Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (4. Senat) - L 4 KA 14/04

Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1) wird das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 8. Juni 2004 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) im gesamten Verfahren sind erstattungsfähig.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2) im gesamten Verfahren sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses für die Quartale IV/99 bis II/00.

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Die Klinik für Allgemeine Pädiatrie der Klägerin (Universitätsklinikum S.) ist zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. Die Beigeladene zu 1) stellte im August 2000 und November 2000 Anträge auf Prüfung eines besonderen Schadens im Hinblick auf die in den Quartalen IV/99, I/00 und II/00 erfolgte Behandlung der bei ihr versicherten, 1986 geborenen Patientin M. C. mit dem Medikament Granditropin. Dieses enthalte als Wirkstoff gentechnisch hergestelltes Somatropin und sei ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel, welches gemäß § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG) für einzelne Patienten eingeführt werden könne. In Deutschland seien mehrere Arzneimittel zugelassen und verfügbar, die ebenfalls gentechnisch hergestelltes Somatropin als Wirkstoff enthielten.

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Mit Beschlüssen/Bescheiden vom 4. April 2001/27. August 2001 setzte der Prüfungsausschuss nach Anhörung der Klägerin Schadensersatz für die Quartale IV/99 und I/00 in Höhe von 46.427,04 DM und für das Quartal II/00 in Höhe von 17.410,14 DM fest. Er schloss sich in seiner Begründung im Wesentlichen der Antragsbegründung an. Die Frage nach der Qualität und Unbedenklichkeit von Granditropin stelle sich insbesondere, weil das Präparat lediglich in Georgien zugelassen sei, einem Land, in dem die Gleichwertigkeit der an eine Arzneimittelzulassung geknüpften Qualitätsstandards im Vergleich zu den hier geltenden Maßstäben mehr als fraglich erscheine.

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Mit ihren dagegen jeweils gerichteten Widersprüchen trug die Klägerin im Wesentlichen vor: Die Entscheidung des Prüfungsausschusses werde der Sach- und Rechtslage nicht gerecht. Es werde vorsorglich gerügt, dass die Beigeladene zu 1) mit ihrem Antrag vom 24. August 2000 (Quartale IV/99 und I/00) die Antragsfrist nach § 12 Abs. 4 Satz 3 der Prüfvereinbarung vom 13. Juni 1995 (im Folgenden: PV) nicht eingehalten habe. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen zu 1) verstoße die Verordnung des hier streitigen Präparates nicht gegen die Grundsätze, die das BSG in diversen Urteilen zur Verordnungs- und Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln entwickelt habe. Die Entscheidung des BSG vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 KR R - „SKAT") befasse sich mit dem indikationsfremden Einsatz eines Arzneimittels, um den es hier nicht gehe. Unabhängig davon habe das BSG in seinem Urteil ausdrücklich offen gelassen, ob ein zulassungsüberschreitend eingesetztes Medikament verordnungs- und erstattungsfähig sei. Das Urteil des BSG vom 08. März 1995 (1 RK 8/94 - „Edelfosin“) betreffe einen Fall, in dem das nach dem Arzneimittelgesetz vorgesehene Zulassungsverfahren noch nicht erfolgreich abgeschlossen gewesen sei. Das hier streitige Präparat Granditropin sei indes nach dem AMG nicht zulassungspflichtig. Entgegen der Ansicht des Prüfungsausschusses werde die Verordnung von Granditropin auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass zum Zeitpunkt der Verordnung wirkstoffgleiche, nach dem AMG zugelassene Arzneimittel verfügbar gewesen seien. Denn das etwaige Bestehen einer Versorgungslücke sei kein Tatbestandsmerkmal des § 73 Abs. 3 AMG. Unabhängig davon habe es sich auch bei dem Präparat Norditropin um ein Arzneimittel gehandelt, das bis Ende 1999 als nur in Dänemark zugelassenes Medikament in Deutschland nur nach § 73 Abs. 3 AMG habe eingeführt und verordnet werden dürfen; erst seit Dezember 1999 sei es nach dem AMG anerkannt. Entgegen der Annahme des Prüfungsausschusses werde das Präparat Granditropin nicht in Georgien, sondern in Österreich durch die Firma R. hergestellt. Es sei in Georgien nach dem dortigen nationalen Recht zugelassen. Die nationalen Zulassungsverfahren in Georgien und in Deutschland seien, was die Qualität der Arzneimittelprüfung anbelange, durchaus vergleichbar. Im Übrigen komme es darauf nicht an. In dem Verfahren über die von der Vertreiberfirma zwischenzeitlich bei der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) beantragte europaweite Zulassung von Granditropin seien sowohl die Betriebsstätten in Österreich als auch in Deutschland begutachtet worden und ohne Beanstandung geblieben. Darüber hinaus sei das Präparat vom Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Schwerpunktprobe nach § 65 Abs. 1 AMG geprüft worden; auch hier habe es keine Beanstandungen gegeben. Entgegen der Praxis der Beigeladenen zu 1) werde das Präparat Granditropin von anderen gesetzlichen Krankenkassen ohne weiteres erstattet.

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Im Rahmen der Anhörung vor dem beklagten Beschwerdeausschuss trug die Klägerin ausweislich des angefochtenen Bescheides ergänzend vor: Die betroffene Patientin leide an einem Ullrich-Turner-Syndrom; sie sei schwer kleinwüchsig. Granditropin solle für das Turner-Syndrom zugelassen werden. Eine Therapiestudie der Firma sei bei Behandlungsbeginn am 28. November 1997 noch offen gewesen. Durch das Einbringen des Kindes in die Studie seien der Gesetzlichen Krankenversicherung Kosten für 2 Jahre in Höhe von 160.000 DM erspart worden. Es sei deshalb selbstverständlich gewesen, nach Auslaufen der Studie am 16. November 1999 die Präparate der Herstellerfirma, die die Studie finanziert habe, weiter zu verordnen und nicht die zugelassenen deutschen Präparate alternativ einzusetzen. Es gebe zwar 5 Präparate, die für die Behandlung des Turner-Syndroms zugelassen seien, aber die Zulassung des 6. Präparates würde die Kosten aller Präparate senken. Eine entsprechende Norditropin-Simplexx-Verordnung wäre zwar günstiger gewesen, da aber die Therapie zweifellos indiziert gewesen sei, seien lediglich die entstandenen Mehrkosten in Rechnung zu stellen. Die Patientin habe durch die Therapie die untere Wachstumsgrenze erreicht. Ohne Therapie hätte lediglich eine Körpergröße von 1,30 cm bis 1,40 cm erreicht werden können.

