Urteil vom Landessozialgericht für das Saarland - L 2 KR 176/14

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 3.7.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Bankkauffrau in Halbtagsbeschäftigung und leidet unter einer chronischen Dystonie, einem starken Tremor, einer Tortikollis, einer schmerzhaften Muskelverkrampfung im Bereich Nacken und Schultern und einem Schreibkrampf der rechten Hand mit einer Atrophie im Bereich des Trapezius. Unter dem 23.10.2012 verordnete der Neurologe Dr. F. 10 mal Krankengymnastik ZNS – (zentrales Nervensystem) PNF – (propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation) ein- bis zweimal pro Woche zur Verhinderung einer Verschlechterung, dies außerhalb des Regelfalls. Die Physiotherapie-Praxis F.-R. teilte mit, dass die Behandlung seit 22.3.2007 ein- bis zweimal pro Woche durchgeführt wird und hierdurch die Atrophie aufgehalten und die Schmerzen eingedämmt werden konnten.

Aufgrund der Verordnung von Dr. F. kontaktierte die Klägerin die Geschäftsstelle der Beklagten in Sa.. Im Schreiben vom 26.11.2012 führte die Beklagte gegenüber der Klägerin aus, sie, die Klägerin, beabsichtige einen Antrag auf Gewährung einer langfristigen Genehmigung von Heilmitteln zu stellen und man benötige neben weiteren konkret benannten Unterlagen auch einen formlosen persönlich unterschriebenen Antrag.

Die Urschrift dieses Schreibens mit dem handschriftlichen Vermerk „an KKH am 19.12.12“ und der Angabe ihrer Größe und des Gewichts übermittelte die Klägerin zusammen mit der Verordnung von Dr. F., weiteren medizinischen Unterlagen sowie einem formlosen Antragsschreiben ohne Datum und Eingangsvermerk der Beklagten.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Saa. teilte am 3.1.2013 auf Anfrage der Beklagten in einem handschriftlichen Fallberatungsbogen lediglich mit, die Genehmigung werde gemäß § 8 Abs. 5 der Heilmittelrichtlinie (HeilMRL) nicht empfohlen, da es sich nicht um eine Diagnose laut Merkblatt des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) handele, es liege keine schwere Behinderung vor.

Mit Bescheid vom 3.1.2013 lehnte die Beklagte unter Verweis auf § 8 Abs. 5 HeilMRL die langfristige Genehmigung ab. Diese komme nur bei schweren, dauerhaften funktionellen und strukturellen Schädigungen in Betracht. Der Behandlungsbedarf müsse für einen längeren Zeitraum von etwa einem Jahr feststehen und gleichzeitig dürfe hinsichtlich des Krankheitsstatus für Art und Intensität keine Veränderung bezüglich der Notwendigkeit der Therapie mit Heilmitteln zu erwarten sein. Ein solcher fortlaufend gleich bleibender Therapiebedarf werde beispielsweise bei schwerstbehinderten Patienten zu begründen sein. Das Krankheitsbild der Klägerin sei aber durch eine wechselnde Leitsymptomatik charakterisiert, so dass man nicht von einem gleichbleibenden Behandlungsbedarf über einen längeren Zeitraum ausgehen könne. Auch aus dem Merkblatt des GBA vom 22.11.2012 ergebe sich kein Spielraum für eine langfristige Genehmigung; bei der Diagnose der Klägerin werde eine Genehmigung nicht befürwortet. Dieser Bescheid habe aber keine Auswirkungen für die Klägerin, denn der Anspruch auf Krankenbehandlung werde hiervon nicht berührt. Sie benötige keine Genehmigung von ihr, der Beklagten, um eine vertragsärztlich festgestellte und notwendige Heilmitteltherapie in Anspruch nehmen zu können. Die langfristige Genehmigung ersetze weder die ärztliche Verordnung noch verpflichte diese den Vertragsarzt, eine solche auszustellen. Sie könne mit einer gültigen vertragsärztlichen Verordnung auch ohne Einschaltung der Krankenkasse einen zugelassenen Therapeuten aufsuchen und die Heilmittel in Anspruch nehmen.

Im Widerspruchsverfahren verwies die Klägerin darauf, es handele sich um eine chronische unheilbare Erkrankung und sie erfülle die Voraussetzungen der Langfrist-Verordnungen, denn sie erhalte seit fast 6 Jahren unverändert 10 mal Krankengymnastik pro Quartal; in dieser Zeit sei auch die Leitsymptomatik unverändert gewesen. Zur Dystonie komme auch eine Muskelatrophie und sie sei berufstätig und wolle deshalb die Arbeitskraft erhalten. Die Dystonie sei ein sekundärer Parkinsonismus und extrapyramidale Bewegungsstörung. Im Merkblatt des GBA finde sich Spielraum bei dieser Diagnose. Allen bekannten Betroffenen von Tortikollis (Schiefhals) würde eine langfristige Verordnung von Physiotherapie genehmigt.

In einem Gutachten des MDK vom 4.2.2013 wurde angegeben, es liege sowohl eine chronische Erkrankung vor als auch das Erfordernis einer regelmäßigen Heilmittel-Nutzung. Die Klägerin werde auch lokal durch Botox behandelt und die Symptome würden mit Medikamenten gelindert. Es sei aber keine kontinuierlich gleichbleibende längerfristige Heilmittelnutzung dokumentiert, sondern auch mehrwöchige behandlungsfreie Intervalle beispielsweise Ende 2011 oder Mitte 2012. Außerdem fänden sich Hinweise darauf, dass der Krankheitszustand eher wechselnd sei und mit Besserungen und Verschlechterungen einhergehe. Im Einzelfall sei die Therapie der jeweiligen Tagesform und dem aktuellen Krankheitszustand anzupassen. Die Erkrankung entspreche nicht der Auflistung der Diagnosen der Gemeinsamen Vereinbarung.

Die Klägerin erwiderte unter Verweis auf ein Attest des Neurologen Dr. F., nur die Kombination von Botox mit Krankengymnastik halte die Beschwerden im Rahmen. Alleine Botox könne aber den Schreibkrampf nicht therapieren, da es zu Lähmungserscheinungen komme, und auch beim Tortikollis könne eine Schmerzfreiheit nicht bewirkt werden. Die Physiotherapie sei wichtig, um den Schmerz erträglich zu halten. Medikamente hätten gravierende Nebenwirkungen und diese nehme sie seit August 2012 nicht mehr. Die Pausen in der Therapie seien deshalb entstanden, weil sie in diesen Wochen Urlaub gehabt habe, dies aber mit Thermalbädern, Infrarotkabinen und Massagen auf Privatrezept. Reha-Sport werde wegen Problemen mit der LWS geleistet und von einem Orthopäden verordnet. Dr. F. ergänzte, dass aufgrund der chronischen Erkrankung auch künftig eine substantielle Änderung der Beschwerdesymptomatik nicht zu erwarten sei und davon ausgegangen werde, dass Art, Menge und Intensität der Krankengymnastik unverändert bleibe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3.4.2013 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat die Klägerin auf § 8 Abs. 5 HeilMRL verwiesen und deren Voraussetzungen bejaht.

Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat ein Gutachten bei Dr. J. eingeholt.

Die Beklagte hat mit einem Gutachten des MDK (Dr. W.) vom 23.4.2014 erwidert.

In der mündlichen Verhandlung hat das SG die Klägerin befragt und sich von der Erkrankung überzeugt.

Mit Urteil vom 3.7.2014 hat es unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte verurteilt, der Klägerin die beantragte langfristige Verordnung mit Heilmitteln (Krankengymnastik ZNS <PNF>) außerhalb des Regelfalls gemäß der Verordnung von Dr. F. vom 23.10.2012 auf Dauer nach den gesetzlichen Bestimmungen zu genehmigen. Im Wesentlichen hat es ausgeführt, auf der Grundlage von § 8 Abs. 5 HeilMRL und § 8 Abs. 1 HeilMRL sowie dem Merkblatt unter D. 3. c) sei eine langfristige Genehmigung bei schweren und dauerhaften Schädigungen und Vergleichbarkeit der Diagnosen notwendig. Unter Verweis auf das Gutachten von Dr. J. sowie den Eindruck der Klägerin in der mündlichen Verhandlung müsse die Klage Erfolg haben. Entscheidungen der Beklagten seien lediglich nach Aktenlage erfolgt. Die Genehmigung sei nach den Ausführungen des Sachverständigen auch auf Dauer zu erteilen, da ein Dauerzustand vorliege. Eine zeitliche Befristung wäre im vorliegenden Fall nicht sachgerecht.

Die Beklagte hat gegen das am 7.8.2014 zugestellte Urteil am 2.9.2014 Berufung eingelegt.

Im Wesentlichen führt sie aus, unstreitig bestehe die Notwendigkeit einer Heilmitteltherapie. Die Genehmigung sei aber nicht erforderlich. Der Vertragsarzt müsse nach dem Bundesmantelvertrag Ärzte die notwendigen Verordnungen treffen und § 92 Abs. 1 und Abs. 6 SGB V regele, bei welcher Indikation welche Heilmittel verordnungsfähig seien. Die verbindliche Heilmittelrichtlinie definiere die Regelfallmengen. Sollte dies nicht ausreichen, seien Verordnungen außerhalb des Regelfalls möglich, dies aber nur mit einer weiterführenden Diagnostik und einer besonderen Begründung bezüglich der Prognose. Auf das Genehmigungs-verfahren nach § 8 Abs. 4 HeilMRL verzichteten die Ersatzkassen wie die Beklagte seit Jahren. Daher benötige die Klägerin keine Genehmigung für die Fortsetzung einer notwendigen Heilmitteltherapie. Eine dauerhafte Verordnung liege nicht vor. Eine dennoch erteilte Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL hätte lediglich eine finanzielle Haftungsfreistellung des Arztes nach § 106 Abs. 2 Satz 18 SGB V zur Folge. Insoweit sei die Klägerin rechtlich nicht beschwert, wenn ihr keine langfristige Heilmittelgenehmigung erteilt werde.

