Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (4. Senat) - L 4 KA 29/05

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12. Januar 2005 und die Beschlüsse/Bescheide des Beklagten vom 7. März 2001/30. Mai 2001 und vom 26. September 2001/ 2. Januar 2002 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die gesamten Kosten des Verfahrens mit dem früheren Aktenzeichen S 14 KA 59/02 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind, sowie die außergerichtlichen Kosten des Klägers in dem Verfahren mit dem früheren Aktenzeichen S 14 KA 567/01.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen in dem Verfahren mit dem früheren Aktenzeichen S 14 KA 567/01 sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen bei der Leistungsziffer 823 EBM-Ä für die Quartale I/00 bis I/01 im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

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Der Kläger ist seit Januar 2000 mit Praxissitz in L. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.

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Der Gemeinsame Prüfungsausschuss nahm durch Beschlüsse/Bescheide vom 5. Juli 2000/7. August 2000, vom 4. Oktober 2000/ 20. November 2000 und vom 3. Januar 2001/30. Januar 2001 für die Quartale I/00 bis III/00 zu Lasten des Klägers im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung Honorarkürzungen bezogen auf die Nr. 823 EBM-Ä vor. Er sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die von dem Kläger abgerechneten Leistungen nicht in vollem Umfang dem Maß des Notwendigen entsprächen. Der Anscheinsbeweis für ein zu aufwändiges Verfahren liege dann vor, wenn zwischen den Daten der zu prüfenden Praxis und denen des Gruppendurchschnitts ein offensichtliches Missverhältnis bestehe. Ein solches offensichtliches Missverhältnis nahm der Prüfungsausschuss bezogen auf das Quartal I/00 bei der Überschreitung des 3fachen Gruppenvergleichswertes, für die Quartale II/00 und III/00 bei der Überschreitung des 2fachen Gruppenvergleichswertes der modifizierten Fachgruppe (Nervenärzte, die die Ziffer 823 in den genannten Quartalen ebenfalls abgerechnet haben) an. Die Zugrundelegung des 3fachen Gruppenvergleichswertes für das Quartal I/00 wurde damit begründet, dass es sich um die erste Abrechnung des Klägers im Rahmen seiner vertragsärztlichen Tätigkeit gehandelt habe.

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Zur Begründung seiner hiergegen gerichteten Widersprüche trug der Kläger im Wesentlichen vor: Die von dem Beklagten zu Grunde gelegten Gruppendurchschnitte seien nicht aus vergleichbaren Arztsegmenten gebildet worden. Er sei Psychiater, jedoch verglichen worden sowohl mit Nervenärzten als auch mit Neurologen und Psychotherapeuten. Ein Psychiater übe seine Tätigkeit fast ausschließlich dadurch aus, dass er mit seinen Patienten Gespräche führe, die nach den Leistungsziffern 822 und 823 EBM-Ä abgerechnet würden. Andere Positionen seien bei einem reinen Psychiater im Rahmen der psychiatrischen-psychotherapeutischen Behandlung kaum denkbar. Auch Psychotherapeuten machten nichts Anderes, fielen allerdings aus den Vergleichsgruppen insoweit heraus, als dort Gespräche im Rahmen der sog. “großen Psychotherapie” unter anderen Positionen abgerechnet würden. Aus diesem Grunde seien von Psychiatern, die die Zusatzqualifikation der Psychotherapie für sich abrechnen könnten, die genannten Leistungen deutlich weniger abgerechnet worden, bei Nervenärzten und Neurologen stellten sie ohnehin einen nur deutlich geringeren Umfang dar. Er sei auf Grund seiner Praxisstruktur gar nicht in der Lage, anders tätig zu sein und abzurechnen, als er dies tue. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ihm durch den Zulassungsausschuss die Möglichkeit eingeräumt worden sei, als niedergelassener Psychiater eine Praxis zu unterhalten. Weiterhin bleibe unberücksichtigt, dass er gerade im ersten, aber auch im zweiten Quartal seiner Tätigkeit eine Vielzahl von Erstgesprächen mit ihm bis dahin unbekannten Patienten habe führen müssen. Dies führe zwangsläufig zu ausführlichen Gesprächen mit den Patienten, ohne die weder ein Vertrauensverhältnis aufgebaut noch eine sinnvolle Behandlung begonnen werden könne. Selbst wenn man die Auffassung verträte, dass während des Bestandes einer laufenden Praxis Gespräche der Positionen Nr. 822 und 823 nicht in diesem Umfang abgerechnet werden dürften, könne dies im Rahmen einer Praxisneugründung bzw. der Übernahme einer bestehenden Praxis nicht mit den in dem angegriffenen Bescheid dokumentierten Folgen sanktioniert werden. Die Nr. 822 EBM-Ä unterliege als budgetierte Position bereits der Deckelung und sei aus diesem Grunde ohnehin nur partiell im Bereich der Gesamtpunktzahl mitberücksichtigt worden. Dies verbiete seiner Auffassung nach die zusätzliche Bewertung im Rahmen des Regresses. Bezogen auf das Quartal I/00 trug der Kläger zudem vor, er habe monatlich pro 100 Patienten ca. 10.000,00 DM Honorar erhalten, was 75 % des Durchschnitts der psychiatrischen Praxen entspreche. Nun sei ihm dieser Betrag um die Hälfte gekürzt worden, so dass er nicht einmal 50 % der Durchschnittsvergütungen der niedergelassenen Kollegen erhalten habe, obwohl seine psychiatrischen und neurologischen Patienten das gleiche Leistungsspektrum erhielten, das in anderen Praxen üblich sei. Zudem zog er die Richtigkeit der Berechnung des Prüfabstrichs in Zweifel.

