Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (8. Senat) - L 8 U 49/04
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 21. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente hat. Dabei geht es um die Frage, ob ihr Ehemann F. F.. (Versicherter) an den Folgen einer Berufskrankheit der Nr. 1103 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) verstorben ist.
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Die Klägerin war die Ehefrau des am 1941 geborenen und am 1998 verstorbenen Versicherten. Dieser hatte nach seiner Ausbildung vom 1. April 1957 - unterbrochen durch die Wehrzeit 1965/66 - bis September 1996 durchgehend als Schriftmaler und Autolackierer in einer Kraftfahrzeugwerkstatt gearbeitet. Nach zwischenzeitlicher Arbeitsunfähigkeit bezog der Versicherte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. September 1997.
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Am 18. März 1997 meldete die Krankenkasse des Versicherten bei der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit. Wegen eines festgestellten Bronchialkarzinoms sei der Verdacht auf die Berufskrankheit der Nr. 4104 der Anlage zur BKV gegeben. Mit seiner Stellungnahme vom 17. September 1997 hielt der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten eine Einwirkung von Lösemitteln, Benzol, Chromat und Zinkchromat für möglich, jedoch nicht von Asbest. In einer Stellungnahme vom 20. Oktober 1997 ging Dr. J. (Referat für Arbeitsmedizin der Beklagten) davon aus, dass eine Zinkchromatexposition wahrscheinlich sei. In einer weiteren Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes vom 18. März 1998 war dieser der Auffassung, dass die Belastung des Versicherten mit Zinkchromat unter den jeweiligen Grenzwerten liege.
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Mit arbeitsmedizinischem Gutachten vom 6. April 1998 nach Aktenlage empfahl der Landesgewerbearzt Dr. N. die Anerkennung der Berufskrankheit der Nr. 1103 nach Abwägung der Zinkchromateinwirkung auf den Versicherten insbesondere mit dem langjährigen Nikotinmissbrauch. Der Beratungsarzt Dr. E. der Beklagte teilte mit Stellungnahme vom 4. Mai 1998 die Einschätzung Dr. N.s, es sei jedoch die Chromatexposition vor 1987 zu ermitteln. Nach Exhumierung des verstorbenen Versicherten wurde das Obduktionsprotokoll vom 10. Juni 1998 durch Dr. S., Arzt für Rechtsmedizin, in H. erstellt. Der histologische Befund vom 6. Juli 1998 des Dr. S. nahm das Bronchialkarzinom als Primärtumor an. Auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Prof. Dr. L. und Prof. Dr. R. am 18. August 1998 eine arbeitsmedizinisch-toxikologische gutachterliche Stellungnahme. Darin lehnten sie einen Zusammenhang der Erkrankung des Verstorbenen mit der beruflichen Tätigkeit ab. Es seien aber weitere Ermittlungen erforderlich. Mit weiterem Gutachten von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. R. vom 19. Januar 1999 hielten diese weitere Ermittlungen zur Chromatexposition in den 60er und 70er Jahren für erforderlich. Daraufhin wurde in Stellungnahmen des Technischen Aufsichtsdienstes vom 4. März 1999 und 12. Juli 1999 nochmals auf die Belastung des Klägers seit 1961 im Einzelnen eingegangen. Mit einer weiteren Stellungnahme vom 16. November 1999 schätzte Prof. Dr. R. das Ergebnis als offen ein, der Zusammenhang sei jedoch eher nicht abzulehnen. Mit Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Maschinenbau- und Metallberufsgenossenschaft vom 30. Dezember 1999 durch Dipl.-Ing. Sa. wurde die Belastungsdosis als nicht erreicht angesehen. Daraufhin lehnte Prof. Dr. R. mit Stellungnahme vom 24. Januar 2000 einen Zusammenhang im Sinne einer Berufskrankheit ab.