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Der beklagte Beschwerdeausschuss wies die Widersprüche durch Beschluss/Bescheid vom 5. Juni 2002/29. Oktober 2002 zurück. Die Behandlung sei nach Darstellung der Anamnese erforderlich gewesen, jedoch hätte die Behandlung des Turner-Syndroms zu Kassenlasten mit hierfür zugelassenen Medikamenten erfolgen müssen. Die vom BSG für den Off-Label-Use aufgestellten Kriterien könnten hier nicht greifen. Danach müssten zur Behandlung einer Erkrankung mit einem hierfür nicht zugelassenen Medikament mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müsse - wie im vorliegenden Fall - eine lebensbedrohende oder nachhaltig lebensverändernde Erkrankung vorliegen. Dann müsse die Datenlage erkennen lassen, dass das verwendete Präparat sich zumindest in der Phase 3 der Studie befinde oder das Präparat müsse zur Zulassung für die therapierte Indikation anstehen. Dieser Sachverhalt liege nach Aussage des Herrn Prof. Dr. Sa. hier vor. Dennoch hätte die Klinik für Pädiatrie das Präparat Granditropin nicht zu Kassenlasten verordnen dürfen, da es in Deutschland nicht zugelassen gewesen sei. Zur Behandlung des Turner-Syndroms hätten zugelassene Präparate zur Verfügung gestanden. Damit sei die weitere vom BSG für die Zulässigkeit eines Off-Label-Use angenommene Voraussetzung, nämlich das Nichtvorhandensein für die Behandlung der jeweiligen Erkrankung zugelassener Präparate, in diesem Fall eindeutig nicht erfüllt. Es sei eindeutig zu erkennen, dass Herr Prof. Dr. Sa. das Präparat nur aus Gefälligkeit gegenüber der Pharmafirma weiter verordnet habe, da diese die Patientin im Rahmen einer Studie über zwei Jahre kostenlos mit dem Präparat versorgt habe. Aufgrund der Tatsache, dass hier ein nicht zugelassenes Präparat verordnet worden sei und Behandlungsalternativen in Form von zugelassenen Präparaten möglich gewesen wären, komme er nicht umhin, die Widersprüche zurückzuweisen.

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Hiergegen hat die Klägerin am 26. November 2002 bei dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Entgegen der Auffassung des Beklagten gehe es hier nicht um einen sog. „Off-Label-Use“. Im Gegenteil handele es sich bei dem Medikament Granditropin um ein damals nach § 73 Abs. 3 AMG in Deutschland zulässig eingesetztes Medikament. Damit seien die angefochtenen Entscheidungen schon wegen fehlerhafter Begründung abzuändern und die beiden Beschlüsse des Prüfungsausschusses aufzuheben. Auch der Sache nach sei eine die Festsetzung des Schadensersatzes rechtfertigende unwirtschaftliche Behandlung nicht gegeben. Eine gleich wirksame Medikation mit einem in Deutschland zugelassenen Medikament wäre im vorliegenden Fall nur zu höheren Kosten möglich gewesen. Angesichts des Umstandes, dass die Patientin bereits seit längerem mit dem Medikament Granditropin behandelt worden sei, habe es den Regeln ärztlicher Kunst entsprochen, die Therapie mit diesem Medikament fortzusetzen, um den Therapieerfolg nicht zu gefährden, da bei einer Langzeittherapie jeder Wechsel schädlich für die Compliance sei. Der Einsatz eines nach § 73 Abs. 3 AMG verordneten Medikaments könne nicht zur Unwirtschaftlichkeit der Verordnung führen. Schon aus den Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 3 AMG folge eine genauso intensive Wirksamkeitsgewähr wie aus der deutschen Arzneimittelzulassung. § 73 Abs. 3 AMG setze nämlich u.a. voraus, dass das Medikament aus einem Staat eingeführt werde, in dem es in den Verkehr gebracht werden dürfe. Weder bestünden Erkenntnisse noch sei die Annahme gerechtfertigt, dass ein in einem anderen Staat zugelassenes Medikament einer weniger intensiven Wirksamkeitskontrolle unterzogen worden sei als in Deutschland. Dies gelte insbesondere im vorliegenden Fall, in dem der Wirkstoff für das Medikament in Deutschland (Baden-Württemberg) entwickelt worden sei. Außerdem sei mit der Zulassung bis Ende des Jahres zu rechnen. Hinzu komme im konkreten Einzelfall, dass das Medikament Granditropin zur Behandlung des Ullrich-Turner-Syndroms und der damit verbundenen massiven Kleinwüchsigkeit sehr wohl geeignet sei. Dies habe gerade die Behandlung der Patientin M.C. bewiesen. Darüber hinaus liege auch im Ergebnis keine unwirtschaftliche Verordnungsweise vor. Unstreitig dürfte sein, dass die Patientin wegen ihrer Kleinwüchsigkeit habe behandelt werden müssen. Wäre die Behandlung nicht mit dem tatsächlich eingesetzten Medikament Granditropin erfolgt, hätte stattdessen ein anderes Medikament eingesetzt werden müssen. Beispielsweise habe das Medikament Zomacton im Jahr 2000 124,96 DM/mg gekostet, das Medikament Granditropin dagegen lediglich 109,61 DM/mg. Im Regress würden als Verbrauch der Patientin M. C. 582 mg angegeben. Hieraus errechne sich eine Ersparnis bei Einsatz des Medikamentes Granditropin in Höhe von 582 mg x 15,35 DM = 8.933,70 DM. Unberücksichtigt bleibe bei dieser Berechnung die eventuelle Notwendigkeit einer Verlängerung der Behandlung aufgrund von Problemen bei der Medikamentenumstellung. Von einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise könne daher nicht ansatzweise die Rede sein.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2002 aufzuheben.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beigeladene zu 1) hat sich der Begründung des angefochtenen Bescheides angeschlossen und sich zudem auf die Urteile des BSG vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R - sowie des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. März 2003 - L 5 KR 53/03 - bezogen. Beide Urteile stützten ihre Auffassung, wonach die Verordnung des Medikaments Granditropin nicht unter die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung falle, da das Präparat in Deutschland nicht zugelassen sei.

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Die Beigeladene zu 2) hat sich nicht zur Sache geäußert.