Auch inhaltlich überzeuge die Herleitung des langfristigen und gleichförmigen Behandlungsbedarfs nicht. Sicher liege ein umfassender Behandlungsbedarf vor; dieser sei aber nicht unveränderlich gleichbleibend in Art, Menge und Intensität. Die Tragenden Gründe zum Beschlussentwurf des GBA über die Neufassung der Heilmittelrichtlinie vom 20.1.2011 führten aus, dass man die Heilmittelrichtlinie um eine Regelung bezüglich einer langfristigen Genehmigung von Heilmitteln bei schweren, dauerhaften funktionellen und strukturellen Schädigungen ergänze. Der Behandlungsbedarf müsse danach für einen längeren Zeitraum feststehen und Veränderungen des Krankheitsbildes dürften nicht zu erwarten sein. Der GBA habe die Etablierung des besonderen Begründungsverfahrens mehrheitlich für nicht erforderlich gehalten, da der infrage kommende kleine Kreis schwerst- behinderter, fortlaufend behandlungsbedürftiger Patienten bekannt sei. Die Klägerin benötige unstreitig solche Therapien, zum kleinen Kreis Schwerstbehinderter gehöre sie aber nicht. Die Vereinbarung über Praxisbesonderheiten nach § 84 Abs. 8 SGB V liste in der Anlage 2 Diagnosen mit langfristigem Heilmittelbedarf nach § 32 Abs. 1a SGB V auf; Dr. J. vergleiche dies mit Parkinson V und gehe von einem progredienten Krankheitsverlauf aus, trotz medikamentöser Therapie. Bereits das Fortschreiten der Erkrankung stehe einer dauerhaften langfristig unveränderlichen Therapie mit Heilmitteln entgegen. Vielmehr werde der tatsächliche Bedarf regelmäßig an die sich verändernde Erkrankung anzupassen sein.

Außerdem fehle das Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick auf den Genehmigungs-verzicht von ihr, der Beklagten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 3.7.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat im Erörterungstermin vom 21.3.2016 Dr. J. zur Erläuterung seines Gutachtens angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die entsprechende Sitzungsniederschrift verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, hat aber keinen Erfolg, denn das SG hat zutreffend der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, eine langfristige Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL auf Dauer zu erteilen. Dieses Urteil hat auch nach den umfassenden Einwendungen der Beklagten im Berufungsverfahren Bestand.

Zunächst ist der Auffassung der Beklagten entgegenzutreten, die Klägerin habe weder eine Klagebefugnis noch ein Rechtsschutzinteresse daran, eine Genehmigungsentscheidung von ihr zu erstreiten, weil sie auch ohne eine solche Genehmigung bei medizinischem Bedarf entsprechende ärztliche Verordnungen einer Krankengymnastik ZNS-PNF erhalten könne.

Schon dem Wortlaut des § 32 Abs. 1a SGB V (hier anwendbar in der Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.11.2012, BGBl. I S. 2983) lässt sich entnehmen, dass der oder die Versicherte einen entsprechenden Antrag auf eine langfristige Genehmigung bei der Krankenkasse stellen kann. Gerade die Antragstellung als formales Element korrespondiert mit der vom Gesetzgeber gewollten subjektiven Rechtsposition, die er den Versicherten mit dem Ziel hat zukommen lassen, Klarheit darüber zu erhalten, dass vertragsärztliche Heilmittelverordnungen nicht nur vereinzelt und innerhalb oder außerhalb eines Regelfalls, sondern auch langfristig unter bestimmten Voraussetzungen beansprucht werden können. Obwohl ein Vertragsarzt den Versicherten bei entsprechendem medizinisch-therapeutischem Bedarf auch ohne langfristige Genehmigung entsprechende Verordnungen auszustellen hat, ist Sinn und Zweck der Regelung des § 32 Abs. 1 a SGB V gerade gewesen, die Behandlungskontinuität der Versicherten zu fördern und diese sowie die verordnenden Vertragsärztinnen und -ärzte von unnötigem Bürokratieaufwand zu entlasten (Gesetzesbegründung zur Einführung des § 32 Abs. 1a SGB V, Bundestagsdrucksache 17/6906, S. 54). Hierzu gehört auch, den Versicherten Klarheit und Sicherheit für die Gewährleistung ihres langfristig erforderlichen Therapiebedarfs zu verschaffen und sie gerade nicht in der Ungewissheit zu lassen, ob Vertragsärzte dem aus Budget- oder anderen Gründen nachkommen oder nicht. Außerdem würde die Rechtsauffassung der Beklagten dazu führen, dass die Ablehnung einer langfristigen Genehmigung durch die Krankenkasse nicht justiziabel wäre und die Regelung des § 32 Abs. 1a SGB V ins Leere laufen würde. Dies wäre mit Art. 19 Abs. 4 GG und der Rechtsschutzgarantie nicht zu vereinbaren. Die Beklagte mag sich fragen, warum sie bei Beachtung ihrer eigenen Rechtsauffassung den Antrag der Klägerin überhaupt inhaltlich beschieden hat; der Klägerin würden nämlich dann auch eine Antragsbefugnis und ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehlen. Folglich ist der Klägerin weder eine Klagebefugnis noch ein Rechtsschutzinteresse an Klärung dieser Frage abzusprechen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.5.2014, L 11 KR 4072/13, Rn. 31; das LSG hat auch nicht ansatzweise die Klagebefugnis oder das Rechtsschutzinteresse in Frage gestellt, sondern ist bei Rechtswidrigkeit von einer Rechtsverletzung des dortigen Klägers ausgegangen).

Auch sieht der Senat ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an Erteilung der Genehmigung und nicht nur an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung im Sinne einer Fortsetzungsfeststellungsklage als gegeben an. Obwohl die ärztliche Verordnung bereits am 23.10.2012 und somit vor mehr als 3 Jahren ausgestellt und die Klägerin nach entsprechender Auskunft der Beklagten insbesondere in der Zeit von November 2014 bis Juni 2015 trotz fehlender Genehmigung mit dem entsprechenden Heilmittel mehrfach versorgt wurde, ist eine Erledigung des Begehrens nicht eingetreten. Einerseits hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie zwischenzeitlich gezwungen war, sich auf Privatrezept entsprechende Heilmittel zu besorgen. Zum andern würde die langfristige Genehmigung unabhängig von der konkreten Verordnung des Jahres 2012, sollte ein Anspruch auf unbefristete Genehmigung bestehen, auch künftig Rechtswirkungen entfalten.

Dass die somit zulässige Klage Erfolg hat, hat das SG richtig erkannt.

Allerdings ergibt sich der Anspruch nicht bereits aus dem formellen Argument des § 32 Abs. 1a SGB V. Die Voraussetzungen einer Genehmigungsfiktion liegen nämlich nicht vor. Eine evtl. Genehmigungsfiktion, die sich im Gegensatz zu den Rechtsausführungen der Beteiligten nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V herleiten lässt, sondern allenfalls aus § 32 Abs. 1a Satz 3 SGB V, greift zu Gunsten der Klägerin nicht ein. Zwar war diese Regelung bereits vor der allgemeinen Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V in Kraft, ein Antrag der Klägerin (nicht bereits die Absichtserklärung einer Antragstellung) mit genehmigungsfähigem Inhalt ist jedoch vor dem 19.12.2012 nicht aktenkundig. Unter diesem Datum hat die Klägerin erst bei der Beklagten Antragsunterlagen vorgelegt; der Bescheid vom 3.1.2013 wurde deshalb innerhalb der 4-Wochen-Frist erlassen, so dass eine Genehmigungsfiktion nicht ausgelöst wurde.

Gemäß § 32 Abs. 1a SGB V in der o.a. Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes haben Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf die Möglichkeit, sich auf Antrag die erforderlichen Heilmittel von der Krankenkasse für einen geeigneten Zeitraum genehmigen zu lassen. Das Nähere, insbesondere zu den Genehmigungsvoraussetzungen, regelt der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V.

Auf dieser Rechtsgrundlage basieren die Richtlinien des GBA über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – HeilMRL - , im vorliegenden Fall anzuwenden in der Fassung vom 19.5.2011, gültig ab 1.7.2011. Diese Richtlinie war bereits vor der entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung des § 32 Abs. 1a SGB V ab 1.1.2012 in Kraft und erhielt nachträglich die entsprechende gesetzliche Grundlage (Beck in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 32 Rn. 27).

In § 7 HeilMRL ist zunächst die Verordnung im Regelfall definiert, wobei sich der entsprechende Regelfall aus dem Heilmittelkatalog ergibt. Für Verordnungen außerhalb des Regelfalls, wie hier, bestimmt § 8 HeilMRL, dass weitere Verordnungen als solche außerhalb des Regelfalls möglich sind, wenn sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittelkatalogs bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen lässt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 HeilMRL), wobei dies einer besonderen Begründung mit prognostischer Abschätzung bedarf. Eine solche Verordnung außerhalb des Regelfalls muss mit mindestens einer ärztlichen Untersuchung innerhalb von 12 Wochen nach der Verordnung (§ 8 Abs. 1 Satz 4 HeilMRL) einhergehen. Derartige Verordnungen mit Begründung sind der Krankenkasse vorzulegen (§ 8 Abs. 4 HeilMRL), wobei die Krankenkasse die Kosten des Heilmittels unabhängig davon übernimmt, wie die Entscheidung über den Genehmigungsantrag lautet, längstens aber bis zum Zugang der Ablehnung (§ 8 Abs. 4 Satz 2 HeilMRL). Verzichtet die Krankenkasse auf ein Genehmigungsverfahren, wie es hier bei der Beklagten der Fall war, hat dies die gleiche Rechtswirkung wie eine erteilte Genehmigung (§ 8 Abs. 4 Satz 3 HeilMRL).

Im vorliegenden Fall hat der Genehmigungsverzicht der Beklagten, den diese allgemein ausgesprochen hatte, allerdings keine verfahrenserledigende Wirkung. Dieser Genehmigungsverzicht wirkt sich lediglich auf die “normale“ Verordnung außerhalb des Regelfalls nach § 8 Abs. 4 HeilMRL aus, nicht aber uneingeschränkt auf den Antrag auf eine langfristige Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL, wie ihn die Klägerin hier gestellt hat.