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Durch Beschluss/Bescheid vom 7. März 2001/30. Mai 2001 reduzierte der Beklagte (Gemeinsamer Beschwerdeausschuss) den Prüfabstrich für das Quartal II/00 (von 47.655,00 DM auf 45.315,00 DM) und wies die Widersprüche im Übrigen zurück. Bezogen auf die Gesamtfallwerte in den einzelnen streitigen Quartalen ergebe sich folgende Situation:

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Quartal Fallzahl Fallwert Fallzahl Fallwert Anz.
I/00 425 385,28 609 187,38 156
II/00 421 525,68 585 180,21 155
III/00 399 500,63 591 175,91 157
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Weiter wurde - neben den allgemeinen, bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung und hier insbesondere auch bei der Prüfung von Einzelpositionen zu beachtenden Grundsätzen - im Wesentlichen dargelegt: Die Zahlenverhältnisse stellten sich in den einzelnen Quartalen auf 100 Fälle unter Berücksichtigung der eigenen Ansatzfrequenz des Klägers (AR/100) im Vergleich zur Fachgruppe (FG/100) und zur Gruppe der Ärzte, die diese Leistungen ebenfalls ausführten (Mod/AE) sowie der Anzahl der Praxen, die diese Leistung ebenfalls erbrächten (ANZ), bezogen auf die Gebührenposition Nr. 823 EBM-Ä wie folgt dar:

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Quartal Insgesamt AR/100 FG/100 MOD/AE ANZ
I/00 742 x 174,5 10,2 11,3% 128
II/00 1.162 x 276,0 11,0 12,2% 127
III/00 676 x 169,4 10,4 11,7% 128
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Bei Durchsicht der ADT-Unterlagen unter Berücksichtigung der von dem Kläger vorgebrachten Argumente sei aufgefallen, dass der Kläger nicht nur als Psychiater, sondern in großem Umfang auch als Nervenarzt tätig und damit in der Vergleichsgruppe der Nervenärzte richtig eingeordnet sei. Zu der Aussage, die Anzahl der kurativen Fälle in den Bescheiden decke sich nicht mit den in Abrechnung gebrachten Fällen, sei auszuführen, dass Gegenstand der Prüfung lediglich die Ersatz- und Primärkassenabrechnungen seien. Patienten sonstiger Kostenträger, wie z.B. Bundeswehr, Grenzschutz, Sozialhilfeempfänger etc. seien hierin nicht enthalten. Möglicherweise sei hierin die Differenz begründet. Etwaige Fallzahldifferenzen seien mit der Kassenärztlichen Vereinigung (Beigeladene zu 5) abzuklären. Insgesamt gehe er von einem offensichtlichen Missverhältnis hinsichtlich der Gebührenordnungsposition 823 aus, wobei ein Solches normalerweise ab einer Überschreitung des modifizierten Gruppendurchschnitts um mehr als 100 % anzunehmen sei. Im Falle des Klägers werde auf Grund der Neuniederlassung dieser Wert für die beiden sog. Anfangsquartale I/00 und II/00 um weitere 100 % erhöht. Da der Prüfungsausschuss dies lediglich bezogen auf das Quartal I/00 berücksichtigt habe, sei der Prüfabstrich insoweit zu korrigieren.

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Hiergegen hat der Kläger am 2. Juli 2001 bei dem Sozialgericht Kiel Klage erhoben (S 14 KA 567/01).

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Durch weitere Beschlüsse/Bescheide vom 14. März 2001/11. April 2001 und vom 15 Juni 2001/11. Juli 2001 nahm der Prüfungsausschuss Prüfabstriche zu Lasten des Klägers bezogen auf die Nr. 823 EBM-Ä auch für die Quartale IV/00 und I/01 vor. Er begründete dies wie in den vorangegangenen Bescheiden mit einem offensichtlichen Missverhältnis zwischen der Abrechnungshäufigkeit der Nr. 823 EBM-Ä in der Praxis des Klägers und derjenigen im Durchschnitt der Vergleichsgruppe (Nervenärzte, die die Leistungsziffer Nr. 823 EBM-Ä in den streitigen Quartalen ebenfalls abgerechnet haben). Als Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis wurde die Überschreitung des 2fachen Gruppenvergleichswertes angenommen.

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Die hiergegen unter Bezugnahme auf die frühere Widerspruchsbegründung erhobenen Widersprüche des Klägers wies der Beklagte durch Beschluss/Bescheid vom 26. September 2001/2. Januar 2002 zurück. Bezogen auf die Gesamtfallwerte in den einzelnen streitigen Quartalen ergebe sich folgende Situation:

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Quartal Fallzahl Fallwert Fallzahl Fallwert Anzahl
IV/00 415 455,15 599 179,57 158
I/01 416 447,75 630 186,25 159
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Die Zahlenverhältnisse stellten sich in den einzelnen Quartalen auf 100 Fälle unter Berücksichtigung der eigenen Ansatzfrequenz des Klägers (AR/100) im Vergleich zur Fachgruppe (FG/100) und zur Gruppe der Ärzte, die diese Leistungen ebenfalls ausführten (Mod/AE) sowie der Anzahl der Praxen, die diese Leistung ebenfalls erbrächten (ANZ), bezogen auf die Gebührenposition Nr. 823 EBM-Ä wie folgt dar:

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Quartal Insgesamt AR/100 FG/100 MOD/AE ANZ
IV/00 997 x 240,2 10,4 11,6 130
I/01 1.041 x 250,2 10,6 11,7 133
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Bei Durchsicht der ADT-Unterlagen sei aufgefallen, dass der Kläger nicht nur als Psychiater, sondern in großem Umfang auch als Nervenarzt tätig und damit in der Vergleichsgruppe der Nervenärzte richtig eingeordnet sei. Da es sich bei den Quartalen IV/00 und I/01 nicht mehr um Anfängerquartale gehandelt habe, habe der Prüfungsausschuss zur Berechnung der Honorarminderung (zu Recht) den 2fachen modifizierten Gruppendurchschnitt zugrunde gelegt.

