Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (4. Senat) - L 4 KA 93/14

Tenor

Auf die Berufungen der Klägerin werden die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Kiel vom 26. November 2014 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Abänderung des RLV – Mitteilungsbescheides vom 1. April 2009 und des Honorarbescheides vom 16. Oktober 2009, jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2011, verurteilt, der Klägerin für das Quartal II/09 ein um 10 % erhöhtes RLV zuzuweisen und unter Berücksichtigung des erhöhten RLV ein höheres Honorar für dieses Quartal zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf insgesamt 11.325,33 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Mitteilung des Regelleistungsvolumens (RLV) und der Honorarabrechnung für das Quartal II/09. Strittig ist zwischen den Beteiligten dabei noch, ob die Klägerin Anspruch auf Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlages bei Ermittlung des RLV hat.

2

Die Klägerin ist eine aus den Ärzten Dr. M... H... und Dr. B... L... bestehende Berufsausübungsgemeinschaft, die in O... zur vertragsärztlichen Versorgung im fachärztlichen Bereich zugelassen ist. Seit dem 1. April 2009 sind beide Ärzte als fachärztliche Internisten mit dem Schwerpunkt Nephrologie zugelassen, so dass ab dem Quartal II/09 eine fachgleiche Berufsausübungsgemeinschaft bestand.

3

Mit Bescheid vom 1. April 2009 wies die Beklagte der Klägerin für das Quartal II/09 ein RLV im Umfang von insgesamt 90.602,74 € zu. Dieses setzte sich aus einem RLV für Dr. L... in Höhe von 50.883,44 € und einem RLV für Dr. H... in Höhe von 39.719,30 € zusammen. Einen Zuschlag für fachgruppengleiche Berufsausübungsgemeinschaften berücksichtigte die Beklagte bei Ermittlung des RLV nicht. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 3. April 2009.

4

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin für die im Quartal II/09 erbrachten vertragsärztlichen Leistungen ein Honorar in Höhe von insgesamt 108.203,54 €. Grundlage war dabei ein RLV in oben genannter Höhe. Einen Zuschlag für fachgruppengleiche Berufsausübungsgemeinschaften berücksichtigte die Beklagte wiederum nicht. Dagegen richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 17. November 2009.

5

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2011 wies die Beklagte die genannten Widersprüche zusammen mit weiteren Widersprüchen gegen andere Quartale betreffende RLV-Mitteilungen und Honorarbescheide zurück. Zur Begründung führte sie dabei bezogen auf die hier streitgegenständliche Frage aus, Voraussetzung für einen entsprechenden Zuschlag in den Quartalen I/09 und II/09 sei, dass die Praxis bereits im Quartal I/08 bzw. II/08 als fachgleiche Gemeinschaftspraxis bestanden habe. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Somit habe ein zehnprozentiger Aufschlag nicht berücksichtigt werden können. Ab dem Quartal III/09 sei die Systematik umgestellt worden und der Aufschlag sei daher zu gewähren gewesen.

6

Mit ihrer dagegen am Montag, dem 6. Juni 2011 beim Sozialgericht Kiel erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Gegenstand des Klagebegehrens waren zunächst auch RLV-Mitteilungen und Honorarabrechnungen für die Quartale I/09 sowie III/09 bis II/10.

7

Bereits mit Beschluss vom 23. Dezember 2013 hat das Sozialgericht mehrere Streitgegenstände abgetrennt und in eigenständigen Klageverfahren fortgeführt. Mit Beschluss vom 14. Januar 2014 hat das Sozialgericht Kiel die dann noch verbliebenen Streitgegenstände abgetrennt und sowohl die hier nicht streitbefangene Mitteilung des RLV für das Quartal II/10 als auch die streitgegenständliche Mitteilung des RLV für das Quartal II/09 und die Honorarabrechnung für das letztgenannte Quartal in eigenständigen Verfahren weitergeführt.