Für diese langfristige Genehmigung hat der GBA § 8 Abs. 5 HeilMRL geschaffen. Hiernach entscheidet die Krankenkasse auf den Antrag der oder des Versicherten darüber, ob wegen der sich aus der ärztlichen Begründung ergebenden besonderen Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und des nachvollziehbaren Therapiebedarfs die verordnungsfähigen Leistungen im verordnungsfähigen Umfang langfristig genehmigt werden können; die Genehmigung kann zeitlich befristet werden, soll aber mindestens ein Jahr umfassen.

Ergänzt wird diese Regelung zum einen durch die „Tragenden Gründe“ zum Beschlussentwurf des GBA über die Neufassung der Heilmittelrichtlinie: formale und inhaltliche Überarbeitung vom 20.1.2011, sowie durch den Beschluss des GBA über ein Merkblatt “Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen nach § 32 Abs. 1a SGB V in Verbindung mit § 8 Abs. 5 HeilMRL“ sowie das entsprechende Merkblatt.

Aus den Tragenden Gründen ergibt sich insbesondere, dass die Regelung des § 8 Abs. 5 HeilMRL insbesondere den Fällen Rechnung trägt, in denen der Behandlungsbedarf mit Heilmitteln für einen längeren Zeitraum feststeht und wenn hinsichtlich des Krankheitsstatus des Versicherten keine Veränderung hinsichtlich der Notwendigkeit einer Therapie mit Heilmitteln zu erwarten ist wie zum Beispiel bei dauerhaft behandlungsbedürftigen funktionellen und/oder strukturellen Schädigungen. Weiter ist dort angeführt, dass nach mehrheitlicher Auffassung im GBA die Neufassung des § 8 Abs. 4 und Abs. 5 HeilMRL keine Regelung zu Fragen der Wirtschaftlichkeit umfassen kann. Hierfür enthalten vielmehr §§ 84 Abs. 7 Satz 6 und 106 Abs. 5a Sätze 6-10 SGB V spezifische gesetzliche Regelungen.

Weiter folgt aus dem Merkblatt, dass die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt im Rahmen des genehmigten langfristigen Heilmittelbedarfs Heilmittel entsprechend der Heilmittelrichtlinie verordnen kann, ohne dass diese Gegenstand von Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind (Merkblatt B.1.). Menschen mit besonders schweren dauerhaften funktionellen/strukturellen Schädigungen haben die Möglichkeit, eine langfristige Genehmigung für eine fortlaufende Heilmitteltherapie zu erhalten, wenn ein andauernder Behandlungsbedarf mit Heilmitteln zu erwarten ist; dieser langfristige Heilmittelbedarf besteht in der Regel bei Vorliegen der Diagnosen aus einer anliegenden Liste (Merkblatt C.2.). Für den Bereich des Antragsverfahrens und der Genehmigung ist für Krankenkassen ohne individuelles Genehmigungsverfahren, wie hier also die Beklagte, ausgeführt, dass dann, wenn der Vertragsarzt feststellt, dass bei dem Patienten ein langfristiger Heilmittelbedarf bei Vorliegen einer in der Anlage gelisteten Diagnose besteht, der Patient mit einer Verordnung die Heilmitteltherapie unmittelbar beginnen kann. Dann ist ein Antrag auf Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung nicht erforderlich (Merkblatt D.3.a)). Für Antragsverfahren im Einzelfall bei nicht gelisteten Diagnosen gilt laut Merkblatt, dass in diesem Fall der Patient bei der Krankenkasse eine Genehmigung einer notwendigen langfristigen Heilmittelbehandlung beantragen kann und eine solche Genehmigung dann in Betracht kommt, wenn Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen mit den in der Anlage aufgeführten Diagnosen vergleichbar ist (Merkblatt D.3.c)). Schließlich ist Inhalt des Merkblatts, dass diese Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL keine Heilmittelverordnung ersetzt. Auch bei Vorliegen einer Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung können die Heilmittel für einen Zeitraum von maximal 12 Wochen verordnet werden. Die Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung stellt die Versicherten im Genehmigungszeitraum aber davon frei, sich die weiteren Verordnungen von der Krankenkasse erneut genehmigen zu lassen (Merkblatt D. 6.).

Letztlich ist zur Beurteilung als Rechtsquelle die Vereinbarung über Praxisbesonderheiten für Heilmittel nach § 84 Abs. 8 Satz 3 SGB V unter Berücksichtigung des langfristigen Heilmittelbedarfs gemäß § 32 Abs. 1a SGB V vom 12.11.2012 zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV Spitzenverband) und der kassenärztlichen Bundesvereinigung von Bedeutung. Hiernach haben sich die Vereinbarungspartner auf bundesweit geltende Praxisbesonderheiten und auf Diagnosen nach Anlage 2 verständigt, für die ein langfristiger Heilmittelbedarf nach § 32 Abs. 1a SGB V gesehen wird (§ 1 Abs. 2 der Vereinbarung). Nach § 4 der Vereinbarung gelten für Verordnungen nach Anlage 2 die Genehmigungsvoraussetzungen für den langfristigen Heilmittelbedarf als erfüllt; für die betroffenen Versicherten ist ein Antragsverfahren nach § 32 Abs. 1a SGB V entbehrlich, sofern die Krankenkasse auf ein Genehmigungsverfahren nach § 8 Abs. 4 HeilMRL verzichtet. Langfristige Verordnungen nach § 32 Abs. 1a SGB V bzw. § 8 Abs. 5 HeilMRL entsprechend Anlage 2 sind gemäß § 106 Abs. 18 SGB V nicht Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung, belasten somit nicht das ärztliche Budget.

In diesem Zusammenhang ist zudem zu beachten, dass § 32 Abs. 1a SGB V durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz mWv 23.7.2015 (BGBl. I S. 1211) neu gefasst wurde. Hintergrund war, dass das erstrebte Ziel eines Bürokratieabbaus nach Auffassung des Gesetzgebers nicht erreicht wurde, da insbesondere zu viele Rechtsquellen (zu den bereits genannten noch Rundschreiben der Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigungen) existierten. Stark kritisiert wird, dass den Krankenkassen ein Wahlrecht eingeräumt wird, ein Genehmigungsverfahren durchzuführen oder darauf zu verzichten. Kritisiert wird auch, dass eine medizinisch fachliche Bewertung von der Kassenzugehörigkeit der Versicherten abhängig sein kann und damit eine einheitliche Regelung ohne Rücksicht auf die Kassenzugehörigkeit sachgerecht erscheint. Der GBA hat, wie schon im geltenden Recht, auch mit dem neuen § 32 Abs. 1 a SGB V das gesetzgeberische Ziel zu berücksichtigen, die Behandlungskontinuität der Versicherten zu fördern und sie sowie die behandelnden Vertragsärzte von unnötigem bürokratischem Aufwand zu entlasten. Dem GBA wird nunmehr gesetzlich die Aufgabe zugewiesen, einheitlich in den Hilfsmittelrichtlinien bis 30.6.2016 zu definieren, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliegt, und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, Bundestagsdrucksache 18/5123 Seite 118; Beck in Schlegel/Voelzke aaO. § 32 Rn. 28).

Für die sekundäre Rechtsgrundlage in Folge der gesetzlichen Ermächtigung des § 32 Abs. 1 a SGB V, die Heilmittel-Richtlinie des GBA nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V, ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass solche Richtlinien des GBA untergesetzliche Rechtsnormen sind (vgl. nur BSG, Urteil vom 31.5.2006, B 6 KA 69/04 R, Rn. 15 mwN.). Das BSG zieht die hinreichende demokratische Legitimation des GBA zum Erlass von Richtlinien nicht grundsätzlich in Zweifel. Möglich ist es aber, die vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte (BSG, Urteil vom 7.11.2006, B 1 KR 24/06 Rn. 14).

Insofern ist in erster Linie die Anwendung des § 32 Abs. 1 a SGB V sowie des § 8 Abs. 5 HeilMRL geboten. Lediglich als Auslegungskriterien ohne Rechtsnormcharakter dienen die Tragenden Gründe zum Beschlussentwurf sowie das Merkblatt. Da weder die Tragenden Gründe noch das Merkblatt in Richtlinienform erlassen wurden und auch von der Intention des Gemeinsamen Bundesauschuss her mit der Wortwahl der „Tragenden Gründe“ und „Merkblatt“ lediglich Interpretationshilfen zu § 8 Abs. 5 HeilMRL gemeint sein können, haben diese lediglich ergänzende Funktion für eine klassische Rechtsnormauslegung nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie Historie.

Unter Beachtung der dargestellten derzeit geltenden Kriterien ist ein Anspruch der Klägerin auf Genehmigung der Langfristverordnung gegeben.

Die Klägerin braucht zunächst für eine Langfristverordnung die erstrebte Genehmigung; eine Ausnahme von diesem Erfordernis liegt nicht vor. Bei der Klägerin steht fest, dass sie nicht an einer Erkrankung leidet, die im Sinne von D. 3. a) des Merkblatts in der anliegenden Diagnose-Liste aufgeführt ist; hierüber streiten die Beteiligten und die Sachverständigen nicht. Im konkreten Fall der Klägerin bedarf es folglich nach o.a. Regelungen einer Genehmigung. Nach D. 3. c) des Merkblatts ist diese Genehmigung zu erteilen, wenn eine nicht gelistete Diagnose vorliegt, diese aber mit einer solchen der Anlage im Hinblick auf Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen vergleichbar ist.

Dass die Klägerin langfristige funktionelle und strukturelle Schädigungen hat, hierdurch in ihren Aktivitäten beeinträchtigt ist und der langfristige Therapiebedarf nachvollziehbar ist, stellt selbst die Beklagte nicht infrage. Sie ist nur der Meinung, die Klägerin gehöre nicht zur Personengruppe der Schwerstbehinderten, es ändere sich der Therapiebedarf und ihre Diagnose sei nicht mit einer der Anlage vergleichbar; insbesondere nicht mit Parkinson V. Diesen Argumenten ist jedoch nach Auswertung der Beweiserhebung nicht zu folgen.