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Das Sozialgericht hat nach mündlicher Verhandlung am 8. Juni 2004 durch Urteil vom selben Tage der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen ist im Wesentlichen ausgeführt: Ein sonstiger Schaden im Sinne von § 106 SGB V i.V.m. § 48 Abs. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte und § 12 Abs. 3 der PV vom 15. Mai 1995 liege hier nicht vor. Nach § 12 Abs. 3 PV entscheide der Prüfungsausschuss auf begründeten Antrag im Einzelfall auch über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen seien (hierunter fielen auch Verordnungen, die gegen die Arzneimittel-Richtlinien verstießen) oder fehlerhafte Ausstellung von Bescheinigungen. Die Feststellung eines Schadensersatzes nach § 12 Abs. 3 PV setze materiell-rechtlich voraus die Verordnung von ausgeschlossenen Leistungen (1.), die Unzulässigkeit der Verordnung (2.) - hiermit sei nach Auffassung der Kammer die schuldhafte Begehung (also zumindest Fahrlässigkeit) gemeint - sowie (3.) einen hieraus der Krankenkasse entstandenen Schaden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Die Verordnung des Medikaments Granditropin gehöre nicht grundsätzlich zu den aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossenen Leistungen. Versicherte hätten nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasse nach Satz 2 Ziffer 3 grundsätzlich auch die Versorgung mit Arzneimitteln. Dieser Grundsatz erfahre seine Konkretisierung in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wonach der Anspruch bestehe auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 ausgeschlossen seien. Bei dem Medikament Granditropin handele es sich um ein grundsätzlich apothekenpflichtiges Arzneimittel. Nicht im Gesetz geregelt sei die Frage, ob ein Arzneimittel schon dann als Arzneimittel gelte, wenn es auf dem Markt sei oder erst dann, wenn es nach dem AMG zugelassen sei. Diese Frage sei indes jedenfalls seit den Urteilen des BSG vom 30. September 1999 - B 8 KN 9/98 - KR R (SKAT-Entscheidung) und 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R (Sandoglobulin-Entscheidung) dahingehend zu beantworten, dass als Arzneimittel grundsätzlich nur ein nach dem AMG zugelassenes Medikament anzusehen sei. Das Medikament Granditropin sei zur Zeit der Verordnungen grundsätzlich zugelassen gewesen, allerdings nicht in Deutschland, sondern nur in Georgien. Diese Zulassung außerhalb Deutschlands stehe indes einer Verordnungsfähigkeit nicht immer entgegen. Grundsätzlich dürften zulassungspflichtige Arzneimittel nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG nach Deutschland nur importiert werden, wenn sie hier auch zugelassen seien. Allerdings mache Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift von diesem Grundsatz eine Ausnahme. Danach dürften abweichend von Abs. 1 Satz 1 AMG nicht in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel nach Deutschland importiert werden, wenn sie in dem Land, aus dem sie importiert würden, zugelassen und von Apotheken bestellt seien. Weitere Voraussetzung nach Satz 2 sei, dass solche Arzneimittel nur in geringen Mengen und auf besondere Bestellung einzelner Personen bezogen würden und nur im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebes abgegeben würden sowie, soweit es sich nicht um Arzneimittel aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften oder anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum handele, nur auf ärztliche Verschreibung bezogen würden. Dass die Ausnahmevoraussetzungen des § 73 Abs. 3 AMG hier vorlägen, sei zwischen den Beteiligten nicht streitig. Soweit der Beklagte allerdings darauf abstelle, dass gleichwohl ein Import nicht habe stattfinden dürfen, da es in Deutschland zugelassene Alternativmedikamente gebe, gehe diese Ansicht fehl. Die "Notwendigkeit des Imports" sei kein Tatbestandsmerkmal des § 73 Abs. 3 AMG. Die Zulässigkeit des Imports eines Arzneimittels nach den Vorschriften des AMG sage zunächst nichts über die Verordnungsfähigkeit auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Zum Verhältnis des AMG zum SGB V habe sich das BSG in seiner Sandoglobulin-Entscheidung allerdings dahingehend geäußert, dass bei Vorliegen der arzneimittelrechtlichen Zulassung davon ausgegangen werden könne, dass damit zugleich die Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts erfüllt seien. Unbeschadet der unterschiedlichen Zielsetzung von Arzneimittel- und Krankenversicherungsrecht rechtfertige dies die Vorgreiflichkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung für die Anwendung eines Medikaments im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen sei abzuleiten, dass das AMG nicht nur in seinen Grundsätzen, sondern auch in dem Ausnahmefall des § 73 Abs. 3 Anwendung finde. Im Rahmen des § 73 Abs. 3 AMG seien daher Verordnungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zulässig. Wenn die Verordnung des Medikaments Granditropin in diesem Ausnahmefall zulässig gewesen sei, könne ein Verschulden nicht vorliegen. Schließlich lasse der Bescheid auch Ausführungen zum konkreten Schaden vermissen. Die AOK Hamburg habe die Kosten für Medikamente zwei Jahre lang gespart. Hier hätte eine Gegenrechnung erfolgen müssen, welche Kosten entstanden wären, wenn die Patientin über den kompletten Behandlungszeitraum mit einem zugelassenen Medikament behandelt worden wäre.

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Gegen das ihr am 5. Juli 2004 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. August 2004 eingelegte Berufung der Beigeladenen zu 1), die zur Begründung im Wesentlichen vorträgt: Das Sozialgericht führe zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen die Urteile des BSG vom 30. September 1999 - B 8 KN 9/98 KR R - und vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R - an. Diese zum „Off-Label-Use“ ergangenen Urteile schlössen bei Vorliegen einer deutschen arzneimittelrechtlichen Zulassung auch auf die Erfüllung der Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts. Hier liege weder eine deutsche Zulassung für Granditropin vor, noch sei ein „Off-Label-Use" gegeben. Beide zitierten Entscheidungen seien daher für die Entscheidungsbegründung des Sozialgerichts ungeeignet. Denn bei einem „Off-Label-Use" sei eine Prüfung des Präparates im Inland bereits erfolgt, wenn auch auf einem anderen Anwendungsgebiet. In dem vorliegenden Fall sei hingegen eine nationale Zulassung gerade nicht gegeben, eine Risikoprüfung im Inland folglich nicht erfolgt. Aufgrund einer ausländischen, hier georgischen, arzneimittelrechtlichen Zulassung könne jedoch nicht auf das Vorliegen der Mindeststandards einer wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung im Sinne des Krankenversicherungsrechts geschlossen werden, da ausländische Zulassungskriterien nicht identisch seien mit denen, die bei einem nationalen Zulassungsverfahren geprüft würden. Das Vorliegen einer ausländischen Zulassung sei keine Gewähr für das Vorliegen dieser Standards der wirtschaftlichen und zweckmäßigen Arzneimittelversorgung. Entgegen der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung werde die Leistungspflicht gesetzlicher Krankenkassen auch nicht durch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 AMG begründet. Sinn und Zweck dieser im Abschnitt „Ein- und Ausfuhr" des AMG stehenden Norm sei es nicht, eine erforderliche nationale Zulassung zu ersetzen. Vielmehr sei sie eine Ausnahmevorschrift, die das In-Verkehr-Bringen von Medikamenten, die keine nationale Zulassung besitzen, unter bestimmten Voraussetzungen von der Strafbarkeit der Einfuhr nach § 96 AMG befreie. Würde allein durch die Erfüllung der Voraussetzungen des § 73 Abs. 3 AMG die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen begründet, ließen sich für die Qualitätssicherung unvermeidbare strenge nationale Zulassungskriterien auf einfachstem Wege durch eine ausländische Zulassung umgehen, sobald andere Zulassungsverfahren abweichende Qualitätsstandards aufwiesen. Dies würde eine Qualitätsminderung und fehlende Risikoprüfung zur Folge haben. Auf die Leistungspflicht gesetzlicher Krankenkassen könne dann nicht mehr geschlossen werden, es müsste in jedem Einzelfall durch ein eigenständiges Verfahren geprüft werden, ob das Medikament mit ausländischer Zulassung den Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit entspreche. Auch die in dem angefochtenen Urteil zitierten Entscheidungen unterschieden ausdrücklich, dass die Verordnung eines Medikaments nach legaler Einfuhr zwar zulässig sein könne, unabhängig hiervon jedoch die Leistungspflicht der Krankenkassen beurteilt werden müsse. Danach stehe auch die Therapiefreiheit unter dem Vorbehalt des Leistungsrechts, wobei das Interesse des Beitragszahlers am sinnvollen - im Rahmen des AMG abgesicherten - Einsatz der Mittel höher zu bewerten sei als das Interesse des Erkrankten an medizinischen Versuchen, d.h. an der Verwendung letztlich - nach unserem Rechtssystem - ungesicherter Präparate. In seinem Urteil vom 18. Mai 2004 (B 1 KR 21/02 R) habe das BSG daher auch entschieden, dass für die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen eine deutsche oder EU-weite Zulassung Mindestvoraussetzung sei. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Kiel sei ein Schaden im Sinne von § 48 Abs. 1 BMV-Ä bzw. § 12 Abs. 3 der Prüfungsvereinbarung Schleswig-Holstein bereits dann gegeben, wenn zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen verordnet würden, die aus ihrer Leistungspflicht ausgeschlossen seien. Auf ein Verschulden des verordnenden Arztes oder die Kosten für eine Alternativbehandlung komme es nicht an. Zunächst finde sich hierzu in der Prüfungsvereinbarung Schleswig-Holstein keine Grundlage. Auch die bislang zu der „Off-Label-Use"-Problematik ergangenen Urteile des BSG setzten bei Schadensersatzansprüchen nach erfolgter Leistung außerhalb der Leistungspflicht nicht ein Verschulden des behandelnden Arztes voraus. Zudem könne ein Preisvergleich des Medikaments mit ausländischer Zulassung und eines vergleichbaren Medikaments mit deutscher Zulassung nach dem AMG nicht dazu führen, dass sie sich ggf. Kosten für eine Alternativbehandlung entgegenhalten lassen müsse. Denn dann wäre letztlich die Verordnung von Präparaten, denen die erforderliche deutsche Zulassung fehle, immer dann sanktionslos, wenn das Präparat mit ausländischer Zulassung preisgünstiger sei als vergleichbare hier zugelassene Medikamente. Darüber hinaus wäre in diesem Falle auch die mit den bereits erwähnten Risiken verbundene Umgehung des nationalen Zulassungsverfahrens gleichsam „durch die Hintertür" möglich; dies könne nicht richtig sein.