8

Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klagen vorgetragen, rechtswidrig sei ihr ein zehnprozentiger Zuschlag auf das RLV verweigert worden. Bei der zustehenden Erhöhung des RLV um 10 % hätte auch das Honorar höher ausfallen müssen, weil ein weit geringerer Anteil der RLV-relevanten Leistungen abgestaffelt vergütet worden wäre. Grundlage ihres Anspruchs sei der Beschluss des Bewertungsausschusses in seiner Sitzung vom 17. Oktober 2008. Die dort getroffene Regelung sei eindeutig. Wie die Beklagte zu der Annahme komme, diese Regelung verlange das Bestehen einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis bereits im Vorjahresquartal, sei nicht nachvollziehbar.

9

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

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die RLV-Mitteilung und die Honorarabrechnung für das Quartal II/2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2011 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin ein um 9.060,27 € höheres RLV zu gewähren und eine entsprechende Nachvergütung vorzunehmen.

11

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat vorgetragen, die Klägerin habe im Quartal II/09 noch keinen Anspruch auf den zehnprozentigen Zuschlag gehabt. Ihre Auffassung, wonach Voraussetzung das Bestehen einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis bereits im Quartals II/08 sei, sei schon deshalb richtig, weil der Zuschlag dazu diene, für die Fallzählung bei fachgleichen Gemeinschaftspraxen einen Ausgleich zu schaffen. Da die RLV auf den Fallzahlen der Vorjahresquartale beruhten und für fachgleiche Gemeinschaftspraxen eine andere Fallzählung als bei fachungleichen Gemeinschaftspraxen oder Einzelpraxen vorgenommen werde, könne der als Ausgleich gedachte Zuschlag nur dann gewährt werden, wenn die Fallzählung aus 2008 aus einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis stamme. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall.

14

Mit Gerichtsbescheiden vom 26. November 2014 hat das Sozialgericht die Klagen abgewiesen. In den Begründungen hat es die Regelungen über die Gewährung eines zehnprozentigen Zuschlages in den Beschlüssen des erweiterten Bewertungsausschusses bzw. des Bewertungsausschusses dargestellt und ausgeführt, zwar finde sich darin kein ausdrückliches Abstellen auf das Bestehen einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis bereits in den Vorjahresquartalen. Aus teleologischen und regelungssystematischen Erwägungen ergebe sich aber, dass der zehnprozentige Aufschlag ausschließlich für die genannten Berufsausübungsgemeinschaften gedacht gewesen sei. Der Sinn und Zweck des Zuschlages auf das RLV bestehe darin, den Nachteil auszugleichen, der dadurch entstehe, dass in einer fachgleichen BAG die Pauschale bei Behandlung durch mehrere Ärzte im selben Quartal nur einmal abrechenbar sei, obwohl der Behandlungsaufwand unter Umständen wegen der Behandlung durch mehrere Ärzte höher sei als in einer Einzelpraxis. Den Nachteil, dass im Rahmen der Fallzählung Behandlungsfälle und nicht Arztfälle gezählt würden, den der zehnprozentige Zuschlag ausgleichen solle, hätten im Vorjahresquartal in Einzelpraxis tätig gewesen Ärzte gerade nicht. Insofern spreche auch der Umstand, dass der Zuschlag zu den Pauschalen nach dem EBM ohne Einschränkung gewährt werde, nicht für die Gewährung des Zuschlages im Rahmen des RLV. In systematischer Hinsicht sei darauf zu verweisen, dass die Regelung aus dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 17. Oktober 2008 ebenso wie die Übergangsregelung in Nr. 7 der Anlage 2 zu Teil F des Beschlusses vom 27./28. August 2008 ausdrücklich bis zum 30. Juni 2009 befristet gewesen sei. Diese Regelungen nähmen auf die bis zum 30. Juni 2008 nicht bestehende leistungserbringerbezogene Kennzeichnungspflicht auch Bezug. Das Sozialgericht hat sich auch auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin im Verfahren S 83 KA 399/11 gestützt.

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Gegen die ihr am 2. Dezember 2014 zugestellten Gerichtsbescheide richten sich die Berufungen der Klägerin vom 29. Dezember 2014.