Dr. J. führt in seinem Gutachten vom 24.2.2014 im Wesentlichen aus, die Klägerin leide unter segmentaler Dystonie zervikal rechts sowie oromandibulärer Dystonie, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer Atrophie des Schultergürtels mit Schwerpunkt im Musculus trapezius rechts. Eine Dystonie sei eine anhaltende unwillkürliche Muskelkontraktion, eine Erkrankung des zentralen Nervensystems und es würden Beeinträchtigungen im Bereich der basalen Ganglien angenommen. Die oromandibuläre Dystonie sei eine funktionelle und sozial sehr beeinträchtigende Bewegungsstörung, die durch ein vielfältiges Bild unter Beteiligung von Lippen, Zunge und Kiefermuskeln in Erscheinung trete. Bei der zervikalen Dystonie seien vor allem die Halsmuskeln betroffen. An erster Stelle sei die rotatorische Tortikollis in 50 % aller Fälle zu nennen, wobei meistens der Kopfwender betroffen sei, der Trapezius und zwei weitere Muskeln des Halses. Bei den Extremitäten sei vor allem die Dystonie der Hand als Schreibhand zu nennen, was auch beim Essen, Knöpfen und Basteln zu Störungen führe. Man behandele dies medikamentös und durch Injektion von Botox, gegebenenfalls auch mit chirurgischen Verfahren. Die Medikamente seien ähnlich wie bei Parkinson. Botox werde in die Muskeln gespritzt, was zu einer vorübergehenden Parese (Lähmung) führe. Dies wirke in der Regel innerhalb der ersten 14 Tage nach der Injektion, die Dauer betrage etwa 3 Monate. Das Krankheitsbild der Klägerin sei nicht durch wechselnde Leitsymptomatik charakterisiert, die Ausprägung könne anhand der therapeutischen Möglichkeiten aber unterschiedlich ausgeprägt sein. Mit Botox könne man eine vorübergehende Besserung erreichen, die pathologischen Muster seien aber nicht endgültig zu unterdrücken. Durch die erkennbare Atrophie sei ein gleichbleibender Behandlungsbedarf mit Heilmitteln über einen längeren Zeitraum festzumachen. Zweifelsohne bestehe trotz der Medikamente die Notwendigkeit einer konsequenten physikalischen Therapie zur Vermeidung zusätzlicher Behinderungen des Bewegungs- und Knochenapparats. Wegen der besonderen Schwere und Langfristigkeit der funktionell strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigung der Aktivitäten und des nachvollziehbaren dauerhaften Therapiebedarfs könnten die verordneten Leistungen im Regelumfang langfristig genehmigt werden. Im Merkblatt des GBA zur Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen sei in den Diagnosen die Dystonie nicht genannt. Nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen sollte aber die Krankheitsgruppe der schweren Dystonie den im Merkblatt genannten Erkrankungen zum Beispiel Parkinson Stadium V gleichgestellt werden, da es sich um ein chronisches und nicht heilbares Krankheitsbild handele, welches im Verlauf trotz medikamentöser Therapie in der Regel progredient sei. Die Verordnungsnotwendigkeit auf Dauer sei anzunehmen.

Der Sachverständige ergänzte dies in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Erörterungstermin vom 21.3.2016 dahin, die ZNS-Physiotherapie diene der Besserung des klinischen Zustands in Akutfällen, bei Chronikern gehe es nur noch darum, Schaden zu verhindern oder einzugrenzen, wenn die Möglichkeit, die Grunderkrankung therapeutisch zu beeinflussen, sehr eingeschränkt sei. Gerade im Fall der Klägerin als Chronikerin ändere sich beispielsweise durch Bewegungsstürme, die vorkämen, die Statik. Bei der Klägerin sei auch das Sternum betroffen und dies könne dazu führen, dass dies Auswirkungen auf die Atemkapazität habe. Betroffen seien bei der Klägerin auch Teile der Muskulatur, die für die Versorgung des Halses zuständig seien, konkret für die Beweglichkeit des Halses. Bei der Klägerin seien diese Muskeln athrophiert. Es gehe also mit dieser Krankengymnastik ZNS darum, die Folgen der Erkrankung einzudämmen, aufzuhalten bzw. zu verlangsamen. Selbst könne die Klägerin dies nicht bewirken; sie brauche hierfür ständig die Anleitung eines Therapeuten, um in einer konkreten Situation zu wissen, was sie zu machen habe. Eine dauerhafte therapeutische Anleitung sei hier dringend erforderlich. Beispielsweise werde man Atemübungen konkret auf den jeweiligen Zustand der Klägerin abstimmen müssen.

Ein Erkrankter mit Parkinson V sei ohne fremde Hilfe nicht gehfähig, er sei dauerhaft auf eine andere Person angewiesen. Bei Parkinson V werde Physiotherapie eingesetzt, um Bewegungsmuster zu simulieren, Schlimmeres wie einen Dekubitus, eine Lungenerkrankung und eventuelle Kreislaufinstabilität zu verhindern. Ähnlich sei es bei der Klägerin, denn die Dystonie-Erkrankung der Klägerin sei medizinisch nicht zu beeinflussen, kausal nicht therapierbar, so dass die Vergleichbarkeit mit Parkinson V auch insbesondere darin liege, die Folgen der Erkrankung zu minimieren und Folgeerkrankungen hieraus zu verhindern. Die Dystonie der Klägerin sei auch eine extrapyramidale wie die Parkinsonerkrankung und auch bei einer Dystonie gebe es einen progredienten Verlauf, in den durch die Therapie eingegriffen werden solle. Es gehe darum, Sekundärschäden einer funktionell sehr einschränkenden Erkrankung wie die der Klägerin zu verhindern.

Man könne bei einer Parkinsonerkrankung etwa bis zum Stadium IV noch kausal behandeln, d. h. man könne Dopamin in der Form ersetzen, dass man die Vorstufe des Dopamin in den Körper gebe, der dies zu Dopamin umwandele, um dann kausal auf die Erkrankung einwirken zu können. Diese Möglichkeit gebe es bei der Dystonie der Klägerin nicht. Dort könne beispielsweise Botox dafür sorgen, dass die Muskulatur gelähmt werde, was mehrere Wochen andauere. Die Spannung der Muskulatur könne man beispielsweise durch Antispastika vermindern. Bei dieser Erkrankung sei aber keinerlei kausale Therapie durchführbar. Dies sei ähnlich wie bei Parkinson V; bei dieser Erkrankung gehe dies auch nicht und hier sehe er die Vergleichbarkeit der beiden Erkrankungen.

Dass der Morbus Parkinson V in der Liste sei und andere Erkrankungen nicht, sei wohl darin begründet, dass der Morbus Parkinson eine häufige Erkrankung sei und man habe sich in dieser Liste wohl auf die häufigen Erkrankungsbilder konzentriert und die seltenen, wie auch die Erkrankung der Klägerin, deshalb weggelassen. Die Erkrankung der Klägerin als Dystonie sei ebenfalls chronisch und es sei absolut notwendig, dass auch diese Erkrankung mit einer ZNS-Physiotherapie versorgt werde, weil hier wie bei den anderen Erkrankungsbildern in dieser Liste lediglich eine Eindämmung der Krankheitsfolgen möglich sei.

Demgegenüber gab der MDK in seinen Stellungnahmen an, nach dem Entlassungsbericht der Klinik H. M. resultierten als funktionelle Auswirkungen belastungsabhängige und somit wechselnd ausgeprägte Symptome. Parkinson V sei das am schwersten ausgeprägte Krankheitsstadium eines Parkinsonpatienten und charakterisiert durch Rollstuhl und Hilfe Dritter. Ein solches Krankheitsbild liege nicht vor. Bei der Frage der Langfristigkeit in Form eines dauerhaften Behandlungsbedarfs sei der Aspekt der ausgeprägten Belastungsabhängigkeit und Variabilität der Symptome besonders zu würdigen. Im Rehabericht werde ein erheblicher Einfluss beruflicher und privater Stressfaktoren mit wechselnder Ausprägung in Bezug auf die Leitsymptome herausgestellt und auch Dr. J. bestätige in seinem Gutachten die unterschiedliche Ausprägung. Bei solch wechselnd ausgeprägter Symptomatik liege eine nach der Heilmittelrichtlinie geforderte Dauerhaftigkeit funktioneller und struktureller Schädigungen nicht vor. Therapeutisch bedeute dies, dass die eingesetzten Heilmittel dem jeweiligen Erkrankungsverlauf angepasst werden müssten, der im Einzelnen nicht eindeutig vorhersehbar sei. Ein beständiger dauerhafter Therapiebedarf könne daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Auch Dr. J. bestätige eine Progredienz des Krankheitsbildes. In der neurologischen Wissenschaft würden allerdings in vergleichbaren Fällen einer zervikalen Dystonie im Sinne eines Tortikollis auch spontane Remissionen in bis zu 15 % der Fälle beschrieben. Eine Beständigkeit oder Dauerhaftigkeit der gesundheitlichen Situation könne daher nicht zwingend erwartet werden. Besserungen und Verschlechterungen seien möglich und man müsse die Heilmittelbehandlungen daher nach Art, Umfang und Intensität anpassen. Ein schematisch starres bzw. dauerhaftes Behandlungskonzept erscheine nicht zielführend und aus neurologischer Sicht lägen die Voraussetzungen nicht vor.

Wertet man diese sachverständigen Äußerungen aus, so ist zum einen der Beklagten bzw. dem MDK zu entgegnen, dass ein dauerhafter Therapiebedarf der Klägerin durchaus besteht. Die Argumentation des MDK, in vergleichbaren Fällen einer zervikalen Dystonie im Sinne eines Tortikollis gebe es auch in geringem Umfang spontane Remissionen, ist ohne Bedeutung, denn eine solche Remission liegt bei der Klägerin gerade nicht vor. Aus der theoretischen Möglichkeit einer solchen Besserung oder Heilung darauf zu schließen, dass es an der Dauerhaftigkeit des Krankheitsbildes fehlt, ist nicht möglich. Zum andern ist nach diesen Kriterien nicht entscheidend, ob und in welchem Umfang gegebenenfalls eine wechselnde Leitsymptomatik vorliegt. Selbst wenn es bei der Klägerin unterschiedliche Ausprägungen des Krankheitsbilds gibt, ist von entscheidender Bedeutung, dass die Dystonie-Erkrankung mit chronischem Verlauf unabhängig von der „Tagesform“ ständig und dauerhaft therapiebedürftig ist, was weder die Beklagte noch der MDK infrage stellt. Eventuelle therapeutische zusätzliche Interventionen oder eine Verringerung der Intensität der einzelnen Behandlungen in einer besseren Phase sind bei dieser Konstellation dem Therapeuten zu überlassen, der entscheidet, welche Maßnahmen im Rahmen der konkreten ärztlichen Verordnung in dem gerade konkreten Zustand der Klägerin durchzuführen sind. Zu beachten ist, dass die Klägerin sechs Jahre lang regelmäßig und ununterbrochen mit einer ZNS-Heilmitteltherapie versorgt wurde. Ein völlig gleichbleibender Krankheitszustand ist kein Tatbestandsmerkmal für die Genehmigung einer langfristigen Behandlung durch Heilmittel.