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Die Beigeladene zu 1) beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 08. Juni 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte schließt sich dem Antrag und dem Vorbringen der Beigeladenen zu 1) an.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Nicht das AMG, sondern die § 2 Abs. 1 S. 3 und 12 Abs. 1 SGB V bestimmten die inhaltlichen Grenzen für die Leistungspflicht der Krankenkassen. Diese Grenzziehung falle für nach dem AMG zugelassene Arzneimittel deshalb leicht, weil im Rahmen der Zulassungsprüfung ebenfalls der Nachweis der Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Medikaments zu erbringen sei. Der Zulassung komme damit insoweit eine Indizwirkung zu. Für (noch) nicht zugelassene Medikamente sei hingegen die Frage der Leistungspflicht der Krankenkassen im Hinblick auf Qualität und Wirksamkeit des Medikaments für den jeweiligen Einzelfall gesondert zu überprüfen. Jedoch könne selbstverständlich auch der auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 AMG erfolgende Einsatz eines (noch) nicht zugelassenen Arzneimittels die Kriterien der §§ 2 Abs. 1 S. 3 und 12 Abs. 1 SGB V erfüllen und damit die Leistungspflicht der Krankenkassen auslösen. Grundlage für die - nötigenfalls nachträglich durch das angerufene Gericht - vorzunehmende Überprüfung könnten dabei insbesondere die im Zusammenhang mit dem Einsatz des Medikaments erarbeiteten Studienergebnisse oder im Ausland durchgeführte Arzneimittelprüfungen sein. Die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 18. Mai 2004 (B 1 KR 21/02 R) sowie vom 19. Oktober 2004 (B 1 KR 27/02 R) stünden dem nicht entgegen. In dem Urteil vom 18. Mai 2004 verweise das Gericht vielmehr ebenfalls darauf, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben müsse, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt sei. Die folgenden Ausführungen des BSG könnten, gerade auch angesichts seiner früheren Entscheidungen, so verstanden werden, dass bei nicht zugelassenen Medikamenten der Nachweis im Sinne der §§ 2 Abs. 1 S. 3 und 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich möglich sei, es sei denn, ein Zulassungsantrag des Herstellers sei bereits abschlägig beschieden worden. Darauf, ob diese Entscheidung bestandskräftig geworden sei, solle es nicht ankommen. Die Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit des Medikaments Granditropin sei in mehreren klinischen Phase-III-Studien mit über 1000 Patienten in Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Georgien nachgewiesen, und die Ergebnisse der klinischen Studien seien veröffentlicht worden. Eine Publikationsliste sei als Anlage beigefügt. Die Erteilung der bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) im zentralen Zulassungsverfahren beantragten EU-weiten arzneimittelrechtlichen Zulassung durch die Europäische Kommission werde für September 2005 erwartet. Darüber hinaus lägen zwischenzeitlich bereits arzneimittelrechtliche Zulassungen für Granditropin in den Staaten Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Kasachstan vor. Im Fall der Patientin M. C. lägen jedenfalls auch die vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 19. Oktober 2004 wieder aufgegriffenen Kriterien eines Ausnahmefalls vor. Die Ausführungen des Beklagten zu der Frage des Vorliegens eines kausalen Schadens i.S.d. § 12 Abs. 3 der Gemeinsamen Prüfvereinbarung seien unrichtig. Die betreffende Bestimmung der Prüfvereinbarung regele nicht „Sanktionen“ im Sinne einer Geldstrafe für eine unzulässige Verordnung von Leistungen, sondern einen Schadensersatzanspruch. Dies setze aber voraus, dass durch die Verordnung der jeweils im Streit stehenden Leistung der Krankenkasse tatsächlich ein Schaden entstanden sei. Nach der sog. Differenzhypothese seien ersparte Aufwendungen bei der Berechnung des Schadens im Wege der Vorteilsausgleichung grundsätzlich anzurechnen (unter Hinweis auf Palandt-Heinrichs, 62. Aufl. 2003, Vorb. v. § 249, Rdn. 141). Zur weiteren Begründung bezieht sich die Klägerin auf eine „gutachterliche Stellungnahme zur Erstattungsfähigkeit von Granditropin durch die gesetzliche Krankenversicherung....“ der Rechtsanwälte Frehse und Mack, Münster, aus April 2005 (Bl.100-104 GA).