16

Der erkennende Senat hat beide Berufungsverfahren in der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2017 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

17

Zur Begründung ihrer Berufungen trägt die Klägerin vor, die Entscheidungen des Sozialgerichts vermögen nicht zu überzeugen. Dieses beziehe sich auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 2012 (S 83 KA 399/11) und habe dessen Begründung abgeschrieben. Dabei habe das Sozialgericht aber übersehen, dass die Entscheidung des SG Berlin zu einer anderen Konstellation ergangen sei. Im dortigen HVV sei nämlich in Abweichung zum Wortlaut des Beschlusses des Bewertungsausschusses eindeutig geregelt gewesen, dass nur diejenigen Praxen, die bis zum 30. Juni 2008 keiner leistungserbringerbezogenen Leistungskennzeichnung unterlegen seien, einen Aufschlag von 10 % erhielten. Das Sozialgericht Berlin habe sich dann mit der Frage befasst, ob diese einschränkende Regelung im dortigen HVV von der Ermächtigung im Beschluss des Bewertungsausschusses gedeckt sei. Im Gegensatz dazu enthalte der HVV für Schleswig-Holstein keine abweichenden Regelungen von den Vorgaben des Bewertungsausschusses. Eine Einschränkung sei auch rechtswidrig. Das Sozialgericht habe nicht beachtet, dass Beschlüsse des Bewertungsausschusses streng nach ihrem Wortlaut auszulegen seien. Für eine teleologische und regelungssystematische Interpretation sei insoweit kein Raum. Nach Rechtsprechung des BSG sei eine systematische Interpretation erst dann zulässig, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft sei oder einer Klarstellung bedürfe. Vorliegend sei der Wortlaut des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 17. Oktober 2008 indessen eindeutig und lasse keine Interpretationsspielräume zu. Das Sozialgericht und die Beklagte interpretierten in die Beschlüsse des erweiterten Bewertungsausschusses und des einfachen Bewertungsausschusses in unzulässiger Weise etwas hinein, was dort nicht stehe, und setzten sich über den klaren Wortlaut der Regelungen hinweg.

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Die Klägerin beantragt,

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die Gerichtsbescheide des Sozialgerichts Kiel vom 26. November 2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der RLV-Mitteilung vom 1. April 2009 sowie der Honorarabrechnung vom 16. Oktober 2009, beide in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Mai 2011, zu verurteilen der Klägerin für das Quartal II/09 ein um 10 % erhöhtes RLV zuzuweisen und unter Berücksichtigung dessen ein höheres Honorar zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt

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die Berufungen zurückzuweisen.

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Sie trägt vor, sie halte die angefochtenen Gerichtsbescheide für rechtmäßig. Ihres Erachtens sei nicht entscheidend, ob im HVV ausdrücklich aufgenommen worden sei, dass der zehnprozentige Zuschlag nur dann zu gewähren sei, wenn eine schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaft bereits in den Quartalen I/08 und II/08 bestanden habe. Dies wäre eine rein deklaratorische Feststellung gewesen, die sich ohnehin aus dem Beschluss des Bewertungsausschusses ergebe. Der Wortlaut der Anlage 2 zum Teil F des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses lasse keinen anderen Schluss zu, als dass die Praxiskonstellation im ersten Halbjahr 2008 maßgeblich für die Gewährung eines BAG-Zuschlages gewesen sei. Ausdrücklich sei dort die Fallzahlermittlung für verschiedene Praxiskonstellationen anhand der Abrechnung des ersten bzw. zweiten Quartals 2008 geregelt worden. Es könne sich auch die darunter gefasste Regelung zu den Zuschlägen, die ein bestimmtes Quartal nicht benenne, nur auf Berufsausübungsgemeinschaften beziehen, die in diesem Zeitraum auch abgerechnet hätten. Vor diesem Hintergrund ließen sowohl die Wortlautauslegung als auch die Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung keinen anderen Schluss zu, als dass die Gewährung des BAG-Zuschlages maßgeblich von der in 2008 bestehenden Praxiskonstellation abhänge.

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Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten und der die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufungen der Klägerin sind zulässig. Sie sind insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz) bei dem Landessozialgericht eingegangen.

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Die Berufungen sind auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht Kiel die Klagen in den angefochtenen Urteilen abgewiesen. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die hat Anspruch auf Berücksichtigung eines 10%igen Zuschlags bei der Bildung des RLV und dementsprechend bei der Honorierung vertragsärztlicher Tätigkeiten auch im Quartal II/09.

