureichenden Einkommens der Mutter notwendige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die zu Lasten der Kinderbetreuung geht, durchaus die Sittenwidrigkeit und damit die Unwirksamkeit eines Unterhaltsverzichtes begründen (BSG Urteil vom 16.12.1993 -13 RI 1/93). Die Berufung auf die Unwirksamkeit eines Unterhaltsverzichtes ist mit dem Grundsatz von Treu und Glauben jedoch dann nicht mehr vereinbar, wenn die die Sittenwidrigkeit begründende Belastung Dritter entfallen ist. Hiervon ist in vorliegendem Fall für den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten auszugehen. Denn zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten im April 1992 waren die Kinder der Klägerin bereits 16 und 20 Jahre alt. Allenfalls für das jüngere Kind war damit noch im Zeitraum vor dem Tod des Versicherten eine altersgemäße Betreuung sicherzustellen. Diese stand allerdings unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Kind noch die Schule zu besuchen hatte, einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen. Dies gilt zumindest für die unter dem Gesichtspunkt des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes maßgebliche Zeit ab dem 26.8.1991; ab diesem Zeitpunkt bezog der Versicherte von der Bundesanstalt für Arbeit für fünf Monate Unterhaltsgeld, das die zuvor gewährte Arbeitslosenhilfe deutlich überstieg (Auskunft des Arbeitsamtes Trier vom 20.7.1992, Blatt 24, 25 Verwaltungsakte, Halbwaisenrente). Da die Berufung auf die Unwirksamkeit des Verzichtes für die maßgebliche Zeit  vor dem Tode des Versicherten wegen des Grundsatzes von Treu und Glauben nicht zulässig ist, sind die Voraussetzungen des § 243 Abs 1 Nr 3 und Abs 2 Nr 3 SGB VI nicht gegeben.

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Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Witwenrente gemäß § 243 Abs 3 SGB VI. Danach besteht ein Anspruch auf (große) Witwenrente nur dann, wenn ein Unterhaltsanspruch nach Abs 2 Nr 3 der Vorschrift (nur) wegen eines Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens aus eigener Beschäftigung oder selbständiger Tätigkeit oder entsprechender Ersatzleistungen oder wegen des Gesamteinkommens des Versicherten nicht besteht. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil ein Unterhaltsanspruch der Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tod des Versicherten wegen des Unterhaltsverzichts nicht bestanden hat und nicht wegen eines der in § 243 Abs 3 Nr 1 genannten Gründe.

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Der Verzicht wäre für den Rentenanspruch ausnahmsweise dann unbeachtlich, wenn er lediglich deklaratorische Bedeutung hätte und bei Außerachtlassung des Verzichts die Voraussetzungen der Vorschrift gegeben wären (BSG Urteil vom 16.12.1993 -13 RI 1/93). Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, hat der Unterhaltsverzicht nur dann deklaratorischen Charakter, wenn 1. der Versicherte im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor seinem Tode nicht zur Zahlung eines rentenrechtlich relevanten Unterhalts an die frühere Ehefrau verpflichtet war, 2. zur Zeit der Scheidung kein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch bestand und 3. nach den bei Abschluss des Unterhaltsverzichts gegebenen objektiven Umständen vernünftigerweise auch in Zukunft nicht mit dem Entstehen von rentenrechtlich relevanten Unterhaltsansprüchen der früheren Ehefrau gerechnet werden konnte (BSG aaO). Nach dieser Rechtsprechung kann dem Unterhaltsverzicht vom   1977 ein lediglich deklaratorischer Charakter nicht beigelegt werden, weil ein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch zur Zeit der Scheidung bestand, er durch den Vergleich sogar begründet wurde. Ein rentenrechtlich relevanter Unterhaltsanspruch ist dann gegeben, wenn er zumindest 25 vH des zeitlich und örtlich maßgebenden Regelsatzes der Sozialhilfe erreicht oder überschreitet (BSG Urteil vom 12.5.1982, SozR 2200 § 1265 RVO Nr 63). Dies steht für den im Vergleich vereinbarten Unterhaltsbetrag von 100,-- DM monatlich für das Jahr 1977 außer Frage. Denn der Höchstbetrag des ab dem 1.1.1977 geltenden Regelsatzes gemäß der 12. Landesverordnung zur Änderung der 1. Landesverordnung zur Durchführung des Landesgesetzes zur Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzanpassungsverordnung) vom 29.11.1976 (Gesetz und Verordnungsblatt für das Land Rheinland-Pfalz Nr 27) betrug 296,-- DM. Die Voraussetzungen des § 243 Abs 3 SGB VI sind damit ebenfalls nicht erfüllt.

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Die Berufung der Klägerin ist nach alldem zurückzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht vorliegen.

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