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Die Beigeladene zu 1) erwidert darauf im Wesentlichen: Eine „notstandsähnliche Situation“, wie sie der von der Klägerin zitierten Entscheidung zu Visudyne (Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R -) zugrunde liege, habe hier nicht bestanden. Zum Zeitpunkt der Behandlung seien in Deutschland andere Medikamente zur Behandlung des Ullrich-Turner-Syndroms zugelassen gewesen. Es handele sich bei dieser Erkrankung auch nicht um eine derart seltene Erkrankung, dass eine Erforschung aus Gründen der Singularität ausscheide. An dem Ergebnis änderten auch die von der Klägerin angegebenen Phase-III-Studien nichts. Das BSG führe in der Entscheidung zu Visudyne aus, dass der Qualitätsnachweis bereits im Zeitpunkt der Behandlung vorliegen müsse. Die von der Klägerin angegebenen Veröffentlichungen datierten aus den Jahren 2002 und später, das Schreiben der EMEA sogar erst aus dem Jahre 2004; die Behandlung sei aber bereits in den Jahren 1999 und 2000 durchgeführt worden, so dass diese Studien jedenfalls keinen Qualitätsnachweis erbringen könnten. Es liege auch ein sonstiger Schaden gemäß § 12 Nr. 3 der Prüfvereinbarung vor. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien die Regelungen des Zivilrechts nicht anwendbar. Das BSG habe in dem Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 19/00 R - zu der schleswig-holsteinischen Prüfvereinbarung - klargestellt, dass es für die Festsetzung eines Regresses wegen Verstoßes gegen die AMR bzw. wegen der Verordnung nicht verordnungsfähiger Arzneimittel nicht auf ein Verschulden des Arztes ankomme. Der „Schaden", der durch einen Verordnungsregress auszugleichen sei, entspreche nach Auffassung des BSG demjenigen, der durch eine unwirtschaftliche Verordnungsweise i.S.d. § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V verursacht werde. Nach den Regelungen zur Wirtschaftlichkeitsprüfung könnten zu Gunsten der Klägerin allenfalls kompensatorische Einsparungen berücksichtigt werden. Dies setze aber voraus, dass zwischen dem Mehraufwand auf der einen und den Kostenüberschreitungen auf der anderen Seite ein kausaler Zusammenhang bestehe. Ein Solcher sei aber nicht gegeben, wenn ein ganz anderes Medikament hätte eingesetzt werden müssen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen, die auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats am 9. Mai 2006 gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 €, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist unbegründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist die Festsetzung eines Schadensersatzes im Zusammenhang mit der Verordnung des Medikaments Granditropin durch die Klägerin rechtmäßig. Streitgegenstand sind dabei nur der Beschluss/Bescheid des Beklagten vom 5. Juni 2002/29. Oktober 2002, nicht hingegen die Beschlüsse/Bescheide des Prüfungsausschusses (ständige Rechtsprechung; u.a. BSG, Urteil vom 9. März 1994 - 6 RKa 5/92 - BSGE 74, 59).

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Gemäß § 106 Abs. 2 Satz 4 5. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266) können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die gesetzlich geregelten Prüfungsarten hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren. Diese Regelung beinhaltet eine Ermächtigungsgrundlage auch für Regresse wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2001 - B 6 KA 19/00 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 52). Entsprechend ist in § 12 Abs. 3 der von den Partnern der Gesamtverträge Schleswig-Holstein vereinbarten hier anzuwendenden „Gemeinsame(n) Prüfvereinbarung vertragsärztliche Versorgung“ vom 15. Mai 1995 bestimmt, dass der Prüfungsausschuss auf begründeten Antrag im Einzelfall auch über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unzulässiger Verordnung von Leistungen entscheidet, die aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen sind (hierunter fallen auch Verordnungen, die gegen die Arzneimittel-Richtlinien verstoßen) oder wegen fehlerhafter Ausstellung von Bescheinigungen.

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Die Beigeladene zu 1) hat die Anträge auf Prüfung jeweils innerhalb der in § 12 Abs. 4 PV geregelten Frist von neun Monaten nach Eingang der Überweisungsscheine gestellt. Für den auf das Quartal II/00 bezogenen Antrag, der im November 2000 einging, ergibt sich dies ohne jegliche weitere Prüfung daraus, dass die Frist von neun Monaten auch für evtl. vor Ablauf des Quartals eingereichte Überweisungsscheine nicht vor April 2000 begonnen haben kann. Gleiches gilt für das Quartal I/00 bezogen auf den im August 2000 eingegangenen Antrag. Hinsichtlich des Quartals IV/99 könnte etwas anderes nur dann gelten, wenn Überweisungsscheine für dieses Quartal bereits vor dem 29. November 1999 (Eingang des Antrages 28. August 2000) eingegangen wären. Hiervon ist jedoch nach der üblichen Abrechnungspraxis nicht auszugehen. Die Klägerin hatte die Einhaltung der Frist auch lediglich pauschal in Zweifel gezogen, ohne jedoch konkrete dagegen sprechende Umstände vorzutragen.

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Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 12 Abs. 3 PV liegen vor, weil es sich bei dem Medikament Granditropin bezogen auf die streitigen Quartale um eine aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossene Leistung handelte.

28

Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bezogen auf die Versorgung mit Arzneimitteln ergibt sich aus § 27 Abs. 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Der Umfang der Versorgung mit Arzneimitteln ist in § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 23. Juni 1997 (BGBl. I S. 1520) bestimmt. Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandsmitteln, Harn- und Blutteststreifen. Der Behandlungs- und Versorgungsanspruch des Versicherten unterliegt dabei allerdings den sich aus §§ 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Danach umfasst er nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Bezogen auf die Arzneimitteltherapie bedeutet dies, dass es zu Qualität und Wirkungsweise eines Arzneimittels zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen in dem Sinne geben muss, dass der Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Anzahl von Behandlungsfällen belegt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG fehlt es deshalb an der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer Arzneimitteltherapie, wenn das verwendete Mittel nach den Regelungen des Arzneimittelrechts einer Zulassung bedarf und diese Zulassung nicht erteilt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R - BSGE 93, 1 mit Nachweisen zur std. Rspr.; Urteil vom 23. Juli 1998 - B 1 KR 19/96 R - BSGE 82, 233).

29

Dass es sich bei Granditropin um ein gemäß § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) i. d. F. durch Gesetz vom 25. Februar 1998 (BGBl. I S. 374) zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt, ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Es handelt sich bei diesem Medikament um ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 4 Abs. 1 AMG. Für dieses Medikament lag eine innerstaatlich wirksame Zulassung in den Quartalen IV/99 bis II/00 nicht vor. Weder hatte die zuständige Bundesoberbehörde dafür eine Arzneimittelzulassung erteilt noch hatten die Kommission der EG oder der Rat der EU das In-Verkehr-Bringen des Mittels genehmigt. Der Antrag bei der europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) auf die EU-weite arzneimittelrechtliche Zulassung im zentralen Zulassungsverfahren wurde vielmehr nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin erst im April 2004 gestellt. Abgesehen davon ist aus der ständigen Rechtsprechung des BSG abzuleiten, dass nur die tatsächlich erfolgte Zulassung die Voraussetzungen für die Verordnungsfähigkeit des Medikamentes zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt, nicht hingegen ein noch laufendes Zulassungsverfahren. Entsprechend hat das BSG in dem Urteil vom 19. Oktober 2004 (- B 1 KR 27/02 R - BSGE 93, 236) betreffend das Medikament „Visudyne“ dargelegt, dass nach dem Zeitpunkt der Behandlung eine in Deutschland wirksame Arzneimittelzulassung erteilt worden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis; Zulassungs- und zulassungsähnliche Akte, die sich auf die Leistungspflicht der Krankenkassen auswirkten, könnten regelmäßig nur Wirkungen für die Zukunft entfalten. Da Versicherte und die Versichertengemeinschaft vor riskanten und/oder ineffektiven medizinischen Maßnahmen geschützt werden sollten, würde die nachträgliche Kostenübernahme für eine zum Zeitpunkt der Behandlung noch nicht zweifelsfrei geklärte Therapie auf eine Gefährdung hinauslaufen; es müsse aber schon zum Zeitpunkt der Behandlung geklärt sein, ob die erhofften Vorteile der Therapie die möglicherweise zu befürchtenden Nachteile überwögen. In diesem Zusammenhang hat sich das BSG auf die Rechtsprechung zur Verordnungsfähigkeit bislang nicht anerkannter Mittel und Methoden zu Lasten der Krankenversicherung bezogen (BSG, a.a.O, juris, Rz. 26 mit entsprechenden Nachweisen). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung bedurfte es keiner näheren Ermittlungen, ob für das Medikament Granditropin zwischenzeitlich eine in Deutschland wirksame Arzneimittelzulassung erteilt worden ist.