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Gemäß § 87b Abs. 1 SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung-) in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26. März 2007 (alle Paragrafenangaben des SGB V beziehen sich auf diese Fassung des Gesetzes) werden abweichend von § 85 SGB V die vertragsärztlichen Leistungen ab dem 1. Januar 2009 von der Kassenärztlichen Vereinigung auf Grundlage der regional geltenden Euro-Gebühren-Ordnung nach § 87a Abs. 2 SGB V vergütet. Gemäß § 87b Abs. 2 SGB V sind zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit arzt- und praxisbezogene Regelleistungsvolumina festzulegen. Diese definieren die von einem Arzt oder einer Praxis in einem bestimmten Zeitraum abrechenbare Menge der vertragsärztlichen Leistungen, die mit Entgelten der Euro-Gebührenordnung vergütet werden. Die das RLV überschreitende Leistungsmenge ist gemäß § 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V mit abgestaffelten Preisen zu vergüten. Die Werte der RLV sind nach § 87b Abs. 3 Satz 1 SGB V morbiditätsgewichtet und differenziert nach Arztgruppen und nach Versorgungsgraden sowie unter Berücksichtigung der Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen festzulegen. Soweit dazu Veranlassung besteht, sind gemäß § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V auch Praxisbesonderheiten bei der Bestimmung des RLV zu berücksichtigen. § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V bestimmt, dass der Bewertungsausschuss erstmals zum 31. August 2008 das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der RLV nach den Absätzen 2 und 3 sowie Art und Umfang, das Verfahren und den Zeitpunkt der Übermittlung der dafür erforderlichen Daten bestimmt. Gemäß § 87b Abs. 4 Satz 3 SGB V bestimmen die Kassenärztliche Vereinigung, die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam erstmalig zum 15. November 2008 und danach jeweils zum 31. Oktober eines jeden Jahres gemäß den Vorgaben des Bewertungsausschusses unter Verwendung der erforderlichen regionalen Daten die für die Zuweisung der RLV konkret anzuwendende Berechnungsformel. Gemäß § 87b Abs. 5 S. 1 SGB V weisen die Kassenärztlichen Vereinigungen den Ärzten und Praxen deren RLV erstmals zum 30. November 2008 und in der Folge jeweils spätestens vier Wochen vor Beginn der Geltungsdauer des RLV zu.

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Die Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben auf Bundesebene ist zunächst durch den Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses zur Neuordnung der vertragsärztlichen Versorgung vom 27./28. August 2008 (Beschluss eBA 2008) erfolgt. Dieser enthält in seinem Teil F Vorschriften zur Berechnung und zur Anpassung der arzt- und praxisbezogenen RLV nach § 87b Abs. 2 und 3 SGB V. Darin ist in Teil F Nr. 2.1 vorgesehen, dass Regelleistungsvolumina für die Ärzte der in der Anlage 1 genannten Arztgruppen zur Anwendung kommen. Die Berechnung der arztindividuellen RLV ist in der Anlage 2 zu Teil F Beschluss eBA 2008 geregelt. Danach ist zunächst auf Grundlage des Vergütungsvolumens 2007 das vorläufige RLV-Vergütungsvolumen getrennt nach dem hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich zu ermitteln (Nr. 1 der Anlage 2). Sodann ist aus diesem unter Vornahme vorgegebener Abzüge (insbesondere für abgestaffelte Leistungen, erwartete Zuzahlungen für Neupraxen, für Ärzte und Einrichtungen, die kein RLV erhalten, sowie der Vergütungen des Jahres 2007 für bestimmte Leistungen und im hausärztlichen Bereich auch für zu erwartende Zuzahlungen für Qualitätszuschläge) das jeweilige RLV-Vergütungsvolumen eines Versorgungsbereichs zu ermitteln (Nr. 2 der Anlage 2). Sodann ist ein arztgruppenspezifischer Anteil am RLV-Vergütungsvolumen eines Versorgungsbereichs gemäß Nr. 3 der Anlage 2 zu ermitteln und gemäß Nr. 4 der Anlage 2 der arztgruppenspezifische Fallwert, der aus den arztgruppenspezifischen Behandlungsfällen des Vorjahresquartals ermittelt wird. Die Multiplikation dieses Fallwerts mit der Fallzahl des konkreten Arztes im jeweiligen Vorjahresquartal gemäß Nr. 5 der Anlage 2 ist die Basis für die Ermittlung des arzt- und praxisbezogenen RLV. Es erfolgt sodann noch eine morbiditätsbezogene Differenzierung des RLV nach Altersklassen (Nr. 6 der Anlage 2). Vereinfacht ausgedrückt ist das arztbezogene RLV das Produkt aus der Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal und dem arztgruppenspezifischen Fallwert.