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Mit Bescheid vom 25. April 2000 lehnte die Beklagte sodann die Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab, da der Tod des Versicherten nicht Folge einer Berufskrankheit der Nr. 1103 der Anlage zur BKV gewesen sei. Eine solche Berufskrankheit sei bei dem verstorbenen Versicherten nicht anzuerkennen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 4. Mai 2000 Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie geltend, dass die Belastung mit Zinkchromat nicht hinreichend ermittelt worden sei. Diese sei tatsächlich höher gewesen. Es müssten weitere Ermittlungen am Arbeitsplatz durchgeführt werden. Außerdem sei der zugrunde gelegte Grenzwert keine generelle Konvention, er habe keine sachliche Rechtfertigung. Es lägen Aufkleber mit den Inhaltsstoffen der verarbeiteten Mittel vor. Außerdem seien Arbeitskollegen des Versicherten als Zeugen zu vernehmen.
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Die Beklagte nahm daraufhin ihre Ermittlungen wieder auf. Mit Stellungnahme von Prof. Dr. Na. vom 4. Juni 2000 führte dieser aus, dass die benannten Grenzwerte keine empfohlene Richtgröße für sämtliche Berufsbereiche darstellten. Der benannte Zeuge E. gab im Dezember 2000 an, dass er sich an verwendete Stoffe oder Produkte in den jeweiligen Zeiträumen nicht mehr erinnere. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten nahm am 17. November 2000 insbesondere zu den nachgereichten Aufklebern der verwendeten Produkte ergänzend Stellung. In den Jahren 1961 bis 1987 sei danach eine geringe Exposition anzunehmen. Der Landesgewerbearzt Dr. N. empfahl am 7. Mai 2001, eine erneute Einschätzung durch Prof. Dr. R. anzufordern. Dieser lehnte dann mit Stellungnahme vom 9. Oktober 2001 einen Zusammenhang der beruflichen Einwirkung von Chromaten mit dem Auftreten der Erkrankung des Versicherten ab. Daraufhin lehnte der Gewerbearzt Dr. N. mit Stellungnahme vom 5. November 2001 den Zusammenhang ebenfalls ab; die Exposition von Chromaten sei unter dem Grenzwert.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 2002 wies die Beklagte sodann den Widerspruch der Klägerin zurück. Der Vollbeweis einer Einwirkung von Chromaten ab 1987 sei nicht erbracht.
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Hiergegen hat die Klägerin am 5. Februar 2002 Klage beim Sozialgericht Kiel erhoben und geltend gemacht, dass die Chromatexposition langjährig - auch über 1987 hinaus - gewesen sei. Die Ermittlungen seien nicht ausreichend und die Werte nur spekulativ.
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Das Sozialgericht hat das Gutachten von Prof. Dr. Na. vom 10. März 1994 zu Lungenkrebs bei Schweißern beigezogen und ein schriftliches arbeitsmedizinisches Zusammenhangsgutachten von dem Arbeitsmediziner und Umweltmediziner Dr. Ja. vom 6. Januar 2004 eingeholt, das dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme am 21. Januar 2004 erläutert hat.
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Mit Urteil vom 21. Januar 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, bei dem verstorbenen Versicherten F. F.. eine Berufskrankheit nach der Nr. 1103 der Anlage zur BKV anzuerkennen und der Klägerin eine Witwenrente zu gewähren. In den Entscheidungsgründen dieses Urteils hat das Sozialgericht ausgeführt, dass bei dem verstorbenen Versicherten die Voraussetzungen für die Anerkennung der Berufskrankheit der Nr. 1103 der Anlage zur BKV vorlägen. Da er an deren Folgen verstorben sei, habe die hinterbliebene Ehefrau Anspruch auf Gewährung einer Witwenrente. Dabei hat sich das Sozialgericht im Wesentlichen auf das Gutachten von Dr. Ja. gestützt. Im Einzelnen haben dem folgende Feststellungen des Sozialgerichts zu Grunde gelegen: Der Versicherte sei an einem kleinzelligen Bronchialkarzinom verstorben. Diese Erkrankung sei als eine Erkrankung durch Chrom oder seine Verbindungen mit Wahrscheinlichkeit durch die berufliche Tätigkeit des Verstorbenen als Autolackierer verursacht worden. Der Versicherte sei von 1961 bis 1994, mit Unterbrechung durch den Wehrdienst, arbeitstäglich der Einwirkung von VI-wertigen Chromverbindungen, insbesondere Zinkchromat, ausgesetzt gewesen. Das Ausmaß der Belastung sei nicht exakt bestimmbar. Es sei von der höchsten Belastung in den 60er und 70er Jahren auszugehen. Ein allgemein anerkannter Grenzwert für die Einwirkung von Zinkchromaten im Sinne der Verursachung einer Berufskrankheit für die Tätigkeit eines Spritzlackierers bestehe nicht. Die Bezugnahme auf den von Prof. Dr. Na. entwickelten Grenzwert für die Chromatbelastung von Schweißern überzeuge nicht. Entscheidend sei darauf abzustellen, dass im Lungengewebe des Versicherten ein Chromgehalt gefunden worden sei, der die obere Normgrenze um den Faktor 2,2 überschritten habe. Angesichts einer Latenzzeit von über 20 Jahren und einer Exposition von mehr als 10 Jahren seien die Voraussetzungen für die Berufskrankheit der Nr. 1103 der Anlage zur BKV als gegeben anzusehen.
