Urteil vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - L 2 U 177/01

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5.4.2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit festzustellen und zu entschädigen ist.

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Der 1955 geborene Kläger arbeitete von August 1970 bis Februar 1972 in einer Fleischerei und von Juni 1972 bis September 1977 in Schreinereien. Danach war er in verschieden Betrieben als Dachdecker beschäftigt. Ab Juli 1992 arbeitete er als Bauleiter. Ab 1999 ist er als Lagerist tätig. Während seiner Beschäftigung bei der Firma P   (12.9.1977 bis zum 30.4.1978) führte er ausschließlich Abdichtungsarbeiten in Parkhäusern aus. Bei der Firma A   und R   (2.5.1978 bis zum 31.12.1992) verrichtete der Kläger zu 80 vom Hundert (vH) Flachdacharbeiten auf Trapezflächen bei Großobjekten und zu 20 vH Abdichtungsarbeiten. Während der Tätigkeit als Bauleiter arbeitete er zu etwa 20 vH seiner Arbeitszeit körperlich mit.

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Mit Schreiben vom 20.5.1997 machte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit geltend.

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Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten hielt das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) zunächst nicht für gegeben (Stellungnahme vom 3.9.1997). Die beratende Ärztin der Beklagten, Dr. S   -M   , kam nach Auswertung von Röntgenbildern der Hals- und Lendenwirbelsäule zu dem Ergebnis (Stellungnahme vom 12.11.1997), dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule nicht vorliege.

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Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 4.2.1998 das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen seien nicht gegeben. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 9.6.1998 zurück.

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Am 15.7.1998 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Koblenz Klage erhoben.

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Das SG hat von Dr. A   einen Befundbericht eingeholt und ärztliche Unterlagen beigezogen. Es hat sodann auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten eingeholt, das der Facharzt für Orthopädie Dr. K   im Mai 1999 erstattet hat. Der Sachverständige hat ein lokales Lumbalsyndrom auf dem Boden degenerativer Veränderungen der mittleren Lendenwirbelsäule mit auffälliger Gefügelockerung L3/L4 und einer klinischen tieflumbalen Lockerungssymptomatik bei altersvorauseilenden Verschleißzuständen in den Wirbelsäulenabschnitten L3/L4 und L4/L5 sowie geringe L2/L3 ohne wesentliche degenerative Veränderungen bei L1/L2 und L5/S1 festgestellt. Der Sachverständige hat die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV für erfüllt angesehen unter Hinweis darauf, dass Qualität und Quantität der berufsbedingten Belastungen noch nicht festgestellt seien. Die aus den Folgen der Berufskrankheit resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage ab 1994 20 vH.

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Nach weiteren Ermittlungen zur Arbeitsbelastung des Klägers äußerte sich der TAD (Stellungnahme vom 5.3.2001) dahingehend, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen unter Berücksichtigung der aktuellen Vorgaben des Klägers zu bejahen seien, da nunmehr eine Gesamtbelastungsdosis von annähernd 25,0 MNh habe ermittelt werden können. Mit Urteil vom 5.4.2001 hat das SG die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen und zu entschädigen. Es hat gestützt auf die Stellungnahme des TAD und das Gutachten des Sachverständigen Dr. K   die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit als erfüllt angesehen.

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Gegen das ihr am 7.5.2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.5.2001 Berufung eingelegt.

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Die Beklagte hat eine gutachterliche Stellungnahme vom Oktober 2001 des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. Dr. A   vorgelegt. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die medizinischen Voraussetzungen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 nicht vorliegen. Hiergegen spreche, dass eindeutige Veränderungen im Sinne sogenannter juveniler Aufbaustörungen festzustellen seien, die - wenn auch geringe - Lumbalskoliose und das grenzwertig frühzeitige Einsetzen der Beschwerden, schließlich die völlig unauffällige Darstellung des Segmentes L5/S1, welches bei beruflich verursachten bandscheibenbedingten Veränderungen mit Sicherheit in den Degenerationsprozess einbezogen worden wäre.