28

Zur Vergütung vertragsärztlicher Leistungen nach RLV in Berufsausübungsgemeinschaften sieht Teil F Nr.1.2.2 Beschluss eBA 2008 zunächst eine arztbezogene Ermittlung des RLV vor. Die Zuweisung der RLV und die Abrechnung erfolgt dann aber gemäß Teil F Nummer 1.2.4 Beschluss eBA 2008 praxisbezogen, wobei sich die Höhe des RLV einer Arztpraxis aus der Addition der RLV je Arzt, die in der Arztpraxis tätig sind, ergibt. Teil F Nummer 2.3 Beschluss eBA 2008 enthält eine Definition der für die Berechnung des RLV relevanten Fälle. Zur Ermittlung der Fallzahl je Arzt war in Nr. 7 der Anlage 2 zum Beschluss eBA 2008 bis 30. Juni 2009 eine Übergangsregelung vorgesehen, wonach bei fachgleichen Berufsausübungsgemeinschaften eine Ermittlung der Fallzahlen pro Arzt nach Kopfteilen erfolgen sollte. Demgegenüber war bei fachgruppenübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaften grundsätzlich eine Ermittlung der Fallzahlen pro Arzt anhand der arztgruppenspezifischen Versicherten-, Grund- und Konsiliarpauschalen vorgesehen. Bei fachgleichen Ärzten innerhalb einer fachgruppenübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft war wiederum eine Fallzahlermittlung nach dem Kopfteilprinzip vorgesehen.

29

Mit Beschluss vom 20. April 2009 ist der Beschluss eBA 2008 mit Wirkung zum 1. Juli 2009 in Teil F Nummer 2.3 dahingehend geändert worden, dass in Berufsausübungsgemeinschaften die Zahl der RLV-Fälle eines Arztes der Zahl der Behandlungsfälle der Arztpraxis multipliziert mit seinem Anteil an der RLV-relevanten Arztfallzahl der Praxis entspricht. Die Summe der RLV-Fälle einer Arztpraxis entspricht damit immer der Anzahl der RLV-relevanten Behandlungsfälle der Arztpraxis.

30

Hintergrund dieser Übergangsregelung und der späteren Änderung war die Einführung einer arztindividuellen Kennzeichnungspflicht erst zum dritten Quartal 2008. Infolgedessen war die Ermittlung individualisierter Arztleistungen durch Anknüpfen an die ersten beiden Quartale 2008 für die Bildung der arztbezogenen RLV in den ersten beiden Quartale 2009 erschwert.

31

Mit Beschluss vom 17. Oktober 2008 hat der Bewertungsausschuss gestützt auf § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V neben dem EBM auch den Beschluss des eBA vom August 2008 geändert und dabei in Teil B Ziffer 1 unter der Überschrift „Teil F und Übergangsbestimmung zur Fallzählung im ersten Halbjahr 2008 – Zuschlag zu Regelleistungsvolumen in fachgruppengleichen Gemeinschaftspraxen mit Wirkung zum 1. Januar 2009 bis 30. Juni 2009“ bestimmt, dass die Höhe des zutreffenden Regelleistungsvolumens für arztgruppen – und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften unter Berücksichtigung eines Aufschlags in Höhe von 10 % berechnet wird.