30

Die zum Zeitpunkt der Behandlung allein erfolgte Zulassung in Georgien entfaltet keine der innerstaatlichen Zulassung entsprechenden Rechtswirkungen. Selbst die nationale Zulassung eines Arzneimittels in einem anderen EU-Mitgliedsstaat entfaltet nicht ohne weiteres Rechtswirkungen in allen anderen Mitgliedsstaaten (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R - a.a.O.; vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R - a.a.O.). Da Georgien kein EU-Mitgliedsstaat ist, bedarf es in diesem Zusammenhang keines näheren Eingehens auf die ausführlichen Darlegungen des BSG zu der Frage der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem EU-Recht unter den Gesichtspunkten der Dienstleistungsfreiheit und der Warenverkehrsfreiheit (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R - a.a.O., juris Rz. 18 ff.).

31

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist bezogen auf die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung die in § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG geregelte Einfuhrmöglichkeit eines im Ausland zugelassenen Arzneimittels im Einzelfall nicht mit der innerstaatlichen Zulassung des Medikaments gleichzusetzen. Das BSG hat hierzu in dem Urteil vom 18. Mai 2004 (- B 1 KR 21/02 R - a.a.O; juris, Rz. 17) - für den Senat überzeugend - dargelegt, zwar habe der Versicherte nach Abschnitt A.3 der gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB V erlassenen AMR grundsätzlich Anspruch auf die Versorgung mit allen nach dem AMG verkehrsfähigen Arzneimitteln, dies aber nur, sofern sie nicht aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien oder nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot nur eingeschränkt verordnet werden dürften. Da das Zulassungserfordernis für im Rahmen der Krankenbehandlung begehrte Arzneimittel aus dem gesetzlichen und somit höherrangigen Gebot der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit hergeleitet werde, könnten diese Bestimmungen schon von daher keine Leistungspflicht der Beklagten begründen. Unbeschadet dessen werde ein in einem anderen Staat zulässig in den Verkehr gebrachtes Fertigarzneimittel aber auch nicht schon dadurch "verkehrsfähig", dass § 73 Abs. 3 Satz 1 AMG es erlaube, dieses Mittel im Einzelfall (in geringer Menge und auf besondere Bestellung über eine Apotheke) nach Deutschland einzuführen. Denn bei einer derartigen Beschaffung eines Fertigarzneimittels entfalle zwar die Strafbarkeit des In-Verkehr-Bringens ohne Zulassung (§ 96 Nr. 5 AMG), das generelle In-Verkehr-Bringen stelle aber gleichwohl eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 73 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 2, § 97 Abs. 2 Nr. 8 AMG). Da das deutsche Arzneimittelrecht in Bezug auf die generelle Arzneimittelfreigabe ausschließlich die deutsche oder die EU-weite Arzneimittelprüfung für maßgeblich erkläre und im Übrigen Vorbehalte gegen die Sicherheit und Qualität von im Ausland nach dortigen nationalen Vorschriften zugelassenen Präparaten zum Ausdruck bringe, sei die im Einzelfall mögliche rechtmäßige Arzneimittelbeschaffung aus dem Ausland nicht geeignet, eine zulassungsähnliche Wirkung herbeizuführen. Denn damit würde letztlich das nationale arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis für den fast 90 % der Bevölkerung betreffenden Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung allgemein durch eine untergesetzliche Regelung außer Kraft gesetzt.

32

Soweit das BSG in der Visudyne-Entscheidung vom 19. Oktober 2004 (- B 1 KR 27/02 R - a.a.O.) eine Ausnahme für den Fall einer seltenen Krankheit angenommen hat, mit der Konsequenz, dass sich die Krankenkasse unter bestimmten Umständen im Einzelfall nicht auf die fehlende Verkehrsfähigkeit eines Medikamentes berufen dürfe, liegen diese Voraussetzungen hier nicht vor. Das BSG hat sich in der genannten Entscheidung sehr ausführlich mit der Problematik sehr seltener und wegen der Seltenheit nicht hinreichend erforschter und erforschbarer Krankheiten insbesondere bei Kindern auseinandergesetzt und dabei eine Parallele zu der Rechtsprechung betreffend die Leistungspflicht der Krankenkassen bei der zulassungsüberschreitenden Anwendung eines Medikaments gezogen. Letztlich hat es den Grundsatz aufgestellt, dass, sofern der Patient/die Patientin an einer sehr seltenen, einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugänglichen Erkrankung, für die keine anderen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stünden, leide, eine Leistungsgewährung in Betracht komme (juris, Rz. 28). Es müsse eine notstandsähnliche Situation vorliegen, in der eine lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung behandelt werden solle, für die keine andere Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung stehe (juris, Rz. 34).