Letztlich ist somit entscheidend, ob die gesundheitliche Schädigung der Klägerin im Sinne von § 8 Abs. 5 HeilMRL besonders schwer ist. Dies ist mit den Ausführungen von Dr. J. der Fall, obwohl allein im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit mit einer Rollstuhlpflichtigkeit und Abhängigkeit von der Hilfe Dritter ein Erkrankungsbild bzw. eine Diagnose vergleichbar mit Parkinson V in der Liste nicht gegeben ist. Zu berücksichtigen ist aber, dass sich bei der Frage der Vergleichbarkeit sowohl die besondere Schwere der Erkrankung als auch die Langfristigkeit auf den Heilmittelbedarf und nicht die Pflegebedürftigkeit beziehen müssen; alleine auf die Diagnose abzustellen, verbietet sich (so auch LSG Baden-Württemberg aaO. Rn. 43). Es wäre mit den rechtlichen Regelungen nicht zu vereinbaren, nur demjenigen den Vorteil einer Langfristgenehmigung zu bieten, der – wie ein an Parkinson V Erkrankter – erheblich, schwer- oder schwerstpflegebedürftig (§ 15 Abs. 1 SGB XI), da insbesondere in der Mobilität stark eingeschränkt ist, diese aber demjenigen zu verweigern, der bei ansonsten vergleichbaren strukturellen Schädigungen, entsprechendem Therapiebedarf und Beeinträchtigungen seiner Aktivitäten (noch) mobil ist. Insofern ist die Aussage des Sachverständigen Dr. J., die Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen der Klägerin sei vergleichbar mit denjenigen bei Parkinson V, insoweit nachvollziehbar und überzeugend. Bzgl. dieser Merkmale stellt er zutreffend auf den Therapiebedarf, die Chronizität, die fehlende Alternative einer kausalen Behandlung und die erheblichen strukturellen und beeinträchtigenden Beschränkungen ab.

Bei der Frage der Vergleichbarkeit ist zudem die gesetzgeberische Intention und insbesondere die Gesetzesbegründung heranzuziehen, die alleine die Personengruppe der Versicherten mit langfristigem Heilmittelbehandlungsbedarf benennt, und als Regelbeispiele Menschen mit schweren Behinderungen oder chronisch Kranke aufführt. Über diesen Gesetzeszweck hinaus hat der GBA die beiden Merkmale miteinander verknüpft, was in der Literatur als sehr restriktiv zu Kritik geführt hat (vergleiche Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 3-2013, § 32 Rn. 19g).

Mit Dr. J. liegt die Vergleichbarkeit der Dystonie-Erkrankung als wie Morbus Parkinson chronische extrapyramidale Erkrankung mit erheblichen funktionellen und strukturellen Funktionseinschränkungen, einer nicht möglichen kausalen Therapie und einer hauptsächlich im Hinblick auf die Auswirkungen durch langfristige Heilmittel beeinflussbaren Folgenmilderung vor. Dass diese auch unbefristet zu erteilen ist, somit diesbezüglich eine Ermessensreduzierung der Beklagten auf Null (§ 8 Abs. 5 Satz 2 HeilMRL) vorliegt, haben der Sachverständige und das SG zutreffend erkannt. Für eine Befristung der Genehmigung bei dem schweren chronischen und nicht kausal behandelbaren Erkrankungsbild der Klägerin sowie der seit 2007 auch seitens der Beklagten nicht in Frage gestellten notwendigen Heilmitteltherapie gibt es keine Gründe.

Schließlich kann die Beklagte nicht erfolgreich einwenden, die Klägerin gehöre nicht zum Kreis der Schwerstbehinderten. Die Tragenden Gründe geben zwar zusätzlich an, lediglich ein kleiner Kreis schwerstbehinderter Patienten komme für eine langfristige Genehmigung infrage. Dies entspricht aber weder der gesetzlichen Grundlage noch § 8 Abs. 5 HeilMRL. Von Schwerstbehinderten ist dort nicht die Rede. § 32 Abs. 1a SGB V spricht überhaupt nicht von Schwerbehinderten, sondern von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf, und in Konkretisierung dessen schreibt § 8 Abs. 5 HeilMRL in Ausfüllung dieses Begriffs lediglich eine besondere Schwere vor - dies auch nur betreffend der Schädigungen, der Beeinträchtigung der Aktivitäten und des daraus resultierenden Therapiebedarfs. Hieran ist also die Schwere der Erkrankung bzw. der Schädigung zu messen, nicht an einem nicht näher definierten Begriff einer Schwerstbehinderung.

Die Berufung der Beklagten hat somit keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor; im Übrigen handelt es sich im Hinblick auf die Neufassung des § 32 Abs. 1a SGB V um „auslaufendes Recht“.

Gründe

Die Berufung der Beklagten, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden werden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, hat aber keinen Erfolg, denn das SG hat zutreffend der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, eine langfristige Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL auf Dauer zu erteilen. Dieses Urteil hat auch nach den umfassenden Einwendungen der Beklagten im Berufungsverfahren Bestand.

Zunächst ist der Auffassung der Beklagten entgegenzutreten, die Klägerin habe weder eine Klagebefugnis noch ein Rechtsschutzinteresse daran, eine Genehmigungsentscheidung von ihr zu erstreiten, weil sie auch ohne eine solche Genehmigung bei medizinischem Bedarf entsprechende ärztliche Verordnungen einer Krankengymnastik ZNS-PNF erhalten könne.

Schon dem Wortlaut des § 32 Abs. 1a SGB V (hier anwendbar in der Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.11.2012, BGBl. I S. 2983) lässt sich entnehmen, dass der oder die Versicherte einen entsprechenden Antrag auf eine langfristige Genehmigung bei der Krankenkasse stellen kann. Gerade die Antragstellung als formales Element korrespondiert mit der vom Gesetzgeber gewollten subjektiven Rechtsposition, die er den Versicherten mit dem Ziel hat zukommen lassen, Klarheit darüber zu erhalten, dass vertragsärztliche Heilmittelverordnungen nicht nur vereinzelt und innerhalb oder außerhalb eines Regelfalls, sondern auch langfristig unter bestimmten Voraussetzungen beansprucht werden können. Obwohl ein Vertragsarzt den Versicherten bei entsprechendem medizinisch-therapeutischem Bedarf auch ohne langfristige Genehmigung entsprechende Verordnungen auszustellen hat, ist Sinn und Zweck der Regelung des § 32 Abs. 1 a SGB V gerade gewesen, die Behandlungskontinuität der Versicherten zu fördern und diese sowie die verordnenden Vertragsärztinnen und -ärzte von unnötigem Bürokratieaufwand zu entlasten (Gesetzesbegründung zur Einführung des § 32 Abs. 1a SGB V, Bundestagsdrucksache 17/6906, S. 54). Hierzu gehört auch, den Versicherten Klarheit und Sicherheit für die Gewährleistung ihres langfristig erforderlichen Therapiebedarfs zu verschaffen und sie gerade nicht in der Ungewissheit zu lassen, ob Vertragsärzte dem aus Budget- oder anderen Gründen nachkommen oder nicht. Außerdem würde die Rechtsauffassung der Beklagten dazu führen, dass die Ablehnung einer langfristigen Genehmigung durch die Krankenkasse nicht justiziabel wäre und die Regelung des § 32 Abs. 1a SGB V ins Leere laufen würde. Dies wäre mit Art. 19 Abs. 4 GG und der Rechtsschutzgarantie nicht zu vereinbaren. Die Beklagte mag sich fragen, warum sie bei Beachtung ihrer eigenen Rechtsauffassung den Antrag der Klägerin überhaupt inhaltlich beschieden hat; der Klägerin würden nämlich dann auch eine Antragsbefugnis und ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehlen. Folglich ist der Klägerin weder eine Klagebefugnis noch ein Rechtsschutzinteresse an Klärung dieser Frage abzusprechen (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.5.2014, L 11 KR 4072/13, Rn. 31; das LSG hat auch nicht ansatzweise die Klagebefugnis oder das Rechtsschutzinteresse in Frage gestellt, sondern ist bei Rechtswidrigkeit von einer Rechtsverletzung des dortigen Klägers ausgegangen).

Auch sieht der Senat ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an Erteilung der Genehmigung und nicht nur an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung im Sinne einer Fortsetzungsfeststellungsklage als gegeben an. Obwohl die ärztliche Verordnung bereits am 23.10.2012 und somit vor mehr als 3 Jahren ausgestellt und die Klägerin nach entsprechender Auskunft der Beklagten insbesondere in der Zeit von November 2014 bis Juni 2015 trotz fehlender Genehmigung mit dem entsprechenden Heilmittel mehrfach versorgt wurde, ist eine Erledigung des Begehrens nicht eingetreten. Einerseits hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie zwischenzeitlich gezwungen war, sich auf Privatrezept entsprechende Heilmittel zu besorgen. Zum andern würde die langfristige Genehmigung unabhängig von der konkreten Verordnung des Jahres 2012, sollte ein Anspruch auf unbefristete Genehmigung bestehen, auch künftig Rechtswirkungen entfalten.

Dass die somit zulässige Klage Erfolg hat, hat das SG richtig erkannt.