32

Mit Beschluss vom 20. April 2009 hat der Bewertungsausschuss diese Regelung an anderer Stelle fortgeführt und erweitert. Durch dessen Teil A Ziffer 1 ist nach Teil F Nr. 1.2.4 Beschluss eBA 2008 ein weiterer Absatz eingeführt worden, der ausdrücklich zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften bestimmt, dass das nach Anlage 2 Nr. 5 ermittelte praxisbezogene Regelleistungsvolumen für fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften um 10 % erhöht wird und für fach- und schwerpunktübergreifende Berufsausübungsgemeinschaften um 5 % je Arztgruppe bzw. Schwerpunkt für maximal sechs Arztgruppen und um je 2,5 % je weitere Arztgruppe, insgesamt jedoch höchstens um 40 %.

33

Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsregelungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in erster Linie der Wortlaut der Bestimmungen maßgeblich. Soweit der Wortlaut einer Vergütungsregelung zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, kann eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen erfolgen. Hingegen kommt eine entstehungsgeschichtliche Auslegung unklarer oder mehrdeutiger Regelungen nur in Betracht, wenn Dokumente vorliegen, in denen die Urheber der Bestimmung diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2005, B 6 KA 80/03 R m.w.N.)

34

Vorliegend ist zu konzedieren, dass der Wortlaut der geschilderten Regelungen die Berücksichtigung eines zehnprozentigen Zuschlags nicht von dem Bestehen einer fachgleichen Berufsausübungsgemeinschaft bereits in den Vorjahresquartalen 2008 abhängig macht. Eine ergänzende systematische Interpretation des Beschlusses führt ebenfalls nicht eindeutig zu dem von der Beklagten und dem Sozialgericht eingenommenen Verständnis.

35

Eine Bezugnahme zu der Übergangsregelung nach Nr.7 der Anlage 2 zum Beschluss eBA 2008 und die dieser Regelung zugrunde liegenden Schwierigkeiten bei der arztbezogen Fallzahlermittlung im ersten Halbjahr 2009 ergibt sich nur aus der Regelungsüberschrift in Teil B Nr.1 des Beschlusses vom 17. Oktober 2009. Diese gibt aber keine eindeutige Positionierung der nachträglich getroffenen Regelung innerhalb der Regelungssystematik des Beschlusses eBA 2008 an, sondern gibt als Bezugspunkt sowohl allgemein Teil F des Beschlusses als auch die Übergangsregelung an.

36

So hat dann auch das Bundessozialgericht in dem Urteil vom 11. Dezember 2013 im Verfahren B 6 KA 4/13, in der es um einen geltend gemachten Aufschlag für eine fachungleiche Berufsausübungsgemeinschaft ging, die Regelung zum zehnprozentigen Aufschlag für fachgleiche Berufsausübungsgemeinschaften in Teil F Nummer 1.2.4 Beschluss eBA 2008 in der Fassung des Korrekturbeschlusses vom 17. Oktober 2008 verortet (vergleiche Rn. 12 des Urteils, juris). Das BSG hat dann weiter ausgeführt, die Regelung knüpfe an entsprechende Vorschriften im EBM zur Förderung von Berufsausübungsgemeinschaften an. Dieser Zweck sei billigenswert. Darüber hinaus spiele für die Regelung eine Rolle, dass bestimmte Ordinationskomplexe und Pauschalen in einer Berufsausübungsgemeinschaft nur einmal je Behandlungsfall der gesamten Praxis abgerechnet werden könnten. Soweit die Identität der Arztgruppen bzw. Schwerpunkte in einer Berufsausübungsgemeinschaft als tatbestandliche Voraussetzungen für die Gewährung des Zuschlags verlangt werde, halte sich dies im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Normgebers.

37

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat in einem Urteil vom 13. April 2016 (L 3 KA 51/13 R) entschieden, dass eine Erhöhung des RLV für eine Berufsausübungsgemeinschaft nicht davon abhängig gemacht werden könne, ob ein Mitglied im Vorjahresquartal noch in einer Einzelpraxis tätig gewesen sei. Die Entscheidung erging zu den Quartalen IV/09 und I/10. Das LSG Nds.-HB hat dabei vornehmlich auf den Wortlaut der Regelung in den Beschlüssen des BA abgestellt. Ferner hat es darauf hingewiesen, dass zwischen der arztbezogen Ermittlung der RLV und der praxisbezogenen Zuweisung der RLV zu unterscheiden sei. Nur die arztbezogene Ermittlung enthalte einen Vorjahresbezug. Der Zuschlag sei aber im Zusammenhang mit der Zuweisung der RLV geregelt, erst nach Bildung des praxisbezogenen RLV sei dieses um einen Zuschlag zu erhöhen. Dem Sinn und Zweck der Regelung lasse sich nichts anderes entnehmen, denn es sei nicht zutreffend, dass die Regelung eingeführt worden sei, um „Fallzählungsverluste“ von Berufsausübungsgemeinschaften auszugleichen. (Vergleiche Rn. 28 ff des Urteils, juris)