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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 1. Februar 2002 Klage erhoben (S 14 KA 59/02). Das Sozialgericht hat beide Verfahren unter dem Aktenzeichen S 14 KA 567/01 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

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Zur Begründung der Klagen hat der Kläger im Wesentlichen seine Widerspruchsbegründung wiederholt und insbesondere erneut geltend gemacht, aufgrund seiner ausschließlich psychiatrischen Tätigkeit hätten nicht die Nervenärzte insgesamt zum Vergleich herangezogen werden dürfen, sondern es hätte eine verfeinerte Vergleichsgruppe gebildet werden müssen.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Bescheide des Beklagten vom 30. Mai 2001 und 2. Januar 2002 aufzuheben, hilfsweise die Bescheide des Beklagten vom 30. Mai 2001 und 2. Januar 2002 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn neu zu bescheiden unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

21

Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat darauf hingewiesen, dass nach Mitteilung der Beigeladenen zu 5) für die Quartale II/00 bis I/01 sachlich-rechnerische Richtigstellungen bezüglich der Leistungen nach Nr. 823 EBM-Ä erfolgt seien, durch die sich die jeweiligen Prüfabstriche reduzierten.

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Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

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Durch Urteil vom 12. Januar 2005 hat das Sozialgericht die Klage(n) abgewiesen und - nach Darlegung der bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu beachtenden rechtlichen Vorgaben - zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtenen Bescheide genügten den genannten Anforderungen an eine Wirtschaftlichkeitsprüfung. Prüfanträge seien für die Wirtschaftlichkeitsprüfungen bzgl. der Quartale ab I/00 nicht mehr erforderlich. Darüber hinaus seien die angefochtenen Bescheide auch nicht schon deshalb rechtswidrig, weil dem am Beginn seiner Tätigkeit stehenden Kläger keine Beratung zuteil geworden sei. Soweit gemäß § 106 Abs. 5 S. 2 SGB V gezielte Beratungen weiteren Maßnahmen in der Regel vorangehen sollten, habe der Gesetzgeber den Prüfungsausschuss nicht zu einer umfassenden Beratung in jedem Falle verpflichtet. Vielmehr solle dies nur im Regelfall so sein. Da bei dem Kläger jedoch auch noch nach dem ersten Prüfbescheid aus August 2000 weiterhin eine erhebliche Überschreitung der Gruppenvergleichswerte vorgelegen habe, habe der Prüfungsausschuss bzw. der Beklagte nicht von einem Regelfall ausgehen müssen. Eine Verpflichtung zur vorherigen Beratung habe sowohl grundsätzlich als auch in diesem speziellen Fall nicht bestanden. Nach Auffassung der Kammer bestünden auch keine Bedenken dagegen, dass der Beklagte den Kläger mit der Gruppe der Nervenärzte verglichen habe. Zwar sei der Kläger Facharzt für Psychiatrie, gleichwohl habe er, worauf der Beklagte ausdrücklich hingewiesen habe, in großem Umfange auch neurologische Leistungsziffern abgerechnet. So seien z.B. im 1. Quartal 2000 bei 426 Behandlungsfällen die EBM-Nr. 800 7 x, die Nr. 801 68 x und die 802 262 x erbracht worden. Die Nrn. 805 und 809 habe der Kläger jeweils 2 x, die Nr. 811 10 x geleistet. Im 2. Quartal 2000 habe er die Nr. 801 71 x, die Nr. 802 148 x und die Nr. 811 26 x erbracht. Begründet habe der Kläger dies damit, dass er die Praxis zum Januar 2000 als Nervenarztpraxis übernommen und auch als solche fortgeführt habe; der Schwerpunkt auf dem psychiatrischen Gebiet habe sich erst später ergeben. Auf dieser Grundlage sei die Einordnung des Klägers in die Vergleichsgruppe der Nervenärzte nicht zu beanstanden. Auch der Umstand, dass der Beklagte eine Prüfung von Einzelleistungen durchgeführt habe, vermöge nicht die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide zu begründen. Ein Arzt müsse umfassend wirtschaftlich handeln. Die Wirtschaftlichkeit müsse grundsätzlich sowohl insgesamt als auch in jedem Teilbereich gegeben sein; sowohl beim Gesamtfallwert, in jeder einzelnen Sparte, bei jeder Einzelleistung sowie auch bei den Arzneiverordnungen, Überweisungen, Krankenhauseinweisungen und bei den Arbeitsunfähigkeitsfällen. Dies bedeute auch, dass jede EBM-Ziffer grundsätzlich der Wirtschaftlichkeitsprüfung unterliegen könne. Die Festlegung der Grenze zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit auf 2 D mod. werde von dem Gericht - jedenfalls sofern es sich, wie hier, um gruppenübliche Leistungen handele - stets gebilligt. Diese Grenze entspreche der Vorgabe des § 8 Abs. 5 Nr. 3 der Gemeinsamen Prüfvereinbarung vom 31. Mai 1995. Bei einem Einzelleistungsvergleich könne der Beweis der Unwirtschaftlichkeit zwar regelmäßig nicht allein mit der Feststellung von Überschreitungsprozentsätzen geführt werden; vielmehr bedürfe es der genaueren Untersuchung der Strukturen und des Behandlungsverhaltens innerhalb des speziellen engeren Leistungsbereichs sowie der Praxisumstände des geprüften Arztes, um die Eignung der Vergleichsgruppe und den Aussagewert der gefundenen Vergleichszahlen beurteilen zu können. Der Beklagte habe sich indes auch nicht auf eine bloße Feststellung von Überschreitungsprozenten beschränkt. Er habe sich vielmehr mit dem Behandlungsverhalten des Klägers auseinandergesetzt. Dem Vortrag des Klägers, dass er im 1. und 2. Quartal 2000 eine Vielzahl von Erstgesprächen habe führen müssen, die sehr ausführlich gewesen seien, habe der Beklagte ausdrücklich dadurch Rechnung getragen, dass er in diesen beiden Quartalen die Grenze zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit auf 3 D mod. angehoben habe. Nach Auffassung der Kammer sei der Beklagte mit diesem großzügigen Ansatz den Bedürfnissen des Klägers gerecht geworden. Die Kürzung des Honorars des Klägers bei den Einzelleistungen auf 2 D mod. ab dem 3. Quartal 2000 sei schließlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine Honorarkürzung nur bis zur Grenze zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit sei regelmäßig nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen. Daran ändere auch die nachträglich erfolgte sachlich-rechnerische Berichtigung in den Quartalen II/00 bis I/01 nichts, da weiterhin die Ansatzfrequenzen weit über denjenigen der Vergleichsgruppe gelegen hätten.