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Gegen dieses der Beklagten am 23. April 2004 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die am 29. April 2004 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung vertritt die Beklagte die Auffassung, dass bei dem Versicherten die Chromatbelastung keine Dosis erreicht habe, bei der die Lungenkrebserkrankung als berufsbedingt anerkannt werden könnte. Der von Prof. Dr. Na. vorgeschlagene Wert von 2.000 Ng/m³ sei der zurzeit beste vorhandene Orientierungsmaßstab. Der Gutachter Dr. Ja. sei bezüglich der Expositionshöhe von anderen arbeitstechnischen Voraussetzungen ausgegangen als die befragten technischen Sachverständigen. Er habe damit zu Fragen Stellung genommen, die nicht in seinen Kompetenzbereich fielen. Die Lungengewebsanalyse belege wahrscheinlich eine berufliche Chromatexposition. Wegen der eingeschränkten Beurteilbarkeit auf Grund des Zeitpunkts der Gewebeentnahme könne der Befund aber nicht ausreichend valide für eine Beurteilung der Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs herangezogen werden.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 21. Januar 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, durch ein arbeitstechnisches Gutachten die tatsächliche Belastung durch Chrom während der Arbeitszeit des Herrn F., z. B. durch das Berufsgenossenschaftliche Institut für Arbeitssicherheit, zu klären.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend und die Berufungsbegründung der Beklagten nicht für überzeugend.
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Der Senat hat ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin Prof. Dr. B. aus H. vom 25. April 2005 eingeholt, das dieser im Hinblick auf von der Beklagten vorgebrachte Einwände mit Stellungnahme vom 29. August 2005 ergänzt hat. Die Beklagte hat sich dabei im Wesentlichen auf Äußerungen von Dr. J. bezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
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Das Urteil des Sozialgerichts ist im Kern nicht zu beanstanden.
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Entgegen dessen Ausführungen richtet sich der Anspruch der Klägerin allerdings nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da die von ihr geltend gemachte Berufskrankheit ihres Ehemannes vor dem In-Kraft-Treten des SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten ist (vgl. § 212 SGB VII).
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Bei Tod durch Arbeitsunfall sind Leistungen an die Hinterbliebenen im Rahmen der §§ 589 ff. RVO zu gewähren. Dem Tod durch Arbeitsunfall steht gleich, wenn der Versicherte durch eine Berufskrankheit verstorben ist (siehe § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO). Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Krankheiten durch Chrom oder seine Verbindungen sind als Berufskrankheit unter der Nr. 1103 der Anlage 1 zu § 1 BKV aufgenommen.
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Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Versicherte an einem Bronchialkarzinom verstorben ist, das durch die berufsbedingten Einwirkungen von Chrom und seinen Verbindungen - mit Wahrscheinlichkeit - verursacht worden ist. Das hat die Beweisaufnahme im Berufungsverfahren bestätigt. Das vom Senat eingeholte Gutachten von Prof. Dr. B. kommt zu demselben Ergebnis wie es bereits der Gutachter Dr. Ja. im Verfahren vor dem Sozialgericht festgestellt hatte.