38

Ähnlich sieht es das Sozialgericht Marburg, das in einem Urteil vom 14. April 2010 (S 11 KA 512/09) , welches zum Quartal I/09 ergangen ist, entschieden hat, dass es für den BAG-Aufschlag auf das Bestehen einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis im abzurechnenden Quartal ankomme und dabei ausgeführt hat, der Wortlaut der Ergänzungsregelung aus dem Beschluss vom 17. Oktober 2008 gebe keinen hinreichenden Aufschluss darüber, ob die Fachgruppengleichheit im zu berechnenden

39

oder im Referenzquartal vorliegen müsse. Aus dem systematischen Zusammenhang ergebe sich jedoch, dass nur das abzurechnende Quartal für die Beurteilung der Fachgleichheit in Betracht zu ziehen sei, denn es handele sich um eine kongruente Regelung zu der Änderung des EBM zum 1. Januar 2009, nach der arztgruppen– und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften einen Aufschlag in Höhe von 10 % auf die jeweiligen Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschalen erhielten. (Vergleiche Rn. 32 ff des Urteils, juris).

40

Auch der erkennende Senat hat sich die Überzeugung gebildet, dass der 10%ige RLV-Zuschlag auch in den Quartalen I/09 und II/09 allein das Bestehen einer fach- und schwerpunktgleichen BAG im abzurechnenden Quartal voraussetzt. Entscheidend ist, dass der Wortlaut der Regelung im Beschluss vom 17. Oktober 2008 einen Bezug auf das Vorjahresquartal nicht enthält. Da das Vorjahresquartal nach den allgemeinen Regelungen bloßer Anknüpfungspunkt für die Fallzählung, nicht aber für die Bildung des RLV insgesamt ist und der zehnprozentige Zuschlag nach Addition der arztindividuellen RLV zu einem praxisbezogenen RLV gewährt wird, spricht dies dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Regelung, hier das Bestehen einer arztgruppen– und schwerpunktgleichen Berufsausübungsgemeinschaft, im abzurechnenden Quartal vorliegen müssen.

41

Es müssten schon sehr gewichtige, systematische Gründe vorliegen, um eine restriktive Interpretation der Vorschrift über den Wortlaut hinaus zu rechtfertigen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und des von ihm zitierten Sozialgerichts Berlin liegen derartige systematische Gründe nicht in dem Zusammenhang der streitigen Regelung mit den Sonderregelungen für die Fallzählung in Berufsausübungsgemeinschaften in den ersten beiden Quartalen 2009. Ein derartiger Zusammenhang lässt sich aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung der Regelung nämlich nicht unzweideutig herleiten. Die Verortung der Änderung aus dem Beschluss vom 17. Oktober 2008 in dem Regelungswerk vom 27./28. August 2008 ist vielmehr unklar, denn in Teil B Nr.1 des Beschlusses wird ein Bezug sowohl zu Teil F allgemein als auch zu der Übergangsbestimmung zur Fallzählung im ersten Halbjahr 2008 genannt. Auch wenn eine Verortung der Regelung in Teil F Nr.1.2.4 des Beschlusses eBA 2008 aus dem Wortlaut der Regelungen nicht eindeutig herzuleiten zu sein vermag (so aber BSG aaO), so gilt dies ebenso für die Verortung der Regelung in Anlage 2 Nr. 7 zur Teil F Beschluss eBA 2008.