Allerdings ergibt sich der Anspruch nicht bereits aus dem formellen Argument des § 32 Abs. 1a SGB V. Die Voraussetzungen einer Genehmigungsfiktion liegen nämlich nicht vor. Eine evtl. Genehmigungsfiktion, die sich im Gegensatz zu den Rechtsausführungen der Beteiligten nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V herleiten lässt, sondern allenfalls aus § 32 Abs. 1a Satz 3 SGB V, greift zu Gunsten der Klägerin nicht ein. Zwar war diese Regelung bereits vor der allgemeinen Vorschrift des § 13 Abs. 3a SGB V in Kraft, ein Antrag der Klägerin (nicht bereits die Absichtserklärung einer Antragstellung) mit genehmigungsfähigem Inhalt ist jedoch vor dem 19.12.2012 nicht aktenkundig. Unter diesem Datum hat die Klägerin erst bei der Beklagten Antragsunterlagen vorgelegt; der Bescheid vom 3.1.2013 wurde deshalb innerhalb der 4-Wochen-Frist erlassen, so dass eine Genehmigungsfiktion nicht ausgelöst wurde.

Gemäß § 32 Abs. 1a SGB V in der o.a. Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes haben Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf die Möglichkeit, sich auf Antrag die erforderlichen Heilmittel von der Krankenkasse für einen geeigneten Zeitraum genehmigen zu lassen. Das Nähere, insbesondere zu den Genehmigungsvoraussetzungen, regelt der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V.

Auf dieser Rechtsgrundlage basieren die Richtlinien des GBA über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – HeilMRL - , im vorliegenden Fall anzuwenden in der Fassung vom 19.5.2011, gültig ab 1.7.2011. Diese Richtlinie war bereits vor der entsprechenden gesetzlichen Ermächtigung des § 32 Abs. 1a SGB V ab 1.1.2012 in Kraft und erhielt nachträglich die entsprechende gesetzliche Grundlage (Beck in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 32 Rn. 27).

In § 7 HeilMRL ist zunächst die Verordnung im Regelfall definiert, wobei sich der entsprechende Regelfall aus dem Heilmittelkatalog ergibt. Für Verordnungen außerhalb des Regelfalls, wie hier, bestimmt § 8 HeilMRL, dass weitere Verordnungen als solche außerhalb des Regelfalls möglich sind, wenn sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittelkatalogs bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen lässt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 HeilMRL), wobei dies einer besonderen Begründung mit prognostischer Abschätzung bedarf. Eine solche Verordnung außerhalb des Regelfalls muss mit mindestens einer ärztlichen Untersuchung innerhalb von 12 Wochen nach der Verordnung (§ 8 Abs. 1 Satz 4 HeilMRL) einhergehen. Derartige Verordnungen mit Begründung sind der Krankenkasse vorzulegen (§ 8 Abs. 4 HeilMRL), wobei die Krankenkasse die Kosten des Heilmittels unabhängig davon übernimmt, wie die Entscheidung über den Genehmigungsantrag lautet, längstens aber bis zum Zugang der Ablehnung (§ 8 Abs. 4 Satz 2 HeilMRL). Verzichtet die Krankenkasse auf ein Genehmigungsverfahren, wie es hier bei der Beklagten der Fall war, hat dies die gleiche Rechtswirkung wie eine erteilte Genehmigung (§ 8 Abs. 4 Satz 3 HeilMRL).

Im vorliegenden Fall hat der Genehmigungsverzicht der Beklagten, den diese allgemein ausgesprochen hatte, allerdings keine verfahrenserledigende Wirkung. Dieser Genehmigungsverzicht wirkt sich lediglich auf die “normale“ Verordnung außerhalb des Regelfalls nach § 8 Abs. 4 HeilMRL aus, nicht aber uneingeschränkt auf den Antrag auf eine langfristige Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL, wie ihn die Klägerin hier gestellt hat.

Für diese langfristige Genehmigung hat der GBA § 8 Abs. 5 HeilMRL geschaffen. Hiernach entscheidet die Krankenkasse auf den Antrag der oder des Versicherten darüber, ob wegen der sich aus der ärztlichen Begründung ergebenden besonderen Schwere und Langfristigkeit der funktionellen/strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und des nachvollziehbaren Therapiebedarfs die verordnungsfähigen Leistungen im verordnungsfähigen Umfang langfristig genehmigt werden können; die Genehmigung kann zeitlich befristet werden, soll aber mindestens ein Jahr umfassen.

Ergänzt wird diese Regelung zum einen durch die „Tragenden Gründe“ zum Beschlussentwurf des GBA über die Neufassung der Heilmittelrichtlinie: formale und inhaltliche Überarbeitung vom 20.1.2011, sowie durch den Beschluss des GBA über ein Merkblatt “Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen nach § 32 Abs. 1a SGB V in Verbindung mit § 8 Abs. 5 HeilMRL“ sowie das entsprechende Merkblatt.

Aus den Tragenden Gründen ergibt sich insbesondere, dass die Regelung des § 8 Abs. 5 HeilMRL insbesondere den Fällen Rechnung trägt, in denen der Behandlungsbedarf mit Heilmitteln für einen längeren Zeitraum feststeht und wenn hinsichtlich des Krankheitsstatus des Versicherten keine Veränderung hinsichtlich der Notwendigkeit einer Therapie mit Heilmitteln zu erwarten ist wie zum Beispiel bei dauerhaft behandlungsbedürftigen funktionellen und/oder strukturellen Schädigungen. Weiter ist dort angeführt, dass nach mehrheitlicher Auffassung im GBA die Neufassung des § 8 Abs. 4 und Abs. 5 HeilMRL keine Regelung zu Fragen der Wirtschaftlichkeit umfassen kann. Hierfür enthalten vielmehr §§ 84 Abs. 7 Satz 6 und 106 Abs. 5a Sätze 6-10 SGB V spezifische gesetzliche Regelungen.

Weiter folgt aus dem Merkblatt, dass die Vertragsärztin oder der Vertragsarzt im Rahmen des genehmigten langfristigen Heilmittelbedarfs Heilmittel entsprechend der Heilmittelrichtlinie verordnen kann, ohne dass diese Gegenstand von Wirtschaftlichkeitsprüfungen sind (Merkblatt B.1.). Menschen mit besonders schweren dauerhaften funktionellen/strukturellen Schädigungen haben die Möglichkeit, eine langfristige Genehmigung für eine fortlaufende Heilmitteltherapie zu erhalten, wenn ein andauernder Behandlungsbedarf mit Heilmitteln zu erwarten ist; dieser langfristige Heilmittelbedarf besteht in der Regel bei Vorliegen der Diagnosen aus einer anliegenden Liste (Merkblatt C.2.). Für den Bereich des Antragsverfahrens und der Genehmigung ist für Krankenkassen ohne individuelles Genehmigungsverfahren, wie hier also die Beklagte, ausgeführt, dass dann, wenn der Vertragsarzt feststellt, dass bei dem Patienten ein langfristiger Heilmittelbedarf bei Vorliegen einer in der Anlage gelisteten Diagnose besteht, der Patient mit einer Verordnung die Heilmitteltherapie unmittelbar beginnen kann. Dann ist ein Antrag auf Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung nicht erforderlich (Merkblatt D.3.a)). Für Antragsverfahren im Einzelfall bei nicht gelisteten Diagnosen gilt laut Merkblatt, dass in diesem Fall der Patient bei der Krankenkasse eine Genehmigung einer notwendigen langfristigen Heilmittelbehandlung beantragen kann und eine solche Genehmigung dann in Betracht kommt, wenn Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen mit den in der Anlage aufgeführten Diagnosen vergleichbar ist (Merkblatt D.3.c)). Schließlich ist Inhalt des Merkblatts, dass diese Genehmigung nach § 8 Abs. 5 HeilMRL keine Heilmittelverordnung ersetzt. Auch bei Vorliegen einer Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung können die Heilmittel für einen Zeitraum von maximal 12 Wochen verordnet werden. Die Genehmigung einer langfristigen Heilmittelbehandlung stellt die Versicherten im Genehmigungszeitraum aber davon frei, sich die weiteren Verordnungen von der Krankenkasse erneut genehmigen zu lassen (Merkblatt D. 6.).

Letztlich ist zur Beurteilung als Rechtsquelle die Vereinbarung über Praxisbesonderheiten für Heilmittel nach § 84 Abs. 8 Satz 3 SGB V unter Berücksichtigung des langfristigen Heilmittelbedarfs gemäß § 32 Abs. 1a SGB V vom 12.11.2012 zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV Spitzenverband) und der kassenärztlichen Bundesvereinigung von Bedeutung. Hiernach haben sich die Vereinbarungspartner auf bundesweit geltende Praxisbesonderheiten und auf Diagnosen nach Anlage 2 verständigt, für die ein langfristiger Heilmittelbedarf nach § 32 Abs. 1a SGB V gesehen wird (§ 1 Abs. 2 der Vereinbarung). Nach § 4 der Vereinbarung gelten für Verordnungen nach Anlage 2 die Genehmigungsvoraussetzungen für den langfristigen Heilmittelbedarf als erfüllt; für die betroffenen Versicherten ist ein Antragsverfahren nach § 32 Abs. 1a SGB V entbehrlich, sofern die Krankenkasse auf ein Genehmigungsverfahren nach § 8 Abs. 4 HeilMRL verzichtet. Langfristige Verordnungen nach § 32 Abs. 1a SGB V bzw. § 8 Abs. 5 HeilMRL entsprechend Anlage 2 sind gemäß § 106 Abs. 18 SGB V nicht Teil der Wirtschaftlichkeitsprüfung, belasten somit nicht das ärztliche Budget.