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Danach trifft der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls in einer Gesamtschau aller Indikatoren die folgenden Feststellungen (s. § 128 SGG):
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Der Versicherte erkrankte 1996 an einem kleinzelligen Bronchialkarzinom, an dessen Folgen er verstarb. Das kleinzellige Bronchialkarzinom tritt häufiger bei exogenen Ursachen, wie z.B. Schadstoffeinwirkungen, auf. Zu den Stoffen, die Bronchialkarzinome verursachen können, zählen insbesondere auch Chrom-VI-Verbindungen. Das ist medizinisch wissenschaftlich nicht umstritten.
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Strittig ist hier im Wesentlichen allerdings, ob der Versicherte während seiner Berufstätigkeit in einem Umfang gegenüber Chrom exponiert war, der mit Wahrscheinlichkeit die Haftung für das Entstehen des zum Tode führenden Bronchialkarzinoms begründet.
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Der Versicherte hat mit einer kurzen Unterbrechung von 1957 bis 1996 als Autolackierer gearbeitet. Neben der Lackiertätigkeit gehörte es auch zu seinen Aufgaben, staubbelastende Schleifarbeiten durchzuführen. An einer Chrom-VI-Exposition wird grundsätzlich - auch von der Beklagten - nicht gezweifelt. Die tatsächliche individuelle Exposition am Arbeitsplatz des Versicherten vor allem in den 60er und 70er Jahren konnte von der Beklagten nicht bewertet werden. Vielmehr wurde eine Schätzung auf Grund später gewonnener Erkenntnisse abgegeben. Dabei wurde von dem Diplom-Ingenieur Sa. eine Belastung letztlich nur für den Zeitraum von 1961 bis 1987 angenommen, da nach der TRGA 1/97 ab 1988 Zinkchromatgrundierungen nicht mehr zum Einsatz gekommen seien.
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Sowohl hinsichtlich der Begrenzung des Zeitraums der Exposition bis 1987 als auch hinsichtlich des Ausmaßes der Exposition in den 60er und 70er Jahren sind die Annahmen der Beklagten nicht zu Grunde zu legen. Erfahrene Arbeitsmediziner wie Dr. N., Prof. Dr. R. und Dr. Ja. haben übereinstimmend darauf hingewiesen, dass sich die Arbeitsbedingungen in den 60er und 70er Jahren deutlich von denjenigen in den Folgejahren unterschieden hätten. Es müsse in diesem Zeitraum von einer erheblichen Einwirkung und inhalativen Aufnahme von Zinkchromat durch den Versicherten ausgegangen werden. Danach ist eine Rückrechnung oder Schätzung auf Grund späterer Messungen zur Überzeugung des Senats nur eingeschränkt verwertbar. Der Rückgriff von Dr. Sa. auf die Werte des BIA-Reports 2/96 stellt keine repräsentative Aussage über die Arbeitsbedingungen in den 60er und 70er Jahren dar. Diese Untersuchung fußt auf Messungen aus dem Zeitraum 1989 bis 1992. Da bereits ab 1988 zinkchromathaltige Grundierungen nicht mehr eingesetzt werden durften, sind diese Messungen - unabhängig von zwischenzeitlich wesentlich verbessertem Arbeitsschutz - nicht auf die 60er und 70er Jahre übertragbar. Auch über das Jahr 1987 hinaus war der Versicherte einer Chromatexposition - wenn auch in geringerem Umfang - ausgesetzt, weil zinkchromathaltige Stoffe in den Beständen weiterhin vorhanden waren.
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Im Ergebnis steht für den Senat fest, dass der Versicherte in erheblichem Umfang langjährig (sicher über 20 Jahre) einer Chromatbelastung am Arbeitsplatz ausgesetzt war, wobei für annähernd zwei Jahrzehnte heutige Arbeitsschutzstandards nicht zu Grunde gelegt werden können. Diesen langjährigen schädigenden Einwirkungen durch Chrom und seine Verbindungen ist eine besondere Bedeutung für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zuzumessen, zumal die BK 1103 dies tatbestandsmäßig als verschärfendes Element für das Vorliegen der Voraussetzungen der Berufskrankheit (z.B. im Gegensatz zur BK 2102) nicht verlangt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Juni 1991 - 2 RU 59/90).