42

Nicht zu verkennen ist, dass die Regelung mit der gleichzeitig vorgenommenen Änderung des EBM in Teil A Nr.1 des Beschlusses vom 17. Oktober 2008 korrespondiert, wonach fachgleiche Berufsausübungsgemeinschaften einen zehnprozentigen Aufschlag auf die Abrechnungspauschalen erhalten. Dies spricht deutlich dafür, dass die Regelung jedenfalls auch zur Förderung der vertragsärztlichen Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften ergangen ist. Für die Fortführung der Regelung durch den Beschluss vom 20. April 2009 ergibt sich dies bereits aus dem Wortlaut der Regelung. Insoweit ist der Sichtweise der Beklagten, die Regelung sei zum dritten Quartal 2009 geändert worden, nicht zu folgen. Die fachgleiche Berufsausübungsgemeinschaften betreffende Regelung ist inhaltlich gerade nicht geändert worden. Geändert worden ist allenfalls ihr systematischer Kontext und es ist eine eindeutige Zielbestimmung mit aufgenommen worden, die an der objektiven Regelung aber nichts ändert. Neu eingeführt worden zum Quartal III/09 ist lediglich ein Zuschlag auch für fachungleiche Berufsausübungsgemeinschaften.

43

Gleichwohl ist mit dem BSG im Urteil vom 11. Dezember 2013 davon auszugehen, dass der BAG-Zuschlag nicht ausschließlich der Förderung der vertragsärztlichen Versorgung in Berufsausübungsgemeinschaften dient, sondern es auch eine Rolle spielt, dass bestimmte Koordinationskomplexe und Pauschalen in einer Berufsausübungsgemeinschaft nur einmal je Behandlungsfall abgerechnet werden können. Darin kann ein auszugleichender Nachteil von Berufsausübungsgemeinschaften gegenüber Einzelpraxen gesehen werden. Dieser Effekt beschränkt sich aber nicht auf das erste Halbjahr 2009 und folgt auch nicht den Schwierigkeiten bei der arztindividuellen Ermittlung der Fallzahl anhand der Aufsatzquartale I/08 und II/08. Die Anrechenbarkeit von Ordinationskomplexen und Pauschalen nur einmal pro Quartal und Patient besteht unabhängig von der Übergangsproblematik 2008/2009. Die Schwierigkeit, die im ersten Halbjahr 2008 abgerechneten Fallpauschalen den einzelnen Mitgliedern einer Berufsausübungsgemeinschaft zuzuordnen, mag dazu führen, dass die arztindividuellen RLV in den beiden Anfangsquartalen 2009 nicht der tatsächlichen Arbeitsverteilung zwischen den Praxispartnern im ersten Halbjahr 2008 entsprechen. Da grundsätzlich – von Besonderheiten bei Wachstumsärzten abgesehen - aber die Summe der Behandlungsfälle aller Ärzte in einer Berufsausübungsgemeinschaft der Summe der Behandlungsfälle der Praxis insgesamt entspricht, besteht keine Benachteiligung der BAG insgesamt. Dies spricht gegen die Notwendigkeit, einen Zuschlag für fachgleiche Berufsausübungsgemeinschaften im ersten Halbjahr 2009 losgelöst von den mit der Folgeregelung angestrebten Zielen allein zum Ausgleich der Schwierigkeiten bei der Fallzählung im ersten Halbjahr 2008 einzuführen.

44

Abgesehen davon wären derartige über eine Wortlaut- und eine systematische Interpretation hinausgehende Normauslegung nach den o.a. Beschränkungen des BSG (Urteil vom 22. Juni 2005, aaO) unmaßgeblich.

45

Insgesamt bietet die Regelung des Bewertungsausschusses vom Oktober 2008 sowohl unter Berücksichtigung ihres Wortlauts als auch ihres systematischen Kontexts keine Grundlage für eine Beschränkung des BAG-Zuschlags auf Praxen, die bereits im Vorjahresquartal als fachgleiche Berufsausübungsgemeinschaften bestanden haben.

46

Die Kostenentscheidung beruht § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 154 VwGO und folgt der Sachentscheidung.

47

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

48

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs.1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 , 52 Abs.1, Abs. 3 GKG. Sie orientiert sich an der RLV – und Honorarmehrforderung der Klägerin. Der Senat berücksichtigt dabei in ständiger Rechtsprechung eine RLV-Mehrforderung, die neben einer Honorarmehrforderung für das gleiche Quartal geltend gemacht wird, für die Streitwertfestsetzung zu einem Viertel.


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