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Der Senat hat im Hinblick auf die widerstreitenden Beurteilungen ein Gutachten von Amts wegen eingeholt, das der Arzt für Orthopädie Dr. F   im Mai 2002 erstattet hat. Der Sachverständige hat ausgeführt, nach zusammenfassender Würdigung im Rahmen der Beurteilung, ob eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV vorliegt, lasse sich ein Kausalzusammenhang zwischen den im Lendenwirbelsäulenbereich festgestellten Erkrankungen und beruflichen Einwirkungen im Sinne des Unfallrechts nicht feststellen. Der Beurteilung im Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. Dr. A   sei in vollem Umfang zuzustimmen. Dem Gutachten von Dr. K   könne nicht gefolgt werden, weil den zugrunde liegenden wissenschaftlichen Kriterien im Hinblick auf die Beurteilung einer Berufskrankheit Nr. 2108 nicht Rechnung getragen sei und weder die vorliegende und durchgemachte Scheuermannsche Erkrankung noch die Richtlinien von belastungskonformen und zielorganorientierten berufsabhängigen Erkrankungsbildern der Lendenwirbelsäule berücksichtigt seien.

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Die Beklagte trägt vor, das Gutachten des Dr. K   sei durch das von ihr vorgelegte Gutachten des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. Dr. A   widerlegt worden. Eine Bestätigung habe das von ihr vorgelegte Gutachten durch den Sachverständigen Dr. F   gefunden.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des SG Koblenz vom 5.4.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

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Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Er führt die bei ihm bestehenden Erkrankungen im Bereich der Lendenwirbelsäule auf berufliche Einwirkungen zurück, was mit zusätzlichen CT-Untersuchungen belegt werden könne.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die beigezogene Beklagtenakte; deren wesentlicher Inhalt ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß §§ 143 ff SGG zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV kann nicht festgestellt werden. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Das Sozialgericht hat die Voraussetzungen, unter denen eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 anzuerkennen ist, zutreffend dargestellt. Auf diese Ausführungen nimmt der Senat gemäß § 153 Abs 2 SGG Bezug. Soweit das SG das Vorliegen dieser Voraussetzungen gestützt auf das Gutachten des Orthopäden Dr. K   bejaht, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn das die Voraussetzungen bejahende Gutachten des Dr. K   ist bereits durch das von der Beklagten vorgelegte Gutachten des Facharztes für Orthopädie Prof. Dr. Dr. A   überzeugend widerlegt. Danach sprechen gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 das grenzwertig frühzeitige Einsetzen der Beschwerden, die - wenn auch geringe - Lumbalskoliose, vor allem aber die eindeutigen Veränderungen im Sinne sogenannter juveniler Aufbaustörungen und schließlich die Tatsache, dass das Segment L5/S1 sich völlig unauffällig dargestellt hat. Soweit der Kläger der Beurteilung von Prof. Dr. Dr. A   mit dem Hinweis entgegengetreten ist, der Zeitpunkt des Einsetzens der Beschwerden sei mit 1980 unzutreffend, die diesbezüglichen Angaben im Formular (Bl 10 ff der VA) seien nicht von ihm gemacht worden, sondern von seiner Ehefrau, die ihm behilflich gewesen sei bei der Ausfüllung des Formulars, ist ihm entgegenzuhalten, dass im Schreiben vom 20.5.1997 angegeben ist: „Seit 1980 habe ich Dauerbeschwerden im Ischiasbereich (Wirbelsäule).“ Für den Senat ist darüber hinaus maßgeblich, dass die nachvollziehbare Beurteilung von Prof. Dr. Dr. A   ausdrücklich von dem Orthopäden Dr. F   bestätigt worden ist. Dieser hat sich umfassend mit den für und gegen eine berufliche Verursachung von Erkrankungen im Bereich der Lendenwirbelsäule sprechenden Gesichtspunkten auseinandergesetzt. Er hat die Beurteilung von Prof. Dr. Dr. A   bestätigt. Soweit der Kläger gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. F   mangelnde Sorgfalt einwendet, ist dies nicht nachvollziehbar. Die im Schriftsatz vom 9.7.2002 angegebenen starken Schmerzen im Bereich der rechten Schulter hat der Sachverständige auf Bl 16 seines Gutachtens festgehalten. Hinzuweisen ist im Übrigen noch darauf, dass die Beurteilung der Beweglichkeit in den Schultern durch den Sachverständigen Dr. F   mit der von Dr. K   festgestellten übereinstimmt.

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Bei Gesamtwürdigung aller Umstände ist nach Überzeugung des Senats die Annahme einer wahrscheinlichen wesentlichen Mitverursachung der Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule durch gefährdende berufliche Einwirkungen im Sinne der Berufskrankheit Nr. 2108 nicht gerechtfertigt. Bei der gegebenen Sachlage ist der medizinische Sachverhalt ausreichend aufgeklärt, so dass es der Einholung eines (weiteren) Gutachtens von Amts wegen nicht bedarf.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Die Revision wird nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 SGG nicht vorliegen.

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