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Gegen das ihm am 6. April 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. April 2005 eingelegte Berufung des Klägers, zu deren Begründung er im Wesentlichen vorträgt: Er sei Facharzt für Psychiatrie und als solcher von 1987 bis 1993 an der Klinik N. in der Fachabteilung Psychiatrie und Psychotherapie, von 1995 bis 1999 als Chefarzt an der Fachklinik M. ausschließlich psychiatrisch tätig gewesen. Zum 1. Januar 2000 habe er sich in L. niedergelassen, indem er eine gemischte neurologisch-psychiatrische Praxis übernommen habe. Als Psychiater habe er die neurologischen Patienten vorübergehend weiter behandelt, dann aber den Schwerpunkt eindeutig auf die Psychiatrie verlegt. Deshalb seien die neurologischen Leistungen nach Übernahme der Praxis auch deutlich rückläufig, wie der Beklagte selbst in seinem Bescheid vom 3. September 2003 auf Seite 4 betreffend die Folgequartale III/01 bis II/02 und IV/04 festgestellt habe. In den hier streitigen Quartalen habe er aus dem Fachgebiet der Neurologie, Abschnitt G I des EBM-Ä (Nrn. 800 bis 818) von insgesamt 11 beschriebenen Leistungen nur drei Leistungen erbracht und abgerechnet, nämlich die Nrn. 801, 802 und 812 EBM-Ä, allerdings mit einer deutlich fallenden Tendenz, wie es der Vergleich des Quartals I/00 mit dem Quartal I/03 zeige

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I/00 I/03
Nr. 801 71 24
Nr. 802 148 36
Nr. 811 26 0
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Diese Entwicklung belege, dass er zwar noch vorübergehend neurologisch tätig gewesen sei, in der Folgezeit seine neurologische Tätigkeit jedoch auf ein Mindestmaß beschränkt habe. Die klinisch-neurologische Basisdiagnostik nach der Nr. 801 EBM-Ä und auch die Durchführung von EEG nach der Nr. 802 EBM-Ä gehörten durchaus zur psychiatrischen Tätigkeit. Diese neurologischen Leistungen seien auch für einen Psychiater unverzichtbar. Nicht oder nicht mehr abgerechnet habe er hingegen die Nrn. 800 und 811 EBM-Ä als typische Leistungen eines Neurologen. Auch von den psychiatrischen Leistungsziffern Abschnitt G II des EBM-Ä (Nrn. 820 bis 849) rechne er nur wenige ab, nämlich die Nrn. 820 bis 823 EBM-Ä. Die Nr. 827 EBM-Ä (Gruppentherapie) habe er in den hier streitigen Quartalen überhaupt nicht abgerechnet. Die Nrn. 840 bis 849 EBM-Ä bezögen sich auf die psychiatrische Behandlung von Kindern, diese Leistungen habe er in den ersten beiden Quartalen überhaupt nicht, im III. bis V. Quartal gelegentlich und in der Folgezeit wiederum überhaupt nicht abgerechnet. Diese Leistungen würden vornehmlich von Kinder- und Jugendlichenpsychiatern erbracht. Aus dem Bereich Psychosomatik, Abschnitt G III des EBM-Ä (Nrn. 850 bis 858), habe er in den hier streitigen Quartalen vorübergehend noch die Nrn. 855 und 856 EBM-Ä (übende Verfahren als Gruppenbehandlung) erbracht, diese Leistungen jedoch in den Folgequartalen aufgegeben. Dies zeigten folgende Zahlen:

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I/00 I/03
Nr. 855 132 0
Nr. 856 218 0
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Aus dem Bereich der Psychotherapie, Abschnitt G IV des EBM-Ä (Nrn. 860 bis 884), habe er in den hier streitigen Quartalen und auch in den Folgequartalen keine Leistungen erbracht. Sein Leistungsspektrum spiegele sich damit ausschließlich in dem Kapitel G II des EBM-Ä und dort speziell in den Nrn. 820 bis 823 wieder. Die von dem Beklagten herangezogene Vergleichsgruppe der Nervenärzte sei höchst heterogen, weshalb das Sozialgericht bereits mit dem rechtskräftigen Urteil vom 21. September 1999 - S 16 KA 399/97 - die Bildung einer einheitlichen Vergleichsgruppe aus Nervenärzten, Neurologen und Psychiatern als rechtswidrig angesehen habe. Er selbst halte seine Tätigkeit für so hoch spezialisiert, dass er letztlich mit keinem in Schleswig-Holstein niedergelassenen Psychiater vergleichbar sei, weshalb sich von vornherein jeder statistische Vergleich verbiete. Dies gelte auch für die von dem Beklagten in Prüfbescheiden für die Folgequartale vorgenommene Verfeinerung der Vergleichsgruppe durch Bildung einer Untergruppe der überwiegend psychiatrisch ausgerichteten Praxen bzw. der Fachärzte für Psychiatrie. Insbesondere zeigten die die Folgequartale betreffenden Bescheide, wie inhomogen bei der kleinen Vergleichsgruppe von acht Praxen die Abrechnungspraxis bezogen auf die Nr. 823 EBM-Ä sei. Im weiteren Verlauf des Berufungsverfahrens hat der Kläger darauf hingewiesen, dass der Beklagte in den sich auf die Folgequartale beziehenden Klageverfahren S 16 KA 376/03 und S 16 KA 30/05 bei dem Sozialgericht Kiel die angefochtenen Bescheide aufgehoben und bei der erneuten Befassung mit seinen Widersprüchen festgestellt habe, dass er auf Grund seiner Praxisausrichtung nicht mit anderen Psychiatern vergleichbar sei, so dass nunmehr eine Einzelfallprüfung durchgeführt werden solle.