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Dass sich ein genaues Ausmaß der Belastung im Sinne einer Belastungsdosis nicht feststellen lässt, führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zur Ablehnung der Anerkennung der Berufskrankheit. Die BK 1103 setzt im Tatbestand zu ihrer Anerkennung keine konkrete Belastungsdosis voraus. Eine solche wird auch von der Rechtsprechung nicht gefordert (vgl. BSG ebenda). Ebenso gibt es keinen dementsprechenden medizinisch wissenschaftlichen Konsens. Der von Prof. Dr. Na. genannte Dosiswert wurde im Zusammenhang mit der Chromatbelastung von Schweißern entwickelt. Dr. Ja. hat zutreffend ausgeführt, dass die verschiedenen Chromate in ihrer krebsauslösenden Wirkung nicht gleichwertig sind. Bei der Tätigkeit des Versicherten ist besonders auf Zink- und Bleichchromate abzustellen. Schon deshalb ist der von Prof. Dr. Na. für Schweißer zu Grunde gelegte Wert nicht auf andere Berufe zu übertragen. Prof. Dr. Na. hat in diesem Zusammenhang selbst darauf hingewiesen, dass der von ihm entwickelte Grenzwert in der Wissenschaft nicht als allgemein akzeptiert eingeschätzt werden könne. Er sehe aber auch unterhalb des Grenzwerts ein doppeltes Risiko für die Entstehung insbesondere von Lungentumoren.
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Entscheidende Bedeutung kommt vor dem Hintergrund, dass der Versicherte in deutlich höherem Umfang als die übrige Bevölkerung chromatexponiert war und er an einem kleinzelligen Bronchialkarzinom (typische Folge bei Chromatkrebs) erkrankte, der Tatsache zu, dass in der Lunge des Versicherten Chrom in einer Konzentration festgestellt wurde, die um den Faktor 2,2 oberhalb der Normgrenze lag. Dieser Wert ist nach der Bewertung der Gutachter Dr. Ja. und Prof. Dr. B. als objektiver Messwert von besonderer Bedeutung unter Berücksichtigung der Expositionskarenz von drei Jahren (wenn nicht sogar zehn Jahren). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass - wie die Beklagte geltend macht - diese Messung auf Grund technischer oder anderer Fehler grundsätzlich nicht verwertbar ist. Prof. Dr. R. hat lediglich darauf hingewiesen, dass auf Grund des Zustandes des Lungengewebes keine Rückschlüsse mehr gezogen werden könnten auf eine hochzurechnende Chromatexposition zu Lebzeiten. Ebenso wenig sind die von der Beklagten ermittelten Schätzwerte, unabhängig von den daran bestehenden Bedenken, nicht geeignet, die erhöht nachgewiesene Chrombelastung als Beleg einer ausreichenden beruflichen Schadstoffbelastung zu falsifizieren.
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Auch in der medizinisch wissenschaftlichen Literatur (Mehrtens/ Perlebach, Berufskrankheitenverordnung, M 1103 Rdn. 3) wird keine zur Anerkennung der Berufskrankheit erforderliche Dosis genannt und von einer durchschnittlichen Expositionszeit von 16 bis 17 Jahren ausgegangen. Weiter wird dort festgestellt, dass der Nachweis einer erhöhten Chromatkonzentration im Lungengewebe die berufliche Exposition objektivieren kann. Im Einklang hiermit und mit den Gutachtern Dr. Ja. und Prof. Dr. B. stellt der Senat die langjährige Belastung mit Chrom und die erhöhte Konzentration von Chrom in der Lunge des Versicherten im Rahmen der Beweiswürdigung als feststehende Tatsachen in den Vordergrund. Dabei ist der Senat nicht gehindert, den Eigentümlichkeiten des Falls dabei dadurch Rechnung zu tragen, dass er an den Beweis verminderte Anforderungen stellt (siehe BSGE 19, 52, 56). Das betrifft die ohnehin nur anhand von Schätzungen mögliche Rekonstruktion der konkreten Arbeitsplatzbedingungen des Versicherten. Insoweit reicht die Feststellung aus, dass der Versicherte in erheblichem Umfang langjährig Chromat ausgesetzt war, auch wenn objektive Messdaten fehlen.