33

Im vorliegenden Fall handelt es sich zwar möglicherweise um eine „sehr seltene“ Erkrankung. Der genannten Entscheidung sind allerdings keine exakten Angaben zu entnehmen, wann eine solche anzunehmen ist. Den Ausführungen des BSG (a.a.O.) betreffend Art. 3 Abs. 1 EWGV 141/2000 vom 16. Dezember 1999 über "Arzneimittel für seltene Leiden", wonach ein solches Leiden vorliege, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Personen daran erkrankten (juris, Rz. 39) könnte man aber entnehmen, dass das BSG dies als Richtwert für eine (sehr) seltene Erkrankung ansieht. Diese Voraussetzung dürfte bei dem sog. Ullrich-Turner-Syndrom, an dem die Patientin M.C. leidet, unter Zugrundelegung im Internet zugänglicher Zahlenangaben gegeben sein. Die Erkrankung, die auf einer Chromosomenanomalie bei Mädchen beruht, tritt danach mit einer Häufigkeit von 1:2500 Mädchengeburten auf (vgl. www.turner-syndrom.de), nach anderen Erkenntnissen ist die Erkrankungsrate sogar noch geringer (vgl. „wikipedia“: 1:4000). Die weitere Voraussetzung einer nicht erforschten und nicht anders therapierbaren Erkrankung ist hingegen nicht gegeben. Zum einen ist, soweit ersichtlich, die Ursache des Ullrich-Turner-Syndroms, nämlich ein Gendefekt im Bereich der X-Chromosomen, sehr wohl erforscht. Eine kausale Behandlung der Erkrankung insgesamt gibt es nicht. Von der Klägerin wird auch nicht behauptet, dass Granditropin eine solche Behandlung beinhalte. Möglich ist allerdings die Behandlung eines Teils der Auswirkungen Ullrich-Turner-Syndroms, u.a. der damit regelhaft verbundenen Kleinwüchsigkeit. Die Behandlung erfolgt insoweit durch Substitution bzw. ergänzende Gabe eines Wachstumshormons. Medikamente mit dem entsprechenden Wirkstoff Somatropin gibt es bereits seit langer Zeit. So ist z. B. einer Internetveröffentlichung (Biotechnologie im Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V.) eine Liste von fünf Medikamenten mit dem Wirkstoff Somatropin mit Zulassung zwischen 1988 und 1992 zu entnehmen, was auch den Ausführungen der Klägerin selbst entspricht, wonach zum Zeitpunkt der Behandlung bereits fünf Medikamente für die Behandlung des Ullrich-Turner-Syndroms in Deutschland zugelassen gewesen seien. Dies haben sowohl Prof. Dr. Sa., der die Versicherte der Beigeladenen zu 1) mit Granditropin behandelt hat, als auch der Vertreter des Beklagten in dem Erörterungstermin im März 2006 bestätigt. Dass Granditropin eine ganz andere Wirkungsweise gehabt hätte als die übrigen Medikamente und damit eine bisher nicht gegebene Therapiemöglichkeit geschaffen hätte, hat die Klägerin in dem gesamten Verfahren nicht vorgetragen. Die Annahme eines Ausnahmefalles in dem genannten Sinne scheitert damit an dem Vorhandensein einer Behandlungsalternative.

34

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (1 BvR 347/98 - GesR 2006, 72; auch veröffentlicht in juris), in dem das BVerfG für Fälle einer lebensbedrohlichen bzw. regelhaft tödlich verlaufenden Krankheit unter bestimmten Umständen einen Behandlungsanspruch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung unmittelbar aus Art. 2 GG hergeleitet und in diesen Fällen die Rechtsprechung des BSG zu § 135 SGB V für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar angesehen hat. Das BSG hat mit Urteil vom 4. April 2006 (- B 1 KR 7/05 R -) betreffend die Behandlung einer an einem metastasierenden Darmkrebs erkrankten Klägerin mit dem in Deutschland nicht zugelassenen, über eine Apotheke aus Kanada importierten Medikament „Tomudex“ entschieden, dass zwar die vom BVerfG (a.a.O.) entwickelten Grundsätze zum Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Methoden sinngemäß auch auf den Bereich der Arzneimittelversorgung zu übertragen seien, soweit hier ausfüllungsbedürftige Versorgungslücken bestünden. Dies hat das BSG in dem Falle der lebensbedrohlich erkrankten Klägerin bejaht, bei der es - dies ist ein weiterer entscheidender Gesichtspunkt in dem Beschluss des BVerfG - zudem im konkreten Fall an einer Behandlungsalternative fehlte, weil das für die Behandlung ihrer Krankheit zugelassene Präparat bei ihr zu anderen schweren Gesundheitsstörungen führte. Im vorliegenden Fall gab es dagegen eine Behandlungsalternative, da, wie dargelegt, zum Zeitpunkt des Beginns der Behandlung der Klägerin außerhalb der klinischen Studie im Jahre 1999 mehrere Präparate mit dem Wirkstoff Somatropin für die Behandlung des Ullrich-Turner-Syndroms zugelassen waren. Dass das Fehlen einer Behandlungsalternative nicht allein daraus abgeleitet werden kann, dass die Klägerin zuvor im Rahmen der Studie mit Granditropin behandelt worden war, so dass sich im Falle der Umstellung auf eines der zugelassenen Präparate „Compliance“-Probleme ergeben haben würden, bedarf keiner näheren Erörterung.

35

Der Beigeladenen zu 1) ist auch ein Schaden im Sinne des § 12 Abs. 3 PV entstanden. Bei dem Arzneikostenregress handelt es sich um einen besonderen - verschuldensunabhängigen - Typus des Schadensersatzes, für dessen Begründung das Bestehen eines Schadens unabdingbare Voraussetzung ist. Aus der Rechtsnatur des Arzneikostenregresses ist abzuleiten, dass er - höchstens - in der Höhe festgesetzt werden kann, der den Krankenkassen durch unwirtschaftlichen Mehraufwand entstanden ist (BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 - 6 RKa 5/96 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 38 - ). Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass in jedem Fall ersparte Aufwendungen gegengerechnet werden müssten. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Schadensbegriff im Sinne der genannten Vorschriften über die Wirtschaftlichkeitsprüfung nämlich ein auch normativer Schadensbegriff. Es entspricht dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung, dass eine „Vorteilsausgleichung“ nicht erfolgt, sofern Leistungen in Anspruch genommen bzw. erbracht wurden, die - in dieser Form - nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung hätten erbracht werden dürfen. In dem Urteil vom 21. Februar 2006 (- B 1 KR 29/04 R - veröffentlicht in juris) betreffend den Kostenerstattungsanspruch einer Klägerin, bei der eine künstliche Befruchtung mittels „ICSI“ erfolgt war, hat das BSG dargelegt, nach der Rechtsprechung des Senats handele es sich bei der künstlichen Befruchtung mittels ICSI um eine andere Behandlungsmethode als bei der extrakorporalen Befruchtung mittels IVF. Auch soweit sich die Indikationsbereiche - denkmöglich - überschnitten und erst auf Grund des Wirtschaftlichkeitsgebots die Anwendung der ICSI-Methode ausscheide, bestehe kein Anspruch auf die Erstattung wenigstens der tatsächlich nicht angefallenen IVF-Kosten. Nach der Rechtsprechung des Senats erfasse § 13 Abs. 3 SGB V nur die beim Versicherten konkret entstandenen Kosten, nicht aber die fiktiven Kosten für eine Leistung, die ebenfalls in Frage gekommen wäre oder die Ersparnis der Krankenkasse (unter Hinweis auf die Entscheidungen BSGE 79, 125, 128; BSGE 86, 66, 76; dementsprechend zum Recht der Leistungserbringer z. B. BSGE 74, 154, 158; BSGE 80, 1, 3 f; SozR 4-2500 § 39 Nr. 3 S. 25 f; BSGE 94, 213, 220 m.w.N.). Auch unter dem Gesichtspunkt der sog. Stellvertreterleistung vermöge die Klägerin unter Geltung des SGB V für einen Kostenerstattungsanspruch nichts für sich herzuleiten (unter Hinweis auf das Senatsurteil SozR 3-2500 § 38 Nr. 4 S. 27 f m.w.N).