31

In der mündlichen Verhandlung am 9. Mai 2006 hat er seinen Vortrag dahingehend ergänzt/korrigiert, dass er seit Beginn seiner Tätigkeit nur als Facharzt für Psychiatrie zugelassen sei. Er habe sich damals bei der Kassenärztlichen Vereinigung erkundigt, welche Leistungen er abrechnen könne. Daraufhin sei ihm gesagt worden, dass er alles abrechnen könne, was sein Vorgänger abgerechnet habe. Die neurologischen Leistungen, die er zunächst abgerechnet habe, seien ihm, soweit er sie als Arzt für Psychiatrie nicht habe abrechnen können, später im Wege der sachlich-rechnerischen Berichtigung gestrichen worden.

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Der Kläger beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 12. Januar 2005 und die Beschlüsse/Bescheide des Beklagten vom 7. März 2001/30. Mai 2001 und vom 26. September 2001/2. Januar 2002 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die weiteren Verfahrensakten S 16 KA 376/03 und S 16 KA 30/05 und den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Diese Vorgänge sind auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats am 9. Mai 2006 gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte (§ 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist begründet. Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklagen zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 30. Mai 2001 und vom 2. Januar 2002 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

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Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, 5. Buch, (SGB V) in der in der hier noch anzuwendenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2266) wird die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung u.a. durch die arztbezogene Prüfung ärztlicher Leistungen nach Durchschnittswerten geprüft. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) die in der Praxis der Prüfgremien entwickelte und durch die Rechtsprechung bestätigte Methode des statistischen Kostenvergleichs als Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit anerkannt und als Regelprüfmethode übernommen (u.a. BSG, Urt. vom 9. September 1998 - B 6 KA 50/97 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 45 S. 243 m.w.N). Beim statistischen Kostenvergleich werden die Abrechnungswerte des Arztes mit denjenigen der Fachgruppe oder mit denen einer nach verfeinerten Kriterien gebildeten engeren Vergleichsgruppe im selben Quartal verglichen. Dieser Vergleich wird ergänzt durch die so genannte intellektuelle Betrachtung, bei der medizinisch-ärztliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungsaufwand des Arztes je Fall im offensichtlichen Missverhältnis zum durchschnittlichen Aufwand der Vergleichsgruppe steht, ihn nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur oder in den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, hat dies die Wirkung eines Anscheinsbeweises der Unwirtschaftlichkeit (BSG, Urt. vom 12. Dezember 2001 - B 6 KA 7/01 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 55 S. 306 m.w.N.).

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Eine Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise kann sich dabei nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur auf den gesamten Behandlungsaufwand pro Fall, den sog. Gesamtfallwert, beziehen, sondern sie darf - wie hier geschehen - auch bei einzelnen ärztlichen Leistungen, d.h. Überschreitungen bei einzelnen Gebührenpositionen des EBM-Ä, ansetzen. Das BSG hat dazu u. a. mit Urteilen vom 16. Juli 2003 (- B 6 KA 44/02 R -, GesR 2004, 144 ff; - B 6 KA 45/02 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 3) dargelegt, unter der Voraussetzung einer hinreichenden Vergleichbarkeit sei eine Prüfung nach Durchschnittswerten gleichermaßen zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes einzelner Leistungspositionen bzw. mehrerer zu Leistungssparten zusammengefasster Leistungspositionen der Bewertungsmaßstäbe heranzuziehen (unter Hinweis auf BSGE 71, 194, 196 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 15 S. 88; BSGE 74, 70, 71 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 23 S. 124; SozR 3-2500 Nr. 55 S. 306 m. w. N.). Namentlich dann, wenn die Gesamtfallkosten nur wenig über dem Durchschnitt der Fachgruppe lägen, müsse bei den in den Blick genommenen Einzelleistungen allerdings geprüft werden, ob sich ein aus den Vergleichszahlen abgeleiteter Anschein der Unwirtschaftlichkeit durch weitere Umstände bestätigen lasse oder mit zu großen Unsicherheiten behaftet sei (unter Hinweis auf z. B. BSGE 71, 194, 199 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 15 S. 91; SozR 3-2500 Nr. 36 S. 206). Daraus folge zwar nicht, dass bei einem im Vergleich zur Fachgruppe unauffälligen Gesamtkostendurchschnitt eine unwirtschaftliche Erbringung von Einzelleistungen ausgeschlossen wäre oder unbeanstandet gelassen werden müsste; ein Vertragsarzt sei nämlich verpflichtet, in dem Sinne umfassend wirtschaftlich zu behandeln, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot auch in jedem Teilbereich seiner Tätigkeit gewahrt sei (unter Hinweis auf BSGE 71, 194, 199, 201 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 15 S. 91 und 93; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 42 S. 232).Ein statistischer Einzelleistungsvergleich setze aber voraus, dass davon Leistungen betroffen seien, die für die gebildete Vergleichsgruppe typisch seien und zumindest von einem größeren Teil der Fachgruppenmitglieder regelmäßig in nennenswerter Zahl erbracht würden (unter Hinweis auf u. a. BSGE 71, 194, 196 f = SozR 3-2500 § 106 Nr. 15 S. 88 f; BSGE 74, 70, 76 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 23 S. 130; BSGE 76, 53, 57 = SozR 3-2500 § 106 Nr. 26 S. 148).