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Dass der Versicherte zu Lebzeiten geraucht hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Chromatexposition und dem Entstehen des Bronchialkarzinoms wäre nur dann zu verneinen, wenn das Rauchen des Versicherten die allein wesentliche Bedingung für die zum Tode führende Erkrankung gewesen wäre. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. B. wird dem Rauchen des Versicherten als Ursache des Bronchialkarzinoms nicht die überragende Bedeutung gegenüber der Chromatexposition zugemessen. Stellen sich beide Noxen als gleichwertig mitwirkende Teilursachen dar, ist die Berufskrankheit als Ursache im Rechtssinne für den Tod des Versicherten anzunehmen. Wie Prof. Dr. B. dargelegt hat, kommt dem Rauchen nur ein geringfügiger Einfluss zu. Nach den Angaben in den Akten geht Prof. Dr. B. zutreffend von einem Tabakkonsum von drei bis vier Gramm pro Tag aus. Dieser geringe Tabakkonsum erklärt vor dem Hintergrund statistischer Daten zur Menge des Tabakkonsums, Lungenkrebshäufigkeit und Alter der Betroffenen nicht, dass der Versicherte bereits im Alter von 55 Jahren an einem Bronchialkarzinom erkrankt ist. Diese Ausführungen von Prof. Dr. B. sind überzeugend und auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden. Danach steht fest, dass das Rauchen des Versicherten nicht die allein wesentliche Bedingung für die zum Tode führende Erkrankung war.
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Der Senat trifft diese Entscheidung auf Grund der im Wesentlichen übereinstimmenden Gutachten von Dr. Ja. und Prof. Dr. B.. Die umfassende praktische Erfahrung von Dr. Ja. und die besondere fachliche Kompetenz von Prof. Dr. B. (Universitätsprofessur für Arbeitsmedizin in der Universität H., Zentralinstitut für Arbeitsmedizin - Facharzt für innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin) haben sich hier ergänzt zu einer den Senat in jeder Hinsicht überzeugenden gutachterlichen Bewertung. Prof. Dr. R. hat sich in seiner Bewertung hingegen von technischen Schätzungen abhängig gemacht, die zweifelhaft sind und im Rahmen der Beweiswürdigung durch den Senat nicht die Bedeutung haben, die Prof. Dr. R. ihnen zugemessen hat. Deshalb vermochte der Senat Prof. Dr. R. nicht zu folgen. Die Darlegungen von Dr. J. wertet der Senat nicht als Gutachten, sondern als Beteiligtenvortrag. Auch in der Sache überzeugen diese nicht, weil sie sich an einem nicht anerkannten Dosiswert orientieren. Zudem trifft die Aussage von Dr. J. nicht zu, dass Prof. Dr. R. das von ihm ermittelte Analyseergebnis in der Lunge als verwertbares Kriterium verneint habe.
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Letztlich besteht keine Veranlassung, dem Hilfsantrag der Beklagten nahe zu treten. Dabei kann dahinstehen, ob es sich überhaupt um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag handelt, weil sich aus diesem nicht ergibt, zum Beweis welcher Tatsache das Beweismittel benannt wurde. Auch in der Sache ist dieser abzulehnen, weil weitere Ermittlungen nichts daran ändern, dass die tatsächliche Exposition am Arbeitsplatz des Versicherten nur geschätzt werden kann. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Schätzung gegebenenfalls verfeinert wird. Das bisherige von der Beklagten vorgelegte Ergebnis in Verbindung mit der langjährigen Expositionsdauer und dem in der Lunge des Versicherten festgestellten Chromat reicht zur Beurteilung des Falls zur Überzeugung des Senats vollumfänglich aus.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Es besteht kein Grund, die Revision zuzulassen; die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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Referenzen
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- § 212 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 589 ff. RVO 1x (nicht zugeordnet)
- BKV § 1 Berufskrankheiten 1x
- §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO 5x (nicht zugeordnet)
- § 551 Abs. 1 Satz 2 RVO 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 128 1x
- § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO 1x (nicht zugeordnet)
- SGG § 160 1x