In diesem Zusammenhang ist zudem zu beachten, dass § 32 Abs. 1a SGB V durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz mWv 23.7.2015 (BGBl. I S. 1211) neu gefasst wurde. Hintergrund war, dass das erstrebte Ziel eines Bürokratieabbaus nach Auffassung des Gesetzgebers nicht erreicht wurde, da insbesondere zu viele Rechtsquellen (zu den bereits genannten noch Rundschreiben der Krankenkassen und der kassenärztlichen Vereinigungen) existierten. Stark kritisiert wird, dass den Krankenkassen ein Wahlrecht eingeräumt wird, ein Genehmigungsverfahren durchzuführen oder darauf zu verzichten. Kritisiert wird auch, dass eine medizinisch fachliche Bewertung von der Kassenzugehörigkeit der Versicherten abhängig sein kann und damit eine einheitliche Regelung ohne Rücksicht auf die Kassenzugehörigkeit sachgerecht erscheint. Der GBA hat, wie schon im geltenden Recht, auch mit dem neuen § 32 Abs. 1 a SGB V das gesetzgeberische Ziel zu berücksichtigen, die Behandlungskontinuität der Versicherten zu fördern und sie sowie die behandelnden Vertragsärzte von unnötigem bürokratischem Aufwand zu entlasten. Dem GBA wird nunmehr gesetzlich die Aufgabe zugewiesen, einheitlich in den Hilfsmittelrichtlinien bis 30.6.2016 zu definieren, wann ein langfristiger Heilmittelbedarf vorliegt, und festzulegen, ob und inwieweit ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, Bundestagsdrucksache 18/5123 Seite 118; Beck in Schlegel/Voelzke aaO. § 32 Rn. 28).

Für die sekundäre Rechtsgrundlage in Folge der gesetzlichen Ermächtigung des § 32 Abs. 1 a SGB V, die Heilmittel-Richtlinie des GBA nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V, ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass solche Richtlinien des GBA untergesetzliche Rechtsnormen sind (vgl. nur BSG, Urteil vom 31.5.2006, B 6 KA 69/04 R, Rn. 15 mwN.). Das BSG zieht die hinreichende demokratische Legitimation des GBA zum Erlass von Richtlinien nicht grundsätzlich in Zweifel. Möglich ist es aber, die vom GBA erlassenen, im Rang unterhalb des einfachen Gesetzesrechts stehenden normativen Regelungen formell und auch inhaltlich in der Weise zu prüfen, wie wenn der Bundesgesetzgeber derartige Regelungen in Form einer untergesetzlichen Norm - etwa einer Rechtsverordnung - selbst erlassen hätte (BSG, Urteil vom 7.11.2006, B 1 KR 24/06 Rn. 14).

Insofern ist in erster Linie die Anwendung des § 32 Abs. 1 a SGB V sowie des § 8 Abs. 5 HeilMRL geboten. Lediglich als Auslegungskriterien ohne Rechtsnormcharakter dienen die Tragenden Gründe zum Beschlussentwurf sowie das Merkblatt. Da weder die Tragenden Gründe noch das Merkblatt in Richtlinienform erlassen wurden und auch von der Intention des Gemeinsamen Bundesauschuss her mit der Wortwahl der „Tragenden Gründe“ und „Merkblatt“ lediglich Interpretationshilfen zu § 8 Abs. 5 HeilMRL gemeint sein können, haben diese lediglich ergänzende Funktion für eine klassische Rechtsnormauslegung nach Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie Historie.

Unter Beachtung der dargestellten derzeit geltenden Kriterien ist ein Anspruch der Klägerin auf Genehmigung der Langfristverordnung gegeben.

Die Klägerin braucht zunächst für eine Langfristverordnung die erstrebte Genehmigung; eine Ausnahme von diesem Erfordernis liegt nicht vor. Bei der Klägerin steht fest, dass sie nicht an einer Erkrankung leidet, die im Sinne von D. 3. a) des Merkblatts in der anliegenden Diagnose-Liste aufgeführt ist; hierüber streiten die Beteiligten und die Sachverständigen nicht. Im konkreten Fall der Klägerin bedarf es folglich nach o.a. Regelungen einer Genehmigung. Nach D. 3. c) des Merkblatts ist diese Genehmigung zu erteilen, wenn eine nicht gelistete Diagnose vorliegt, diese aber mit einer solchen der Anlage im Hinblick auf Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen vergleichbar ist.

Dass die Klägerin langfristige funktionelle und strukturelle Schädigungen hat, hierdurch in ihren Aktivitäten beeinträchtigt ist und der langfristige Therapiebedarf nachvollziehbar ist, stellt selbst die Beklagte nicht infrage. Sie ist nur der Meinung, die Klägerin gehöre nicht zur Personengruppe der Schwerstbehinderten, es ändere sich der Therapiebedarf und ihre Diagnose sei nicht mit einer der Anlage vergleichbar; insbesondere nicht mit Parkinson V. Diesen Argumenten ist jedoch nach Auswertung der Beweiserhebung nicht zu folgen.

Dr. J. führt in seinem Gutachten vom 24.2.2014 im Wesentlichen aus, die Klägerin leide unter segmentaler Dystonie zervikal rechts sowie oromandibulärer Dystonie, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer Atrophie des Schultergürtels mit Schwerpunkt im Musculus trapezius rechts. Eine Dystonie sei eine anhaltende unwillkürliche Muskelkontraktion, eine Erkrankung des zentralen Nervensystems und es würden Beeinträchtigungen im Bereich der basalen Ganglien angenommen. Die oromandibuläre Dystonie sei eine funktionelle und sozial sehr beeinträchtigende Bewegungsstörung, die durch ein vielfältiges Bild unter Beteiligung von Lippen, Zunge und Kiefermuskeln in Erscheinung trete. Bei der zervikalen Dystonie seien vor allem die Halsmuskeln betroffen. An erster Stelle sei die rotatorische Tortikollis in 50 % aller Fälle zu nennen, wobei meistens der Kopfwender betroffen sei, der Trapezius und zwei weitere Muskeln des Halses. Bei den Extremitäten sei vor allem die Dystonie der Hand als Schreibhand zu nennen, was auch beim Essen, Knöpfen und Basteln zu Störungen führe. Man behandele dies medikamentös und durch Injektion von Botox, gegebenenfalls auch mit chirurgischen Verfahren. Die Medikamente seien ähnlich wie bei Parkinson. Botox werde in die Muskeln gespritzt, was zu einer vorübergehenden Parese (Lähmung) führe. Dies wirke in der Regel innerhalb der ersten 14 Tage nach der Injektion, die Dauer betrage etwa 3 Monate. Das Krankheitsbild der Klägerin sei nicht durch wechselnde Leitsymptomatik charakterisiert, die Ausprägung könne anhand der therapeutischen Möglichkeiten aber unterschiedlich ausgeprägt sein. Mit Botox könne man eine vorübergehende Besserung erreichen, die pathologischen Muster seien aber nicht endgültig zu unterdrücken. Durch die erkennbare Atrophie sei ein gleichbleibender Behandlungsbedarf mit Heilmitteln über einen längeren Zeitraum festzumachen. Zweifelsohne bestehe trotz der Medikamente die Notwendigkeit einer konsequenten physikalischen Therapie zur Vermeidung zusätzlicher Behinderungen des Bewegungs- und Knochenapparats. Wegen der besonderen Schwere und Langfristigkeit der funktionell strukturellen Schädigungen, der Beeinträchtigung der Aktivitäten und des nachvollziehbaren dauerhaften Therapiebedarfs könnten die verordneten Leistungen im Regelumfang langfristig genehmigt werden. Im Merkblatt des GBA zur Genehmigung langfristiger Heilmittelbehandlungen sei in den Diagnosen die Dystonie nicht genannt. Nach allgemeinen medizinischen Erkenntnissen sollte aber die Krankheitsgruppe der schweren Dystonie den im Merkblatt genannten Erkrankungen zum Beispiel Parkinson Stadium V gleichgestellt werden, da es sich um ein chronisches und nicht heilbares Krankheitsbild handele, welches im Verlauf trotz medikamentöser Therapie in der Regel progredient sei. Die Verordnungsnotwendigkeit auf Dauer sei anzunehmen.

Der Sachverständige ergänzte dies in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Erörterungstermin vom 21.3.2016 dahin, die ZNS-Physiotherapie diene der Besserung des klinischen Zustands in Akutfällen, bei Chronikern gehe es nur noch darum, Schaden zu verhindern oder einzugrenzen, wenn die Möglichkeit, die Grunderkrankung therapeutisch zu beeinflussen, sehr eingeschränkt sei. Gerade im Fall der Klägerin als Chronikerin ändere sich beispielsweise durch Bewegungsstürme, die vorkämen, die Statik. Bei der Klägerin sei auch das Sternum betroffen und dies könne dazu führen, dass dies Auswirkungen auf die Atemkapazität habe. Betroffen seien bei der Klägerin auch Teile der Muskulatur, die für die Versorgung des Halses zuständig seien, konkret für die Beweglichkeit des Halses. Bei der Klägerin seien diese Muskeln athrophiert. Es gehe also mit dieser Krankengymnastik ZNS darum, die Folgen der Erkrankung einzudämmen, aufzuhalten bzw. zu verlangsamen. Selbst könne die Klägerin dies nicht bewirken; sie brauche hierfür ständig die Anleitung eines Therapeuten, um in einer konkreten Situation zu wissen, was sie zu machen habe. Eine dauerhafte therapeutische Anleitung sei hier dringend erforderlich. Beispielsweise werde man Atemübungen konkret auf den jeweiligen Zustand der Klägerin abstimmen müssen.

Ein Erkrankter mit Parkinson V sei ohne fremde Hilfe nicht gehfähig, er sei dauerhaft auf eine andere Person angewiesen. Bei Parkinson V werde Physiotherapie eingesetzt, um Bewegungsmuster zu simulieren, Schlimmeres wie einen Dekubitus, eine Lungenerkrankung und eventuelle Kreislaufinstabilität zu verhindern. Ähnlich sei es bei der Klägerin, denn die Dystonie-Erkrankung der Klägerin sei medizinisch nicht zu beeinflussen, kausal nicht therapierbar, so dass die Vergleichbarkeit mit Parkinson V auch insbesondere darin liege, die Folgen der Erkrankung zu minimieren und Folgeerkrankungen hieraus zu verhindern. Die Dystonie der Klägerin sei auch eine extrapyramidale wie die Parkinsonerkrankung und auch bei einer Dystonie gebe es einen progredienten Verlauf, in den durch die Therapie eingegriffen werden solle. Es gehe darum, Sekundärschäden einer funktionell sehr einschränkenden Erkrankung wie die der Klägerin zu verhindern.