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Bei einer statistischen Prüfung nach Durchschnittswerten nach diesen Maßstäben kommt der Wahl des zutreffenden Vergleichsmaßstabes und hier insbesondere der richtigen Vergleichsgruppe entscheidende Bedeutung zu. Eine auf vergleichender Betrachtung beruhende Prüfung muss individuell in dem Sinne sein, dass durch eine zweckentsprechende Auswahl der Vergleichstatbestände den Besonderheiten der Praxis des zu überprüfenden Arztes Rechnung getragen wird (std. Rspr., u. a. BSG, Urt. vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 1/02 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 57 m. w. N.). Die jeweilige Vergleichsgruppe muss aus Ärzten bestehen, die ein annähernd gleichartiges Patientengut versorgen und im Wesentlichen dieselben Erkrankungen behandeln, weil nur unter dieser Voraussetzung der durchschnittliche Behandlungsaufwand der Arztgruppe ein geeigneter Maßstab für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungstätigkeit eines Angehörigen dieser Arztgruppe ist. Beschränkt sich die Prüfung auf einzelne Leistungspositionen, muss die Vergleichsgruppe so gewählt werden, dass aufgrund gemeinsamer Tätigkeitsmerkmale der ihr angehörenden Ärzte ein vergleichbarer Bedarf gerade bei den in Rede stehenden Leistungen zu erwarten ist (std. Rspr., u. a. BSG, Urt. vom 10. Mai 2000 - B 6 KA 25/99 R - SozR 3-2500 § 106 Nr. 49; Urt. vom 27. April 2005 - B 6 KA 39/04 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 10). Eine Vergleichbarkeit in diesem Sinne hat das BSG generell verneint und deshalb die Bildung engerer Vergleichsgruppen für erforderlich gehalten, wenn sich die Behandlungsausrichtung und Behandlungsmethoden einer bestimmten Gruppe von Ärzten so nachhaltig von denjenigen anderer Ärzte unterscheiden, dass die Vergleichbarkeit der ersten Gruppe mit den Praxen der anderen Gruppe sowohl hinsichtlich der überwiegend behandelten Gesundheitsstörungen als auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Patientenklientel nur noch sehr eingeschränkt gegeben ist. Hiervon sei hinsichtlich der nach dem ärztlichen Weiterbildungsrecht vorgesehenen Fachgebiete einschließlich der Weiterbildung in Schwerpunkten auszugehen (BSG, Urt. vom 11. Dezember 2002 - B 6 KA 1/02 R - a. a. O.). Eine Pflicht zur Bildung einer - noch - engeren Vergleichsgruppe besteht darüber hinaus immer dann, wenn ein erheblich unterschiedliches individuelles Abrechnungsverhalten in der Vergleichsgruppe nur noch rein rechnerisch zu einem statistisch-mathematischen Mittelwert führt, der aber in der Realität von kaum einem Arzt oder innerhalb größerer Gruppen nur von einzelnen, für die Gesamtgruppe deshalb nicht repräsentativen Ärzten abgerechnet worden ist (Urt. vom 27. April 2005 - B 6 KA 39/04 R - a. a. O.). Auf die Bildung einer besonderen, engeren Vergleichsgruppe kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn die jeweils maßgebenden Leistungsbedingungen innerhalb einer Gruppe von Ärzten so verschieden sind, dass von einem statistischen Vergleich von vornherein keine verwertbaren Aussagen über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit einer Leistung oder eines Leistungskomplexes zu erwarten sind (BSG, Urt. vom 27. April 2005 - B 6 KA 39/04 R - a. a. O. m. w. N.). Auch ansonsten ist die Zugrundelegung einer engeren, homogeneren Vergleichsgruppe ein im Grundsatz zulässiger und geeigneter Weg, den Aussagewert des statistischen Vergleichs zu erhöhen und genauere Anhaltspunkte für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise des geprüften Arztes zu gewinnen. Eine Aufteilung der Fachgruppe in Untergruppen ist dann unbedenklich und sinnvoll, wenn dadurch Ärzte mit untereinander übereinstimmendem, aber gegenüber der anderen Gruppe wesentlich verschiedenem Leistungsspektrum zusammengefasst werden. Unter der Voraussetzung, dass die neue, engere Vergleichsgruppe weiterhin eine für die statistische Vergleichsbetrachtung hinreichend große Zahl an Ärzten umfasst, kann mit Hilfe dieser Methode die Vergleichsbasis so weit verbessert werden, dass verlässliche Aussagen zur Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Tätigkeit möglich sind (BSG, Urt. vom 8. April 1992 - 6 RKa 34/90 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 11).

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In Anwendung dieser Maßstäbe sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, weil der Beklagte für den statistischen Vergleich eine unzutreffende Vergleichsgruppe zugrunde gelegt bzw. seine Bescheide jedenfalls bezogen auf die Vergleichsgruppenbildung nicht hinreichend begründet hat. Dabei bedurfte keiner näheren Ermittlung, ob der Kläger, anders als von dem Beklagten in den angefochtenen Bescheiden angenommen, in den streitigen Quartalen als Nervenarzt zugelassen war oder - wie er es in der mündlichen Verhandlung erstmals geltend gemacht hat - ausschließlich als Psychiater. Wäre dies der Fall, wäre die Vergleichsgruppenbildung unter Einbeziehung aller Nervenärzte schon deshalb rechtswidrig, weil, wie dargelegt, die Vergleichsgruppe grundsätzlich entsprechend der Fachgebiete nach der Weiterbildungsordnung (WBO) zu bilden ist, weil nur dann von der erforderlichen Homogenität des Behandlungsverhaltens ausgegangen werden kann. In der zum Zeitpunkt der Erbringung der Leistungen gültigen WBO vom 16. Oktober 1996 (Amtsbl. Schl.-H./AAz. S. 303) wurde aber unterschieden zwischen u. a. den Gebieten „Nervenheilkunde“, „Neurologie“, „Psychiatrie/ Psychotherapie“ und „Psychotherapeutische Medizin“, so dass der Beklagte in diesem Fall nicht die Vergleichsgruppe der Nervenärzte hätte heranziehen dürfen.

43

Dies kann jedoch dahin stehen, da auch unabhängig davon die angefochtenen Bescheide von einer unzutreffenden Vergleichsgruppe ausgehen bzw. sie jedenfalls an einem Begründungsmangel bezogen auf die Vergleichsgruppenbildung leiden. Der Beklagte hätte - eine rechtmäßige auch neurologische Tätigkeit des Klägers in den genannten Quartalen unterstellt - angesichts der dann gegebenen besonderen Praxisausrichtung des Klägers eine Differenzierung innerhalb der Gruppe der Nervenärzte vornehmen oder jedenfalls näher begründen müssen, warum er dies nicht für erforderlich hielt.