36

Die in dem Urteil des BSG vom 21. Februar 2006 zitierten Entscheidungen betreffen unterschiedliche Konstellationen aus dem Leistungs- und Leistungserbringerrecht. So ist in dem Urteil vom 4. Mai 1994 (- 6 RKa 40/93 - BSGE 74, 154 [158]) dargelegt, scheide (nach alledem) ein vertraglicher Vergütungsanspruch aus, so könne die Klägerin eine Abgeltung der von ihr erbrachten Dialyseleistungen auch nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten, etwa nach den zivilrechtlichen Grundsätzen über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung ( §§ 812 ff, 818 Abs. 2 BGB) verlangen. Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machten, hätten innerhalb dieses Systems die Funktion zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für die kassenärztliche (vertragsärztliche) Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollziehe. Das werde dadurch erreicht, dass dem Arzt oder sonstigen Leistungserbringer für Leistungen, die er unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirke, auch dann keine Vergütung zustehe, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht seien. Ihre Steuerungsaufgabe könnten die genannten Regelungen nicht erfüllen, wenn der Arzt oder der mit ihm zusammenarbeitende nichtärztliche Leistungserbringer die gesetz- oder vertragswidrig bewirkten Leistungen über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Ergebnis dennoch vergütet bekäme. In dem Urteil vom 18. Dezember 1996 (- 6 RKa 66/95 - BSGE 80, 1 [4]) betreffend die Erstattung von Honoraren u.a. für zahnärztliche Leistungen, die der dort beigeladene Zahnarzt nicht nach den vertraglichen Bestimmungen erbracht hatte, hat das BSG dargelegt, die Klägerin (KZÄV) könne sich ebensowenig wie der rechtswidrig handelnde Zahnarzt selbst darauf berufen, die beanstandeten Leistungen seien qualitativ einwandfrei gewesen, so dass die Kosten für eine anderweitige Behandlung erspart worden seien. In dem Urteil vom 17. März 2005 (- B 3 KR 2/05 R - BSGE 94, 213 [220]) betreffend die Abgabe eines nicht zugelassenen Medikaments durch einen Apotheker ist dargelegt, der Kläger könne von der Beklagten eine Vergütung des Medikaments auch nicht aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten, etwa auf Grund entsprechender Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung ( §§ 812 ff, 818 Abs. 2 BGB i.V.m. § 69 Satz 3 SGB V) beanspruchen. Dem stehe entgegen, dass die Leistungen unter Verstoß gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen erbracht worden seien. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zum Vertragsarztrecht und zum Leistungsrecht der GKV hätten Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher oder sonstiger Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machten, innerhalb dieses Systems die Funktion zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für diese Art der Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollziehe. Das werde dadurch erreicht, dass dem Vertragsarzt, dem Apotheker oder dem sonstigen Leistungserbringer für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt würden, auch dann keine Vergütung zustehe, wenn diese Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden und für den Versicherten geeignet und nützlich seien (mit zahlreichen Nachweisen zur bisherigen Rspr.) Denn die Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts über die Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen der Leistungserbringung könnten ihre Steuerungsfunktion nicht erfüllen, wenn der Vertragsarzt, der mit ihm zusammenarbeitende nichtärztliche Leistungserbringer oder der Apotheker die rechtswidrig bewirkten Leistungen über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Ergebnis dennoch vergütet bekäme (unter Hinweis auf BSGE 74, 154, 158). Soweit in dem Urteil vom 4. März 2004 (- B 3 KR 4/03 R - BSGE 92, 223) ein Bereicherungsanspruch des Krankenhausträgers bejaht - und zudem von der KK anerkannt - worden sei, habe es sich lediglich um einen Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift gehandelt, die nicht der Sicherstellung der Qualität der Leistungserbringung diene. Das Krankenhaus habe sich nicht außerhalb des krankenhausrechtlichen Leistungssystems der GKV gestellt.

37

Diese Entscheidungen, auch wenn sie nicht unmittelbar zu einem sonstigen Schaden im Sinne der Vorschriften über der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergangen sind, belegen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BSG unter Berücksichtigung des Gesamtgefüges des krankenversicherungsrechtlichen Leistungsrechts einschließlich des Leistungserbringerrechts der Schadensbegriff ein normativer Begriff ist, der das Gegenrechnen ersparter Aufwendungen in einer Fallgestaltung wie der Vorliegenden ausschließt. Im Übrigen erschöpft sich auch der zivilrechtliche Schadensbegriff, auf den die Klägerin immer wieder abstellt, nicht in einer Saldierung der Vermögenslage des Geschädigten vor und nach der Schädigung, sondern er beinhaltet wertende Elemente im Sinne eines normativen Schadensbegriffs (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Auflage, 2006, Vorbemerkung § 249, Rz. 13, 14). Dies gilt gerade auch bei der Frage, welche im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis erlangten Vorteile der Geschädigte sich Schaden mindernd anrechnen lassen muss (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., Vorbemerkung § 249, Rz. 122).

38

Auch soweit im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung so genannte kompensatorische Einsparungen berücksichtigt werden können, können diese Erwägungen auf einen Schaden, der aus der Verordnung eines nicht zugelassenen Medikaments resultiert, nicht angewendet werden. Kompensatorische Einsparungen betreffen die Wirtschaftlichkeit des ärztlichen Handelns im engeren Sinne, d.h. die Frage, ob der Arzt durch die von ihm gewählte - grundsätzlich zulässige, jedoch quantitativ über das Maß des Notwendigen hinausgehende - Behandlungsweise an anderer Stelle Kosten eingespart hat. Die Behandlung mit einem zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähigen Medikament, bei der es an der Grundvoraussetzung einer Einstandspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt, beinhaltet hingegen nicht lediglich ein - quantitatives - Mehr an einer Stelle, dass durch ein - quantitatives - Weniger an anderer Stelle teilweise kompensiert wird. Es handelt sich vielmehr bei der erbrachten Leistung um ein - qualitatives - Anderes, nämlich um eine systemfremde Leistung, die demzufolge auch nicht wirtschaftlich bewertet und mit der systemgerechten, eigentlich zu erbringenden Leistung saldiert werden könnte. Zudem würde eine andere Betrachtung zu dem von der Beigeladenen zu 1) zu Recht als systemwidrig bewerteten Ergebnis führen, dass sie, gleichsam „durch die Hintertür“, gleichwohl zur Kostenübernahme für ein nicht zugelassenes Arzneimittel verpflichtet wäre, weil dieses preiswerter war als das zugelassene. Dies würde der vom BSG in den zitierten Entscheidungen genannten Steuerungsfunktion widersprechen (im Ergebnis ebenso Engelhardt in Hauck/Noftz, SGB V, Loseblattsammlung, Erg.-Lfg. 8/04, K § 106 Rz. 91).

39

Die Schadenshöhe, d.h. die durch die Verordnung des Medikaments Granditropin entstandenen Kosten, ist zwischen den Beteiligten unstreitig, und es gibt auch im Übrigen keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Berechnung des Schadens.

40

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) sind erstattungsfähig, da sie sich durch die Stellung eines eigenen Sachantrages an dem Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat. Die Beigeladene zu 2) hat sich nicht durch die Stellung eines eigenen Sachantrages an dem Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt; ihre außergerichtlichen Kosten sind deshalb nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 i. V. m. § 154 Abs. 3 VwGO).

41

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen im Hinblick auf die umfangreiche höchstrichterliche Rechtsprechung zu den entscheidungserheblichen Fragen nicht vor.


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