Man könne bei einer Parkinsonerkrankung etwa bis zum Stadium IV noch kausal behandeln, d. h. man könne Dopamin in der Form ersetzen, dass man die Vorstufe des Dopamin in den Körper gebe, der dies zu Dopamin umwandele, um dann kausal auf die Erkrankung einwirken zu können. Diese Möglichkeit gebe es bei der Dystonie der Klägerin nicht. Dort könne beispielsweise Botox dafür sorgen, dass die Muskulatur gelähmt werde, was mehrere Wochen andauere. Die Spannung der Muskulatur könne man beispielsweise durch Antispastika vermindern. Bei dieser Erkrankung sei aber keinerlei kausale Therapie durchführbar. Dies sei ähnlich wie bei Parkinson V; bei dieser Erkrankung gehe dies auch nicht und hier sehe er die Vergleichbarkeit der beiden Erkrankungen.

Dass der Morbus Parkinson V in der Liste sei und andere Erkrankungen nicht, sei wohl darin begründet, dass der Morbus Parkinson eine häufige Erkrankung sei und man habe sich in dieser Liste wohl auf die häufigen Erkrankungsbilder konzentriert und die seltenen, wie auch die Erkrankung der Klägerin, deshalb weggelassen. Die Erkrankung der Klägerin als Dystonie sei ebenfalls chronisch und es sei absolut notwendig, dass auch diese Erkrankung mit einer ZNS-Physiotherapie versorgt werde, weil hier wie bei den anderen Erkrankungsbildern in dieser Liste lediglich eine Eindämmung der Krankheitsfolgen möglich sei.

Demgegenüber gab der MDK in seinen Stellungnahmen an, nach dem Entlassungsbericht der Klinik H. M. resultierten als funktionelle Auswirkungen belastungsabhängige und somit wechselnd ausgeprägte Symptome. Parkinson V sei das am schwersten ausgeprägte Krankheitsstadium eines Parkinsonpatienten und charakterisiert durch Rollstuhl und Hilfe Dritter. Ein solches Krankheitsbild liege nicht vor. Bei der Frage der Langfristigkeit in Form eines dauerhaften Behandlungsbedarfs sei der Aspekt der ausgeprägten Belastungsabhängigkeit und Variabilität der Symptome besonders zu würdigen. Im Rehabericht werde ein erheblicher Einfluss beruflicher und privater Stressfaktoren mit wechselnder Ausprägung in Bezug auf die Leitsymptome herausgestellt und auch Dr. J. bestätige in seinem Gutachten die unterschiedliche Ausprägung. Bei solch wechselnd ausgeprägter Symptomatik liege eine nach der Heilmittelrichtlinie geforderte Dauerhaftigkeit funktioneller und struktureller Schädigungen nicht vor. Therapeutisch bedeute dies, dass die eingesetzten Heilmittel dem jeweiligen Erkrankungsverlauf angepasst werden müssten, der im Einzelnen nicht eindeutig vorhersehbar sei. Ein beständiger dauerhafter Therapiebedarf könne daher nicht ohne weiteres angenommen werden. Auch Dr. J. bestätige eine Progredienz des Krankheitsbildes. In der neurologischen Wissenschaft würden allerdings in vergleichbaren Fällen einer zervikalen Dystonie im Sinne eines Tortikollis auch spontane Remissionen in bis zu 15 % der Fälle beschrieben. Eine Beständigkeit oder Dauerhaftigkeit der gesundheitlichen Situation könne daher nicht zwingend erwartet werden. Besserungen und Verschlechterungen seien möglich und man müsse die Heilmittelbehandlungen daher nach Art, Umfang und Intensität anpassen. Ein schematisch starres bzw. dauerhaftes Behandlungskonzept erscheine nicht zielführend und aus neurologischer Sicht lägen die Voraussetzungen nicht vor.

Wertet man diese sachverständigen Äußerungen aus, so ist zum einen der Beklagten bzw. dem MDK zu entgegnen, dass ein dauerhafter Therapiebedarf der Klägerin durchaus besteht. Die Argumentation des MDK, in vergleichbaren Fällen einer zervikalen Dystonie im Sinne eines Tortikollis gebe es auch in geringem Umfang spontane Remissionen, ist ohne Bedeutung, denn eine solche Remission liegt bei der Klägerin gerade nicht vor. Aus der theoretischen Möglichkeit einer solchen Besserung oder Heilung darauf zu schließen, dass es an der Dauerhaftigkeit des Krankheitsbildes fehlt, ist nicht möglich. Zum andern ist nach diesen Kriterien nicht entscheidend, ob und in welchem Umfang gegebenenfalls eine wechselnde Leitsymptomatik vorliegt. Selbst wenn es bei der Klägerin unterschiedliche Ausprägungen des Krankheitsbilds gibt, ist von entscheidender Bedeutung, dass die Dystonie-Erkrankung mit chronischem Verlauf unabhängig von der „Tagesform“ ständig und dauerhaft therapiebedürftig ist, was weder die Beklagte noch der MDK infrage stellt. Eventuelle therapeutische zusätzliche Interventionen oder eine Verringerung der Intensität der einzelnen Behandlungen in einer besseren Phase sind bei dieser Konstellation dem Therapeuten zu überlassen, der entscheidet, welche Maßnahmen im Rahmen der konkreten ärztlichen Verordnung in dem gerade konkreten Zustand der Klägerin durchzuführen sind. Zu beachten ist, dass die Klägerin sechs Jahre lang regelmäßig und ununterbrochen mit einer ZNS-Heilmitteltherapie versorgt wurde. Ein völlig gleichbleibender Krankheitszustand ist kein Tatbestandsmerkmal für die Genehmigung einer langfristigen Behandlung durch Heilmittel.

Letztlich ist somit entscheidend, ob die gesundheitliche Schädigung der Klägerin im Sinne von § 8 Abs. 5 HeilMRL besonders schwer ist. Dies ist mit den Ausführungen von Dr. J. der Fall, obwohl allein im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit mit einer Rollstuhlpflichtigkeit und Abhängigkeit von der Hilfe Dritter ein Erkrankungsbild bzw. eine Diagnose vergleichbar mit Parkinson V in der Liste nicht gegeben ist. Zu berücksichtigen ist aber, dass sich bei der Frage der Vergleichbarkeit sowohl die besondere Schwere der Erkrankung als auch die Langfristigkeit auf den Heilmittelbedarf und nicht die Pflegebedürftigkeit beziehen müssen; alleine auf die Diagnose abzustellen, verbietet sich (so auch LSG Baden-Württemberg aaO. Rn. 43). Es wäre mit den rechtlichen Regelungen nicht zu vereinbaren, nur demjenigen den Vorteil einer Langfristgenehmigung zu bieten, der – wie ein an Parkinson V Erkrankter – erheblich, schwer- oder schwerstpflegebedürftig (§ 15 Abs. 1 SGB XI), da insbesondere in der Mobilität stark eingeschränkt ist, diese aber demjenigen zu verweigern, der bei ansonsten vergleichbaren strukturellen Schädigungen, entsprechendem Therapiebedarf und Beeinträchtigungen seiner Aktivitäten (noch) mobil ist. Insofern ist die Aussage des Sachverständigen Dr. J., die Schwere und Dauerhaftigkeit der Schädigungen der Klägerin sei vergleichbar mit denjenigen bei Parkinson V, insoweit nachvollziehbar und überzeugend. Bzgl. dieser Merkmale stellt er zutreffend auf den Therapiebedarf, die Chronizität, die fehlende Alternative einer kausalen Behandlung und die erheblichen strukturellen und beeinträchtigenden Beschränkungen ab.

Bei der Frage der Vergleichbarkeit ist zudem die gesetzgeberische Intention und insbesondere die Gesetzesbegründung heranzuziehen, die alleine die Personengruppe der Versicherten mit langfristigem Heilmittelbehandlungsbedarf benennt, und als Regelbeispiele Menschen mit schweren Behinderungen oder chronisch Kranke aufführt. Über diesen Gesetzeszweck hinaus hat der GBA die beiden Merkmale miteinander verknüpft, was in der Literatur als sehr restriktiv zu Kritik geführt hat (vergleiche Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand 3-2013, § 32 Rn. 19g).

Mit Dr. J. liegt die Vergleichbarkeit der Dystonie-Erkrankung als wie Morbus Parkinson chronische extrapyramidale Erkrankung mit erheblichen funktionellen und strukturellen Funktionseinschränkungen, einer nicht möglichen kausalen Therapie und einer hauptsächlich im Hinblick auf die Auswirkungen durch langfristige Heilmittel beeinflussbaren Folgenmilderung vor. Dass diese auch unbefristet zu erteilen ist, somit diesbezüglich eine Ermessensreduzierung der Beklagten auf Null (§ 8 Abs. 5 Satz 2 HeilMRL) vorliegt, haben der Sachverständige und das SG zutreffend erkannt. Für eine Befristung der Genehmigung bei dem schweren chronischen und nicht kausal behandelbaren Erkrankungsbild der Klägerin sowie der seit 2007 auch seitens der Beklagten nicht in Frage gestellten notwendigen Heilmitteltherapie gibt es keine Gründe.

Schließlich kann die Beklagte nicht erfolgreich einwenden, die Klägerin gehöre nicht zum Kreis der Schwerstbehinderten. Die Tragenden Gründe geben zwar zusätzlich an, lediglich ein kleiner Kreis schwerstbehinderter Patienten komme für eine langfristige Genehmigung infrage. Dies entspricht aber weder der gesetzlichen Grundlage noch § 8 Abs. 5 HeilMRL. Von Schwerstbehinderten ist dort nicht die Rede. § 32 Abs. 1a SGB V spricht überhaupt nicht von Schwerbehinderten, sondern von Versicherten mit langfristigem Behandlungsbedarf, und in Konkretisierung dessen schreibt § 8 Abs. 5 HeilMRL in Ausfüllung dieses Begriffs lediglich eine besondere Schwere vor - dies auch nur betreffend der Schädigungen, der Beeinträchtigung der Aktivitäten und des daraus resultierenden Therapiebedarfs. Hieran ist also die Schwere der Erkrankung bzw. der Schädigung zu messen, nicht an einem nicht näher definierten Begriff einer Schwerstbehinderung.

Die Berufung der Beklagten hat somit keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor; im Übrigen handelt es sich im Hinblick auf die Neufassung des § 32 Abs. 1a SGB V um „auslaufendes Recht“.

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