44

Dabei geht der Senat von Folgendem aus: Das Behandlungsverhalten des Klägers - der in den Folgequartalen ausschließlich psychiatrisch tätig war, was von dem Beklagten in den jene Quartale betreffenden Prüfbescheiden auch von vornherein angenommen wurde - wies bereits in den hier streitigen Quartalen einen eindeutigen psychiatrischen Schwerpunkt auf, der sich gerade in der Häufigkeit der Nr. 820 EBM-Ä (zwischen 296 x und 412 x), der Nr. 822 EBM-Ä (zwischen 2075 x und 2779 x) und Nr. 823 EBM-Ä (zwischen 676 x und 1162 x) ausdrückt. Von den typischen neurologischen Leistungsziffern hat er dagegen im Quartal I/00 die Nr. 800 EBM-Ä 7 x, und im Quartal III/00 83 x erbracht, in den übrigen Quartalen gar nicht, die Nr. 811 EBM-Ä im Quartal I/00 10 x, im Quartal II/00 26 x, im Quartal III/00 9 x, im Quartal IV/00 11 x und im Quartal I/01 4 x. Eine solche, im Abrechnungsverhalten deutlich erkennbare schwerpunktmäßig psychiatrische Praxisausrichtung hat der Beklagte in anderen Fällen - so u. a. in den durch den Senat am selben Tag verhandelten Verfahren L 4 KA 11/04 und L 4 KA 12/04 - zum Anlass genommen, innerhalb der Vergleichsgruppe der Nervenärzte Untergruppen der schwerpunktmäßig neurologisch und der schwerpunktmäßig psychiatrisch tätigen Ärzte zu bilden und die Vergleichsgruppe bei der Prüfung von Einzelleistungen entsprechend zu verfeinern. Da der Beklagte dies in den genannten Verfahren - allein - nach dem Abgrenzungskriterium der Abrechnungshäufigkeit der Nr. 800 EBM-Ä einerseits (neurologische Ausrichtung) und der Nr. 820 (psychiatrische Ausrichtung) getan hat, wäre bei dem Kläger nach den dargelegten Abrechnungszahlen eine eindeutige Zuordnung möglich. Die Bildung von Untergruppen in der Vergleichsgruppe der Nervenärzte geht zurück auf das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 21. September 1999 in dem Verfahren S 16 KA 399/97. Nach eigenem Bekunden in der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte daraufhin, d.h. seit der Rechtskraft dieses Urteils, die Gruppe der Nervenärzte in Untergruppen unterteilt, sofern in dem Fall des jeweils geprüften Arztes anhand der Leistungsziffern Nr. 800 EBM-Ä einerseits bzw. Nr. 820 EBM-Ä andererseits ein deutlicher Behandlungsschwerpunkt erkennbar war. Damit hat er - über die vornehmlich an der WBO ausgerichtete Argumentation des Sozialgerichts hinausgehend - für alle nach den genannten Kriterien zuzuordnenden Praxen Kriterien für die Vergleichsgruppenbildung aufgestellt und sich hierdurch selbst dahingehend gebunden, dass er diese Maßstäbe im Rahmen des aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz abzuleitenden Verbots der unterschiedlichen Behandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhalte ohne sachgerechten Grund auch in anderen Verfahren anwenden muss. Insoweit gilt bei einem gerichtlich nicht bzw. nur in engen Grenzen nachvollziehbaren Beurteilungsspielraum nichts anderes als bei einem Ermessensspielraum. Um einen solchen Fall eines gerichtlich nur in engen Grenzen nachprüfbaren Beurteilungsspielraums handelt es sich bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Diese unterliegt nach ständiger Rechtsprechung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung (vgl. BSG, Urt. vom 30. November 1994 - 6 RKa 16/93 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 25 m. w. N.; Urt. vom 16. Juli 2003 - B 6 KA 14/02 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 2 Rz. 11; speziell auch für die Vergleichsgruppenbildung: BSG, Beschl. vom 28. September 2005 - B 6 KA 27/05 B -, juris).

45

Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung wie bereits in den angefochtenen Bescheiden erneut geltend gemacht hat, in den hier streitigen Quartalen habe der Kläger noch in erheblichem Umfang neurologische Leistungen erbracht, weshalb die gesamte Gruppe der Neurologen und Psychiater zum Vergleich herangezogen worden sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Eine Entscheidung, die wie diejenige über einen Prüfabstrich im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung auf einer wertenden Beurteilung beruht, ist nur dann rechtmäßig, wenn der Beklagte seine Subsumtionserwägungen so verdeutlicht und begründet hat, dass im Rahmen des Möglichen die zutreffende Anwendung der Beurteilungsmaßstäbe erkennbar und nachvollziehbar ist (vgl. BSG, Urt. vom 30. November 1994 - 6 RKa 16/93 - a. a. O., m. w. N.). Jedenfalls dies ist hier nicht der Fall. Die bereits in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Formulierung, wonach der Kläger zu Recht mit der Gesamtgruppe der Nervenärzte verglichen worden sei, weil er „in großem Umfang“ neurologische Leistungen erbracht habe, lässt erkennen, dass das Ausmaß der Erbringung neurologischer Leistungen aus der Sicht des Beklagten für die Bildung bzw. Nichtbildung einer Untergruppe entscheidend war. Dies entspricht auch der bereits dargelegten Entscheidungspraxis. Es hätte dann jedoch weiter erläutert werden müssen, an der Erbringung welcher Leistungsziffern dies konkret festgemacht wird und wie häufig diese nach Auffassung des Beklagten abgerechnet werden durften, ohne dass von einem „großen Umfang“ gesprochen worden wäre. Bezogen auf die Nr. 800 EBM-Ä, die der Beklagte, wie dargelegt, in den genannten weiteren Verfahren und auch ansonsten für die Zuordnung zu einer aus neurologischen Praxen gebildeten Untergruppe als entscheidend angesehen hat bzw. ansieht, geben die bereits genannten Abrechnungszahlen einen „großen Umfang“ vom allgemeinen Wortsinn her jedoch selbst in den Quartalen, in denen sie überhaupt abgerechnet wurde, nicht her. In den Quartalen II/00, IV/00 und I/01 wurde die Nr. 800 EBM-Ä, wie bereits dargelegt, gar nicht abgerechnet, so dass auf diese Quartale bezogen die o. g. Aussage sogar unrichtig wäre, sofern man sie allein an der Leistungsziffer 800 EBM-Ä festmachen will. Will der Beklagte dies im Einzelfall - abweichend von anderen Fällen - nicht, sondern will er darüber hinaus weitere neurologische Leistungsziffern einbeziehen, so bedarf auch diese Abweichung der Begründung, wobei dann zudem konkret darzulegen ist, welche Leistungsziffern einbezogen werden sollen und was - größenordnungsmäßig - insoweit als Leistungserbringung „in großem Umfang“ anzusehen sein soll. Es kommt hinzu, dass es nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten nicht um die isolierte Betrachtung der typischen neurologischen Leistungsziffern geht, sondern darum, ob sich in der Relation zu der Erbringung der von dem Beklagten als typische psychiatrische Leistungsziffer eingeordneten Nr. 820 EBM-Ä ein Praxisschwerpunkt ergibt, der bezogen auf die konkret geprüfte Leistungsziffer 823 EBM-Ä zur Annahme einer besonderen Praxisausrichtung führt. Dies ist hier, wie bereits dargelegt, klar der Fall. Ausgehend von diesen eigenen Maßstäben des Beklagten hat dieser seinen Beurteilungsspielraum nicht in zutreffender bzw. nachvollziehbarer Weise ausgeschöpft. Dies muss zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide führen.

46

Der Beklagte wird nunmehr unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über die Widersprüche des Klägers zu entscheiden haben. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand vermag sich der Senat von der weiter gehenden Auffassung des Klägers, wonach er hinsichtlich der Abrechnung der Nr. 823 EBM-Ä insgesamt mit keinem anderen Psychiater vergleichbar sei, so dass eine statistische Prüfung nicht in Betracht komme, nicht zu überzeugen. Vielmehr wird der Beklagte zunächst zu prüfen haben, ob der Kläger in den hier streitigen Quartalen ausschließlich als Psychiater zugelassen war; dann müsste als Vergleichsgruppe zwingend eine der WBO 1996 entsprechende Vergleichsgruppe gebildet werden. Anderenfalls wird der Beklagte weiter prüfen müssen, ob nicht anhand der in anderen Fällen angelegten Maßstäbe ebenfalls eine Untergruppenbildung erforderlich ist. Andernfalls wäre genau zu begründen, warum der Kläger trotz des deutlichen psychiatrischen Schwerpunktes in Bezug auf die Abrechnung der Nr. 823 EBM-Ä gleichwohl mit allen Neurologen/Psychiatern vergleichbar sein soll. Ob man der Behandlungspraxis des Klägers, insbesondere der Häufigkeit der Abrechnung der Nr. 823 EBM-Ä allein mit den Mitteln einer Wirtschaftlichkeitsprüfung begegnen kann, erscheint allerdings fraglich. Die Abrechnungshäufigkeit dieser Ziffer bei dem Kläger ist so auffällig, dass die Plausibilität der Abrechnung insgesamt in Frage zu stellen sein dürfte. In den Quartalen IV/00 und I/01 hat der Kläger die genannte Ziffer jeweils rund 1.000 x abgerechnet. Berücksichtigt man, dass es sich um eine Zuschlagsziffer für Gespräche handelt, die über 30 Min. dauern, entspricht dies einem Zeitaufwand von - deutlich - mehr als 500 Stunden allein für diese Leistung. Berücksichtigt man zudem, dass er die Grundleistung nach Nr. 822 EBM-Ä, mit der ebenfalls eine die persönliche Tätigkeit des Arztes voraussetzende Gesprächsleistung abgegolten wird, jeweils zwei- bis dreimal so häufig abgerechnet hat wie die Nr. 823 EBM-Ä und dass er zudem weitere Leistungen erbracht hat, scheint das Abrechnungsverhalten des Klägers in zeitlicher Hinsicht nicht ohne weiteres mit einer Praxistätigkeit im üblichen Umfang vereinbar zu sein.

47

Nach alledem hat die Berufung des Klägers in dem dargelegten Umfang Erfolg.

48

Die Kostenentscheidung folgt für das Verfahren mit dem früheren Aktenzeichen S 14 KA 59/02 aus § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), für das Verfahren mit dem früheren Aktenzeichen S 14 KA 567/01 aus § 193 SGG a. F., da diese Klage bis zum 1. Januar 2002 anhängig geworden ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 - B 6 KA 12/01 R - SozR 3-2500 § 116 Nr. 24). Der Senat hat von einer Kostenquotelung Abstand genommen. Der Kläger hat in diesem Verfahren in dem Sinne vollständig obsiegt, dass der angefochtene Bescheid des Beklagten aufgehoben worden ist. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass der Beklagte unter Berücksichtigung der Maßgaben, die er bei seiner neuen Entscheidung zu beachten hat, eine Unwirtschaftlichkeit des Ansatzes der Leistungen nach der Nr. 823 EBM-Ä durch den Kläger feststellen kann, ist es nicht gerechtfertigt, diese möglichen Auswirkungen bereits jetzt bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Vielmehr rechtfertigt es der Umstand, dass die allein im Streit befindlichen Bescheide des Beklagten zu Lasten des Klägers rechtswidrig waren, dass der Beklagte ihm die Kosten der Verfahren unabhängig davon zu erstatten bzw. diese zu tragen hat, ob im Ergebnis gegen den Kläger eine Honorarkürzung bestandskräftig festgesetzt wird (vgl. BSG, Urteil vom 27. April 2005 - B 6 KA 39/04 R - a. a. O.).

49

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.


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